Noch lange nicht vorbei V
Bemerkenswert, wie ausführlich die französische Presse derzeit über den Jahrestag der Losung „Wir schaffen das“ berichtet. Le Monde brachte gestern einen Aufmacher mit Angela Merkels offiziellem Kampagnenphoto aus dem Bundestagswahlkampf 2013 (zur Erinnerung: mit beigem Kostüm vor dunkelblauem Hintergrund und Raute). Der Zustandsbeschreibung auf Seite 2 folgt eine Serie in sechs Teilen über Merkels Biographie, die die ganze Woche über noch fortgesetzt wird. Auf der Website nur für Abonnenten zu lesen, man muß also auf andere Lösungen ausweichen oder die Zeitung kaufen.
Über ihre erneute Kandidatur wird derzeit wohl noch verhandelt, und es ist auch schon etwas her, daß man sich ihr biographisch genähert hätte. Unvergessen das Interview das Arno Luik im Sommer 2000 für den Stern mit ihr geführt hatte. Aber die Beiträge der Auslandspresse lesen sich doch in vielem wie ein Nachruf zu Lebzeiten.
Und der Inlandspresse fällt zunehmend auf, daß „Wir schaffen das“ sowohl das Subjekt als auch das Objekt als auch die Tätigkeit völlig offen ließ: Wer schafft was und wie, mit welchen Mitteln? Es ist kein durchdachtes und kluges politisches Konzept, sondern eher das angstvolle Pfeifen im dunklen Keller. Und doch wird man davon ausgehen müssen, daß die große Zahl an Wandernden nicht ohne weiteres abzuwenden waren oder sein werden. So auch Marc Engelhardt vergangenen Sonntagmorgen im Deutschlandfunk: Denn die Menschen verließen ihre Heimat, um für sich persönlich globale Gerechtigkeit herzustellen. Die man ihnen auf Dauer nicht wird vorenthalten können.
Die Festung Europa zerbricht zuerst in Ost und West, dann fällt sie ganz. Völlig egal, übrigens, wer in der Zeit Kanzler war oder sein wird. Um einmal den Blick über die Aufgeregtheiten der Presse hinaus zu weiten.