albatros | texte
Mittwoch, 25. März 2020

Übergänge III

Die leeren Regale in den Supermärkten zum Beispiel. Nudeln, Reis, Papiertaschentücher oder Klopapier. Das Vertrauen in den Einzelhandel ist innerhalb von wenigen Tagen geradezu verpufft. Vanishing in a puff of smoke. Man wird sich darauf einstellen müssen, dass die Läden schon längst nicht mehr das waren, wofür man sie hielt. Die Vorratshaltung im Haushalt, für die unsere kleinen Wohnungen doch gar nicht mehr ausgelegt sind, muss jetzt wieder einsetzen. Die sogenannten „Lieferketten“ – transnational angelegt, just in time bis in die letzte Kleinstadt – sind verletzlich, so sehr, dass sie auch mal völlig ausfallen können.

Die Globalisierung ist an ihre letzte Grenze gekommen. Nicht Attac oder die Börsensteuer, die am Anfang der Globalisierungskritik stand, haben das erreicht, sondern der Spießer, der angesichts eines aus China stammenden Virus' und der sich überschlagenden Nachrichten alle denkbaren Waren hortet. Nicht nur hierzulande, übrigens, auch in den USA gab es Hamsterkäufe. Und wenn es keine Tomaten mehr vom Mittelmeer gibt, wird gar nichts anderes übrig bleiben, als sie hierzulande anzubauen. Bin sehr gespannt auf das neue Sortiment.

Ich bin versorgt, mir fehlt nichts, aber ich habe Zweifel, ob das auf Dauer so bleiben wird, und beginne, mir zumindest kleine Vorräte anzulegen, obwohl mir das derzeit aus Gründen gar nicht in den Plan passt. Alles in Maßen, bitte. Es war das vorletzte Stück Seife im Regal, das ich in den Korb lege und zur Kasse mitnehme, wo wir in gebührendem Abstand Schlange stehen.

Dabei merke ich zum Beispiel auch, dass mein Augenmerk mal wieder viel zu sehr auf Bücher und Süßigkeiten gerichtet war. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, tonnenweise Nudeln zu horten oder gar Mehltüten. Das meiste, was die Leute derzeit kaufen, wird am Ende im Abfall landen, es wird verderben, weil es nicht rechtzeitig zu essen ist, und sie werden es nicht zum Beispiel bei den Tafeln abgeben, damit es noch rechtzeitig zu verzehren wäre. Überhaupt: Dort fehlt jetzt ganz viel, und zwar auch auf Dauer, denn dort wurden ja immer die Reste abgegeben, und bei leeren Regalen fehlen sie nun. Berichte über leergeräumte Regale in den Buchhandlungen, die derzeit geschlossen sind, vermisse ich. Immerhin, in den Stadtbüchereien soll es größere Ausleihen und Schlangen vor der Schließung gegeben haben.

Zum letzten Mal ein Buch ausleihen. Zum letzten Mal ein Buch kaufen. Nein. Nein.

Eine Gesellschaft, die den Tod und die Krankheit verdrängt, ist mit ihrer eigenen Zeitlichkeit konfrontiert, und hortet angesichts dessen – lauter Banalitäten.

Der Deutschlandfunk schafft kurzerhand sein Programmschema ab und sendet ein Corona-Notprogramm, vierundzwanzig Stunden lang. Gestrichen wird – die Sendung über Religion. Die Redaktion darf seitdem nur noch verstreute kurze Beiträge am Nachmittag bringen. Die Kirchen, die Synagogen und die Moscheen werden geschlossen. Und die kostenlosen Zeitungen, die bei uns verteilt werden, haben ihr Erscheinen eingestellt. Über Werbung finanziert, blieb ihnen nichts anderes übrig, denn wenn alle Läden geschlossen sind, braucht es auch keine Werbung mehr.

Bildbände über Frida Kahlo gingen derzeit gut, sagte die Buchhändlerin und nickte mit dem Kopf in Richtung auf das Regal, wo man diese Bücher fände, wenn man kaufen wollte, was voll im Trend liegt. Oder Bücher über Ernährung. Also wieder das falsche gewählt? Das ist zwei Wochen her.

Wenn sie mit Mehl statt mit Büchern handeln würde, könnte ihr Laden jetzt noch geöffnet bleiben, auch wenn ihre Regale vollkommen leer wären.

Übergänge II

Der leere, leere Bus zum Beispiel. Seit etwa einem Jahr haben wir in unserer Stadt ein wunderbar ausgebautes Netz mit Stadtbussen, die schnell und auf ungewohnten Wegen fahren und sich aus allen Himmelsrichtungen immer an bestimmten Stellen wieder treffen, damit man leicht umsteigen kann. Das funktionierte meistens wunderbar. Aber auf einmal will keiner mehr mit ihnen fahren. Sie sind leer.

Der öffentliche Nahverkehr boomte, bis vor ein paar Wochen. Auch der Autoverkehr hat stark nachgelassen. Parkplätze werden knapp. Die Autos stehen. Zuhause. Sie sind nicht einmal mehr für die Fahrt zur Arbeit nötig, denn die meisten hier „sind im Homeoffice“, wie es scheint. Oder freigestellt.

Das Ende der Verkehrsgesellschaft zeichnet sich ab.

Wie war das eigentlich früher, als wir noch einen Führerschein hatten. Demnächst müsste ich ihn tauschen lassen in ein neues Ausweisformat. Aber wofür? Ich fahre schon seit über zehn Jahren nicht mehr selbst, und um mich her tun es auch immer weniger. Seit dieser Zeit hat in jedem Jahrgang der Schulabgänger der Anteil derjenigen, die noch einen Führerschein haben, abgenommen.

Nicht nur das Ende der Individualmobilität zeichnet sich ab, das Ende der Mobilität überhaupt, wie man jetzt sieht. Es wird vieles klarer.

Wenn man die Berufsausübung und den Handel dermaßen einschränkt, wie es jetzt geschehen ist, wird es wahrscheinlich nicht nur Monate dauern, bis sich das wieder einspielt. Es wird in vielen Bereichen gar nicht mehr zum alten Stand zurückgehen. Etwas Neues beginnt. Erkenntnisse machen sich breit, lese ich nebenan. Die ganze Gesellschaft sortiert sich neu, denkt ihre Prozesse neu. Wie komme ich von A nach B, aber anders als bisher?

Nicht alle sind gestresst in diesen Tagen. Es ist ruhig und entspannt auf den Straßen. Der Frühling beginnt. Der Ginster blüht, auch die Kirschbäume. – Überhaupt: „Was weiß ich von Bäumen?“

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