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Der Wanderer 110

Brahms. Lieder (Song Transcriptions; arr. Reger). Rudolf Buchbinder, Klavier. Deutsche Grammophon. 2024.

Der Wanderer XCV

Igor Levit, Fantasia, in der Naxos Music Library gehört. Passt sehr zu der unruhigen und ratlosen Zeit. Es sind Stücke voller Fragen, und einige trösten sogar ein bisschen.

Wagnerdämmerung

Hatte nun endlich auch die Zeit, mir die Wagnerdämmerung von Katarina Schickling, Teil 1 und Teil 2, bei 3sat anzuschauen. Wie kann man es sagen – es entsprach den Erwartungen: Nichts Neues, aber schön produziert, insgesamt knapp 70 Minuten, ein Update zur Saison. Ausgewogen bis zum Abwinken, keinem wurde auf die Füße getreten. Erst 2024 gehts weiter, wenn der Vertrag der Intendantin Katharina Wagner ausläuft. Auch dieses Jahr wurde die Premiere (Parsifal) auf France Musique übernommen, vier Stunden lang und in besserer Qualität als beim Bayerischen Rundfunk.

No Man's Woman

Sie muss eine Menge mitgemacht haben. Sie hat es auch nicht für sich behalten, sondern öffentlich gemacht. Ihr englischer Wikipedia-Artikel liest sich eher wie eine Krankenakte. Und auch ich denke an ihren einzigen großen Hit, mit dem sie für immer bekannt wurde: Nothing compares 2 U. Eigentlich von Prince, aber mit einer ganz eindrücklichen Performance für immer mit ihr verbunden. Damals, im Jahr 1990, hatten Musikvideos noch eine gewisse Reichweite. Die besseren waren künstlerisch gemacht. Die Videokunst war ein Kind der gerade abgeschlossenen 1980er Jahre.

Das Lied lief während einer Taxifahrt am frühen Abend vom Krankenhaus nachhause. Wir hatten damals einen Todesfall in der Familie, und der Taxifahrerin ging es ebenso, erzählte sie uns. Es war eine traurige Fahrt, die sich lange anfühlte, endlos lange anfühlte. Ein langer, sehr trauriger, ein einziger gesungener Schrei, den man nicht vergisst. Eine Melodie, die nachklingt. Ein Gesicht. Ein Kopf.

John Creedon widmete Sinéad O’Connor gestern Abend auf RTÉ Radio 1 seine ganze Sendung und spielte dabei unter anderem ein Lied, das hierzulande weniger zu hören ist. Dazu gibt es ein Video, das einen leidensvollen Prozess der Individualisierung zeigt. Die (Wieder-)Geburt aus dem Geist der Verweigerung heraus, aus dem Protest heraus und mit Hilfe der Musik. Der eigenen Musik auf dem eigenen Instrument, das zu ihr passte. Sie war No Man's Woman.

Klar, sehr kommerziell produziert. Aber auch sehr gut gemacht.

George Winston (1949–2023)

George Winston ist gestorben. Seine Musik gehörte zum Soundtrack unserer Zeit im Sonneneck in Badenweiler im Herbst 2010. Wie vieles, was wir sangen und spielten, klingt auch sie noch immer in mir nach. Die traurigen Töne, die uns aber auch so viel Hoffnung gaben und zu denen ich immer wieder zurückgekehrt war, wenn es nötig wurde. Wenn es wieder nötig ist.

Russians

Ein Rückblick in die 1980er Jahre. Das Lied Russians wurde 1985 veröffentlicht. Sting war damals 34 Jahre alt, also fast halb so alt wie er heute ist.

Und wir arbeiten uns immer noch daran ab: Tod, Angst, Abschreckung und Krieg sind zurück in Europa. Es scheint eine Endlosschleife zu sein. Wenn ich an den kalten Krieg denke, wenn ich an Krieg denke, dann denke ich an dieses Lied.

Ich habe auch keine Lösung. Aber auch die reflexhafte Aufrüstung ist falsch. Ich denke auch immer wieder an Sätze von Wolfgang Borchert aus der Nachkriegszeit. Sein Vermächtnis. Sie sind wahr:

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN! …

Stellvertretend für die Bibliotheken in der Ukraine sei auf die Wernadskyj-Nationalbibliothek in der Hauptstadt Kiew verwiesen. 1918 gegründet, umfasst ihr Bestand 15 Millionen Medieneinheiten, eine der größten Bibliotheken der Welt. Die Benutzung war bis zum russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 geöffnet. Möge sie und mögen andere Kulturstätten und die Menschen dort beschützt sein.

Mein Soundtrack

Es ist viel gestreamt worden in den letzten Wochen, und viel war die Rede von diesem oder jenem Online-Event. Für mich war Randy Crawford eine Wiederentdeckung aus den tiefen 1980er Jahren. Almaz. Und: Rainy night in Georgia. Und: One day I'll fly away. Der Jazz von Randy Crawford, live, wird mein Soundtrack des Lockdown gewesen sein, wenn ich mich daran zurückerinnern werde. Und sie sang vor ein paar Jahren immer noch so wunderbar leicht wie in den 1980ern und 1990ern.

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