Die Paradigmen zur Beschreibung der Rollen in der Arbeitswelt wandeln sich: Nach Richard Sennetts „Flexiblem Menschen“ in den frühen 2000er Jahren nun der durch „Künstliche Intelligenz“ und „Algorithmen“ überflüssig gemachte Kopfarbeiter. Während Ralf Keuper angesichts der weitgehenden Entwertung von Ausbildung und Erfahrung und des Verschwindens der „Berufsbilder“, mit guten Gründen also, das Bedingungslose Grundeinkommen empfiehlt, bespricht Barbara Ehrenreich die Bücher „Rise of the robots“ von Martin Ford und „Shadow work“ von Craig Lambert und stellt sich vor, wie sie selbst als Rezensentin durch Computer ersetzt werden könnte, the human consequences of robotization are already upon us. Computer denken und entscheiden schon längst anstelle von Menschen. Und Drohnen fliegen durch die Luft – militärische Technik übernimmt also das Geschäft der Logistik und ermöglicht gleichzeitig eine neue Form der Überwachung. Auch in den Familien: Bis hin zu dem neu geprägten Begriff der „Helikopter-Eltern“, der es bis in Wikipedia hinein geschafft hat. Früher sprach man schlicht von overprotection: Ambitious parents are often expected not only to drive their children to and from school, but to spend hours carrying out science projects and poring over fifth-grade math — although, as Lambert points out, parental involvement in homework has not been shown to improve children’s grades or test scores.
Le Monde Diplomatique bringt diesen Monat ein Dossier über Deutschland unter dem Titel L’Allemagne, puissance sans désir. Online frei lesbar sind daraus zwei Beiträge von Wolfgang Streeck – auf Französisch: Comment l’Allemagne s’est imposée und auf Esperanto: Hazarda hegemonio. Eine deutsche Fassung der Texte gibt es derzeit nicht.
Stephen Downes befürwortet, daß Amazon bei Spielzeugen keine Suche mehr nach dem Geschlecht zuläßt. Das Merkmal „Junge/Mädchen“ wurde in der Suchmaske einfach abgeschafft. Verschwinden damit auch die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen? If we want to do away with rampant gender-based stereotyping, this is how to do it.
Wir haben die Produktionsmittel, die man heute braucht, um „senden“ zu können – Blogs, Wikis, soziale Netzwerke; sie stehen allgemein zur Verfügung, auch sie werden geteilt, nicht nur die Inhalte. Wir sind gut ausgebildet, haben Erfahrung und sind überdurchschnittlich gut informiert. Was bei den Massenmedien die „Reichweite“ war, ist heute die „Vernetzung“. Blogger sind daher „Journalisten“. Die fehlende professionelle Ausbildung wird leicht durch ein Training on the job ersetzt. Der politische Kampagnen-Journalismus, der nur ein Transmissionsriemen für die Spindoktoren war, schwindet. Dadurch verändert sich die Öffentlichkeit. Das macht auch Spaß, aber es ist kein Spaß, sondern es ist schon ziemlich ernst. Es passiert jetzt. Wer weiterhin nach röhrenden Hirschen sucht, findet sie in den kommerziellen Blogs und Plattformen und bei denen, die sich noch kommerzialisieren lassen, aber der aufgeklärte Teil der Öffentlichkeit entfernt sich immer mehr davon und läßt die anderen ihres Wegs ziehen. Deshalb merken die Massenmedien, daß sie immer mehr im Abseits stehen. Sie versammeln immer weniger Leser, Zuhörer, Zuschauer, ihre Attraktivität hat nachgelassen. Die Öffentlichkeit fragmentiert und reflektiert dadurch die Vielfalt der Gesellschaft, die sich in ihr zeigt und ausdrückt.
