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Der Wanderer 105

Nun schreiben sie also Newsletter. Vor ein paar Wochen begann Michael Seemann mit seinen Krassen Links, die sonntags versandt werden, aber auch im Blog erscheinen. Und auch Markus Beckedahl meint nach seinem Weggang von netzpolitik.org, mit dem eigenen Newsletter komme die Leichtigkeit und Freiheit des Bloggens und Kommentierens von früher zurück. Dabei geht es aber nur um Überwachung, denn sämtliche Links werden zur Auswertung über einen eigenen Resolver geleitet, auch wenn die URLs parallel im Blog im Klartext stehen und von dort aus direkt nutzbar sind. Der einzige denkbare Vorteil eines Newsletters, die Archivierbarkeit, geht dadurch freilich auch flöten, denn die krassen Links stehen da gar nicht drin. Man löscht sie deshalb eher. Was bleibt, ist der Newsreader.

Der Wanderer XCVII

Gerade in dem Moment, in dem die kommerziellen sozialen Plattformen in die Krise gekommen sind und sich viele Benutzer von ihnen schon abgewandt und zum Fediverse hingewandt haben, nervt YouTube seine User und fordert sie dazu auf, den Werbeblocker abzuschalten. Ich habe darauf insoweit reagiert, dass ich Kanäle, die mir Werbung vorsetzen, abwähle. Übrig bleibt die Zivilgesellschaft, die offenbar ohne Werbung funktioniert, aber noch nicht außerhalb der Datenwirtschaft steht. Noch nicht.

Der Wanderer LXXXVII

Kurz vor dem Wochenende traf die dritte Auflage des LaTeX Companion, des TLC3, ein. Zwei Bände mit zusammengenommen gut 1900 Seiten. 18 Jahre nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung der zweiten Auflage. Ein enormer Gewinn für alle Benutzer und eine große Freude, ein so sorgfältig hergestelltes Buch zu bekommen.

Wobei es nicht ganz einfach war, den Titel zu bestellen, denn Addison-Wesley oder besser gesagt: Pearson ist auch nicht mehr ganz, was es mal war. Das Buch ist zwar in Deutschland über den Buchhandel bestellbar, es wird hierzulande aber nicht gelagert, sondern jeweils direkt beim Verlag aus den USA beschafft. Das sorgt für eine lange Lieferzeit und für vergleichsweise hohe Kosten. Und auch für ungewöhnlich schwankende Kosten. Wenn man die deutsche Buchpreisbindung gewöhnt ist, mag es merkwürdig anmuten, aber die Preisunterschiede zwischen den Buchhändlern sind doch beträchtlich.

Am ärgerlichsten ist aber wohl, dass der Transfer der Metadaten vom amerikanischen zum deutschen Buchhandel nicht so richtig klappen will. Wer das Werk bestellt, möge sich deshalb, bitte, nicht kirre machen lassen, es gibt mehrere Angebote vom Verlag: Man kann beide Bände separat bestellen, beide haben eine eigene ISBN, und es gibt ein Bundle mit beiden, und dann gibt es nochmal ein Bundle zusammen mit der E-Book-Ausgabe, das wäre dann also sozusagen die vollständigste aller Ausgaben. Wer die Auskunft erhält, der zweite Band sei nicht lieferbar, möge ihn reklamieren. Es gibt ihn wirklich, er liegt gerade neben mir auf dem Schreibtisch. Also nicht nur als E-Book, sondern als Book-Book.

Wer sich für LaTeX interessiert, möchte doch wahrscheinlich gerne ein gedrucktes Buch in Händen halten, zumal bei dem besagten Umfang. Fest gebunden auf gutem Papier mit einem schönen dunkelroten Lesebändchen. Und dann hat es also doch noch deutlich vor Weihnachten geklappt. Ich freue mich wirklich darauf! Und alle Beispiele aus dem TLC3 gibt es auf CTAN.

