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Dienstag, 5. Mai 2015

Tarif-„Einheit“

Jens Berger weist in den NachDenkSeiten darauf hin, daß die Bundesregierung als 100-prozentiger Anteilseigner der Deutsche Bahn AG den derzeitigen Streik der GDL herbeigeführt habe. Wenn es also heiße, die Arbeitgeberseite spiele auf Zeit, um einen Tarifabschluß letztlich unter Verweis auf das im Gesetzgebungsverfahren befindliche „Tarifeinheitsgesetz“ zu vereiteln, so müsse sich der Vorwurf richtigerweise gegen die Bundesregierung richten, die – so gesehen – mit Blick auf die Koalitionsfreiheit in Artt. 9 III GG, 12 EU-Grundrechtecharta, 11 EMRK offen verfassungswidrig handele.

Skepsis bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des Tarifeinheitsgesetzes gibt es auch im Lager der DGB-Gewerkschaften und Umfeld. Stefan Sell verweist auf das Ergebnis der Anhörung im Bundestags-Sozialausschuß, wo sich selbst Wolfgang Däubler kritisch geäußert habe. „So verwies Däubler darauf, dass die Arbeitgeberseite künftig durch legale Maßnahmen die Struktur der Arbeitnehmerseite so beeinflussen könne, dass die von ihr geschätzte Gewerkschaft die Mehrheit im Betrieb habe. Das greife aber in die Unabhängigkeit der Gewerkschaften ein und lasse sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren, sagte Däubler. Außerdem sei es fraglich, wie festgestellt werden solle, welche Gewerkschaft die Mehrheitsgewerkschaft sei. Noch unklar sei, welche Arbeitnehmer als betriebszugehörig gezählt würden, was mit den ‚Karteileichen‘ geschehe oder mit jenen, die sich weigerten, ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft offenzulegen. ‚Wir brauchen den Gesetzentwurf überhaupt nicht‘, sagte Däubler.“ Auch Ursula Engelen-Kefer hatte sich schon im vergangenen September in ihrem Blog gegen das Gesetz gewandt.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken wiegen schwer, denn der Abschluß von Tarifverträgen, notfalls durch Arbeitskämpfe herbeigeführt, zählt zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit, und das Grundrecht bindet die öffentliche Gewalt auch wenn sie privatrechtlich – hier also: als Arbeitgeber – handelt.

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