Der Anteil der E-Books am Markt liege bei vier Prozent. Der Absatz der Verlage habe sich durch die Digitalisierung nicht erhöht, er verteile sich nur neu. Die Verlage versuchten, durch den Betrieb eigener Webforen und Blogs, Werbung zu treiben: Siv Bublitz vom Ullstein-Verlag in einem Interview bei Deutschlandradio Kultur. – Von den Marketing-Aktivitäten der Verlage bei Wikipedia ein andermal mehr.
Vera Bunse hat ein lesenswertes hintergründiges Stück über die Digital News Initiative von Google und einer Reihe größerer Verlagshäuser geschrieben. Deshalb nochmal ein paar Gedanken zum ganzen:
Die Verlage haben ihre Rolle als gatekeeper schon lange verloren. Auch politische Skandale werden nicht mehr über Veröffentlichungen in Zeitungen angezettelt, sondern im Web 2.0 inszeniert (wie hoch ist der authentische Anteil an einem Shitstorm und wie hoch derjenige der Spindoktoren und des Astroturfings?). Der Bedeutungsverlust der Zeitungen liegt klar auf der Hand und ist nicht mehr umkehrbar.
Die Verwertungskette Verlag–Handel–Bibliothek–Verwertungsgesellschaften ist unauflöslich und stellt vor allem die Bibliotheken vor ein Problem, weil deren Nutzer immer stärker auf Online-Angebote schielen. Daher die Onleihe, daher der Ausbau von Katalogen, die Anreicherung von OPAC-Inhalten um Weblinks zu Wikipedia und die bibliothekseigenen Dienste von Munzinger über Brockhaus bis zu Oxford und Britannica, auch hierzulande. Die Ausleihzahlen steigen stetig, was aber vor allem auf den steigenden Bildungsgrad und die daraus folgende intensivere Nutzung zurückgeht. Daneben werden aber auch andere Quellen immer intensiver angezapft als bisher, und ob diese Konkurrenz zugunsten der Bibliotheken ausgeht, wenn sie sich hier nicht anpassen und verstärkt auch auf self-publishing achten, wird sich schon bald zeigen.
Paywalls sind unattraktiv, weil sie zu teuer sind. Ich nutze gerne Pressedatenbanken für die Recherche, aber für die Portale von einzelnen Zeitungen zahle ich nicht und werde das auch nicht tun. Es lohnt sich auch für die Verlage nicht: Selbst für die NYT zahlt sich online nicht aus. Auf die Idee, ein verlagsübergreifendes aktuelles Zeitungsportal anzubieten, kommen sie nicht. Für 15–20 Euro im Monat würde ich da vielleicht sogar Kunde werden. Europaweit gesehen, versteht sich.
Die Suchmaschinen und die kommerziellen sozialen Netzwerke sind zu einem second-level gatekeeper geworden. Die Intermediäre lotsen die Leser dorthin, wo es etwas frei zu lesen gibt. Wer sich hier ausblendet, wird eben nicht mehr gefunden und also auch nicht gelesen. Daher die beiden Strategien: Kooperieren oder die „Selbstbedienung“ von Google und Facebook als Nutzung deklarieren und ein Leistungsschutzrecht geltend machen. Im ersten Fall, der Digital News Initiative, verkaufen sich die Verlage an Google, denn was soll denn dort technisch anderes herauskommen, als eine Ansammlung an neuen Schnittstellen für die Inhalte, die sie produzieren? Kennen wir von Wikipedia: Wikidata als Interface für die Weiterverwendung von Wikipedia mittels Semantic Web, auch das ja finanziert von Google und mittlerweile durch das Einpflegen von Freebase faktisch eine Plattform, die von Google betrieben wird. Der ehemalige Projektleiter von Wikidata arbeitet jetzt bei Google. Im zweiten Fall, dem LSR, wird versucht, eine Art Wegelagerei zu betreiben, die, obwohl politisch unterstützt, nur scheitern kann. Punkt.