Übrigens habe ich die knappe Einführung in LaTeX, die ich seit ein paar Jahren auf meiner Homepage anbiete, endlich einmal wieder aktualisiert. Viele Weblinks gingen nicht mehr. Einige Angaben waren ebenfalls überholt. Bei der Gelegenheit habe ich den Text von HTML auf Org-Mode umgestellt. Sowohl die Quelle als auch der leicht nachbearbeitete HTML-Export aus Org stehen auf GitHub bereit. Und bei der nächsten Version werde ich auch die Teile, die ich heute noch händisch angegangen hatte, soweit wie möglich in Org umsetzen. Vielleicht kann ich meine gesamte Website als Publishing-Projekt auf Org umstellen. Wahrscheinlich erhalte ich auch beim Lesen des TLC3 eine paar Anregungen, die in den Text einfließen können, ohne ihn zu sehr auszudehnen.

Bei der Gelegenheit habe ich meine Homepage noch mit einem Dark Mode versehen. Das war per @media (prefers-color-scheme: dark) {...} tatsächlich viel einfacher, als ich gedacht hätte.

Ich stelle mir gerade parallel eine ebenso kurze Einführung in die Installation von Emacs unter macOS vor, in der ich meine Erfahrungen aus den letzten Wochen zusammenfassen könnte, die ich ja teilweise hier auch verbloggt hatte. Ich mag die alte Tradition der gentle introductions sehr, von denen es früher ganz viele im Netz gab, zu allen möglichen Themen. Blogs, Wikis und Webforen sind hilfreich, aber letztlich sind es nur gesammelte Bruchstücke, es fehlt meistens der größere Überblick über ein Thema. Still digging!

Der Wanderer LXXXV

CRE.FM zu Git aus dem Jahr 2009 gehört. Man merkt, dass sich in dem Bereich kaum mehr etwas getan hat. GitHub war am Aufkommen, Wikipedia und „die Wikis“ waren immer noch ziemlich präsent, aber immer noch viel mehr als „etwas Neues“ als man es heute beschreiben würde.

Interessant fand ich an mehreren Stellen den Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Technik, dem Umgang damit und den gesellschaftlichen Auswirkungen. Das Forken wurde von einer regelrechten Kampfansage mit hingeworfenem Fehdehandschuh zu einer geradezu erwünschten Kulturtechnik, die jederzeit grundlegende Änderungen am Bestand ermöglicht und damit Spielräume öffnet. Das Forken als praktizierter Liberalismus. Sire, geben Sie Forkfreiheit!

Nicht weiter verfolgt wurde leider die Idee, dass es nachteilig war, Wikipedia in einem zentralen Repository zu belassen, wenn alle Welt sonst dezentral arbeitet. Noch heute wird der Fork von Wikipedianern im alten Sinne als ein Kampfbegriff verstanden, eher als eine Drohung als eine Chance, eine Entwicklungsmöglichkeit. Die Probleme beim Forken von Wikipedia wurden immer größer mit der Zeit, weil die Erweiterungen im Umfeld, vor allem die Integration von Wikidata, aber auch schon die zentrale Auslagerung aller Bilder auf Wikimedia Commons, einen eigenen Weg, der davon getrennt verliefe, kaum noch zulässt. Wikipedia ist als Dump nicht mehr standalone weiterzuverwenden. Es ist kaum zu ermessen, was diese im Laufe der Jahre geschaffenen Tatsachen für die Entwicklung von Wikipedia und für die Community bedeutet haben. Die Inselstellung dürfte sich dadurch verschärft haben. Die Isolation, die uns vom Rest des Webs trennt. Brücken zu den dezentralen Strukturen kann auch Wikidata nur formal aufbauen, nicht mehr inhaltlich.

Der Diff und der Umgang damit ist ein zentrales Instrument der Content-Entwicklung, das in seinen gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen viel zu wenig beachtet wird. In Blog-Systemen spielt es auch kaum oder gar keine Rolle.

Form follows function. Content follows medium.

Der Wanderer LXXXIV

Das Usenet lebt, ein bisschen. Als Bram Moolenar starb, gab es dort eine Diskussion über die Rolle, die vi(m) derzeit (noch) spielt. Keine Frage, dass die Bedeutung, die so ein mächtiges technisches Werkzeug spielt, immer schon erheblich war, las man zum Beispiel schon anhand der Geschichte der nettime-l-Mailingliste. Aber als der Tod des Hauptentwicklers von vim bekannt wurde, wurde man in de.comp.editoren doch auch ziemlich nachdenklich und merkte ziemlich schnell, dass auch die Wahl des Editors eine Generationenfrage ist:

Wobei ich den Eindruck habe, dass bei den jüngeren Leuten vim nicht so beliebt ist. Da dominieren nano und Visual Studio Code.

