Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse 2024
Die Frankfurter Buchmesse war für mich eigentlich schon immer ein Fixpunkt im Herbst, um den herum ich mir ein paar Tage freihielt. Mittlerweile verstehe ich auch, warum mir das Gewusel in den Messehallen nicht so liegt, es ist in jeder Hinsicht für mich einfach too much, aber die Bücher ziehen mich eben immer wieder dorthin, das Verlagswesen, die Büchermenschen, und auch: Kultur und Information als Ware, et les incontournables, bien sûr. Und die Trends, die man dort sehr gedrängt beobachten kann, wenn man längerfristig am Ball bleibt und immer wieder kommt. So also diesmal auf ein Neues. Nach mehreren Jahren Pause, erst coronabedingt, dann beruflich bedingt und auch gesundheitlich bedingt. Eine sehr komprimierte, gezielte Stippvisite in den Messehallen hatte ich mir vorgenommen. Und das ist mir auch gelungen.
Von der Stadt her kam ich also diesmal mit der U-Bahn, nicht mit der S-Bahn. Kein Gedränge wie früher. Keine Schlangen am Eingang. Sogar der Sicherheits-Check ist teilweise automatisiert worden. Ich erhalte grünes Licht und darf direkt hinein.
Die Messekarte kommt zwiefach gefaltet in einen hellbraunen papierenen Rahmen, der an einem dunkelblauen Lanyard hängt. Keine Plasikhüllen mehr. Die Buchmesse ist ja so grün geworden. Die Pressemappe spricht von Nachhaltigkeit. Auch am börsenverein-roten Teppich haben sie gespart. Früher waren alle Hallen vollständig damit ausgelegt, und nach fünf Tagen wurde er dann komplett weggeworfen. Diesmal haben sie nur die Hauptwege damit markiert. Gut so, das reicht völlig und ist eine Reminiszenz an früher, die sicher auch bald verzichtbar erscheinen wird. Drumherum ist blanker schwarzer Betonboden: Weiche Gummisohlen waren also eine gute Wahl für dieses Gelände.
Ich beginne mit dem Ehrengast. Italien wird derzeit von Rechtsextremisten regiert, dementsprechend ist der Buchmesse-Auftritt geraten. Er ist freilich umstritten, weil kritische Autorinnen und Autoren ferngehalten wurden. Antonio Scurati verglich die Indoor-Piazza (FAZ) auf einem Podium mit einem Beerdigungsinstitut. Im ganzen ist sie aber ähnlich beliebig und seltsam wie die meisten Ehrengast-Pavillons, die man in den letzten Jahren in Frankfurt so sah.
Also weiter zu Halle 3.1, die Bildung. Wer gerne gedruckte Bücher sieht und in ihnen blättert, ist hier und ebenso in den anderen Hallen mit den großen deutschen Verlagen richtig. Denn später, vor allem in Halle 5.0, aber auch in der Wissenschaft (4.0) merkt man, dass wenig Gedrucktes nach Frankfurt geschickt wurde.
Der Thieme-Verlag erklärt auf einem Wandtext, er wolle damit verdeutlichen, dass man den digitalen Wandel voranbringe. Wo früher hunderte Bücher standen, kommt man heute mit etwa einem Dutzend aus. Und der Rest sind Daten.
Die Stände haben sich insgesamt verändert. Sie sind wieder ein bisschen größer geworden als bei meinem letzten Besuch, aber sie sind doch alles in allem sehr sparsam ausgestattet mittlerweile. Ein paar kleine Tischchen, am Empfang liegen eine Handvoll Kugelschreiber oder Bleistifte bereit. Und das reicht ja auch völlig. Die Materialschlacht früherer Zeiten ist vorbei. Man glaubt den Verlagen, dass es die Bücher gibt, sie müssen nicht mehr hergezeigt werden, um ihre Existenz zu beteuern. Das Geschäft läuft überall gut und unauffällig. Aber es läuft eben auch an anderen Orten, die Gespräche zeigen es deutlich. Ärgerlich ist da schon eher, dass man auch am Haupt-Fachbesuchertag kaum verbindliche Auskünfte bekommt. Aushilfspersonal überschneidet sich mit Mauerpolitik und einer strengen Tür. Dabei beiße ich doch gar nicht. Ich bin nur bibliophil. Tell me more.
