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Netzlese 2017-01-29

Geert Lovink kommt demnächst nach Frankfurt, kommenden Samstag, den 4. Februar, hält er bei der Langen Nacht der Sozialforschung im Rahmen der Frankfurter Positionen einen Vortrag im MMK1 zum Thema Das Selbst im digitalen Netz, neben räusper Mercedes Bunz, Kai Dröge und Olivier Voirol, Tanja Gojny, Olga Goriunova, Rembert Hüser, Eva Illouz, Julika Rudelius, Christina Schachtner sowie Uwe ­Vormbusch. Beginn ist um 19 Uhr, Eintritt frei. Zuletzt hatte Geert Lovink bei La Repubblica ein Interview über Social Media zu Zeiten von Trump gegeben. Das Museum zeichnet seine Vorträge üblicherweise auf und stellt sie auf YouTube, hoffentlich auch diesmal.

An dem Abend wird von Solisten des Ensemble Modern auch For Philip Guston von Morton Feldman aufgeführt. Dauer: Fünf Stunden.

Die documenta14 findet dieses Jahr statt, ab April in Athen, ab Juni dann in Kassel, jeweils hundert Tage lang. Sie landet nicht wie ein Raumschiff in Athen, bevor sie nach Kassel weiterzieht. Sie ist vielmehr eine gewollte Verfremdung von einer Stadt zur anderen und in allem, was bei diesem Projekt zwischen beiden hin- und hertreibt, heißt es auf der Website zur Kunstvermittlung der Ausstellung. Athen und Kassel? Die Regierungsübernahme durch SYRIZA in Griechenland war im Januar 2015, ist also nun auch schon wieder zwei Jahre her. Und Varoufakis Superstar, dieses Drama begann am 27. Januar 2015. Das Referendum, wonach er als Finanzminister zurücktrat, fand am 5. Juli 2015 statt. Er bleibt in Kontakt mit seiner zweiten Heimat Australien und gibt bisweilen Interviews im dortigen Rundfunk, in denen er die europäischen Verhältnisse erklärt, zuletzt vergangene Woche den Populismus in Europa.

Antje Schrupp hat dazu aufgerufen, im September zur Bundestagswahl zu gehen und dort, bitte, eine Partei zu wählen, die auch Aussichten darauf hat, ins Parlament einzuziehen. Wer kleinere Parteien wählt, stärkt den politischen Gegner, die Rechtsextremisten stehen bekanntlich wieder vor dem Berliner Reichstag, ganz ähnlich wie vor 84 Jahren. Das Bundesverfassungsgericht hat die NPD gerade mit einer etwas sonderbaren Begründung nicht verboten, und auch die anderen dürfen weitermachen. Antje kritisiert derweil die Rückwärtsgewandtheit der LINKEN, die weiterhin mehrheitlich auf eine Arbeits- und Vollbeschäftigungsgesellschaft und auf ganz viel Staat setzten. Christoph gegen das Grundeinkommen Butterwegge als Bundespräsidentenkandidat passe in dieses Bild. Stimmt. Aber wenn ich nur die Wahl habe zwischen denjenigen, die über fünf Prozent kommen, ist die Auswahl am Ende nicht mehr so groß.

Politisch getrieben ist auch Eric Bonse, der Brüsseler Europakorrespondent der taz, der immer noch leidenschaftlich gegen Martin Schulz anschreibt, der Linksblinker und Rechtsabbieger, der gerade von der ehemaligen Schröder-Truppe auf den Schild seiner Partei gehoben worden ist. Man hat rochiert – Außenminister wird BuPrä, Wirtschaftsminister wird Außenminister, ehemalige Justizministerin wird Wirtschaftsministerin – und die Massenmedien gehorchen aufs Wort und machen sofort ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Angela Merkel daraus. Klar, es würde einem nicht einmal auffallen, wenn Schulz Mitglied bei der CDU wäre. Daß die Leute hierzulande meinen, es sei nicht bekannt, welche Positionen er vertrete, zeigt nur, wie wenig Aufmerksamkeit man den Vorgängen auf der europäischen Ebene beimißt. Gut, es stand nicht alles in den Zeitungen. Aber alles war jahrelang in den europapolitischen Blogs zu verfolgen. Unter anderem bei lostineurope.eu. Siehe aber dort auch die dortige Blogroll. Schulz ist bei weitem kein unbeschriebenes Blatt.