Die Website des Internet Archive ist modernisiert worden. Man sieht jetzt besser, wohin sich solche Plattformen entwickeln: Die Usability wird von den Vorstellungen von Apple dominiert. Das Look-and-Feel ist iPad-tauglich geworden. Man sieht Symbole statt buchstabierter Beschriftungen. Flächige Felder wollen über den Bildschirm gescrollt, angetippt und gewischt werden. Und über allem thront die Wayback Machine, die bekanntlich jüngst eher problematische Züge angenommen hat. Das Archiv entwickelt sich auch immer mehr zur Mediathek. Während YouTube zehn Jahre alt geworden ist, ist auch archive.org ein bißchen wie YouTube geworden, es wirkt aber eher wie ein Kaufhaus mit eigenen Abteilungen für ein „Live Music Archive“, „Community Video“ und „Netlabels“. Wer etwas vermißt, kann endlos weiterscrollen. Etwa ein Drittel der Nutzer greifen derzeit mit mobilen Endgeräten auf die Inhalte zu, und es sei immer schwerer geworden, noch Entwickler zu finden, die die alte Seite hätten pflegen können, schreibt Alexis Rossi im Blog des Archivs.
Die Meldung kam am selben Tag, an dem bekanntgegeben wurde, daß Google acht Zeitungsverlage für 150 Millionen Euro sozusagen eingekauft hat, darunter den Guardian und die FAZ, deren „Medienjournalist“ im dunklen Tonfall von einem „auf drei Jahre eingebrachten Volumen“ raunt, mit denen ein „nachhaltiges Ökosystem für Nachrichten“ entstehen soll. Der Guardian-und-Google-Berater Jeff Jarvis nannte das einen Tag vorher schon auf Medium einen „Friendship Pact with Euro Publishers“. Und: „Google needs friends in Europe. It may have finally found some.“ Da friert's mich vor Gemütlichkeit.
Über den Verteiler des Solarenergie-Fördervereins Deutschland lief gestern der Bericht eines Teilnehmers an der Hauptversammlung von RWE, die tags zuvor in Essen stattgefunden hatte: „Man ist in einer Welt, in der andere Werte und andere Einstellungen gelten, als sie einem Immanuel Kants Sittengesetz eingibt.“
Der Soziologe Tobias Scholz, der 2011 an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit über „Distanziertes Mitleid – mediale Bilder, Emotionen und Solidarität angesichts von Katastrophen“ promoviert wurde, weist in einem Interview, das heute morgen im Deutschlandfunk gesendet wurde, auf einen Zusammenhang in der öffentlichen Debatte zwischen der brüsken Ablehnung der griechischen Regierung und der Zuwendung zu anderen Schauplätzen hin. Das Maß an Mitgefühl, das man aufbringen könne, sei begrenzt. „Das flegelhafte Auftreten griechischer Politiker etwa empöre mehr als das Leiden der Bevölkerung. ‚Da kam es gelegen, dass man sein Mitleid woanders loswerden konnte‘, sagte Scholz im DLF.“
Ein weiteres Beispiel für die Kluft zwischen Netz und real life ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung für den weiteren Umgang mit E-Books, über den man heute im Börsenblatt lesen kann. E-Books werden demnach ab 2016 kraft gesetzlicher Regelung unter die Buchpreisbindung fallen. Eine Ausnahme soll es weiterhin für Flatrate-Modelle geben, bei denen Texte gegen ein pauschales Entgelt nur zeitweise zum Zugriff angeboten werden. Der Unterschied dürfte den meisten Benutzern gleichgültig sein, weil sie E-Books sowieso höchstens einmal lesen werden. Der Markt konsolidiert sich auch derzeit.
Während das Netz über „innovative“ Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding im allgemeinen eine unkritische und eher diffuse Begeisterung an den Tag gelegt hat, war die öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Kleinanlegerschutzgesetz eher kontrovers verlaufen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven der Beteiligten heraus. Diskutiert wurde unter anderem über neue Regeln für Anlageprospekte. Die Stellungnahmen bewegten sich zwischen den Positionen der Finanz-Platzhirsche, Belangen des Verbraucherschutzes und sozialen sowie genossenschaftlichen Bedürfnissen. Bei der Abstimmung im Finanzausschuß gab es nur geringfügige Änderungen zum ursprünglichen Entwurf, er wurde aber im wesentlichen angenommen und soll heute im Parlament beschlossen werden. Demnach wird es die von der Opposition geforderte Aufsicht über Crowdfunding-Plattformen weiterhin nicht geben. Die Diskussion zeigt vor allem, wie groß die Lücke ist, die weiterhin zwischen der eher liberal bis libertär geprägten, im Netz veröffentlichten Meinung und dem real life sich auftut.
