Noch lange nicht vorbei VIII
Der Rechtsruck, der nun auch bei uns angekommen ist, ging ja unter anderem von Österreich aus. Robert Menasse hat heute morgen im Interview im Deutschlandfunk auch für Deutsche verständlich erklärt, wie die Kapitulation des Rechtsstaats durch die großen Koalitionen dort über einen sehr langen Zeitraum hinweg vorbereitet worden war.
Als mir vor ein paar Jahren mal ein Kollege erzählte, wie das in Österreich funktioniert, wollte ich es zuerst gar nicht glauben. Es gibt dort nämlich eine Rechtsquelle, die wir im deutschen Recht nicht kennen, das Verfassungsgesetz. Nach herrschender Meinung ist das ein Gesetz mit Verfassungsrang und gehört damit zum Verfassungsrecht; nach anderer Ansicht ist es einfach nur ein Gesetz, das mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen worden ist, aber eben nur im Range eines einfachen formalen Gesetzes. Solche Verfassungsgesetze wurden in Österreich immer dann erlassen, wenn etwas umstritten war. Sie wurden mit Zweidrittelmehrheit im Parlament beschlossen und waren damit der materiellen Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof entzogen. Verfassungsgesetze sind nach österreichischer Auffassung von vornherein verfassungsmäßig, sie können nicht verfassungswidrig sein, denn sie wurden ja mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen. Ihre Verfassungsmäßigkeit wird nicht an der zum Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden Verfassungsrecht geprüft. Deshalb wurde auch kaum ein umstrittenes Gesetz in Österreich je vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, ganz im Unterschied zu Deutschland, wo es ja eher zum Regelfall geworden ist, die abenteuerlichsten Dinge im Parlament zu beschließen, weil sie später sowieso wieder „von Karlsruhe“ aufgehoben werden. Keine Sorge, Karlsruhe wird das wieder richten. „Der Gang nach Karlsruhe“ ist zum geflügelten Wort geworden – an sich ja auch schon ein Skandal. Karrierebewußte Abgeordnete verlassen sich darauf und stimmen schon auch mal dafür, wo es substantielle Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit gibt. So erzählte das zumindest mal der ehemalige SPD-Abgeordnete Tauss, als seine politische Karriere zuende ging und er infolge der nach ihm benannten Affäre aus dem Parlament ausscheiden mußte. Diese Korrektur der Politik durch die Rechtsprechung, das Primat des Rechts über die Politik, kann man also in Österreich umgehen, indem man möglichst große Koalitionen bildet, die Verfassungsgesetze erlassen, um den Rechtsstaat auszuhebeln.
Menasse sieht darin eine Aushöhlung des Rechtsstaats, die sich aktuell auswirke: Die österreichische Verfassung ist systematisch zur Ruine gemacht worden. … Und mit der Begründung dieser Papierruine, die wir haben, macht jetzt das österreichische Verfassungsgericht, das die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl lediglich auf formale Fehler bei der Auszählung, nicht auf Fehler im Ergebnis oder auf konkrete Manipulationen gestützt hatte – mit dieser Begründung mache also der Verfassungsgerichtshof die Republik zur Ruine, und das ist unerträglich. Indem sie gegen das Wahlergebnis vorgegangen sei, habe die FPÖ nichts anderes getan als die AfD in Deutschland. Beide Parteien liege daran, dieses System zu zerstören. Sie zerstören eine Republik, sie zerstören demokratische Strukturen im Namen der Demokratie. Und jetzt frage ich Sie: Erinnert Sie das an etwas?
Zumal eine Wahlwiederholung gar nicht möglich sei: Mittlerweile sind nämlich schon jetzt mehr Menschen, die wahlberechtigt waren bei dieser Wahl, gestorben, als der Stimmenunterschied zwischen den Kandidaten war. Es seien aber auch mehr Menschen wahlberechtigt geworden, also ins wahlberechtigte Alter gekommen, als Stimmendifferenz war zwischen diesen beiden Kandidaten, und die wiederum dürfen nicht wählen, weil nur die wählen dürfen bei der Wahlwiederholung, die schon damals wahlberechtigt waren. Das heißt, eine enorme Anzahl von Österreichern darf nicht wählen, muss aber dann sechs Jahre mit diesem Bundespräsidenten leben, und eine enorme Anzahl von Österreichern, die gewählt hat, kann nicht noch einmal wählen, weil sie bereits verstorben sind.
So werden Unregelmäßigkeiten erst geschaffen.
Geh'mer Tauben vergiften im Park?