Man ist eher hier, um Präsenz zu zeigen. Am deutlichsten ist das vielleicht bei den französischen Verlagen. Ich stehe vor dem Stand der Gallimard-Gruppe. Man merkt es kaum, so zurückgenommen ist das Design. Die Bücher sind auf den Regalen hinten fast schon versteckt, damit sie bloß keiner anfasst beim Vorbeigehen. Neuerscheinungen? Darüber informiert man sich besser bei der « Grande Librairie » direkt in der Mediathek von france.tv oder bei « Le masque et la plume » auf France Inter. Ein Messebesuch lohnt sich dafür nicht mehr so richtig. Das war mal anders. Hier ist viel von dem Flair der romanischen Halle, wie ich sie immer nannte, verloren gegangen. Auch nur wenige Aussteller aus Südamerika. Argentinien, Chile. Ehrengast Italien, freilich.
Stände von Bibliotheken? Fehlanzeige. Klar. Was haben Bibliotheken auch mit Büchern zu tun.
Stände vom Rundfunk? Der Deutschlandfunk talkt wie eh und je in 3.1 live vor Publikum. Ich erfahre, dass die drei Programme Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova sage und schreib 54 Cent pro Monat Rundfunkbeitrag kosten. Unvorstellbar. An machen Tagen höre ich nichts anderes. Kultursender sind für mich unverzichbar, und ich frage mich, wofür der Rest meiner Rundfunkbeiträge ausgegeben wird, die ich übrigens gerne zahle.
Das Blaue Sofa ist endgültig von der Messe verschwunden und findet jetzt nur noch in der Deutschen Nationalbibliothek statt im Rahmen von Open Books, während die Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat ein ziemlich angenehmer Platz geworden ist, verglichen mit dem alten Standort zwischen den Hallen 5 und 6 draußen aufm Gang. Man kann den Gesprächen überraschend gut folgen, und zumindest bei den beiden Slots mit Armin Nassehi und Nora Bossong gab es auch etwas zum Zuhören und Mitnehmen. Auf Bossongs Roman „Reichskanzlerplatz“ bin ich gespannt.
Ich habe sie wiedererkannt, die Frankfurter Buchmesse, und es war schön, mal wieder dabei sein zu können. Gerne wieder nächstes Jahr. Wenn sie auch immer kleiner wird. Was aber vor allem daran liegt, dass sich das Geschäft mit den Büchern verändert hat. Inflationsbereinigt geht der Umsatz in der Buchbranche bergab, in Deutschland und Europa. Neuerscheinungen bei Sachbuch und Wissenschaft haben die 30-Euro-Marke geknackt, das E-Book liegt knapp darunter.
Mein Soundtrack in diesen Tagen war übrigens May Ninth von Khruangbin auf single repeat, stundenlang. Alles wird sehr, sehr gut.
Und da war noch was: In Maren Kames' „Hasenprosa“ gibt es mehrere Sätze, die wirklich rocken. Lesen! Lesen! Lesen!
(K)ein Bericht von der Frankfurter Buchmesse 2020
Meine Berichte über die Frankfurter Buchmesse reichen bis ins Jahr 2009 zurück, meine Besuche noch viel länger. Die Eindrücke, die ich dabei gesammelt hatte, waren für mein Verständnis des Medienwandels prägend. Es war stets eine riesige Inszenierung, in der die alte Medienwelt für eine Woche noch einmal reproduziert wurde, mit Hörfunk und Fernsehen, die Zeitungen waren auch alle da, und überhaupt: Bücher. Die Buchverlage. International. Gedruckt. Merkwürdig, als sie E-Book-Reader ausstellten. In einem Regal. Und mich dann fragten, ob mir das Layout auf dem Reader gefalle.
Aber es wurde dann auch deutlich: Von Jahr zu Jahr fiel es schwerer, das Produkt „Buchmesse“ noch einmal zu erzeugen, wie man es kannte. Die Hallen wurden immer leerer. Schließlich wurden ganze Hallen unter Vorwand aufgegeben. Wo früher der Platz knapp war, wurde zwischenzeitlich der Raum verschenkt, damit es nicht so auffiel, wie alles schrumpfte. Beispielhaft: Die auffällig kleinen Stände von Springer Nature oder DeGruyter im letzten Jahr. Der Messebetrieb verschwand mehr und mehr aus den Hallen, der Rechtehandel wuchs dagegen kräftig. Wer das nicht vor Ort beobachten konnte, sondern nur die Berichterstattung in den Massenmedien sah, merkte davon allerdings weniger. Die Inszenierung „Buchmesse“ wurde stabil gehalten. Es bestand ein Interesse daran, dass es so blieb.
