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Dienstag, 5. November 2019

Dreißig Prozent weniger von ohnehin schon viel zu wenig

Das schaffen wahrscheinlich nur deutsche Verfassungsrichter: Dreißig Prozent Abschlag von ohnehin schon viel zu wenig reichen aus und sind erlaubt.

Was bleibt damit eigentlich noch vom bisher in der Menschenwürde wurzelnden Existenzminimum? Vermutlich nicht mehr allzu viel, jedenfalls wird man dieses dogmatisch allenfalls noch partiell in Art. 1 Abs. 1 GG fundiert sehen können. Der Anspruch auf ein bedingungsloses Existenzminimum wandelt sich gewissermaßen in einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung. Die Rechtsprechung zeichnet damit das herrschende Paradigma des apertistischen Liberalismus bei der Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG und des Sozialstaatsprinzips nach. Abgesehen von den hier nur skizzierten dogmatischen Fragen, bleibt es zweifelhaft, ob das eigentlich der richtige Weg ist. Wir befinden uns mit Andreas Reckwitz aktuell vermutlich in einem weltweiten Wechsel des politischen Paradigmas, in dem der staatliche Schutzanspruch erneut eine größere Rolle spielen dürfte. Das Urteil hätte einen Beitrag zu diesem Paradigmenwechsel leisten können. So liest es sich eher wie ein letztes Aufbäumen des noch herrschenden apertistischen Liberalismus.

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