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Samstag, 15. Juli 2023

Der Wanderer LXXVII

Alle sind müde. Von der Hitze. Von der plötzlichen Temperaturschwankung. Nach unten. Nach oben. Müde vom Wetter. Müde aber auch von der nicht ablassenden Veränderung.

Was damals begonnen hatte, setzt sich fort. Immer mehr Läden haben geschlossen. Das Einkaufszentrum hat einen Leerstand, den man sich früher[tm] nie hätte vorstellen können. Alles schrumpft immer noch weiter. Unsere Speisen, gerne auch zum Mitnehmen. Prozent. Vorteilskarte. Besuchen Sie uns im Internet.

Die Geschäfte verschwinden so schnell und leise, man fragt sich, waren sie noch da, als ich das letzte Mal hier vorbei kam, oder war das schon vor einem oder vor zwei Jahren? Dauerhaft geschlossen. Zettel an der Schaufensterscheibe, und man mag sich gar nicht vorstellen, dass es noch einmal eine nächste Dekoration geben könnte.

Die Irrationalität des Ganzen: hier, gleich an der nächsten Ecke, ist sie alltagspraktisch zu besichtigen, schrieb das Institut für Sozialforschung zur Räumung der Bockenheimer Dondorf-Druckerei, und das kann man ziemlich zwanglos auf viele derzeitige gesellschaftliche Verwerfungen übertragen.

Die Dekonstruktion ist auf lange Zeit hin angelegt. Die gesellschaftliche Umstrukturierung zeigt sich vor allem in den Wanderungsbewegungen zwischen den großen sozialen Agenturen, den knappen Mehrheiten bei politischen Wahlen, dem schnellen Umentscheiden zwischen grundlegend verschiedenen Optionen, dem Mitgliederverlust bei den Kirchen und den Gewerkschaften, der immer weitergehenden Individualisierung bei den Lebensentwürfen und in den Arbeitsbedingungen. Und bei aller Veränderung: Gleichzeitig eine große Enge von allen Seiten. Anstrengung und Zwanghaftigkeit prägt die Bewegung, die Veränderung, es fehlt an Leichtigkeit und Geschmeidigkeit. Und an Licht. Der Trend zum Dark Mode ist dafür ein Zeichen. Es gibt ihn schon länger, aber er ist immer noch nicht überall angekommen. Im Firefox muss man ihn noch durch ein Add-On nachrüsten, damit nicht nur das Programm selbst, sondern auch der Inhalt der Websites dunkel wird. Verdunkelung. Verdunkelungsgefahr. Alles so dunkel hier. Wie schön.

Die Welt ist mir zuviel titelte das Zeit Magazin zwischen den Jahren 2014/2015 einen Beitrag über das neue Biedermeier. Der darke Vorhang bleibt geschlossen. Wir gehen gut einkaufen, alles bio, und wir kochen uns was Hippes, sagt das Zeit Magazin. Henkerlächeln beim Winken aus dem elektrisch getriebenen und wohltemperierten Sportwagen. Fährt in seine eigene Welt. Und ab.

Horváth lesen.

Umstrukturierung auch bei den Plattformen. To mail or not to mail.

  • Ende 2022 dachte man darüber nach, die traditionsreiche Mailingliste Nettime-l auf eine eigene Mastodon-Instanz umzuziehen. Und dann kam Google Mail und kappte die Liste faktisch, so dass eine weitere Kommunikation nicht mehr möglich war. Umzug auf eine temporäre Mailman-Instanz. Und neue Betreiber und Moderatoren aus Wissenschaft und Netzkultur fanden sich zusammen. Es wird also weitergehen. Wir atmen auf: Nettime-l ist eines der hochwertigsten Foren zur Netzkultur und zur Medienwissenschaft.

  • Im Frühjahr schloss Michael Schaarwächter nach 29 Jahren und nach ziemlich kurzfristiger Ansage die InetBib-Liste (zuletzt etwa 8000 Abonnenten). Als Nachfolger gründeten Thomas Krichel und Jürgen Plieninger die Mailingliste Bibnez mit derzeit 1500 Abonnenten. Das deutet auf eine hohe Bereitschaft hin, sich bei disruptiven Verläufen neu zu orientieren. Und ab.

  • Im Sommer 2023 wurde angekündigt, dass das Schweizer Pendant Swiss-Lib ganz von der Mailinglisten-Basis auf eine Web-Plattform mit angedrechseltem E-Mail-Verteiler wechseln werde. Ab September soll es soweit sein – via Digithek.

I'd prefer to mail.

Thunderbird 115.0 „Supernova“ II

Also gut. Ein neuer Anlauf. Hat keinen Zweck, sich dem Umstieg zu verweigern, denn Ende August soll die letzte Version der 102-er-Reihe erscheinen.

Mit einem frischen Profil bestätigt sich, dass hier noch vieles schiefläuft.

Dann zurück zum alten Profil, denn die Konfiguration ist so umfangreich, dass es viel zu aufwändig wäre, sie from scratch ganz neu wieder aufzuziehen. Jedenfalls ist die alte Hauptsymbolleiste bei der neuen Version nicht mehr einsetzbar, weil sie an einer Stelle platziert wurde, wo sonst nur Tabs zu finden sind. Also räume ich sie leer, so wird sie schmaler. Im Gegensatz zum frischen Profil erscheint die Suchleiste dort allerdings nicht mehr und ist auch nicht auf anderem Wege (Anpassen, about:config) wieder her zu zaubern.

Der ganze Schnickschnack, den sie neu eingeführt haben, nimmt auf der Bedienoberfläche so viel Platz in Anspruch, dass man ihn ausblenden muss. Das Dreispaltenlayout erweist sich dann tatsächlich als die beste Lösung auch auf dem 13-Zoll-MacBook Air – wenn man den Tagesplan aus Platzgründen weglässt und jedenfalls für E-Mails und für den Feedreader. Die Darstellung kenne ich noch von Apple Mail früher. Für Newsgroups, bei denen es aufs Threading ankommt, muss man auf die alte Darstellung umschalten, hier fehlt allerdings die grafische Anzeige des Threads, es wird nur noch eingerückt, keine grafische Unterstützung beim Lesen der komplexen Diskussionen.

Antworten, Weiterleiten und Löschen von Nachrichten nur noch über diese kleinen Buttons im Header der Nachricht. Nach mehreren Tagen entdecke ich auch das Umwandeln von E-Mails in Termine und Aufgaben (und vice versa) wieder: Es ist aus dem Kontextmenü der Nachricht und aus dem Nachrichten-Hauptmenü in den Button „Mehr“ im Nachrichtenfenster verschoben worden.

Überhaupt ist durch die unpraktischen Hamburger-Menüs viel Klicken angesagt, ganz viel Klicken, Untermenüs klappen sich nicht mehr auf, sondern führen in Irrgärten und in weitere Irrgärten, alles im selben Fenster, was auf dem Desktop gar nicht nötig wäre – ich bin froh, dass unter macOS zumindest das Hauptmenü erhalten blieb. Noch. Inkonsistent weiterhin: Die Farbgebung bei der Auswahl von Desktop-Elementen und die Darstellung von Kontextmenüs im Programm im Vergleich zum System. Und freilich sind die Ordner nicht out of the box sortierbar; das Add-on Manually sort folders wurde noch nicht angepasst. Wir warten.

Bin gespannt, wie lange es dauert, bis der Hänger beim Schließen („reagiert nicht“) angegangen wird.

Thunderbird-Benutzer sind leidensfähig, oder sie sind keine.

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