Als es auf die diesjährige Ausgabe zulief, herrschte business as usual. Die Pressemappe kam herein. Der Ausblick auf die nächsten Gastländer. Whitepapers wurden verteilt. Und dann kam Corona. Und die Leipziger Buchmesse wurde abgesagt. Und wir gingen alle ins Homeoffice. Auch der Internetauftritt des Börsenblatts wurde aus dem Homeoffice neu gelauncht. Angeblich deshalb fehlt die Suchfunktion dort bis heute. Und auch der RSS-Feed wurde nicht ordentlich eingebaut, so dass man ihn auch in der Adresszeile des Webbrowsers angeboten bekäme. Kein Kommentar zum Print-Stylesheet. Warum das aus dem Homeoffice nicht möglich sein sollte, entzieht sich derweil einer Begründung. Dann kam ein trotziges „Erst recht!“ aus Frankfurt. Bis man merkte, dass es gar nicht an den Organisatoren bei der Messe liegen würde, ob es eine Buchmesse geben würde. Wenn unter den bestehenden Umständen niemand mit vertretbarem Aufwand anreisen und arbeiten kann, stellen sich keine weiteren Fragen über eine Präsenzveranstaltung der bisherigen Größenordnung mehr. Also nur noch online. Von einer Insolvenz des ganzen Betriebs war bisher noch nicht die Rede, aber von einem „Millionenverlust“ sprach man. Vorsorglich.
Wie wackelig die Orga war, ahnt man anhand der Blogger Relations. In den neu gefassten Akkreditierungsrichtlinien hieß es im April noch:
NEU: Wir akzeptieren ab 2020 nur noch Blogger*innen mit mindestens 2500 Followern pro Kanal und lehnen Facebook-Seiten als alleinigen Nachweis ab.
Abgesehen davon, dass Blogger keine Follower zu haben pflegen, sondern Leser und Abrufe, merkte man viel zu spät, dass man in der PR der Buchmesse die Blogger gar nicht mehr über ihre Blogs, sondern nur noch über deren Ableger in den Sozialen Netzwerken wahrnahm. Und nun begann in letzter Minuten ein Umsteuern, denn, so Juergen Boos in der Online-Pressekonferenz, man brauche die Blogger doch. Also Kommando zurück:
NEU: Wir akzeptieren ab 2020 nur noch Blogger*innen mit mindestens 1000 Followern pro Kanal und lehnen Facebook-Seiten als alleinigen Nachweis ab. Diese Vorgabe gilt nicht für klassische Blogs (z.B. Wordpress) sondern NUR für die Akkreditierung mit einem Social-Media-Account, z.B. mit Instagram, Twitter, YouTube oder TikTok.)
Nehmen wir einfach mal an, dass ein einfaches Bibliotheksblog ein „klassisches“ Blog in dem vorstehenden Sinne ist. Weder die schneeschmelze noch den albatros gibt es schließlich auf TikTok und Co. Aber wenn alles nur noch im Netz stattfindet, braucht sich auch niemand mehr zu akkreditieren. Der Zweck der Akkreditierung bestand schließlich darin, die Pressekarte zu erhalten, um Zutritt zur Messe an allen Tagen zu haben. Wahrscheinlich haben sich das noch mehr gedacht, denn in der abschließenden Pressemitteilung der Buchmesse werden zum ersten Mal keine Zahlen mehr über die akkreditierten Pressevertreter und Blogger genannt. Es gab keine.
War da überhaupt etwas? Die Fachbesucherveranstaltungen, waren zwar frei abrufbar, nach Anmeldung, sie liefen aber während der Arbeitszeit, die nicht so ohne weiteres für jeden freigegeben wurde. Der einzige für mich interessante Beitrag wäre ein Vortrag der Direktorin der finnischen Nationalbibliothek zu Open Science gewesen, gefolgt von einem Input von DeGruyter zum Verlagsgeschäft in den Geisteswissenschaften. Aber dafür die Arbeit unterbrechen? Ich ließ es gut sein.
Zumal die Buchblogger ebenfalls auf dem Rückzug sind. Zuletzt nachzulesen beim Buchrevier und bei den Lesestunden. Sie sind einfach müde geworden.
Und das „Bookfest digital“ erreichte mich vor allem auf YouTube. Aber da ging es auch wieder vollständig unter, soviel wird dort gestreamt seit März… man ist dessen doch mittlerweile überdrüssig.
Wir sehen vor uns die Buchbranche bei dem Versuch einer nachholenden Digitalisierung. Während der Buchhandel noch immer hauptsächlich vom stationären Geschäft lebt, schwärmen die Verlage und einige Journalisten immer noch vom alten Messegeschehen, wie es früher einmal war. Das wird es aber nie mehr geben. Dass das neue digitale Modell noch nicht funktioniert, kann über das Wegbrechen des alten nicht hinwegtäuschen.