Es bleibt das Web. Das in großen Teilen kommerzialisiert worden ist – teils zog es sie, teils sanken sie hin. Legion sind die Interessenten für das „Geldverdienen mit Blogs“. Wirklich interessant ist daher nur noch, wohin die Reise führt, woher neue Impulse kommen, welche Autoren zu lesen, sich tatsächlich noch lohnt. In meinem Feedreader sind derzeit etwa 450 Feeds mit schnell wechselnder Zusammensetzung. Was mich enttäuscht, lösche ich zügig wieder, neue Autoren und Quellen nehme ich aber auch genauso bereitwillig auf. Ich habe es hier mit soviel Text und Podcasts zu tun, daß ich sie niemals vollständig lesen, hören oder ansehen können werde. Und das meiste davon habe ich ohne Suchmaschinen und soziale Netzwerke aufgefunden. Von wegen gatekeeper.
Die Zeit der verlegerisch und intermediär formierten Veröffentlichtheit ist endgültig vorbei. Wenn wir noch weiter über Journalismus und Verlage und deren Konflikte mit den kommerziellen Suchmaschinen und sozialen Netzwerken diskutieren, betreiben wir deren Geschäft. Das aber schon längst nur noch ein röhrender Hirsch ist, den sich die Rückwärtsgewandten übers Sofa hängen, während die Trends ganz woanders hin laufen, die Impulse ganz woanders her kommen.
Öffentlichkeit fragmentiert sich im Netz und organisiert sich ständig neu, täglich, wie mein Feedreader auch. Immer auf der Suche nach Besserem, nach Passenderem, und das gibt es ja auch zuhauf. Radikaler denken und radikaler handeln. Jetzt.
Im britischen Wahlkampf kann man etwas sehen, was es in Deutschland schon lange nicht mehr gegeben hat: Diskussionen mit allen größeren Parteien vor der Wahl – wenn auch einschließlich der äußersten Rechten. Es gab auch eine mit allen Spitzenkandidaten, nicht nur ein kleines „Kanzler-Duell“. Hart von der Moderatorin nach der Stoppuhr gesteuert. Inhaltlich kontrovers, und da ist ja auch in der Gesellschaft einiges in Bewegung gekommen. Einige erwarten ein „hung parliament“. Man erkennt die gewohnten Interessen wieder, wenn auch die britischen Grünen sich aus deutscher Sicht ungewohnt links positioniert zeigen: Man habe bei den Konservativen und Labour die Wahl zwischen „austerity heavy and austerity light“. Die Vertreterinnen aus Schottland und Wales sprechen betont mit lokalem Akzent – akustisch und inhaltlich. Die Folgen der Finanzkrise spielen immer noch eine große Rolle, aber anders als bei uns. Die traditionelle soziale Spaltung der britischen Klassengesellschaft schlägt auch hier durch. Der Sozialabbau im öffentlichen Gesundheitswesen ist besonders umstritten. Parallel dazu schreibt Benjamin Fox im EUobserver über die Diskussion um ein Referendum über den Verbleib in der EU nach der Wahl, während Steve Peers die Auswirkungen der Wahl auf das Verhältnis zur EU analysiert (via Verfassungsblog).
Eher kurios erscheint dagegen, daß der vermutliche Account des konservatien Parteivorsitzenden in der englischen Wikipedia wegen manipulativer Bearbeitungen als Sockenpuppe gesperrt wurde.
Dank einem Hinweis in der Mailingliste Wikisouce-l fällt der Blick auf einen Schauplatz im fernen Osten. Die Internetzensur in der Volksrepublik China und die dortigen Sperrungen von Wikipedia sind ein Kapitel für sich. Bei der Wikimania in Hongkong gab es einen Vortrag zum Thema. Es gibt Neuigkeiten zum aktuellen Stand. Einer Anmerkung in einem Ticket auf Phabricator zufolge, würden derzeit „nur“ die chinesische Wikisource (sic!), die chinesische Wikinews (sic! sic!) und die uigurische Wikipedia blockiert, heißt es auf der Liste. Und auf Phabricator freut man sich, dass die englische mobile Wikipedia in China genutzt werden könne.