A propos Europa. Zum Beispiel die Schweiz. Da gab es zu Anfang des Jahres eine Sendung des Schweizer Radios SRF2 Kultur zur Urheberrechtsreform, die dort demnächst ansteht. Zur Erinnerung: Die Reformen, die es bei uns gab, gingen allesamt auf EU-Recht zurück. Und was sind die Themen, die nun aktuell(!) in der Schweiz diskutiert werden? An der Spitze steht die Pirateriebekämpfung, also Raubkopien, die über Tauschbörsen verteilt werden. Gefolgt von der Bibliothekstantieme, die es in der Schweiz noch nicht gibt. Und schließlich: Bildrechte. Ja, wirklich, die Sendung wurde am 6. Januar 2017 veröffentlicht. Aber auf einen Blick über die Grenzen hinweg wird man in dem Programm ebenso vergeblich warten wie auf den Begriff der Freien Lizenz oder der Freien Inhalte.

Deshalb zum Schluß ein Link zum WikiMOOC, den Wikimédia France ab März bei fun-mooc.fr durchführt. Alles, was man als neuer Autor über Wikipedia wissen sollte. Leider nur auf Französisch, aber vielleicht demnächst auch auf Deutsch, wer weiß? Ich bin dran.

Der Weg

Es ist schwierig, sich mit dem Rücktritt von Andrej Holm als Staatssekretär in Berlin auseinanderzusetzen. Der Fall ist komplex und verweist auf die unterschiedlichen Erfahrungen in Ost und West.

Ich kenne die Ost-Verhältnisse nicht aus eigener Anschauung, nur aus Erzählungen, also aus einer entsprechend großen Distanz. Ich erinnere mich an das Ende der 1980er Jahre. Keiner hätte je mit dem Ende der DDR gerechnet. Aber die Generation Golf war nicht damit beschäftigt, sich vom Staat abzugrenzen, wir waren auf dem Weg zu uns selbst. Natürlich gab es welche, die an der Stelle, wo andere ein Gehirn haben, einen Zettel aufbewahrten, auf dem stand: „Bin auf Reisen.“ Zwanzig Jahre später fand man sie auf Xing wieder mit ganz sonderbaren Porträt-Photos und noch seltsameren Berufsbezeichnungen. Der Anpassungsdruck im Kapitalismus und die daraus folgende Deformation waren doch beträchtlich.

Immerhin: Auch das war ein Weg, und er wird mir stets genauso fremd bleiben wie derjenige des Andrej Holm, über den die Presse nun berichtet und der es beinahe in die Berliner Landesregierung geschafft hätte, wenn er nicht kurz davor noch verhindert worden wäre. Der ausgewiesene Gegner der nicht nur in Berlin um sich greifenden Gentrification als Staatssekretär fürs Wohnen. Vor zehn Jahren Opfer einer kafkaesken Strafverfolgung.

Aber Holms Umgang mit seiner Biografie ist eben auch problematisch. Das kommt mir in den linken Quellen leider zu kurz.

Ich glaube dennoch, seine Absetzung sagt am Ende wohl mehr über die grundlegende Unvereinbarkeit von rot-rot-grün aus als über den Gegensatz von Ost und West. Sowohl hellrot als auch grün halten sich damit den Weg für (noch) bürgerlichere Koalitionen anderenorts offen. Und nur darum ging es ihnen.

