Sonntag, 8. November 2015
On the track II
Lena Sundström hat Edward Snowden interviewt (via cryptome.org), fünf Stunden lang. Und Lotta Härdelin hat ihn photographiert. Ein Leben auf Abruf. Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont, könnte man sagen.
Die amerikanische Regulierungsbehörde FCC hat es abgelehnt (Entscheidung, via Goldstein Report), die Einstellung Do not track im Webbrowser als ein Verbot jeglichen Benutzer-Trackings auszulegen. Der Artikel in der Washington Post weist darauf hin, daß das Feature ohnehin technisch überholt sei, weil dazu längst schon keine Cookies mehr, sondern der Browser-Fingerprint verwendet werde.
Samstag, 7. November 2015
Konkret II
Drei Jungen in landesüblicher Tracht. Üblich, wo sie herkommen. Sie kommen von weit her, von sehr weit. Wo niemand von uns je hinkommen wird. Sie tragen einfache Sachen in gedeckten Tönen. Sie sind etwa 12 oder 13 Jahre alt. Haben ganz viele Packungen Haferflocken in ihrem Einkaufswagen und noch ein paar Kleinigkeiten, als sie an die Kasse kommen. Die Kassiererin kennt sie, grüßt und fragt laut, ob sie schon etwas Deutsch gelernt hätten? Sie reichen ihr das Geld herüber, verstehen sie aber nicht. Sie würden ihr gerne antworten. Große, dunkle Augen, die traurig wirken, und als wollten sie sich versichern, denn man darf nichts falsch machen. „Das kommt noch“, nickt sie ihnen aufmunternd zu. Sie wirken schüchtern in dem modernen und hellen und lauten Laden um sie herum, packen stumm ihre Einkäufe wieder in den Wagen, nehmen das Wechselgeld und gehen leise und erleichtert hinaus. Ich bin an der Reihe.
Donnerstag, 5. November 2015
Konkret
Mittlerweile setzt eine etwas tiefergründige und grundsätzlichere Diskussion der erwähnten Vorgänge ein. Außerdem werden Zahlen über das Ausmaß der Belastung bekannt.
Julian Nida-Rümelin weist darauf hin, daß die grundsätzlichen politischen Standpunkte und das konkrete politische Handeln auseinanderfallen. Eine konservative Bundeskanzlerin öffnet die Grenzen und sorgt damit – übrigens entgegen der geltenden unionsrechtlichen und völkerrechtlichen Lage – für eine beispiellosen Zuwanderung. Damit sei eine völlig illusorische Botschaft transportiert worden, die nicht auf Dauer durchgehalten werden könne.
Im SWR2 Forum vergleichen Robert Leicht, Thomas Meyer und Andreas Rödder diese Zuwanderung mit den großen Einwanderungsbewegungen im zwanzigsten Jahrhundert: den Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, der Anwerbung der Gastarbeiter, den Aussiedlern seit den 1980er Jahren und den nach Westen gewanderten Ostdeutschen nach 1989/90. Kein Vorgang sei damit vergleichbar. Die praktischen Probleme seien kurzfristig so gut wie unüberwindlich, etwa weil Sprachunterricht mangels Arabisch sprechenden Lehrern scheitere. Die Stimmung kippe allzu leicht um, wenn die Einschränkungen, die die Einheimischen hinzunehmen hätten, konkret erfahren würden.
Im SozioPod diskutieren Nils Köbel und Patrick Breitenbach die psychologischen und die soziologischen Aspekte der Zuwanderung. Die Flüchtlinge seien aufgrund ihrer Erfahrung bei Krieg und Flucht vielfach traumatisiert, was eine Erfahrung ist, die sie in unsere Gesellschaft einbringen. Auch mit dieser Belastung sei langfristig umzugehen.
