Mittwoch, 9. November 2016
„Was bedeutet der Wahlsieg von Donald Trump für den Datenschutz?“
Peter Schaar weiß es auch nicht: …bleibt uns beim Datenschutz – wie in vielen anderen Politikfeldern – nichts anderes übrig, als abzuwarten, welchen Kurs die neue Administration einschlagen wird. Alles andere wäre hoch spekulativ…
Der konservative Reflex
In dem Text wird eigentlich vom Klassenkampf in Amerika erzählt: Es gebe da Verlierer, die sich rächen wollten. Dazu wird ein doppelter Boden aus Tiefenpsychologie eingezogen (narzißtische Kränkung, Wut und Revanche). Schließlich kommt aber die reaktionäre Volte, zurück zur Elite, gegen das Volk, das aus irrationalen Gründen dem Demagogen nachlief, und die Autorin zieht einen ziemlich abwegigen Schluß:
Wählen, was einem gut tut, zerstört Demokratien. Die Wahl eines strongman wie Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt zeigt, von wem heute die grösste Gefahr für die Volksherrschaft ausgeht: vom Volk.
Aus: Sieglinde Geisel. Wir können auch anders! Die Gekränkten Amerikas haben sich einen starken Mann gewählt und die Welt damit schockiert. Was heißt das für die Zukunft der Demokratie? In: tell-review.de. 9. November 2016.
Das greift ganz sicherlich zu kurz. Wenn wir vom Narzißmus sprechen, so wäre zuerst vom Narzißmus des Kandidaten zu handeln, der noch in der acceptance speech ausschließlich von sich selbst inmitten lauter ehrenwerter Leute gesprochen hat. Das ist ein Vorgeschmack auf das Niveau, das in den nächsten vier Jahren aus dem Weißen Haus zu hören sein wird. Unreflektiert, phantasielos, machtfixiert und egozentrisch. Und das schien seinen Wählern attraktiv.
Wenn die westliche Demokratie derzeit ein Repräsentationsdefizit hat, dann ist es hier zutage getreten, denn es gab offensichtlich die Wahl zwischen zwei unfähigen Kandidaten, die keiner wirklich wollte. Am Ende wählten aber die meisten denjenigen, der sie – aus ihrer Sicht – noch am besten repräsentiert. Daß sie dazu in eine Schweigespirale eingetreten sind, mag dahinstehen. Es gibt viele Gründe, warum Meinungsumfragen heute nicht mehr so funktionieren wie einst.
Das ist aber kein Grund, sich gegen das Volk zu wenden und reaktionär von alten Zeiten zu träumen. Ein kritischer Ansatz wäre vielmehr zu fragen, warum nicht nur die Wählerschaft, sondern auch die Elite der USA gespalten ist, die ja selbst durch so verschiedene und allseits untragbare Kandidaten repräsentiert worden ist? Nicht nur zwischen den Wählern und den Gewählten, sondern auch innerhalb der Eliten gibt es ein Repräsentationsdefizit. Dieses Defizit ist sozusagen gestuft vorhanden, nicht nur zwischen „oben und unten“, sondern auch innerhalb des „Oben“. Die Führungsschichten zerreiben sich, desintegrieren sich, und sie offenbaren dabei selbst noch im Verfall eine absurde Unfähigkeit, ihre Rolle noch auszufüllen.
Keine gute Zeit, auf „das Volk“ herabzuschauen oder sich sonst von ihm zu distanzieren. Zumal die Wahlentscheidung der Amerikaner sicher nicht eine reine Bauchentscheidung war. Wer aus ökonomischen Gründen wählt, hat handfeste Gründe auf seiner Seite, verfolgt – in diesem Fall ganz klar – sogar dasselbe Kalkül wie der Kandidat. Die Wahl offenbart insoweit am ehesten noch ein Bildungsdefizit und einen Ausfall an weitergehender Urteilkraft, ist aber ansonsten deutlich von materiellen Interessen geleitet. Eine späte Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Man könnte aber auch, wenn man sich die Lage etwas näher betrachtet, an einen wie Berlusconi denken, der seinerzeit frank und frei erklärt hatte, er sei in die Politik gegangen, weil er nicht ins Gefängnis habe gehen wollen. Wir kennen die weitergehenden Motive des Wahlgewinners noch nicht näher. Um die amerikanische Präsidentschaftswahl erklären zu können, fehlt also noch ein Puzzle-Teil; ein missing link zwischen gesellschaftlichem Umfeld, privaten Ambitionen und dem resultierenden Rechtsruck, auf den man gespannt sein darf.