Das Alte funktioniert nicht mehr, aber das Neue funktioniert noch nicht.
Das gilt übrigens auch für die Bibliotheken. Die Ausleihe der Frankfurter UB schließt noch immer montags bis freitags um 18 Uhr. Wohl dem, der früh genug Feierabend hat, um noch rechtzeitig den Weg dorthin zu finden.
Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse 2019
Nachdem ich letztes Jahr nicht dabei war, diesmal also wieder einmal die Buchmesse. Was hat sich verändert im Vergleich zu früher, wo liegen die Trends?
Die Frankfurter Buchmesse schrumpft. Als ich zum ersten Mal dorthin kam (dazu hatte ich damals noch nicht gebloggt, meine Eindrücke gehen nur bis ins Jahr 2009 zurück), erstreckte sie sich fast über das ganze Messegelände. Die Halle 8, früher ganz in angelsächsischer Hand, war dann schon 2015 aufgegeben worden. Vergangenes Jahr zog das Blaue Sofa von dem Durchgang zwischen Halle 5 und 6 weg und belegt seitdem einen erheblichen Teil der Halle 3.1. Dort war früher der Deutschlandfunk in einer kleinen Insel beheimatet, heute ist es eine Bühne wie bei den großen Zeitungen geworden. Nächstes Jahr sollen dann die Sanierungsarbeiten an den Hallen 5 und 6 weitergehen, und dann reicht bei der geringen Nachfrage die ganz kleine Halle 1, die während meiner Zeit noch nie genutzt worden war, für die Auslagerung völlig aus. Wenn das so weitergeht, hat die ganze Buchmesse in wenigen Jahren bequem in einer Hutschachtel Platz.
Wie wirkt sich das aus? Wo weiland aus- und einladende regelrechte Stand-Landschaften platzgreifend zu sehen waren, traut man seinen Augen nicht. Springer Nature auf etwa einem Drittel der Fläche von früher, DeGruyter noch kleiner. Juris war gar nicht erst da. Google übrigens auch nicht (nach über zehn Jahren, erst für Google Books, dann für Google Play). Aber Scientology – die Geschäfte gehen offenbar gut. Die Bildungsverlage in Halle 4.2 waren nur noch ein Schatten dessen, was es da mal gab. Wikipedia kam dieses Jahr auch nicht mehr, jedenfalls nicht mit einem Stand, Wikipedianer waren natürlich vor Ort, wie man an den hochgeladenen Bildern auf Wikimedia Commons sehen kann. O'Reilly war durchaus da, man denkt an die Buchreihen, schön ausgestattet, aber nur das Online-Learning war gekommen, und nur O'Reilly U.K. „Thank you, I will hand on your card to a colleage.“ Zurück zu Springer Nature: „Reicht Ihnen die Fläche?“ – „Ja, doch.“ Nicht nur weniger Tische für Vertragspartner, auch weniger Standpersonal wird gebraucht. Und es wird auch weniger verschenkt. Keine Papiertüten mehr, sondern nur noch Stoffbeutel. Bleistifte, Kugelschreiber und Blöcke kriegt man am besten beim Rundfunk.
Überhaupt füllen Hörfunk- und Fernsehsender nicht nur frei gebliebene Flächen aus, wo früher Buchverlage ihre Ware feilboten. Sie sorgen auch dafür, dass die Daheimgebliebenen ein Bild von der Messe zu sehen und zu hören bekommen, das mit dem tatsächlichen Geschehen vor Ort nur noch wenig zu tun hat, denn man könnte meinen, es sei alles wie früher, immer noch der Büchermarkt im Deutschlandfunk live von der Frankfurter Buchmesse – ist es aber nicht. Die früher mittleren Stände sind heute kleine, manchmal ganz kleine. Und Langenscheidt und Pons gibts an einem halb gelben, halb grünen Stand zu sehen. Patchwork. Von zwei früher einmal konkurrierenden Verlagen sind nur noch zwei Marken geblieben, die beide Klett gehören und deren zukünftiges Profil ungewiss ist.
Interessant, dass der Internet-Radiosender detektor.fm sich zu seinem zehnjährigen Bestehen auf den eigenen Roll-ups als „Podcast-Radio“ bezeichnet. Vom Podcast wieder zurück zum Livestream? Antizyklisch denken, in Zeiten, in denen der Podcast boomt? Scheint so, verspricht aber auf Nachfrage auch bessere Auffindbarkeit der meist höherwertigen Beiträge im linearen Programm. Am besten laufe der Brand-Eins-Podcast mit einer gerade sechsstelligen Zahl an Abonnenten. Merke: Blogs und Podcasts sind Nische. Aber diese Nische ist so groß, dass mancher Kultursender versunsichert aufblicken dürfte.
