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Montag, 10. Juni 2019

Kaufmann und Esperanto

Zu Pfingsten der Hinweis auf einen Text aus der Münchener Allgemeinen Zeitung vom 2. Oktober 1921, Seite 5 f., abzurufen bei DigiPress, den Zeitungsportal der Bayerischen Staatsbibliothek. Dort beschrieb Dr. oec. publ. Dr. jur. Fr. Franke, München, die Vorzüge von Esperanto für Kaufleute. Ein absolut lesenswerter Beitrag, aus dem man ersehen mag, wie schnell sich schon seinerzeit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen veränderten.

Das gilt auch für andere Länder. Ein Blick in ProQuest Historical Newspapers, zu nutzen über Nationallizenz, zeigt die Häufigkeit, mit der der Begriff Esperanto in den amerikanischen Zeitungen auftauchte, die in der Datenbank enthalten sind. Der Höhepunkt lag zwischen 1900 und 1909, die Kurve sinkt dann ab bis Ende der 1920er-Jahre und bricht völlig ein während des Zweiten Weltkriegs. Ab den 1960er-Jahren geht es wieder etwas bergauf, sinkt ab den 1970er-Jahren aber schon wieder und bleibt seitdem etwa auf gleichem Niveau.

Häufigkeit des Suchbegriffs „Esperanto“ in ProQuest Historical Newspapers (1843–1988, Bildzitat)

Interessant ist aber, wie sich die Einstellung zu der „Welthilfssprache“ in der Zeit verändert hat. Zu Anfang nahm man das Projekt ernst und berichtete über Erfolge. Mittlerweile ist es nur noch eine kuriose Randnotiz wert.

Also zurück in die 1920er-Jahre. Dr. Franke begann seinen Beitrag mit einer Betrachtung, die man durchaus auch heute noch findet, mit einer Art Marketing-Weisheit:

Jede große Idee wird im ersten Jahrzehnt totgeschwiegen, im zweiten Jahrzehnt verspottet, im dritten bekämpft, und in den vierten zehn Jahren setzt sich die Idee durch.

Sie kann aber auch fast gänzlich von der Bildfläche verschwinden und sich ganz in einen inner circle zurückziehen, die Idee.

Samstag, 25. Mai 2019

Schräg nach oben

Erst summt es leise, dann wackelt etwas oben links in mein Blickfeld hinein. Ich schaue vom Bildschirm auf. Ein kleiner Marienkäfer ist hereingekommen und sitzt nun seitlich am Aichberger, genauer gesagt: am Aichberger-Karton, auf der Seite, die dem Schönfelder-Karton zugewandt ist, der daneben auf meiner Fensterbank liegt. Ich halte ihm ein kleines Stück Papier entgegen, der Einkaufszettel für nächste Woche. Der Marienkäfer fällt herunter auf den Rücken und zappelt mit seinen Beinchen, hält sich dann aber schnell wieder an dem Zettel fest. Ich drehe den Zettel um und führe ihn in Richtung Balkontüre. Und dann fliegt der Käfer davon in einem eleganten Bogen schräg nach oben zu Licht und Himmel, wo er herkam, bevor ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Das muss ich gleich aufschreiben, damit es nicht verlorengeht.

Sonntag, 5. Mai 2019

TeX Live 2019

Installation von MacTeX 2019 erfolgreich abgeschlossenZugegeben, ich bin etwas spät dran in diesem Jahr mit dem Upgrade, aber sooo viel Neues hat sich bei TeX Live 2019 im Vergleich zu 2018 ja nun auch wieder nicht ergeben. Jedenfalls nichts, was mich beträfe.

Die New-Features-Seite zu MacTeX liest sich betont entspannt und besteht zu einem großen Teil aus Hinweisen, die auf Neuigkeiten bis ins Jahr 2010 zurückgehen.

In diesem Jahr hatte ich leider an den Pretests nicht teilnehmen können. Das Setup lief klaglos durch, und bisher sind mir auch noch keine Probleme aufgefallen. Seit heute Morgen sind auch die ersten neuen Pakete auf dem CTAN-Mirror meines Vertrauens verfügbar.

Mein Dank geht an die Kolleg/inn/en, die die neue Version auch in diesem Jahr erstellt haben.

