Aus der schönen neuen Elsevier-Welt
Elsevier hat eine neue Open-Access-Policy bekanntgegeben, der zufolge die Autoren, welche an den Verlag gebunden sind, ihre Werke anderenorts im wesentlichen nur unter einer CC-BY-NC-ND-Lizenz veröffentlichen dürfen, die jegliche Änderung des Originals und seine gewerbliche Verwendung untersagt. Ein weiteres Kernstück ist ein „Embargo“ von 48 Monaten. Der Protest dagegen ließ nicht lange auf sich warten. Hintergrund für den Konflikt ist der Trend kommerzieller sozialer Netzwerke, alle möglichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die online zu greifen sind, einzusammeln, sie zu speichern und daraus Publikationslisten zu erstellen – hier der aktuelle Stand.
Elsevier ist in den Streit eingetreten und zeigt sich unnachgiebig. Wohl doch zu Unrecht, denn was jetzt benötigt würde, wären einfache Regeln für den sofortigen öffentlichen Zugriff auf Forschungsdaten. Elsevier nutzt die derzeit noch anhaltende Stellung der Wissenschaftsverlage aus, die die Wahrnehmung der Autoren durch die Öffentlichkeit organisieren sowie kanalisieren. Die Regeln, die in der Policy aufgestellt wurden, sind so kompliziert, daß sie schon in Elseviers offiziellem Blogpost nur in einer grafischen Übersicht überhaupt dargestellt werden konnten.
Dagegen hilft aber alles Weh und Klagen nicht, denn Ursache für diese weiterhin beherrschende Stellung der Verlage ist letztlich das Unvermögen der Universitäten, sich selbst zur Marke zu machen und solchen Geschäftsmodellen und der damit verbundenen Gängelung von Autoren, Bibliotheken und Lesern etwas Wirksames entgegenzusetzen. Solange die Wissenschaft selbst keine Marke ist und sich selbst nicht als Marke wahrnimmt, sondern alle Welt weiterhin auf die Handvoll Verlage und deren Output schaut, solange die Universitätsserver bestenfalls die Preprints bereithalten, und selbst diese oft nur für die eigenen Studenten, wird das kein Ende haben. Damit ist denn auch die Stoßrichtung bezeichnet, die eigentlich anzugehen wäre. Es liegt letztlich an den Wissenschaftlern, wo sie firmieren wollen und umgekehrt: welche Veröffentlichungen für die Karriere – bei ihresgleichen – als förderlich gelten. Erst wenn hier Einigkeit besteht, wird die Wissenschaft endlich befreit sein aus den Walled Gardens der Verlagskonzerne.
Übergänge II
Vera Bunse hat ein lesenswertes hintergründiges Stück über die Digital News Initiative von Google und einer Reihe größerer Verlagshäuser geschrieben. Deshalb nochmal ein paar Gedanken zum ganzen:
Die Verlage haben ihre Rolle als gatekeeper schon lange verloren. Auch politische Skandale werden nicht mehr über Veröffentlichungen in Zeitungen angezettelt, sondern im Web 2.0 inszeniert (wie hoch ist der authentische Anteil an einem Shitstorm und wie hoch derjenige der Spindoktoren und des Astroturfings?). Der Bedeutungsverlust der Zeitungen liegt klar auf der Hand und ist nicht mehr umkehrbar.
Die Verwertungskette Verlag–Handel–Bibliothek–Verwertungsgesellschaften ist unauflöslich und stellt vor allem die Bibliotheken vor ein Problem, weil deren Nutzer immer stärker auf Online-Angebote schielen. Daher die Onleihe, daher der Ausbau von Katalogen, die Anreicherung von OPAC-Inhalten um Weblinks zu Wikipedia und die bibliothekseigenen Dienste von Munzinger über Brockhaus bis zu Oxford und Britannica, auch hierzulande. Die Ausleihzahlen steigen stetig, was aber vor allem auf den steigenden Bildungsgrad und die daraus folgende intensivere Nutzung zurückgeht. Daneben werden aber auch andere Quellen immer intensiver angezapft als bisher, und ob diese Konkurrenz zugunsten der Bibliotheken ausgeht, wenn sie sich hier nicht anpassen und verstärkt auch auf self-publishing achten, wird sich schon bald zeigen.
Paywalls sind unattraktiv, weil sie zu teuer sind. Ich nutze gerne Pressedatenbanken für die Recherche, aber für die Portale von einzelnen Zeitungen zahle ich nicht und werde das auch nicht tun. Es lohnt sich auch für die Verlage nicht: Selbst für die NYT zahlt sich online nicht aus. Auf die Idee, ein verlagsübergreifendes aktuelles Zeitungsportal anzubieten, kommen sie nicht. Für 15–20 Euro im Monat würde ich da vielleicht sogar Kunde werden. Europaweit gesehen, versteht sich.