Der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres hat vor dem Menschenrechtsausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesagt, die Mittel von UN, Rotem Kreuz und weiterer Hilfsorganisationen reichten nicht länger aus, um die derzeit 60 Millionen Geflüchteten zu versorgen. Dies, obwohl die Spenden mit über 3 Mrd. Euro in diesem Jahr eine Rekordhöhe erreicht hätten. „Der Mangel an humanitären Geldern sei ‚der Auslöser‘ für die Massenankunft von Syrern, Irakern, Afghanen und Eritreern im östlichen Mittelmeerraum in diesem Jahr.“ Unerwähnt bleibt die Entscheidung der in diesem Jahr neugewählten griechischen Regierung, die gestrandeten Flüchtlinge nicht mehr, wie zuvor, auf hohe See zurückzuschicken. Die Zahl der Opfer an der Mittelmeerküste belaufe sich gleichwohl bisher auf 3400 Menschen, die bei der Überfahrt ertrunken seien.
Das Bundesarbeitsministerium hat die Mehrkosten, die der Bund aufgrund der Vorgänge im kommenden Jahr zu tragen haben werde, mit 2,5 Mrd. Euro beziffert. Der Haushaltsausschuß des Bundestags hat einem Nachtragshaushalt für das laufende Jahr in Höhe von 5,1 Mrd Euro zugestimmt. Davon entfallen 3,8 Mrd. Euro auf die Kosten, die durch die Aufnahme von Flüchtlingen entstehen.
Dienstag, 3. November 2015
Firefox 42 schützt vor Tracking?
Heise Online vermeldet heute, der neue Firefox 42 schütze vor Tracking. So hätten sich das jedenfalls die Entwickler gedacht, heißt es. Also habe ich mal den Test bei anonym-surfen.de gemacht. Hier das Ergebnis (in den wesentlichen Teilen):
Beim Tor-Browser sind die roten Felder grün bzw. orange, je nach Konfiguration (um den Referrer hatte ich mich auch hier bereits händisch gekümmert, normalerweise ist das Feld ebenfalls rot).
Es bleibt abzuwarten, wie es mit Firefox (nur mit „privatem“ Fenster) weitergehen wird.
Bei Panopticlick schneidet Firefox übrigens noch relativ gut ab. Es gibt zwei Browser, die einen eindeutigen Fingerprint hinterlassen: Safari und Google Chrome. Honni soit qui mal y pense.
Montag, 2. November 2015
„Wie war das damals zu Blog-Opas Zeiten?“
Robert Basic erinnert sich in einer auf drei Beiträge angelegten Serie an die alten Zeiten, wie das mit dem Bloggen hier im deutschsprachigen Raum so alles begann, wie die Blogs um 2008 ihren Höhepunkt erlebten und wie es seitdem, angesichts der Kommerzialisierung der Blogosphäre und der Dominanz der Sozialen Netzwerke, weitergegangen ist. Er war damals rechtzeitig abgesprungen und verkaufte sein Blog, in dem er heute Gastbeiträge schreibt. Die beiden weiteren Folgen sollen im wöchentlichen Abstand folgen, und natürlich hat mir Robert mit einem Absatz aus der Seele gesprochen:
Ich soll eine Story schreiben? Hier, auf meiner alten Wirkungsstätte? In drei Teilen auch noch? Zu Blogs? Was gewesen war, was ist und was wird? Ach Gottchen, ich werde all die neuen Leser nur irritieren, die mich erstens nicht kennen und zweitens meine Art zu schreiben nicht gewohnt sind. Einige werden dabei sein, die gar froh waren, dass ich hier nicht mehr herumwirble. Da müsst ihr jetzt leider durch. Denn genauso wie ich damals zu Bloggen angefangen hatte, einfach ins kalte Wasser springend, ohne allzu lange überlegend, mache ich hier einen auf Gastblogger. Basic Thinking eben. Daher auch der Name. Beim Bloggen denken, manchmal auch nachher. Das war mir zumindest die natürlichste, unredigierteste und ehrlichste Form des rohen und unverbrauchten Bloggens. Wer als Blogger seine Texte schleift und redigiert, hat Angst vor der Bühne, ringt um Ruhm, Glanz und Gloria, pffft sage ich nur dazu.