Analogisierung

Das erste Drittel des Advents ist schon vorbei, und obwohl es in dieser Saison gleich mehrere digitale Adventskalender in meinen Feedreader geschafft haben, freue ich mich über das Analoge. Das Öffnen kleiner Türchen, und das Blättern in einem kleinen Buch. Ich habe auch meinen Terminkalender seit etwa vier Wochen vollständig analogisiert. Einen DIN-A6-Timer und ein DIN-A5-Notizbuch sind alles, was ich brauche, und der Computer kann ausbleiben. Alle schon vereinbarten Termine habe ich übertragen. Die Lösung ist so klein, daß sie immer in meinem Rucksack Platz findet. Für Flexibilität beim Planen sorgen kleine bunte Klebezettel und ein weicher Bleistift mit Radiergummi, der in einer Schlaufe am Buchblock des Kalenders steckt. Und in das Notizbuch kann ich jederzeit einen kleinen Elefanten zeichnen. Nicht die immer weitergehende Digitalisierung, sondern die Analogisierung ist der richtige Weg für mich. Die Suche nach dem menschlichen Maß. Dieser Trend hatte sich schon während des laufenden Jahres immer mehr abgezeichnet. Er wird sich im kommenden Jahr fortsetzen.

Don't believe the Fake

Die Diskussion um Fake News geht leider weitgehend am Thema vorbei. Anstatt sich zu fragen, ob und in welchem Umfang es solche Meldungen gegeben hatte oder noch gibt und welche Folgen sie gehabt haben könnten, sollte man sich eher die Frage vorlegen, warum sie überhaupt beachtet werden? Ausgangspunkt ist ihr Ort: Wie kommt es, daß Menschen meinen, auf Sozialen Netzwerken finde man noch mehr vor, außer heißer Luft und einer Gelegenheit, seine guten Daten abgeben zu dürfen? Daß man dort auch noch irgendetwas erfahren könne, etwas Neues und Richtiges noch dazu. Das ist eine wirklich drollige und insgesamt so abwegige Vorstellung, daß man schon daraus ersehen kann, daß die Ideen darüber, woher man sich informieren könne, völlig durcheinander gekommen sind. Das gleiche gilt für Suchmaschinen, die ebenso wie Soziale Netzwerke, Werbeplattformen sind und also auf Desinformation zugeschnitten wurden. Sie sind sozusagen der Fake an sich. Das gleiche gilt natürlich auch für die „Online-Ausgaben der Zeitungen“, die ihre Meldungen ganz anders anordnen als in der Print-Ausgabe, was sich ebenfalls nachteilig auf die Qualität auswirkt. Und überhaupt: Zeitungsenten gabs eigentlich schon immer.

Trotzdem hat das Nachdenken eingesetzt. Auf der anderen Seite des Informationsspektrums, sozusagen. Ein schönes Beispiel dafür ist der Tagungsbericht Der Intellektuelle in postfaktischen Zeiten – Das „Denk-Festival“ in Weimar, der am 1. Dezember 2016 im Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde. Zwei Zitate:

  • Wer behält den Durchblick mit welchen Argumenten?

  • Wir haben doch einen Zerfall von Öffentlichkeit in User-Gemeinden. Wir kennen die Subjektivierung der Wahrheit, die Reduktion der Wahrnehmung auf das Passende. Und da spielen wir – gemeint sind Intellektuelle – einfach eine geringere Rolle, wir sehen das doch auch empirisch: Wo ist unser Platz geblieben, den wir noch vor zehn Jahren in der „Zeit“ gehabt hätten? Es sind nur noch wenige Presseorgane, in denen wir überhaupt noch mit unseren Auffassungen zur Geltung kommen können. Ich glaube, daß am Ende unserer Zukunfts-, unserer Fortschritts-, unserer Emanzipationserzählung es nicht mehr die Intellektuellen sind, sondern, um es brutal zu sagen, die Social Bots, also die Beeinflussungsalgorithmen, die ganz anderswo diskutiert werden als in dem, was wir aufrufen, wenn wir von Voltaire bis Gramsci sprechen.

