albatros | texte

Übergänge II

Vera Bunse hat ein lesenswertes hintergründiges Stück über die Digital News Initiative von Google und einer Reihe größerer Verlagshäuser geschrieben. Deshalb nochmal ein paar Gedanken zum ganzen:

Die Verlage haben ihre Rolle als gatekeeper schon lange verloren. Auch politische Skandale werden nicht mehr über Veröffentlichungen in Zeitungen angezettelt, sondern im Web 2.0 inszeniert (wie hoch ist der authentische Anteil an einem Shitstorm und wie hoch derjenige der Spindoktoren und des Astroturfings?). Der Bedeutungsverlust der Zeitungen liegt klar auf der Hand und ist nicht mehr umkehrbar.

Die Verwertungskette Verlag–Handel–Bibliothek–Verwertungsgesellschaften ist unauflöslich und stellt vor allem die Bibliotheken vor ein Problem, weil deren Nutzer immer stärker auf Online-Angebote schielen. Daher die Onleihe, daher der Ausbau von Katalogen, die Anreicherung von OPAC-Inhalten um Weblinks zu Wikipedia und die bibliothekseigenen Dienste von Munzinger über Brockhaus bis zu Oxford und Britannica, auch hierzulande. Die Ausleihzahlen steigen stetig, was aber vor allem auf den steigenden Bildungsgrad und die daraus folgende intensivere Nutzung zurückgeht. Daneben werden aber auch andere Quellen immer intensiver angezapft als bisher, und ob diese Konkurrenz zugunsten der Bibliotheken ausgeht, wenn sie sich hier nicht anpassen und verstärkt auch auf self-publishing achten, wird sich schon bald zeigen.

Paywalls sind unattraktiv, weil sie zu teuer sind. Ich nutze gerne Pressedatenbanken für die Recherche, aber für die Portale von einzelnen Zeitungen zahle ich nicht und werde das auch nicht tun. Es lohnt sich auch für die Verlage nicht: Selbst für die NYT zahlt sich online nicht aus. Auf die Idee, ein verlagsübergreifendes aktuelles Zeitungsportal anzubieten, kommen sie nicht. Für 15–20 Euro im Monat würde ich da vielleicht sogar Kunde werden. Europaweit gesehen, versteht sich.

Die Suchmaschinen und die kommerziellen sozialen Netzwerke sind zu einem second-level gatekeeper geworden. Die Intermediäre lotsen die Leser dorthin, wo es etwas frei zu lesen gibt. Wer sich hier ausblendet, wird eben nicht mehr gefunden und also auch nicht gelesen. Daher die beiden Strategien: Kooperieren oder die „Selbstbedienung“ von Google und Facebook als Nutzung deklarieren und ein Leistungsschutzrecht geltend machen. Im ersten Fall, der Digital News Initiative, verkaufen sich die Verlage an Google, denn was soll denn dort technisch anderes herauskommen, als eine Ansammlung an neuen Schnittstellen für die Inhalte, die sie produzieren? Kennen wir von Wikipedia: Wikidata als Interface für die Weiterverwendung von Wikipedia mittels Semantic Web, auch das ja finanziert von Google und mittlerweile durch das Einpflegen von Freebase faktisch eine Plattform, die von Google betrieben wird. Der ehemalige Projektleiter von Wikidata arbeitet jetzt bei Google. Im zweiten Fall, dem LSR, wird versucht, eine Art Wegelagerei zu betreiben, die, obwohl politisch unterstützt, nur scheitern kann. Punkt.