Alle Macht dem Zertifikat

Die überaus nervösen Reaktionen auf den Zertifikats-GAU bei Firefox (binnen eines Tages 1000 Beiträge im Heise-Forum, 420 bei Hacker News) zeigen, wie anfällig ein Sicherheitskonzept ist, das auf Add-Ons beruht – und wie viel Kontrolle Mozilla über seine Produkte tatsächlich ausübt. Und wie abhängig die Freie Software von ihrem einzigen verbliebenen Browser-Projekt ist.

Die bei Heise empfohlene Lösung in about:config funktionierte nicht: Am Ende des Tages stellte sich heraus, dass man die Zertifikatsprüfung im normalen Firefox nicht händisch abschalten konnte, nur in der Nightly-Version (manchen Berichten zufolge auch in der ESR-Version) soll es funktioniert haben; und dass nicht der User, sondern der Hersteller das letzte Wort hat. Angeblich um zu verhindern, dass Erweiterungen von Installern ungefragt und unkontrollierbar in den Firefox-Profilordner geschrieben werden.

Wütend und enttäuscht reagierten vor allem Linux-Anwender, die sich am ganz langen Hebel wähnten. In de.comm.software.mozilla.browser war einiges zu lesen. Zumal die Erweiterungen nicht erst nach einem Neustart ausfielen, sondern im laufenden Betrieb ohne Vorwarnung direkt abgeschaltet wurden. Ein Fenster ging auf, und weg waren sie. Und der Hotfix wurde dann nicht als Update, sondern per „Studien“ verteilt, was nur funktionierte, nachdem man diese wieder eingeschaltet und die Übertragung von Telemetrie-Daten aktiviert hatte. Dieses Pflaster gabs aber nur für den regulären Firefox, nicht für ESR und auch nicht für die mobile Version.

Manch einer wird nach mehr als zehn Jahren mal wieder für Stunden ein Internet ohne Werbeblocker erlebt haben. Und mit den mühsam selbst gestopften Sicherheitslücken. Der Zwischenruf eines Users in der Mozilla-Browser-Newsgroup

Das ist mein Rechner und auf dem entscheide ausschließlich ich, was da läuft und sonst niemand!

wird noch länger nachhallen.

Freitag, 22. März 2019

Die Schrift wird zum Leben VI

Das Bloggen gleicht inzwischen dem Schreiben auf einer alten Triumph Adler. Hemmungslose Lektorats- und Redaktionsfreiheit. Deadlinefreiheit. Leserfreiheit. Kein anderes Medium derart in der Lage, das Durcheinander, die Skizze, die Beobachtung und den Gedanken, die haltlose Assoziation und den hinfälligen Zusammenhang in ähnlicher Diskretion, ähnlicher Verantwortungslosigkeit, ähnlicher Willkür aneinanderzureihen. Das Fotografieren, genauso Augenblicksprotokoll wie Projektionsfläche für alles mögliche, das Notat, je kürzer desto interpretierbarer, der Name Goncourt, irgendwann im Fluge aufgeschnappt, dann mit Wörtern, Gesten, Blicken gefüllt, dann wieder entleert.

Goncourt's Blog, On blogging, 20. März 2019

Samstag, 16. März 2019

Such a Shame

Ja, Mark Hollis' Tod liegt schon wieder ein paar Wochen zurück, und ich hinke etwas hinterher, aber dafür gibt es einen guten Grund, nämlich die Veröffentlichung des neuen Albums von Andy aka Richard Andrews The Golden Fascination auf Bandcamp heute Abend. Hören, bitte. Ehemals Uniform Motion mit vielen Releases im Internet Archive und im Free Music Archive. Suchen, bitte. Im Jahr 2013 coverten sie Such a Shame, und das kann man durchaus mal wieder spielen, obwohl all rights reserved:

Bonus track: The Neon Nest, Live at the Pacé Library aus dem Jahr 2014 (cc-by-nc-sa 3.0):

Klingt schon etwas anders 2019 – Decipher, all rights reserved:

Freitag, 8. März 2019

Medienwandel in der Justiz

Der Global Legal Monitor der Law Library der Library of Congress weist darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof von Schweden – entspricht dem deutschen Bundesgerichtshof – seit Anfang März 2019 kein Telefax mehr empfängt oder versendet. Stattdessen werde empfohlen, Schriftstücke per E-Mail einzureichen. Die E-Mail ersetze das Telefax, soweit dieses früher ausreichend war, um die Formvorschriften zu wahren.

