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„Isa Genzken. New Works“ im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main

Was „spielen“ diese „Schauspieler“? In welchem Film treten sie auf? Spielen sie überhaupt miteinander oder eher mit den Besuchern der Ausstellung? Drei Kreise von Schaufensterpuppen, in der Süddeutschen Zeitung vom 14. März 2015 waren sie mit Familienaufstellungen verglichen worden. Sie tragen Spiegelbrillen und Schlafmasken, viel zu große Mützen und Hüte, tief und schief ins Gesicht gezogen, die Augen verbergend. Kinderfiguren mit Discman und Kopfhörer. Eine Männerfigur im schwarzen Ledermantel, ein Besen lehnt an ihr, daneben ein Sportler, die einbeinige Spielzeugpuppe steckt im engen roten Ringeranzug, das abgerissene zweite Bein hängt kaum sichtbar am Faden. Dem Kind wächst eine Blume aus dem Kopf. Im Kreis gegenüber eine Mädchenfigur, die ein rotes Gehirn auf dem Kopf balanciert. Fetische und Bondage tauchen auch immer wieder auf.

In einem anderen Raum stehen die Figuren mit sehr viel größerem Abstand zueinander. Eine trägt einen Lampenschirm auf dem Kopf und eine venzianische Maske im Gesicht. Davor der kleine Trommler in schwarz-rot-gold. „Ich bin Insasse einer Anstalt“, denkt man sich. Sind es tote Tiere, die am Fuß der Kinderfigur liegen, oder räkeln sie sich nur, schlafend? Dem Kind ist der Mund mit rosanen Klebebändern verbunden, und die Frauenfigur mit dem Lampenschirm trägt Schulterprotektoren aus dem American Football, die über ihre Arme geschnürt sind.

Ein Zimmer weiter eine Urszene: Die Männerfigur liegt unter der Frau und schaut unter ihren Rock, aber das Bild ist starr, es geht nicht weiter. Ein Kind mit Football-Helm schaut in ihre Richtung, es trägt eine leuchtend rote Rettungsweste, die – wiederum – über seine Arme gebunden ist, als würde es fixiert. Vor der Brust steckt ein rötliches Heft mit der Aufschrift: „Ihr Reisepaß“. Unter der Weste ein glitzerndes Aluhemd. Im Hintergrund eine Männerfigur, eine mehrschwänzige Peitsche in der Hand. Am Boden große Bilder mit ganz unterschiedlichen Motiven: Alte Meister, Fotos, die die Künstlerin zeigen, Blumen und die Szene einer Kopfuntersuchung tauchen da auf. Großflächig, auf dem Boden liegend, unter Glas.

Wenn man weiter geht, kommt man in einen Raum, in dem sieben identische Nofretete-Figuren mit mehr oder weniger modischen Brillen auf weißen Sockeln zu sehen sind. Das Altertum trifft auf die Gegenwart, Kunst auf Trash. Die Spiegel an der Wand sind matt, blind. Hier spiegeln nur die Brillen, und zu sehen ist der Betrachter, er sieht sich selbst.

„Ich will Skulpturen machen, die eine Filmszene darstellen, also Modellcharakter haben, nicht Skulpturen im traditionellen Sinne“, hat Isa Genzken über all dies gesagt. Und es ist ihr wohl gelungen, denn man kann diese Figuren nicht betrachten, ohne die stillstehenden Puppen in der eigenen Vorstellung in Bewegung zu setzen. Sinn wird konstruiert, Bezüge und Beziehungen werden hergestellt. Der Betrachter spielt fast automatisch in den skurrilen Ensembles mit, arbeitet gegen die Irritation an, die aus den Figuren spricht. Die Kleider und die Schuhe, die den Figuren angezogen wurden, hatte Genzken teilweise selbst getragen. Sie passen den Puppen meistens nicht.

Isa Genzken. New Works. Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main. Im MMK1. Bis 31. Mai 2015. Kuratorin: Susanne Gaensheimer.

„Poesie der Großstadt. Die Affichisten“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main

Am Eingang zur Ausstellung, noch im Treppenhaus beim Weg nach oben, steht ein Bild, das den aggressiven Vorgang des Plakatabreißens zeigt: Der „Affichist“ bei der „Décollage“, beim Abreißen von Plakaten von der Wand, auf die sie geklebt wurden. Was man heute nur noch von Litfaßsäulen kennt, fand damals in Paris auf den bloßen Wänden der Häuser statt: Plakate, die in mehreren Schichten übereinander immer wieder überklebt wurden, als Bekanntmachung, zur Werbung, kommerziellen wie politischen Inhalts. Bunt und in der Bildersprache ihrer Zeit. Es war die Nachkriegszeit, bis in die 1960er Jahre hinein.