Es bleibt das Web. Das in großen Teilen kommerzialisiert worden ist – teils zog es sie, teils sanken sie hin. Legion sind die Interessenten für das „Geldverdienen mit Blogs“. Wirklich interessant ist daher nur noch, wohin die Reise führt, woher neue Impulse kommen, welche Autoren zu lesen, sich tatsächlich noch lohnt. In meinem Feedreader sind derzeit etwa 450 Feeds mit schnell wechselnder Zusammensetzung. Was mich enttäuscht, lösche ich zügig wieder, neue Autoren und Quellen nehme ich aber auch genauso bereitwillig auf. Ich habe es hier mit soviel Text und Podcasts zu tun, daß ich sie niemals vollständig lesen, hören oder ansehen können werde. Und das meiste davon habe ich ohne Suchmaschinen und soziale Netzwerke aufgefunden. Von wegen gatekeeper.

Die Zeit der verlegerisch und intermediär formierten Veröffentlichtheit ist endgültig vorbei. Wenn wir noch weiter über Journalismus und Verlage und deren Konflikte mit den kommerziellen Suchmaschinen und sozialen Netzwerken diskutieren, betreiben wir deren Geschäft. Das aber schon längst nur noch ein röhrender Hirsch ist, den sich die Rückwärtsgewandten übers Sofa hängen, während die Trends ganz woanders hin laufen, die Impulse ganz woanders her kommen.

Öffentlichkeit fragmentiert sich im Netz und organisiert sich ständig neu, täglich, wie mein Feedreader auch. Immer auf der Suche nach Besserem, nach Passenderem, und das gibt es ja auch zuhauf. Radikaler denken und radikaler handeln. Jetzt.

Übergänge

Wir haben die Produktionsmittel, die man heute braucht, um „senden“ zu können – Blogs, Wikis, soziale Netzwerke; sie stehen allgemein zur Verfügung, auch sie werden geteilt, nicht nur die Inhalte. Wir sind gut ausgebildet, haben Erfahrung und sind überdurchschnittlich gut informiert. Was bei den Massenmedien die „Reichweite“ war, ist heute die „Vernetzung“. Blogger sind daher „Journalisten“. Die fehlende professionelle Ausbildung wird leicht durch ein Training on the job ersetzt. Der politische Kampagnen-Journalismus, der nur ein Transmissionsriemen für die Spindoktoren war, schwindet. Dadurch verändert sich die Öffentlichkeit. Das macht auch Spaß, aber es ist kein Spaß, sondern es ist schon ziemlich ernst. Es passiert jetzt. Wer weiterhin nach röhrenden Hirschen sucht, findet sie in den kommerziellen Blogs und Plattformen und bei denen, die sich noch kommerzialisieren lassen, aber der aufgeklärte Teil der Öffentlichkeit entfernt sich immer mehr davon und läßt die anderen ihres Wegs ziehen. Deshalb merken die Massenmedien, daß sie immer mehr im Abseits stehen. Sie versammeln immer weniger Leser, Zuhörer, Zuschauer, ihre Attraktivität hat nachgelassen. Die Öffentlichkeit fragmentiert und reflektiert dadurch die Vielfalt der Gesellschaft, die sich in ihr zeigt und ausdrückt.

Just good friends

Die Website des Internet Archive ist modernisiert worden. Man sieht jetzt besser, wohin sich solche Plattformen entwickeln: Die Usability wird von den Vorstellungen von Apple dominiert. Das Look-and-Feel ist iPad-tauglich geworden. Man sieht Symbole statt buchstabierter Beschriftungen. Flächige Felder wollen über den Bildschirm gescrollt, angetippt und gewischt werden. Und über allem thront die Wayback Machine, die bekanntlich jüngst eher problematische Züge angenommen hat. Das Archiv entwickelt sich auch immer mehr zur Mediathek. Während YouTube zehn Jahre alt geworden ist, ist auch archive.org ein bißchen wie YouTube geworden, es wirkt aber eher wie ein Kaufhaus mit eigenen Abteilungen für ein „Live Music Archive“, „Community Video“ und „Netlabels“. Wer etwas vermißt, kann endlos weiterscrollen. Etwa ein Drittel der Nutzer greifen derzeit mit mobilen Endgeräten auf die Inhalte zu, und es sei immer schwerer geworden, noch Entwickler zu finden, die die alte Seite hätten pflegen können, schreibt Alexis Rossi im Blog des Archivs.