„Giacometti–Nauman“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main
Giacometti geht immer, begann der Kollege vom Wiesbadener Kurier seinen lesenswerten Beitrag über die Giacometti-Nauman-Ausstellung, die derzeit in der Frankfurter Schirn zu sehen ist. Kein Besucher wird auf dem Absatz kehrtmachen, weil sich jetzt in der Frankfurter Kunsthalle Schirn die spindeldürren Plastiken des Graubündner Jahrhundertbildhauers den Platz mit Objekten, Skulpturen und Installationen des amerikanischen Multimediakünstlers Bruce Nauman teilen. Obwohl er im weiteren Verlauf seiner Rezension denn doch eine gewisse Fallhöhe zwischen den beiden bemerkt.
Zu Recht. Denn natürlich ist die Zusammenstellung vollkommen willkürlich und weder die übliche Kuratorenlyrik der Pressetexte noch die Demandtsche Mathematik (Das ist für mich die absolute Königsklasse im Kuratieren, wenn man so etwas hinbekommt … Dann wird aus zwei plus zwei eben nicht vier, sondern sechs, oder sogar acht) können darüber hinwegtäuschen, daß es hier gehörig knirscht im Gebälk. Man erinnert sich an die Letzten Bilder, die vor drei Jahren ebenso unvermittelt und beziehungslos an gleicher Stelle nebeneinander hingen.
Giacometti lohnte sich – für mich, weil ich bisher nur seine kleineren Arbeiten kannte und denn doch überrascht war ob der Wirkung der „Grande Femme IV“ oder des „Walking Man“, beide von 1960, die lebensgroß vor einem stehen, strahlend und energisch. Und nachdem ich mich vor ein paar Jahren auch noch einmal mit Beckett beschäftigt hatte, zu dessen „Godot“ Giacometti das klassische Bühnenbild beisteuerte, war ein Gang durch diesen Teil der Ausstellung eher mit bekannten Eindrücken verbunden.
Die Beschäftigung mit der Leere, die „nicht nichts“ sei, wie die Einführung Digitorial erzählt, gleich zu Anfang im ersten Raum der Schau, hinterläßt den meisten Nachdruck. Dort wird L'objet invisible (Mains tenant le vide) von 1934 dem Lighted Center Piece Naumans von 1967 gegenübergestellt. Einerseits die ruhige und aufrechte, fast thronende Figur, die in ihren Händen deutlich etwas hält, das man offenbar nicht darstellen kann, das aber gleichwohl vorhanden ist und das auch – ihrer Haltung nach zu urteilen – so kostbar ist, daß es gut geborgen und beschützt bleiben muß. Auf der anderen Seite vier 1000-Watt-Lampen, die unverhandelbar und sehr aggressiv eine kleine quadratische Fläche ausleuchten, auf der, um es mit Ror Wolf zu sagen, „plötzlich nichts geschieht“. Dieser Raum, der zunächst eher wie eine Notlösung wirkt und gleich zu Anfang den Besucher mehr kalt erwischt und verwirrt als ihn zu empfangen, ist genaugenommen die eindrücklichste Szene der ganzen Ausstellung, weil sie mich berührt und Auskunft fordert, die nicht erteilt werden kann – das spätere Godot-Motiv vorwegnehmend.
Giacometti–Nauman. Bis 22. Januar 2017 in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main. Kuratorin: Esther Schlicht. – Katalog (Schnoek, Köln, vor Ort: 35 Euro), Begleitheft (7,50 Euro). – Digitorial und eine recht gehaltvolle Broschüre (für Besucher kostenlos).
A tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing II
Das heißt, die sozialen Medien sind in diesem Wahlkampf zu virtuellen Megaphonen verkommen, durch die man sich gegenseitig anbrüllt, in der Hoffnung, damit sozusagen Resonanz in der Anhängerschaft zu finden. Bei Trump ist das relativ gut gelungen, aber es hat natürlich nichts mit der demokratischen Vielfalt und den Versprechen, die man einst mit sozialen Medien verbunden hat, zu tun. …
Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Bots wahlentscheidend sein können, aber ich gehe schon so weit zu sagen, dass der Einsatz von Technik, von ganzen Botsystemen durch Hacker oder auch durch gezielte Propagandisten Meinungsklimata oder Meinungswellen hervorrufen kann.
Aus: Miriam Meckel. „Virtuelle Megaphone, durch die man sich gegenseitig anbrüllt“. In: Deutschlandfunk. 9. November 2016.
A tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing
"Both the technology itself, and the way we choose to use the technology, makes it so that what ought to be a conversation is just a set of Post-it notes that are scattered," Kerric Harvey, author of the Encyclopedia of Social Media and Politics, said of Twitter. "Not even on the refrigerator door, but on the ground."
She argues that what we do on Twitter around politics isn't a conversation at all; it's a loud mess.
Aus: Sam Sanders. Did Social Media Ruin Election 2016?. In: npr.org. 8. November 2016.