Und diese abgerissenen Plakate nahmen sie dann mit, um sie weiter künstlerisch zu verarbeiten. Juristen deklinieren beim Betrachten der Bilder im Geiste die Tatbestände der Eigentumsdelikte durch: Fremde bewegliche Sache, Wegnahme, Zueignungsabsicht – alles gegeben. Aber daraus wurde dann ein Kunstwerk, und anscheinend gab es keine Kläger und infolgedessen auch keine Richter. Manche komponierten die abgerissenen Papierfetzen neu, erstellten also aus der „Décollage” neue „Collagen“, manche stellten die Rückseite aus, meist war aber die Vorderseite zu sehen. Dekonstruktionen von schnöder Gebrauchsgrafik wurden dabei ins Museum und in sonstige Ausstellungen getragen. Die Straße wurde ins Museum gebracht, wurde selbst konserviert und museal, wenn auch nur bruchstückhaft.

Manche Künstler beschäftigten sich auch mit der Sprachkunst, sprachen Gedichte in Kunstsprachen auf Band, filmten sich bei der Arbeit, erstellten experimentelle Filme, spielten mit Mustern und Formen. Am Ende wurde die Décollage politisch, sowohl der Krieg im Maghreb wurde aufgegriffen als auch die Entwicklung im geteilten Deutschland. Und sie überschritt dabei die Grenzen des französischen Sprachraums. Die Destruktion des Plakate ging am Ende über in eine Konstruktion, die Übergänge zur Pop Art wurden fließend und weisen auf die postmoderne Lust am Auseinandernehmen und Neuzusammensetzen voraus.

Poesie der Großstadt. Die Affichisten. Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main. Kuratoren: Esther Schlicht (Schirn) und Roland Wetzel (Museum Tinguely Basel). Bis 25. Mai 2015.

„Buddha. 108 Begegnungen“ im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main

Wie angekündigt, kamen wir zurück, als die Sonne wieder schien, um uns der Ausstellung „Buddha. 108 Begegnungen“ im Museum Angewandte Kunst zu widmen.

Wie es der Name nahelegt, werden in der Schau 108 durchnumerierte Skulpturen des Buddha gezeigt. Die Bildnisse sind nach den südostasiatischen Ländern und Regionen gruppiert, aus denen sie stammen. Ein Begleitheft und ein Glossar dienen zur Orientierung.

Damit ist auch schon das größte Manko angesprochen: Die Skulpturen werden in der Ausstellung nicht beschrieben, sondern sie sind nur mit einer Nummer versehen worden. Diese muß man im Begleitheft nachschlagen, wo man dann z. B. eine Beschreibung findet wie: „2.: Meditierender Bodhisattva (Siddhartha unter dem jambu-Baum?) – Nordwestpakistan, Gandhara, 2./3. Jahrhundert. Grauer Schiefer.“ Was ein Bodhisattva ist, entnehme man dem separaten Glossar – das seinerseits leider nicht vollständig ist. Die Beschreibungen sind regelmäßig viel zu knapp gehalten. Abgesehen von der Einführung zum Beginn und einem kleinen Nebenraum, in dem ein buddhistischer Altar beschrieben wird, gibt es keine weiteren Wandtexte, und es liegt auch kein Katalog aus, um sich weitergehend zu informieren. So wird eine große Chance, den Buddhismus anhand der größtenteils sehr schönen Werke zu erklären und sinnlich erfahrbar zu machen, vertan. Eine Kunstvermittlung findet im MAK nicht statt. Und auch die spirituelle Erfahrung haben wir vermißt.

So bleibt leider ein recht oberflächlicher Eindruck von dem alten Kunsthandwerk zurück. Am meisten beeindruckt, wie die Gestalt des Buddha im Zuge der Ausbreitung des Buddhismus immer wieder den jeweiligen Menschenbildern der Region angepaßt wurde. Haltung und Gebärden sind die gleichen geblieben. Die Gesichtszüge und die Tracht paßte man der vorherrschenden Ethnie in der Region an. Das zeugt letztlich bei allen Gemeinsamkeiten von einer Vielfalt, die unter dem Eindruck von Massenmedien oder gar des Internet heute nicht mehr möglich wäre.

Buddha. 108 Begegnungen. Museum Angewandte Kunst Frankfurt am Main. Bis 7. Juni 2015.

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