Die Gastland-Halle von Norwegen war etwas merkwürdig. Weißer Plastikboden, als wäre es Schnee. Zu zwei Seiten, links und rechts vom Eingang her gesehen, durch riesige Spiegel scheinbar ins Unendliche erweitert, und zentral an der hinteren Wand eine etwas zu große Bühne, auf der Interviews geführt werden. Dazwischen immer wieder kleine Bücher-Inseln, als wären es Kostproben, aber die Stimmung ist viel zu unkonzentriert, als dass man diese Häppchen zu sich nehmen könnte. Man flottiert zwischen diesen Inseln und geht am Ende ungefähr so hinaus, wie man hereingekommen war. Immerhin: An der Theke mit Infomaterial gibt es einen kleinen, aber schön gestalteten Prospekt der norwegischen Nationalbibliothek.
Die Frankfurter Bloggerin und Journalistin Andrea Diener erzählte einmal in einem Podcast von einer Redaktionssitzung bei der FAZ, bei der Marcel Reich-Ranicki über die Buchmesse gesagt haben soll: „Das ist eine Verkaufsveranstaltung, damit habe ich nichts zu tun!“ Deshalb sei sie dann am Ende dorthin geschickt worden. Nachdem die Buchmesse-Zeitung eingestellt worden war, bloggte sie seit 2014 bei der FAZ über die Messe, aber das schenkt sich die Zeitung dieses Jahr zum ersten Mal. Das Buchmesse-Blog der FAZ gibt es nicht mehr. Vielleicht auch das ein Zeichen – für die Rolle von Blogs, die Rolle der kommerziellen Blogs der Zeitungsverlage oder für die Buchmesse? Diese alte Welt, die gerade vor unseren Augen untergeht?
Keine Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse 2018
Nach mehreren Jahren konnte ich die Messe dieses Jahr leider nicht besuchen. Aber man verfolgt natürlich schon, was man so vorfindet im Netz, die „Narrative“ von den sechs Millionen verlorenen Buchkäufern über die letzten etwa fünf Jahre hinweg und von dem fehlenden Verlegernachwuchs und so weiter.
Die Verlagsbranche sucht nach ihrer Postwachstums-Strategie. Wenn man der New York Times glaubt, ist das ein Gemischtwarenladen, eine Buchhandlung im Hessischen ersetzt den Bäcker und den Metzger im Ort und reagiert damit auf den Umsatzrückgang bei den Büchern.
In Publishers Weekly kam die Nachlese schon am Freitagabend: Alles im grünen Bereich, stable for a fourth-straight year—a sign that the fair has found solid footing again after attendance declines in the recession-challenged years following the 2009 event. Ja, da war was, wenn es jetzt noch weiter geschrumpft wäre, wäre bald kaum noch was übrig, was den ganzen Bohei noch rechtfertigen könnte.
Während andere linke Verlage auf der Buchmesse waren, hielt sich Konkret dem teuren Trubel fern – und rang wegen einem Titelbild mit dem Presse-Grosso – anscheinend erfolgreich. Erfahrungen, die sonst nur Titanic trafen – aber das ist schon eine Weile her. Sonneborn aktualisiert derweil lieber einen Auftritt, den es Anfang der 1970er Jahre auf der Messe gab, als zuletzt jemand mit einer alten Uniform in Frankfurt unterwegs war. Das Originalfoto war bis heute in der Ausstellung mit Aufnahmen von Inge Werth aus der Zeit um 1968 im Frankfurter Museum Giersch zu sehen.
Und First Monday brachte rechtzeitig eine Themenausgabe zum digitalen Lesen – sehr zu empfehlen, im Anschluss an die Diskussion vom letzten Jahr.
Mal schauen, worum es im kommenden Jahr gehen wird.
Wählerischer sein
In Halle 4.2 gab es gestern auf der Frankfurter Buchmesse üble Szenen: Auf einer Veranstaltung eines neurechten Verlags traten Vertreter von rechten Parteien und sonstigen Gruppierungen auf; Demonstranten störten die Veranstaltung, so dass diese abgebrochen wurde; und dann kam es nicht nur zu Wortgefechten und Spruchchören gegeneinander, sondern auch zu Handgreiflichkeiten. Die Polizei stellte sich zwischen die beiden Gruppen; es heißt aber auch, sie hätte sich geweigert, Strafanzeigen gegen rechte Gewalttäter aufzunehmen und deren Personalien aufzunehmen. Der Direktor der Buchmesse Jürgen Boos mitten in dem Trubel, auf einem Video auf Twitter war zu sehen, wie ihm ein Megaphon von dem Veranstalter des Podiums weggeschlagen wurde, so dass er nicht sprechen konnte.