Aber auch das ist nicht wirklich neu, sondern genaugenommen nur eine weitere Spielart der Dialektik der Aufklärung reloaded. Es ist der alte Konflikt zwischen Vernunft und Kulturindustrie, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wiedervorlage: Der Presseausweis

Der alte Presseausweis ist wieder da. Der Deutsche Presserat und die Innenministerkonferenz (IMK) haben sich darauf geeinigt, die Vergabe der Presseausweise wieder zu reglementieren. Eine ständige Kommission, die zu gleichen Teilen mit Vertretern des Presserats und der IMK besetzt sei, werde darüber entscheiden, welche Berufsverbände den neuen bundeseinheitlichen Ausweis vergeben dürften.

Die Kriterien für die Anerkennung eines Verbands, sozusagen „würdig“ zu sein, den Presseausweis zu erteilen, sind noch nicht bekannt geworden. Aber wenn es ein einheitlicher Ausweis sein soll, wird es mit der Vielfalt bei den Vergabekriterien dann wohl vorbei sein.

Die Kritiker nehmen die Richtung des Prozesses dementsprechend vorweg und mutmaßen, für nebenberufliche Journalisten und Blogger solle es wohl schwerer gemacht werden, einen Ausweis zu erhalten.

Ein Backlash also, wo anderenorts die Blogger Relations blühen. Ein weiteres analoges Rückzugsgefecht, das versucht, das Publizieren und die Angehörigkeit zu den Publizisten wieder exklusiv zu machen, was aber nicht gelingen kann, denn das ist es schon lange nicht mehr.

Folglich wird der neue Presseausweis durch so einen Kurswechsel nicht an Wert gewinnen, sondern, im Gegenteil, an Wert verlieren. In einer Welt ohne Gatekeeper ist am Ende nicht der Ausweis der Nachweis der publizistischen Tätigkeit, sondern das Blog, das Social-Media-Profil oder allgemein: die dementsprechende authentische Aktivität im Netz. Das sogenannte Soziale, für jeden unmittelbar nachvollziehbar, was schreibt er denn, ersetzt einen externen Beleg endgültig. Der Versuch, den Kontrollverlust wett zu machen und die entglittene Deutungshoheit zurück zu gewinnen, wird fehl laufen – wenn es so kommen sollte.

Netzlese 2016-11-30

Le Monde erzählt heute (leider nur für Abonnenten bzw. in der gedruckten Ausgabe vom 1. Dezember 2016 auf Seite 2) von der 89-jährigen Gertrude aus Wien, die in einem Video zur Wahl Van der Bellens bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl am kommenden Sonntag aufruft, weil sie die FPÖ aus vielen Gründen als nicht vertrauenswürdig durchschaut hat. Sie versuche, das Niedrigste aus den Leuten herausholen, nicht das Anständige … und das war schon einmal der Fall. Der Appell, der an die Intervention Empört Euch! erinnert, mit der der 93-jährige Stéphane Hessel 2010 zu mehr politischem Engagement aufgerufen hatte, sei auf mehreren Kanälen über drei Millionen mal abgerufen worden. Ursprünglich wurde er von der Kampagne Van der Bellens auf Facebook veröffentlicht. Im Abspann heißt es, Gertrude sei im Alter von 16 Jahren mit ihren Eltern und ihren beiden jüngeren Brüdern nach Auschwitz deportiert worden; sie habe als einzige überlebt. Sie sagt, es sei wahrscheinlich die letzte Wahl, an der sie teilnehmen könne.

Im Deutschlandfunk wies die Chefredakteurin des Standard Alexandra Föderl-Schmid auf die psychologischen Tricks der FPÖ-Politiker hin, die sich bei ihren Auftritten Verfahren aus dem Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP) bedienten. Für österreichische Verhältnisse sei dieser Wahlkampf extrem schmutzig gewesen, sagte sie. Er habe Spuren hinterlassen.