Die Suchmaschinen und die kommerziellen sozialen Netzwerke sind zu einem second-level gatekeeper geworden. Die Intermediäre lotsen die Leser dorthin, wo es etwas frei zu lesen gibt. Wer sich hier ausblendet, wird eben nicht mehr gefunden und also auch nicht gelesen. Daher die beiden Strategien: Kooperieren oder die „Selbstbedienung“ von Google und Facebook als Nutzung deklarieren und ein Leistungsschutzrecht geltend machen. Im ersten Fall, der Digital News Initiative, verkaufen sich die Verlage an Google, denn was soll denn dort technisch anderes herauskommen, als eine Ansammlung an neuen Schnittstellen für die Inhalte, die sie produzieren? Kennen wir von Wikipedia: Wikidata als Interface für die Weiterverwendung von Wikipedia mittels Semantic Web, auch das ja finanziert von Google und mittlerweile durch das Einpflegen von Freebase faktisch eine Plattform, die von Google betrieben wird. Der ehemalige Projektleiter von Wikidata arbeitet jetzt bei Google. Im zweiten Fall, dem LSR, wird versucht, eine Art Wegelagerei zu betreiben, die, obwohl politisch unterstützt, nur scheitern kann. Punkt.
Es bleibt das Web. Das in großen Teilen kommerzialisiert worden ist – teils zog es sie, teils sanken sie hin. Legion sind die Interessenten für das „Geldverdienen mit Blogs“. Wirklich interessant ist daher nur noch, wohin die Reise führt, woher neue Impulse kommen, welche Autoren zu lesen, sich tatsächlich noch lohnt. In meinem Feedreader sind derzeit etwa 450 Feeds mit schnell wechselnder Zusammensetzung. Was mich enttäuscht, lösche ich zügig wieder, neue Autoren und Quellen nehme ich aber auch genauso bereitwillig auf. Ich habe es hier mit soviel Text und Podcasts zu tun, daß ich sie niemals vollständig lesen, hören oder ansehen können werde. Und das meiste davon habe ich ohne Suchmaschinen und soziale Netzwerke aufgefunden. Von wegen gatekeeper.
Die Zeit der verlegerisch und intermediär formierten Veröffentlichtheit ist endgültig vorbei. Wenn wir noch weiter über Journalismus und Verlage und deren Konflikte mit den kommerziellen Suchmaschinen und sozialen Netzwerken diskutieren, betreiben wir deren Geschäft. Das aber schon längst nur noch ein röhrender Hirsch ist, den sich die Rückwärtsgewandten übers Sofa hängen, während die Trends ganz woanders hin laufen, die Impulse ganz woanders her kommen.
Öffentlichkeit fragmentiert sich im Netz und organisiert sich ständig neu, täglich, wie mein Feedreader auch. Immer auf der Suche nach Besserem, nach Passenderem, und das gibt es ja auch zuhauf. Radikaler denken und radikaler handeln. Jetzt.
E-Book und Book-Book II
Ein weiteres Beispiel für die Kluft zwischen Netz und real life ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung für den weiteren Umgang mit E-Books, über den man heute im Börsenblatt lesen kann. E-Books werden demnach ab 2016 kraft gesetzlicher Regelung unter die Buchpreisbindung fallen. Eine Ausnahme soll es weiterhin für Flatrate-Modelle geben, bei denen Texte gegen ein pauschales Entgelt nur zeitweise zum Zugriff angeboten werden. Der Unterschied dürfte den meisten Benutzern gleichgültig sein, weil sie E-Books sowieso höchstens einmal lesen werden. Der Markt konsolidiert sich auch derzeit.
In der Zugangsgesellschaft
Während sich die TU Darmstadt vor dem Bundesgerichtshof gegen den konfliktlustigen Eugen Ulmer Verlag weitgehend durchgesetzt hat (via Inetbib), bietet JSTOR seinen zahlungskräftigen Kunden neuerdings einen „unbegrenzten, DRM-freien Zugriff“ auf seine E-Books: Herunterladen, drucken und kopieren ohne irgendwelche Schranken (via LIBLICENSE). Erinnert an die Musikindustrie, die auch irgendwann DRM aufgab. Der nächste logische Schritt wäre es, die Onleihe anzugehen und hier auch nach neuen Wegen zu suchen und Spielräume zu erkunden. Während sich ebenfalls bei LIBLICENSE, eine Diskussion über die Zukunft des Buchs findet: Sie dreht sich eher um sein Wesen – ist es linear aufgebaut oder eher ein komplex komponiertes Ensemble, das der Leser bei der Lektüre sich erst zusammensetzen muß? Was durch die derzeitigen digitalen Formate eher erschwert denn erleichtert wird?
Radfahren, um zu lesen
Gestern beim Joggen gesehen: Eine schon etwas ältere Dame überholt mich auf ihrem Fahrrad. In der rechten Hand, die sie von oben auf den Lenker drückt, hält sie ein Buch. So fuhr sie lesend, aber aufmerksam und routiniert durch den Wald.