Abends um 22 Uhr schob er gemeinsam mit dem Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Alexander Skipis ein windelweiches Statement hinterher, man wende sich gegen jede Form von Gewalt, weil sie dem Austausch von politischen Positionen entgegenstehe.
Heute morgen gab es dazu vor allem drei Reaktionen:
Enno Park verglich die Pressemitteilung der Buchmesse auf Twitter mit den selbstentblößenden Aussagen, die gerade aus Amerika zu hören waren:
Wie Trump nach Charlottesville.
Der Deutschlandfunk-Büchermarkt-Redakteur Jan Drees bloggt und spricht einen Kommentar, der größtenteils aus einem Zitat aus einer Neuerscheinung zum Thema besteht, das endet:
„…Und irgendwann werdet ihr natürlich auch auf Nazis stoßen. Da könnt ihr gerne weggucken, eure Sache. Aber verkauft uns das dann bitte nicht als ‚deutsche Geschichte‘. Aus der kann man doch die Verbrechen der Deutschen nicht einfach abziehen wie einen unbequemen Bilanzposten.…“
Und Margarete Stokowski entwirft im taz-Buchmesseblog eine alternative Pressemitteilung, die sie gerne gelesen hätte:
„Die Frankfurter Buchmesse lebt von der Vielfalt der Meinungen und ist ein Ort des freien Dialogs. Das ist die unveränderliche Haltung der Frankfurter Buchmesse und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Wir haben in der Vergangenheit und auch in diesem Jahr versucht, dieser Haltung zu entsprechen, in dem wir auch Aussteller der Neuen Rechten auf dem Messegelände zugelassen haben, und gehofft, damit einen freien Dialog zu befördern. Dies erscheint uns angesichts der aktuellen Lage nicht mehr aussichtsreich. Nun, da es auf mehreren Veranstaltungen von Verlagen der Neuen Rechten zu Handgreiflichkeiten kam, haben wir uns entschieden, ein klares Zeichen zu setzen. Wir werden in Zukunft keine Aussteller mehr zulassen, die dem Milieu der Neuen Rechten zuzurechnen sind. Die Frankfurter Buchmesse soll eine Veranstaltung sein, auf der Hass keinen Platz findet – auch im wörtlichen Sinne. Für Vielfalt einzustehen bedeutet nicht, allen Positionen Raum zu geben, auch wenn sie menschenfeindlich sind. Vielfalt muss vor denjenigen geschützt werden, die sie bedrohen. Hier auf dem Messegelände treffen 7.150 Aussteller aus 106 Ländern auf rund 278.000 Besucher und 10.000 akkreditierte Journalisten. Sie alle sollen sich sicher sein, dass die Frankfurter Buchmesse kein Ort für Rassismus und völkisches Denken ist, sondern ein Raum für freien Austausch. Wir wünschen allen Verletzten eine baldige Genesung und werden in Zukunft alles in unserer Macht Stehende tun, um gewalttätige Auseindersetzungen auf der Frankfurter Buchmesse zu vermeiden.“
Und wer hat gestern abend über all das direkt berichtet? Die Frankfurter Rundschau war vor Ort und der Hessische Rundfunk auch, beide brachten Beiträge mit mehreren Updates, gut recherchiert, denn hier wurde nachgefragt und nicht einfach nur alles mögliche von Twitter übernommen, was da so herumschwirrte. Der hr übernahm den Beitrag auch als Aufmacher auf dem Buchmesse-Portal der ARD. Bloß die Tagesschau berichtete nicht: In der 20-Uhr-Ausgabe, zwei Stunden nach dem Ereignis – kein Wort darüber. Und auch die in Bücherfragen sonst so rührige FAZ beließ es bei einer dpa-Meldung und ein paar Fotos aus dem Ticker. Deutschlandradio Kultur brachte eine eigene Meldung in den Kulturnachrichten.
Es gibt nicht viele Medien, wo samstagsabends noch ein Redakteur zu finden und auch willens ist, etwas über solche Einschnitte zu bringen. Man merkt aber auch, dass hier zwei Spielarten des Journalismus aufeinanderstoßen. Man kann über die Welt da draußen schreiben oder sich selbst zu einem bloßen Teil der Inszenierung eines Events machen. Es lohnt sich, auch insoweit wählerischer zu sein beim eigenen Medienkonsum. Und natürlich auch bei der Frage, wen man auf eine solche Messe einlädt und dort gewähren lässt.
Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse 2017
Von der Sicherheit war viel die Rede im Vorfeld dieser Buchmesse. Bis hin zu der Empfehlung, keine Rücksäcke und keine Rollkoffer mitzubringen, denn alles werde gefilzt werden am Eingang, was zu langen Schlangen an demselben führen könne. Die Aufforderung hat nicht viel Eindruck gemacht, offenbar, denn natürlich kommen alle, wie immer, mit ihrem Gepäck – wie denn auch sonst soll man das stundenlange Herumlaufen in den trotz Wegwerfteppich so unwirtlichen Hallen noch ertragen, wo ein halber Liter Leitungswasser im Wegwerfpack für drei Euro verkauft wird.
Überhaupt: Der Andrang an Besuchern. Mit dem ist es nicht so weit her wie gewünscht. Bei mittäglichen Gang von Halle 4 in Halle 3 waren wir doch recht einsam auf dem schnieken Laufband unterwegs. Es war so leer wie noch nie auf der Messe, und ich komme seit etwa zehn Jahren hierher.
Eine Branche im Abbau ist zu besichtigen. Der Umsatz konnte nur durch Preiserhöhungen aufgefangen werden; der Rückgang ist also bereinigt durchaus vorhanden, möchte man den Branchenjournalisten zuraunen. Eine Branche, die sich in die Eventisierung flüchtet, so war zu lesen, um ihren gesellschaftlichen Bedeutungsverlust zu kontern. Das gelingt, und die Bücher, die in den großen Verlagen produziert werden und dann durch die Verwertungskette Buchhandel, Bibliothek und Antiquariat durchgereicht werden, sind immer noch gern genutzte Aufhänger, an denen sich der Journalismus abarbeitet, um damit ganze Kulturteile zu füllen mit Kritiken und Autoreninterviews, das ganze Jahr über. Die Digitalisierung fand statt – und doch nicht, jedenfalls nicht so, wie es vorhergesagt worden war. Das E-Book ist bis heute eine Randerscheinung geblieben. Der allergrößte Teil des Marktes besteht weiterhin aus gedruckten Büchern, und so hat es auch eine gewisse Berechtigung, dass das Mainzer Gutenberg-Museum wieder seinen Namensgeber an der Druckerpresse auffährt, wo es immer noch zugeht wie vor fünfhundert Jahren.
Aber dem Buch an sich brechen die Leser weg, sagte die Ex-FAZ-Journalistin und Piper-Verlegerin Felicitas von Lovenberg gerade in einem Interview im Handelsblatt. Es ist also nicht nur eine Frage des Absatzes, der Einnahmen oder des Umsatzes oder wie man es sonst betriebswirtschaftlich bezeichnen möge, es ist ein tiefgreifender und kaum wieder umkehrbarer Medienwandel, der dazu geführt hat, dass Bücher weitaus weniger beachtet werden, während Fernsehserien aus dem amerikanischen Pay-TV auch schon mal in der U-Bahn besprochen und zitiert werden – wenn man die Ohren für sowas offen hält.
Andererseits die schwierige wirtschaftliche Lage vor allem der kleinen Verleger, die Christoph Links in den Frankfurter Heften zusammengefasst hat.
Der Medienwandel wird greifbar. Er ist hier zu besichtigen, Jahr für Jahr.
Es ist ein bisschen wie bei den Pressekonferenzen in den Museen, wo durch die Zusammenlegung der Redaktionen über die Jahre immer weniger Journalisten kamen, so dass sie schließlich auch die Blogger einluden – nicht weil sie verstanden hätte, was diese tun, aber weil die renommierten Häuser gerne eine ansehnliche Zahl an Schreibern um sich scharen, wenn sie sie rufen. Im Fall der Buchmesse sind es die Verlagsfusionen, die mittlerweile doch auffallen. Wo weiland doch immer wieder mittelständische inhabergeführte Verlagshäuser zwischen den großen Playern auftauchten, sehen wir heute sogenannte Gruppen, also beispielsweise die Westermann Gruppe, die eine Handvoll Schulbuchverlage als Marken verwaltet und deren Produkte feilbietet. Im naturwissenschaftlichen Bereich fällt die Übernahme des Schattauer Verlags durch den ebenfalls in Stuttgart ansässigen Thieme Verlag auf. Wieder einer weniger.
Und alles so englisch heute hier, auch wo man es gar nicht erwartet hätte. In der Wissenschafts- und Bibliotheks-Halle, okay, da mag es angehen. Aber auch in den anderen Hallen wurden die Aussteller bunt gemischt, und es kann schon mal vorkommen, dass man von der Seite in amerikanischem Englisch wie selbstverständlich gefragt wird, ob man sich für Kinderbücher interessiere?