Solchen Leuten muß man entgegentreten. Man muß zeigen, daß man sich gegen sie wendet. Und man muß sich dazu auch zusammentun. Christoph Kappes ruft in seinem Blog Gleichgesinnte zu einem Projekt Schmalbart auf, das sich der angekündigten deutschen Ausgabe des rechtsgerichteten Online-Magazins Breitbart entgegenstellen will. Er schreibt: Mein persönlicher Eindruck ist, dass es an Zivilcourage in der bürgerlichen Mitte fehlt – und zwar genau deswegen, weil man in der „Mitte“ eine Normalität von Gesellschaft empfindet, ohne ihre Fragilität zu sehen, und man seit Nine-Eleven und der Finanzkrise das ständige Mitlaufen einer Krise spürt und aus Angst lieber wegschaut.

Ich möchte lieber nicht II

Die Internetangebote der Presseverlage haben eine neue Runde eingeläutet: Sie beginnen damit, sehr viel mehr zu nerven als bisher. Die Website der Süddeutschen Zeitung (mit immerhin 25 eingebundenen Tracking-Diensten) läßt sich seit ein paar Wochen nur noch lesen, wenn der Werbeblocker oder Java-Script deaktiviert sind. Schaltet man den Werbeblocker ab, belästigt einen die Seite mit aufdringlichen Videos und großflächigen animierten Anzeigen, die den halben Bildschirm ausfüllen. Ähnliches findet man bei Axel Springers Welt (mit immer noch 8 Tracking-Diensten). Wie gelange ich dorthin? Über Links in der Presseschau des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Hm. Man hört auf, solche Seiten zu nutzen. Es gibt Pressearchive, wenn es Journalismus sein soll. Es gibt NoScript und noch mehr Erweiterungen, um so etwas abzuschalten. Warum muß man das überhaupt abschalten, warum spielen unsere Browser, auch Firefox, solche Inhalte standardmäßig ab? Man merkt jedenfalls: Man ist darauf nicht angewiesen, um sich informiert zu halten. Anderes ist besser, und weniger ist mehr.

Der konservative Reflex III

Hintergrundbeiträge zur Präsidentschaftswahl in den USA und zu Trends im politischen Diskurs:

  • John Nichols: Der Anfang vom Ende? Demokraten, Republikaner und die Krise der US-Politik. Rosa-Luxemburg-Stiftung New York. November 2016. – Zeichnet den Wahlkampf nach und erklärt den Aufstieg von Donald Trump unter anderem damit, daß die amerikanischen Fernsehnachrichten ihn als Quotenbringer gebrauchen konnten, was wichtiger gewesen sei als eine umfassende Berichterstattung. Bernie Sanders habe deshalb seine Wähler währen der demokratischen Vorwahlen vor allem über soziale Netzwerke erreicht; die Über-50-Jährigen orientierten sich aber weiterhin am Fernsehen. Das relativiert den Einfluß der sozialen Medien auf die Meinungsbildung. Er resumiert, das derzeitige politische System der USA halte wirklich niemand mehr für akzeptabel.

  • Politische Kommunikation und Sprache der Rechtspopulisten. Postfaktisches Zeitalter, Framing und Desinformat. Moderator: Philip Banse. Diskutanten: Elisabeth Wehling, Anatol Stefanowitsch, Simon Hegelich. Deutschlandradio Kultur. Breitband. 12. November 2016. – Über die Bedeutung des Gebrauchs der Sprache und kognitiv-psychologische Tricks in der politischen Debatte.

  • Simon Hegelich: Social Bots. Invasion der Meinungs-Roboter. Analysen und Argumente 221/2016. Konrad Adenauer Stiftung. Sankt Augustin. 27. September 2016. – Beschreibt, wie der politische Diskurs in sozialen Netzwerken durch den Einsatz von Bots simuliert, inszeniert und manipuliert wird.

  • Mathias König, Wolfgang König: #MythosTwitter. Chancen und Grenzen eines sozialen Mediums. Otto Brenner Stiftung. OBS-Arbeitspapier 24. 6. Oktober 2016. – Auch in sozialen Netzwerken wirken die klassischen journalistischen Gatekeeper als Multiplikatoren für Themen und Beiträge.

Der konservative Reflex II

Zwei Aspekte irritieren aus hiesiger Sicht:

  • Die Amerikaner wählen im Zweifel nicht das „kleinere Übel“.

