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Dienstag, 25. Juni 2019

Klischees

Tom Strohschneider, der ehemalige Chefredakteur des Neuen Deutschlands, referiert im OXI-Blog die Kritik an der grünen Sozialpolitik und kommt zu dem Ergebnis, dass die Trends, die man derzeit beobachten kann, nicht eindeutig seien. Zwar sei der Kern der grünen Partei ganz sicherlich bei den „Besserverdienenenden“ zu verorten, denen das untere Drittel der Gesellschaft herzlich egal ist. Es sei aber auch dort vieles in Bewegung gekommen. Schon die DIW-Studie über die Wählerschaft der Parteien aus dem Jahr 2016 sei mittlerweile veraltet. Zustrom komme aus allen möglichen Richtungen (mit Ausnahme der ganz Rechten, freilich), sogar Arbeitslose seien als Grünen-Wähler gesichtet worden, und er endet:

Die Grünen – als Partei, als Anhängerschaft – verändern sich gerade ziemlich schnell und gravierend, so wie andere Parteien auch. Die Frage ist nur, in welche Richtung, warum und welche Schlussfolgerungen man daraus ziehen möchte. Klischees über die Grünen jedenfalls, aus welcher Ecke auch immer sie kommen mögen, tragen nicht viel zur Erklärung des Aufstiegs der Partei bei, noch taugen sie für die notwendigen Debatten über die politischen Schlussfolgerungen und Optionen, ganz gleich, ob man damit Grün-Rot-Rot auf Bundesebene meint oder etwas anderes.

Meine These wäre, dass das Ziel einer grünen Politik vor allem in einer Stabilisierung des eigenen Wachstums zu sehen wäre. Die Neuzugänge kommen aus allen Richtungen, vor allem aber von CDU und FDP, die kann man nicht langfristig mit einer sozialen Politik halten. Wer hier liefern will, kann nicht Grün-rot-rot auf Bundesebene machen. Die Umverteilung von unten nach oben muss weitergehen, für eine wirklich andere Politik gibt es keine Mehrheiten. Klar ist da etwas in Bewegung gekommen. Aber soviel Bewegung ist nun auch wieder nicht.

Suchmaschinen ade

In meinem letzten Beitrag hatte ich – zugegeben: etwas flapsig formuliert – mehr Wissenschaft und Literatur gefordert. Was meine ich damit konkret? Zunächst zur Wissenschaft (später mehr zur Literatur):

Ich habe ziemlich weitgehend bereits die Suchmaschinen durch OPACs und insbesondere durch Discovery-Dienste mehrerer Bibliotheken ersetzt. Das heißt, ich gebe einen Begriff, der mir fremd ist oder allgemein: über den ich mehr erfahren möchte, in das Suchfenster meines Webbrowsers ein und frage mehrere OPACs ab. Der nächste Schritt ist dann ein Klick auf „Artikel und mehr“. Es ist eigentlich egal, wo man das tut, auch ein paar Fachportale der Fachinformationsdienste beziehe ich mit ein, das Ergebnis ist immer gehaltvoller als das, was mir die Suchmaschinen anzubieten haben, und sei es nur, weil durch die Sacherschließung ein brauchbarer Einstieg in neue Themen erleichtert wird und weil durch den Zugang zu Ressourcen, auf die ich Zugriff habe, Informationen direkt verfügbar sind und nicht als zweiter Aufguss.

Die Suchmaschinen sind mittlerweile so kaputtoptimiert worden, dass immer der suchmaschinenoptimierte Content ganz nach oben gespült wird und die eigentlich interessanten Websites darunter verschwinden. Suchmaschinen lohnen sich nur noch, wenn man sehr gezielte Abfragen macht. Wie das geht, wurde im März in der c't auf aktuellem Stand erklärt. Da ging schon mal mehr, viel mehr, wurde alles abgeschafft (ich glaube, ich werde alt, kann das sein?). Das gilt übrigens auch für Bibliothekskataloge, auch dort wird es zunehmend schwieriger, gezielte Abfragen durchzuführen. Aber faktisch leisten die OPACs und die Discovery-Dienste zum Lernen heute das, was früher bei mir auch die Suchmaschine konnte, heute aber nicht mehr kann.

Es ist etwa ein Jahr her, dass mir gar nichts anderes mehr übrig blieb, als mich darauf einzustellen. Und die Entwickler der OPACs wären sicherlich gut beraten, einmal darüber nachzudenken, wieviel „Suchmaschine“ in einem OPAC stecken sollte. Weniger ist mehr. Trust me.

Auch diese Veränderung in meinem Such- und Informationsverhalten ist ein ganz praktisches Indiz für die Zunahme der Ungleichheit bei der Bildung, also für die digitale Spaltung, was den Zugang zu Information angeht. Das bessere Angebot verdrängt das schlechtere, aber mit dem „besseren“, also mit dem qualitativ hochwertigeren Werkzeug muss man ja erst einmal umgehen lernen. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass Recherche-Kurse in der Erwachsenenbildung so gut wie nicht mehr stattfinden, seit die meisten meinen, googlen reiche aus, mehr brauche es nicht, deshalb buchen sie solche Kurse nicht mehr, so mag man daraus ersehen, wie schwer es ist, in einer Medien- und Informationsgesellschaft gegen diese Form der Bewusstseinsindustrie anzuarbeiten. Sisyphos lebt.

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