Die Meldung kam am selben Tag, an dem bekanntgegeben wurde, daß Google acht Zeitungsverlage für 150 Millionen Euro sozusagen eingekauft hat, darunter den Guardian und die FAZ, deren „Medienjournalist“ im dunklen Tonfall von einem „auf drei Jahre eingebrachten Volumen“ raunt, mit denen ein „nachhaltiges Ökosystem für Nachrichten“ entstehen soll. Der Guardian-und-Google-Berater Jeff Jarvis nannte das einen Tag vorher schon auf Medium einen „Friendship Pact with Euro Publishers“. Und: „Google needs friends in Europe. It may have finally found some.“ Da friert's mich vor Gemütlichkeit.

Netz zerstört, geht aber trotzdem?

Der Bericht von Saprina Panday (aus Paris) auf Global Voices über das Erdbeben in Nepal wirft die Frage auf, warum dort das Internet anscheinend noch funktioniert, während „Telefonleitungen und Mobilfunknetze zusammengebrochen sind“? Wie funktioniert dort der Internetzugang und wie weit ist die Nutzung verbreitet? Wikipedia zufolge liege die Online-Nutzung in Nepal bei unter einem Viertel der Gesamtbevölkerung, vor allem über Internetcafés, ländliche Regionen per Funknetz, WLAN-Hotspots seien im Aufbau, wenn auch „growing rapidly“.

E-Book und Book-Book II

Ein weiteres Beispiel für die Kluft zwischen Netz und real life ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung für den weiteren Umgang mit E-Books, über den man heute im Börsenblatt lesen kann. E-Books werden demnach ab 2016 kraft gesetzlicher Regelung unter die Buchpreisbindung fallen. Eine Ausnahme soll es weiterhin für Flatrate-Modelle geben, bei denen Texte gegen ein pauschales Entgelt nur zeitweise zum Zugriff angeboten werden. Der Unterschied dürfte den meisten Benutzern gleichgültig sein, weil sie E-Books sowieso höchstens einmal lesen werden. Der Markt konsolidiert sich auch derzeit.

Crowdfunding

Während das Netz über „innovative“ Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding im allgemeinen eine unkritische und eher diffuse Begeisterung an den Tag gelegt hat, war die öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Kleinanlegerschutzgesetz eher kontrovers verlaufen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven der Beteiligten heraus. Diskutiert wurde unter anderem über neue Regeln für Anlageprospekte. Die Stellungnahmen bewegten sich zwischen den Positionen der Finanz-Platzhirsche, Belangen des Verbraucherschutzes und sozialen sowie genossenschaftlichen Bedürfnissen. Bei der Abstimmung im Finanzausschuß gab es nur geringfügige Änderungen zum ursprünglichen Entwurf, er wurde aber im wesentlichen angenommen und soll heute im Parlament beschlossen werden. Demnach wird es die von der Opposition geforderte Aufsicht über Crowdfunding-Plattformen weiterhin nicht geben. Die Diskussion zeigt vor allem, wie groß die Lücke ist, die weiterhin zwischen der eher liberal bis libertär geprägten, im Netz veröffentlichten Meinung und dem real life sich auftut.