Echtes Bloggen, eben. Blogger sind sozusagen die Rock 'n' Roller im Web, mit den Selbstgedrehten, ohne Filter. Das Blog als the unedited voice of a person, schrieb Dave Winer 2015 bzw. 2003.
Und auch an anderer Stelle denkt man an früher zurück: Fefe hatte alte Erinnerungen an das Usenet in den 1990er Jahren herausgekramt, und Hans Bonfigt schrob (sic) zurück, und zwar nicht irgendwie, sondern auf einer veritablen alten IBM-Tastatur, auf demselben Modell, auf dem ich damals meine ersten Schritte ins Netz unternommen hatte. Foto siehe dort. Ohne Windows-Tasten, mit laut vernehmbarem Klick und hartem Anschlag, hing sie damals – in meinem Fall – an einer AIX-Workstation im „Grapool“ unserer Uni, und ich werde das nie vergessen. Der erste Computer, den ich ernst nehmen konnte. Windows kam mir immer wie Spielzeug vor, endlich hatte ich was Richtiges[tm] gefunden. Das System lief damals schon stundelang so ruhig wie mein Mac später (und heute noch ;). Und natürlich gab es darauf keine Textverarbeitung, sondern Emacs und LaTeX, und die Floppys wurden mit dcopy und dergleichen aus dem Terminal angesprochen.
Und was imponiert dem Hans an Fefe nun heute noch? Dies vor allem:
Ein wirklich gutes Beispiel dafür ist „fefes blog“, welches, zu meiner eigenen Überraschung, mehrere hunderttausend Zugriffe pro Stunde hat und dennoch nur auf einem Miniatur-Mietserver läuft. Und zwar rattenschnell … Effizienz muß man, wenn man auch nur einen Funken Ehre im Leib hat, als Feind anerkennen: Wäre „fefes blog“ mit „IBM Websphere“ realisiert worden, müßte man wohl oder übel einen Großrechner hinstellen …
Real programmers, eben. Und doch, je länger ich die heutigen Beiträge von Fefe und Hans lese, merke ich, warum das Usenet und die Welt der IBM-Tastaturen rückläufig ist: Robert hat Recht. Menschen lieben es einfach. Und selbst die meisten dieser Nerds sind letztlich – Menschen. ;)
Sonntag, 1. November 2015
Die Kultur
Wer meint, YouTube wäre ein „Kulturarchiv“, möge nochmal nachdenken. Von der Rede des Bücher-Preisträgers Rainald Goetz, gestern in Darmstadt gehalten, ist dort bis jetzt nichts zu finden. Ein kurzes Filmchen in der Tagesschau, das gilt nicht. Früher[tm] übertrug hr2 die Feier live. Mittlerweile spart man sich auch das (wie vieles andere). Heute nachmittag gabs dann ein paar Auszüge aus der Laudatio und aus der Preisrede im Deutschlandfunk in den Kulturfragen, noch nicht auf der Website und auch noch nicht im Podcast verlinkt, denn es ist Wochenende …
Montag, 26. Oktober 2015
Die alten Kanäle
Und immer, wenn man denkt, es gehe nicht mehr zurück, passiert etwas, das ist so retro, daß man es kaum glauben mag. Zum Beispiel hat die TeX Users Group gerade ihren Vorsitzenden seines Amts enthoben. Und dies ihren Mitgliedern per E-Mail mitgeteilt, nicht aber dem Rest der TeX-Welt. Mein lokales Mailinglisten-Archiv schweigt dazu. Mein Feedreader: dito. Aber das Usenet. Höre, die Trommel spricht! Nach langer Zeit schaue ich mal wieder in meine Newsgroups, und siehe da: Am 14. Oktober 2015 gab es dazu eine Ankündigung in comp.text.tex. Es gibt sie also noch, die alten Kanäle, und sie werden genutzt. Ich glaube, ich muß da mal wieder etwas mehr drauf achten in Zukunft …
Samstag, 24. Oktober 2015
Aquamacs auf Github
David Reitter hat auf der Mailingliste aquamacs-devel bekanntgegeben, daß das Repository des Projekts auf Github umgezogen wurde. Wie schon im August erwähnt, sei es nicht möglich gewesen, die Versionsgeschichte mitzunehmen. Das Git-Repository beginne daher im Jahr 2015.