Im britischen Wahlkampf kann man etwas sehen, was es in Deutschland schon lange nicht mehr gegeben hat: Diskussionen mit allen größeren Parteien vor der Wahl – wenn auch einschließlich der äußersten Rechten. Es gab auch eine mit allen Spitzenkandidaten, nicht nur ein kleines „Kanzler-Duell“. Hart von der Moderatorin nach der Stoppuhr gesteuert. Inhaltlich kontrovers, und da ist ja auch in der Gesellschaft einiges in Bewegung gekommen. Einige erwarten ein „hung parliament“. Man erkennt die gewohnten Interessen wieder, wenn auch die britischen Grünen sich aus deutscher Sicht ungewohnt links positioniert zeigen: Man habe bei den Konservativen und Labour die Wahl zwischen „austerity heavy and austerity light“. Die Vertreterinnen aus Schottland und Wales sprechen betont mit lokalem Akzent – akustisch und inhaltlich. Die Folgen der Finanzkrise spielen immer noch eine große Rolle, aber anders als bei uns. Die traditionelle soziale Spaltung der britischen Klassengesellschaft schlägt auch hier durch. Der Sozialabbau im öffentlichen Gesundheitswesen ist besonders umstritten. Parallel dazu schreibt Benjamin Fox im EUobserver über die Diskussion um ein Referendum über den Verbleib in der EU nach der Wahl, während Steve Peers die Auswirkungen der Wahl auf das Verhältnis zur EU analysiert (via Verfassungsblog).
Eher kurios erscheint dagegen, daß der vermutliche Account des konservatien Parteivorsitzenden in der englischen Wikipedia wegen manipulativer Bearbeitungen als Sockenpuppe gesperrt wurde.
Paul Krugman schreibt über die Entfremdung von Demokraten und Republikanern zum Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs. Beispielhaft nennt er Obamacare, die Besteuerung der Reichen, die Finanzreform von 2010 und die Klimapolitik. Er führt die unversöhnlichen Positionen auf die allgemein zunehmende Einkommensungleichheit zurück, sie schlage auf die Standpunkte der politischen Parteien durch und sei heute so groß wie seit dem amerikanischen Bürgerkrieg nicht mehr. Diese Gegensätze würden von den Kommentatoren üblicherweise geleugnet; sie stellten die Kandidaten in den Vordergrund und bestritten gleichzeitig die grundsätzlichen Gegensätze zwischen den gesellschaftlichen und politischen Lagern. Während Timothy Garten Ash schon im Oktober 2014 die vielen unglücklichen Züge und Momente von Obamas Präsidentschaft aufzählte und die hypothetische Frage stellte, wie das alles gekommen wäre, wenn Hillary Clinton sich 2008 gegen Barack Obama in den demokratischen Primaries durchgesetzt hätte. „She was the right age then, whereas she will be 69 if she wins in 2016“ – kann man das so sagen? Antje Schrupp zitiert lieber eine Klassikerin zum amerikanischen Wahlkampf, Harriet Beecher-Stowe, „1870 anlässlich der Kandidatur von Victoria Woodhull für die Präsidentschaft der USA“:
„Wer immer auch Präsident der Vereinigten Staaten werden will, muss sich darauf einstellen, dass sein Charakter in Stücke gerissen wird, dass er verletzt, geschlagen und mit Schmutz überzogen wird von jedem unflätigen Blättchen im ganzen Land. Keine Frau, die nicht wie ein alter Putzlumpen durch jede Gosse und jedes dreckige Wasserloch gezogen werden will, würde jemals einer Kandidatur zustimmen. Es ist eine Qual, die einen Mann umbringen kann. Was für ein unverschämtes Luder von einer Frau muss das sein, die so etwas aushält, ohne dass es sie umbringt?“