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30 Jahre Tschernobyl

Damals war es schon wärmer als in diesem Jahr. Der Frühling hatte begonnen, und die Wetterlage drehte von West- auf Ostwind. Regen kam auf. Ich besorgte mir damals mein erstes Kurzwellenradio, einen Sony ICF-7600D, um den BBC World Service hören zu können. Keiner wollte mehr Milch oder Joghurt kaufen, und wir durften den Rasen um die Schule herum in den Pausen nicht mehr betreten. Die Physiklehrer versuchten sich beim Messen der Radioaktivität mit Geigerzählern, stellten aber bald fest, daß sie keine Vergleichswerte aus der Zeit davor zur Verfügung hatten, um den Anstieg berechnen zu können. Es knatterte halt irgendwie. Man wartete montags auf den „Spiegel“, abends im Fernsehen auf „Monitor“, man las die taz. Und die Politiker logen, in Ost und West. „Grenzwerte“ wurden je nach Landesgrenze festgelegt. In Baden-Württemberg wurde der frisch geerntete Salat weggeworfen, weil er als radioaktiv belastet galt, in der Schweiz dagegen kam er damals auf den Tisch.

Im Deutschlandfunk erinnert Dagmar Röhrlich heute an den 30. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, und die IPPNW haben einen 80-seitigen Bericht über die Auswirkungen veröffentlicht: 30 Jahre Leben mit Tschernobyl. 5 Jahre Leben mit Fukushima. Gesundheitliche Folgen der Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima. Ein Auszug aus der Pressemitteilung der IPPNW:

… Unmittelbar am havarierten Kraftwerk arbeiteten in den Wochen und Monaten nach dem Super-GAU mehr als 800.000 AufräumarbeiterInnen. Sie erhielten die größte Strahlendosis und erlitten die schwerwiegendsten gesundheitlichen Schäden. Inzwischen sind schätzungsweise 112.00-125.000 AufräumarbeiterInnen gestorben, die Haupttodesursache waren Hirn- und Herzinfarkte.

Mehr als 350.000 Menschen mussten aus der 30 km-Zone und weiteren stark kontaminierten Regionen evakuiert werden. Ungefähr 8,3 Millionen BürgerInnen der Ukraine, Weißrusslands und Russlands wurden großen Mengen radioaktiven Niederschlags ausgesetzt. Schätzungsweise 100 Millionen Menschen in der UdSSR und 500 im Rest Europas wurden mit geringeren Strahlendosen belastet. Rund 36% des radioaktiven Cäsiums gingen damals über Weißrussland, Russland und der Ukraine nieder, etwa 53% über dem Rest Europas. 11% verteilten sich über den restlichen Globus. Auch in Deutschland nahmen Millionen von Menschen radioaktive Isotope wie Jod-131 oder Cäsium-137 mit der Atemluft, kontaminierter Nahrung, Milch und Trinkwasser in den Körper auf. Bis heute werden gesundheitsschädigende Mengen radioaktiven Cäsiums in bayerischem Wild und Waldfrüchten gefunden.

Die wohl bekannteste Folge des Super-GAU ist der massive Anstieg von Schilddrüsenkrebsfällen – vor allem in Weißrussland, der Ukraine und Russland, aber in geringerem Umfang auch in allen anderen radioaktiv kontaminierten Regionen Europas. Die starke Fokussierung auf Schilddrüsenkrebs hat jedoch auch dazu geführt, dass weitaus gefährlichere Tschernobyl-Folgen aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurden: So kam es bei den LiquidatorInnen und den BewohnerInnen der stark kontaminierten Gebiete zu signifikant erhöhten Raten von Leukämie und Lymphomen sowie Malignomen der Prostata, der Haut, der Nieren, des Darms und der weiblichen Brust.

Die Anzahl der strahlenbedingten nicht-malignen Erkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle, Katarakte oder Hormondysregulationen wird erst langsam im vollem Umfang begriffen und bewegt sich vermutlich in ähnlichen Größenordnungen wie die Zahl der Krebserkrankungen. Fehlbildungen, chromosomale Aberrationen wie Trisomie 21 und die Erhöhung der perinatalen Sterblichkeit in Abhängigkeit zur Kontamination mit Cäsium-137 wurden bereits wenige Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe in Weißrussland, der Ukraine und einigen mittel- und osteuropäischen Ländern registriert. …

Auch im SWR2 Archivradio sind Die Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima derzeit Thema. Acht Stunden Tondokumente aus ARD-Hörfunksendungen in einer Dauersendeschleife im Livestream.

Arctic Sunrise Arbitration

Rußland ist nicht nur wegen der Beteiligung an dem Krieg in der Ukraine Vorwürfen ausgesetzt, das Völkerrecht verletzt zu haben (ob das der Fall ist bzw. war, ist durchaus streitig). Es hat gerade auch den zweiten Prozeß im Zusammenhang mit einer Aktion von Greenpeace im arktischen Meer im Jahr 2013 verloren. Der Fall hat durchaus das Potential, bald zu einem der modernen Klassiker des Völkerrechts zu zählen.

Damals hatte Greenpeace mit seinem unter niederländischer Flagge fahrenden Schiff „Arctic Sunrise“ eine Ölbohrplattform von Gazprom in der Barentssee zu erklettern versucht, um auf die Gefahren des Rohstoffabbaus in der Arktis hinzuweisen. Die Aktivisten waren dabei aber auf den Widerstand der Russen gestoßen, die die „Arctic Sunrise“ kaperten und die Besatzung verhafteten.

Schon zwei Monate später, im November 2013, mußten die Greenpeace-Leute in einem Eilverfahren auf Antrag der niederländischen Regierung beim Hamburger Internationalen Seegerichtshof gegen Kaution freigelassen werden. Das weitere Verfahren findet vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag statt, der – auf weiteres Betreiben der Niederlande – nun die Rechtswidrigkeit des russischen Vorgehens festgestellt hat. In einem weiteren Schritt wird über den Schadensersatz zu entscheiden sein, den Rußland zu leisten hat.

Die russische Regierung ist den verhängten Auflagen bisher zwar nachgekommen, erkennt aber keine der Entscheidungen an und bleibt auch den Verhandlungen aus Protest fern, weil sie das Gericht nicht für zuständig halte.

Permanent Court of Arbitration, Arctic Sunrise Arbitration, Niederlande vs. Rußland, Case No. 2014-02, vgl. auch die Pressemitteilung vom 24. August 2015.

Neues vom Ozonloch

Das Ozonloch – in den 1980er Jahren … eines der wichtigsten Aufregerthemen, neben dem sauren Regen, dem Waldsterben und der Bedrohung durch die Kernwaffen der Machtblöcke – könnte sich demnächst langsam wieder schließen. Es gebe Prognosen, denen zufolge es bis 2050 wieder auf dem Stand von 1980 zurückgehen könne, schreibt Susanne Dambeck. Der Klimawandel bleibe davon aber unberührt (via Mark Thoma).

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