Samstag, 23. Februar 2019

„Tizian und die Renaissance in Venedig“ im Städel Museum, Frankfurt am Main

Tizian und die Renaissance in Venedig ist eine geballte Ladung Kunstgeschichte auf zwei Etagen. Die Ausstellung ist in Schwerpunkte gegliedert und erzählt die Neuansätze bei der Darstellung und der Funktion der Landschaft in der seinerzeitigen Malerei, der Darstellung von Frauen und Männern im Porträt sowie die Umsetzung antiker und biblischer Stoffe im Bild. Die Schau endet mit einem Überblick über die Rezeption der venetianischen Renaissance bis in die Gegenwart – darunter ein unerwartetes Wiedersehen mit zwei Bildern von Thomas Struth aus der Becher-Klasse (2017 an gleicher Stelle zu sehen), auf denen die museale Verarbeitung reflektiert wird. Bilder im Bild sind darauf zu sehen, darunter auch die Madonna mit dem Kaninchen aus dem Louvre, die im ersten Teil gezeigt wird.

Durchgehend sind Beispiele für bedeutsame Buchausgaben zu sehen, die die Bilder gut ergänzen. Die alten Bücher wirken besonders eindrucksvoll, weil sie die Typografie und die gestalterische und handwerkliche Kunst aus der Anfangszeit des Buchdrucks demonstrieren. Sehr schöne und hervorragend erhaltene Feder-, Kreide- und Pastellzeichnungen, teils weiß gehöht auf farbigem Papier, teils Studien, ergänzen die Gemälde, oft aus der grafischen Sammlung des Städel.

Es ist keine reine Tizian-Schau, sondern, wie der Titel sagt, ein Blick auf Tizian und Umfeld im Venedig um 1500, als die Malerei Farb- und Luftperspektive lernte, weiter Entferntes daher meist sehr blau, aber nicht mehr so flach wie noch kurze Zeit vorher bei den Italienern ausgeführt. Einen guten Eindruck von der Präsentation gibt dieses Werbefilmchen:

Der Weg durch das Haus zur Sonderausstellung führt übrigens durch eine weitgehend neu gehängte klassische Moderne, die ebenfalls sehenswert ist, weil sich dadurch neue Zusammenhänge erschließen und teils auch Werke aus dem Depot geholt wurden, die es absolut verdient haben. Außerdem ist Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht noch bis 17. März zu sehen. Selten war das Städel an einem Freitagnachmittag so gut besucht wie gestern.

Tizian und die Renaissance in Venedig. Städel Museum, Frankfurt am Main. Kurator: Bastian Eclerc (Sammlungsleiter italienische, französische und spanische Malerei vor 1800, Städel Museum). Wissenschaftliche Beratung: Hans Aurenhammer (Goethe-Universität, Frankfurt am Main). Katalog und Begleitheft im Museum zu erwerben. Audioguide zur Miete. App für Android und iOS kostenlos. Digitorial. – Bis 26. Mai 2019.

Mittwoch, 23. Januar 2019

„Moderne am Main 1919–1933“ im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main

In der Ausstellung „Moderne am Main 1919–1933“, die vergangene Woche im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main zum Baushausjahr eröffnet worden ist, ist auch viel Neue Typografie und Vorarbeiten bzw. künstlerisches Umfeld zu sehen – wer also Gelegenheit hat, nach Frankfurt zu kommen, möge sich die Schau nicht entgehen lassen. Der kleinformatige, aber dicke Katalog ist auch schön gemacht und mit informativen Texten versehen. Leider muss man viel Wissen mitbringen, um die Zusammenhänge zwischen den Ausstellungsstücken und dem Hintergrund herzustellen, in der Ausstellung gibt es nur kurze Wandtexte, und der Katalog liegt leider auch nicht aus – ich habe das beim Gehen angeprangert, und das Museum verspricht Besserung. Wir haben etwas gewikipediat, um unsere Lücken zu füllen, und das ging gut.

Moderne am Main 1919–1933. Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main. Kuratiert von Grit Weber, Annika Sellmann, Klaus Klemp und Matthias Wagner K. Bis 14. April 2019. Katalog: 29 Euro.

Sonntag, 13. Januar 2019

Neuerscheinungen zur Netzpolitik XVIII

Geert Lovink hat ein neues Buch geschrieben. Der Essay, der dem Band den Namen gab, ist bei Eurozine vorab zu lesen. Er erscheint im Mai.

  • Lovink, Geert. 2019. Sad by design. Eurozine. 10. Januar. www.eurozine.com (zugegriffen: 13. Januar 2019).

aus:

  • Lovink, Geert. 2019. Sad by design. On platform nihilism. London: Pluto Press.
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