Andererseits:

Die klicken oder wischen bloß noch rum.

Auch mit Word …

… sind viele der heutigen Studenten vermutlich schon überfordert. ;-)

Geschichten vom Älterwerden.

Der Wanderer LXXXIII

LibreOffice schafft die Begriffe Schusterjungenregelung und Hurenkinderregelung in seiner Bedienoberfläche ab, weil es die Begriffe bei Microsoft Word und bei Adobe InDesign auch nicht mehr gebe. Es handele sich um einen Drucker-Jargon, der für Joe Sixpack unverständlich sei. Das sind typografische Grundbegriffe. Kann man sich nicht ausdenken. Aber im heutigen Daily-Build schon so umgesetzt.

Bibliotheken rocken in jeder Form

Meint Anke Gröner in ihrem Blogpost zum 20. August:

Sehr lange auf dem morgendlichen Balkon gesessen mit dem derzeit üblichen Glas Lungo und ordentlich Milchschaum, plus Wasser, alles auf einem silbernen Plastiktablett, das ich mal wieder vom Mütterchen überreicht bekommen habe beim letzten Besuch, „nimm mit“. Ein Buch ausgelesen, das hatte ich peinlicherweise gestern schon im Blogeintrag vermerkt, den ich nach dem Morgenbalkon verfasst hatte, ein neues angefangen, nämlich „The Nickel Boys“ von Colson Whitehead. Steht seit Ewigkeiten auf meinem Wunschzettel, aber als ich Freitag in der Stadtbücherei meinen neuen Ausweis bekam und danach durch die Regale schlenderte, stand es vor mir, schön auf Englisch, gleich mal mitgenommen. Bibliotheken rocken in jeder Form.

Sag ich doch.

Der Wanderer LXXIX

Das Bloggen hat sich verändert. Weil sich die digitale Öffentlichkeit verändert hat. Menschlich. Immer mehr Gift ist im Umlauf. Aber auch technisch, weil es weggeht von dem großen Player WordPress. Gutenberg hat dann doch einige zum Nachdenken gebracht. WordPress ist nicht mehr in erster Linie für Blogger da. Und es gibt Alternativen. Erst an WordPress orientiert. Mittlerweile immer öfter: Statische Seiten. Generator: Pandoc in den Metadaten. Oder gleich ein Webhosting bei GitHub Pages.

Übergänge auch bei der Hardware sind zu erkennen: Einstige Apple-Fans sind zu Chromebook und zu Framework gewechselt, und sie sind zufrieden damit.

Übergänge bei den digitalen Räumen: Das Tor-Projekt hat die Mailingliste Tor-Talk geschlossen und bietet zur Diskussion ein eigenes Webforum an, das seit Juni selbst gehostet wird. Die Mailingliste Nettime-l hat sich dagegen konsolidiert und läuft unter neuer (menschlicher und technischer) Orga weiter, worüber große Erleichterung einkehrte. Am Rande der Neuaufstellung und vor dem Hintergrund des Tods von Bram Moolenaar erzählten Ted Byfield und Felix Stalder über die Bedeutung, die vim für die Moderation der Liste über einen so langen Zeitraum hatte.

Bram Moolenaar (1961–2023)

Dear all,

It is with a heavy heart that we have to inform you that Bram Moolenaar passed away on 3 August 2023.

Bram was suffering from a medical condition that progressed quickly over the last few weeks. Bram dedicated a large part of his life to VIM and he was very proud of the VIM community that you are all part of.

We as family are now arranging the funeral service of Bram which will take place in The Netherlands and will be held in the Dutch lanuage. The extact date, time and place are still to be determined. Should you wish to attend his funeral then please send a message to …. This email address can also be used to get in contact with the family regarding other matters, bearing in the mind the situation we are in right now as family.

With kind regards,

The family of Bram Moolenaar

R. I. P.

(vim_announce, via de.comp.editoren)

Der Wanderer LXXVII

Alle sind müde. Von der Hitze. Von der plötzlichen Temperaturschwankung. Nach unten. Nach oben. Müde vom Wetter. Müde aber auch von der nicht ablassenden Veränderung.