In der Zugangsgesellschaft II

Andrej Tschitschil zeichnete bereits im vergangenen Februar in der Sendung „Broadcast yourself, oder: Wie das Internet die Massen mobilisiert“ – mp3 – im Zündfunk Generator auf Bayern 2 ein leider einseitiges und weitgehend unkritisches Bild des Amateurs im Self-Publishing, in Blogs und in den kommerzialisierten Vlogs auf YouTube bis hin zu den Citizen Scientists, die Daten aus eigenen laienhaften Naturbeobachtungen an Wissenschaftler weitergeben oder die auf ihren eigenen Computern Rechenzeit für wissenschaftliche Projekte zur Verfügung stellen. Andrew Keens klassische Kritik des Web 2.0, „Die Stunde der Stümper“ (The cult of the amateur), ist denkbar weit entfernt von dieser affirmativen Darstellung. Und auch der eher am Rande erwähnte Hinweis auf Christoph Kappes' Essay über die Anwendung von Paradigmen aus der Softwareentwicklung auf den Journalismus wirkt eher wie ein Fremdkörper – Teamarbeit, Prozesse, Umgang mit Fehlern, Experten als Stichwortgeber, Loslösung vom „Artikel“, hin zum Journalismus als Wiki. Dabei weist er in die richtige Richtung. Auch weil er zeigt, daß dem Amateur als Publizist Grenzen gesetzt sind, die durch den Prozeß und seine Kompetenz vorgegeben werden. So wäre es an der Zeit, einmal die Stellen auszuloten, an denen Experten benötigt werden, an denen es ohne sie nicht geht.

Wie im Traum

Es gibt Sätze, die man so bald nicht vergißt. Dieser gehört dazu: „Du hast eine Schrift wie ein EKG.“ Mitten zwischen Photos, die Straßenszenen zeigen wie im Traum, so wahr.

Schwach und blaß III

Auch in Norditalien war die FAZ vom 14. April 2015 ein Ladenhüter, berichtet Martin Lüdke bei Faust-Kultur: „Eher vom Vordertaunus inspiriert. Provinziell.“ Früher schrieb er bei der Frankfurter Rundschau, bevor sie von der FAZ gekauft wurde. Die Kulturportale im Netz entwickeln sich zunehmend zu einem Forum für melancholische Rückblicke auf die alte Zeit der Print-Feuilletons.

Ich wundere mich

Zwei kritische Stimmen zur Digitalisierung, die thematisieren, daß jeder selbst Teil des Problems ist:

  • Günter Grass, 2013 (via Open Culture): „… In meiner Werkstatt gibts keinen Computer. Ich habe selbst kein Handy. Für mich wäre die Vorstellung, ein Handy dabei zu haben, das heißt dauernd erreichbar zu sein, und wie ich mittlerweile weiß, auch dauernd überwacht zu werden, eine grauenhafte Vorstellung, und ich wundere mich, daß nach diesen neuesten Erkenntnissen nicht Millionen Menschen sich von Facebook und all dem Scheißdreck distanzieren und sagen: ‚Damit will ich nichts zu tun haben!‘ Wenn ich Informationen haben will, mache ich mir die Mühe und recherchiere. Gehe in die Bibliothek und gucke in Bücher. Das geht alles langsam, ich weiß, man kann mit Hilfen das alles beschleunigen, aber zum Beispiel läßt sich Literatur als Arbeitsvorgang nicht beschleunigen. Wer es macht, macht es auf Kosten der Qualität.“
  • Harald Welzer, 2015 (via BILDblog): „… Es wäre doch Micky-Maus-Denke, anzunehmen, dass eine Veränderung der Verhältnisse an einem so entscheidenden Punkt zu haben wäre, ohne einen Preis dafür zu bezahlen. Widerstand kostet. Schlimmstenfalls das Leben, wie wir aus der Geschichte wissen. Uns hingegen erscheint es schon als zu teuer bezahlt, wenn wir auf Whatsapp verzichten sollten. Obwohl wir wissen, dass wir uns mit jeder Message einer Totalüberwachung ausliefern. … E-Mails schreibe und lese ich noch. Auch Suchmaschinen benutze ich. Aber ich bin weder bei Facebook noch bei Xing. Ich habe auch kein Smartphone und werde mir ganz sicher nie eines zulegen.“

Soziale Probleme können nicht durch Technik, sondern nur durch eine andere soziale Praxis gelöst werden.

Sie sind nicht angemeldet