  • Das amerikanische politische System ermöglicht wirkliche personelle Veränderungen, die hierzulande unbekannt sind. Eine Clique kann durch eine andere ausgetauscht werden, und zwar durch Wahlen.

Haben wir schon alles gesagt?

Schriftsteller und Literaturwissenschaftler diskutierten im SWR2 Forum über das Tagebuch. Und erwähnen die Blogs erst drei Minuten vor Schluß der Sendung.

Blogs kommen und gehen, die Literatur aber bleibt? Ich greife auf meine Blogs zu und wundere mich mitunter, was für Texte man dabei findet. Also gerade nicht: wiederfindet oder erinnert. Habe ich das damals geschrieben? Offenbar, ja. Gerade das ist aber doch ein Tagebuch-Effekt? Ich bin nicht mehr derselbe, habe mich verändert und schaue mir beim Durchlesen der alten Texte sozusagen selbst über die Schulter.

Aber ändert sich da vielleicht mehr, greifen die Veränderungen über die einzelnen Blogs hinaus?

Meine digitalen Weggefährten der letzten etwa zwanzig Jahre haben sich ganz unterschiedlich entwickelt. Einige schreiben immer noch täglich (oder fast täglich), wie eh und je. Einige schreiben an anderem Ort als früher. Einige schreiben gar nicht mehr. Und einige, die früher auch viel schrieben, haben das Schreiben links liegenlassen und senden nur noch Photos.

Das kann man auch an den kommerziellen Formaten beobachten, dort ist es sogar besonderes auffällig: Denken wir aber auch an die Entwicklung, die das Blog der FAZ zur Buchmesse genommen hat, wo anstelle von Berichten über die Szene nur noch Photos der Abrechnungsformulare für den jeweiligen Auftrag zum „Nachtsatz“ gepostet wurden. Erst zum Schluß der Veranstaltung kamen etwas längere Texte.

Oder nehmen wir – eher aus dem Bereich „Community“ – ein neueres Blog, das über Frankfurt schreibt, Hallo Frankfurt – als Autorenblog bei Medium angesiedelt. Mehr ad hoc ginge wahrscheinlich nicht, denn bei Medium befindet man sich auf der Durchreise, man kommt nicht dorthin, um zu bleiben. Bilder dringen nach vorne, Bilder, die doch die Reflexion nicht ersetzen können. Nur noch Anstöße verbleiben, die nicht weiter nachvollzogen werden, denen dann nicht mehr weiter nachgegangen wird.

Haben wir schon alles gesagt? Produzieren wir heute einfach weniger selbst? Verbergen wir uns hinter den „geteilten“ Inhalten anderer? Oder ist das Netz, liegen die Kanäle der Datennetze, die dem Austausch dienen und der Herstellung von Öffentlichkeit, längst fast ausschließlich in den Händen der Marketing-Menschen, die dort nur noch ihren meist problematischen Geschäften und der Meinungsmache und Desinformation nachgehen?

Ist die Community schon längst durch bezahlte Kräfte ersetzt worden, wie in den Mailinglisten der Wikimedia Foundation, wo kaum noch einer ohne Wikimedia-E-Mail-Adresse postet, wo noch bis vor drei Jahren eine bunte Gemeinde zugange war, oder in den Twitter-Kanälen, wo fast nur noch angeworbene Blogger über „Events“ schreiben. Es gibt nicht nur die nervenden Trolls, sondern auch die Jubel-Diskutierer, die ausschließlich applaudieren und keine Ankündigung mehr einer kritischen Prüfung unterziehen, weil sie dazu nicht berufen wurden. Und je mehr diese Formen der organisierten und inszenierten Öffentlichkeit vordringen, desto mehr zieht sich die Community, die aus freien Stücken um sich und ihre Ziele warb, zurück und verstummt immer mehr.

Man muß sich das Web 2.0 doch zumindest zu großen Teilen als ein Potemkinsches Dorf vorstellen.

Vielleicht haben wir tatsächlich schon alles gesagt. Oder zumindest das meiste.

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