Was damals begonnen hatte, setzt sich fort. Immer mehr Läden haben geschlossen. Das Einkaufszentrum hat einen Leerstand, den man sich früher[tm] nie hätte vorstellen können. Alles schrumpft immer noch weiter. Unsere Speisen, gerne auch zum Mitnehmen. Prozent. Vorteilskarte. Besuchen Sie uns im Internet.

Die Geschäfte verschwinden so schnell und leise, man fragt sich, waren sie noch da, als ich das letzte Mal hier vorbei kam, oder war das schon vor einem oder vor zwei Jahren? Dauerhaft geschlossen. Zettel an der Schaufensterscheibe, und man mag sich gar nicht vorstellen, dass es noch einmal eine nächste Dekoration geben könnte.

Die Irrationalität des Ganzen: hier, gleich an der nächsten Ecke, ist sie alltagspraktisch zu besichtigen, schrieb das Institut für Sozialforschung zur Räumung der Bockenheimer Dondorf-Druckerei, und das kann man ziemlich zwanglos auf viele derzeitige gesellschaftliche Verwerfungen übertragen.

Die Dekonstruktion ist auf lange Zeit hin angelegt. Die gesellschaftliche Umstrukturierung zeigt sich vor allem in den Wanderungsbewegungen zwischen den großen sozialen Agenturen, den knappen Mehrheiten bei politischen Wahlen, dem schnellen Umentscheiden zwischen grundlegend verschiedenen Optionen, dem Mitgliederverlust bei den Kirchen und den Gewerkschaften, der immer weitergehenden Individualisierung bei den Lebensentwürfen und in den Arbeitsbedingungen. Und bei aller Veränderung: Gleichzeitig eine große Enge von allen Seiten. Anstrengung und Zwanghaftigkeit prägt die Bewegung, die Veränderung, es fehlt an Leichtigkeit und Geschmeidigkeit. Und an Licht. Der Trend zum Dark Mode ist dafür ein Zeichen. Es gibt ihn schon länger, aber er ist immer noch nicht überall angekommen. Im Firefox muss man ihn noch durch ein Add-On nachrüsten, damit nicht nur das Programm selbst, sondern auch der Inhalt der Websites dunkel wird. Verdunkelung. Verdunkelungsgefahr. Alles so dunkel hier. Wie schön.

Die Welt ist mir zuviel titelte das Zeit Magazin zwischen den Jahren 2014/2015 einen Beitrag über das neue Biedermeier. Der darke Vorhang bleibt geschlossen. Wir gehen gut einkaufen, alles bio, und wir kochen uns was Hippes, sagt das Zeit Magazin. Henkerlächeln beim Winken aus dem elektrisch getriebenen und wohltemperierten Sportwagen. Fährt in seine eigene Welt. Und ab.

Horváth lesen.

Umstrukturierung auch bei den Plattformen. To mail or not to mail.

  • Ende 2022 dachte man darüber nach, die traditionsreiche Mailingliste Nettime-l auf eine eigene Mastodon-Instanz umzuziehen. Und dann kam Google Mail und kappte die Liste faktisch, so dass eine weitere Kommunikation nicht mehr möglich war. Umzug auf eine temporäre Mailman-Instanz. Und neue Betreiber und Moderatoren aus Wissenschaft und Netzkultur fanden sich zusammen. Es wird also weitergehen. Wir atmen auf: Nettime-l ist eines der hochwertigsten Foren zur Netzkultur und zur Medienwissenschaft.

  • Im Frühjahr schloss Michael Schaarwächter nach 29 Jahren und nach ziemlich kurzfristiger Ansage die InetBib-Liste (zuletzt etwa 8000 Abonnenten). Als Nachfolger gründeten Thomas Krichel und Jürgen Plieninger die Mailingliste Bibnez mit derzeit 1500 Abonnenten. Das deutet auf eine hohe Bereitschaft hin, sich bei disruptiven Verläufen neu zu orientieren. Und ab.

  • Im Sommer 2023 wurde angekündigt, dass das Schweizer Pendant Swiss-Lib ganz von der Mailinglisten-Basis auf eine Web-Plattform mit angedrechseltem E-Mail-Verteiler wechseln werde. Ab September soll es soweit sein – via Digithek.

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