Der nächste Release werde auf dem derzeit in Entwicklung befindlichen Emacs 25 beruhen und die notwendigen Anpassungen für OS X El Capitan enthalten, was aber wohl nicht ganz einfach zu bewerkstelligen ist – dies nicht nur aus technischen, sondern auch aus sozialen Gründen. David Reitter weist darauf hin, daß er mittlerweile beruflich stark in Anspruch genommen sei. Deshalb könne er keine Angaben über den zeitlichen Rahmen der Weiterentwicklung machen.
Aquamacs ist heute die letzte Emacs-Distribution für Mac OS X, die noch aktiv weiterentwickelt wird und die man als Binaries herunterladen kann. Ursprünglich gab es insoweit etwa eine Handvoll Projekte, die mittlerweile aber allesamt aufgegeben wurden. Aquamacs enthält viele Ergänzungen und eine grundlegende Konfiguration für den Einsatz auf dem Mac. Man kann ihn aber auch so konfigurieren, daß er sich wie ein Standard-Emacs verhält. Zusätzliche Modes und weitere Pakete, insbesondere AUCTeX zum Bearbeiten von TeX- und LaTeX-Projekten, sind schon einsatzbereit vorinstalliert.
Freitag, 23. Oktober 2015
Auf weiterhin gute Zusammenarbeit
Die Szene löst sich gerade auf, wenn auch nur langsam. Reste von kalten Platten stehen herum, oder war das Kuchen? Halbleere Sektflaschen, Orangensaft, Mineralwasser in Plastikflaschen und letzte Plastikbecher. Das Catering war umfassend. Es ist etwas geschehen. Die Gespräche gehen weiter, natürlich. Die Stimmung ist gelöst, es ist vorbei. Die Dame vom Fischer-Verlag scheint zufrieden. Das war das Treffen, das Suhrkamp, Fischer und Hanser für ihre Literaturblogger am Freitagnachmittag zur Primetime auf der Frankfurter Buchmesse ausgerichtet hatten. Im beweglichen Zeit-Raum für die digitale Contentindustrie und deren Gesprächspartner im Netz. Es hat ihnen so gut gefallen, daß sie bleiben werden.
Eiskalte Wärme III
Kein Aufwand ist zu groß, keine Idee zu abwegig. Ganze Städte wollen sie neu aufziehen, und die Schulbuchverlage entwerfen Lehrbücher für Sprachkurse, die es so noch nie gegeben hat. Niemand dachte je daran, etwas gegen die Armut im eigenen Land zu unternehmen. Aber wenn es um Völkerwanderungen historischen Ausmaßes geht, sind die notwendigen Mittel natürlich vorhanden. Georg Seeßlen schreibt in konkret 10/2015 darüber, wie sich in der Flüchtlingskrise das gütige Deutschland inszeniert(e). Schnitt: Das Bild zerfließt an den Rändern seiner Produktion. Wenn man den engeren Kreis der Bilderbühne verläßt, sieht man an den Gesichtern der Beteiligten, wie gelogen die Inszenierung war. Ein Ende des Feelgood Movie ist nicht absehbar, die Steigerung bleibt möglich: Weihnachten steht vor der Tür.