Auch der Bildungsbereich, kaum wiederzuerkennen, so klein, so international. Schon vergangenes Jahr war viel Luft zwischen den Ständen, dieses Jahr ist es eher noch ein bißchen mehr geworden.
Der Brockhaus, der vor zwei Jahren rein online wiederauferstanden war und der im letzten Jahr den Eintritt ins Schulbuchgeschäft verkündet hatte, fehlt diesmal vollständig. Die Messe wird offenbar nicht benötigt, um die Zielgruppe zu erreichen. Und man verspricht sich davon anscheinend keinen zusätzlichen Nutzen mehr. Viele öffentliche Bibliotheken bieten den Zugriff auf die Enzyklopädie mittlerweile an. Das neu hinzugekommene Kinder- und Jugendlexikon und die Kurse für Schüler zum Selbstlernen werden dagegen noch selten hinzugekauft. Zu teuer für die meisten Bibliotheken, in unserer Gegend kam deshalb leider kein Konsortium zustande.
Dafür ist Wikipedia dieses Jahr vor Ort, in Halle 4.2 am Stand A58, ziemlich hinten am Rande platziert, aber gut zu finden dank großem Wikipedia-Ball, der auf diese Wand projiziert wird, wo sich die Hallengänge kreuzen. Deutsche und französische Wikipedianer haben sich hier versammelt, um, passend zum Gastland Frankreich, an Artikeln zur Deutschland und Frankreich zu basteln. Ein portables Fotostudio bietet Gelegenheit, Autoren und weitere Prominente zu fotografieren, um deren Artikel zu bebildern.
Wer fehlte noch? Größere Zeitungen, den Spiegel und den Freitag habe ich nicht bemerkt, aber vielleicht habe ich sie übersehen.
Dafür viel Politik. Der Rechtsruck in der Gesellschaft macht sich bemerkbar, und die Buchmesse reagiert darauf. Sie gibt der Neuen Rechten durchaus ein Forum, indem sie sie ausstellen läßt, aber sie platziert den Stand der Jungen Welt neben den der Jungen Freiheit, und der Antaios Verlag ist schräg gegenüber von der Amadeo Antonio Stiftung. Die Bürger wehren sich dagegen, dass die Rechte auf diese Weise ein Forum für ihre Positionen und für ihre Texte bekommt. Buchmesse gegen Rechts sammelt Unterschriften für eine weltoffene Buchmesse und gegen eine Bühne für rechte Propaganda, und am Orbanism Space lagen Lesezeichen für Respekt und für Gutmenschen aus mit dem Hashtag #verlagegegenrechts. Can Dündar war anwesend unter Applaus, als heute mittag der Raif-Badawi-Preis der Friedrich–Naumann-Stiftung Ahmet Şık verliehen wurde, einer der vielen Journalisten, die derzeit in der Türkei in Haft sind. Dazu passend auch das neue Buch von Naomi Klein, die bezogen auf die Entwicklungen in den USA, zu Maßnahmen gegen die Politik Donald Trumps aufruft. Dagegen kaum Politiker auf der Messe.
Zum Abschluss aber noch einmal ein Blick auf die Diskussion über das digitale Lesen. Auch sie auf Englisch, natürlich. How does reading work? A debate on the impact of digital on reading hieß das Panel, das am Nachmittag in Halle 3.1 an Stand B33 im Kulturstadion im Bildungsbereich stattfand. Zwei Wissenschaftler – Anezka Kuzmicova von der Universität Stockholm und Adriaan van der Weel von der Universität Leiden –, Jens Nymand Christensen, ein Mitarbeiter der EU-Kommission, und der Moderator Ruediger Wischenbart unterhielten sich über Probleme, Desiderate und Forschungsergebnisse zum Thema Lesekompetenz und ganz besonders zum Einsatz von gedruckten Schulbüchern im Vergleich zu digitalen Lehrbüchern. Die Ergebnisse, um die es dabei ging, waren vor kurzem auf einer Tagung in Vilnius vorgestellt worden; am Montag dieser Woche hatte die FAZ darüber berichtet – der Beitrag ist hier zu lesen, und auch in El Pais wurde darüber berichtet.
Dabei war die Kehrseite des oben angesprochenen Wegbrechens der Leserschaft zu bemerken: Die Lesefähigkeit nimmt in der EU spürbar ab, und das dürfte nach Ansicht des Podiums zumindest auch mit dem Wandel von Print zu Online zu tun haben. Betroffen sind vor allem die schlechter gestellten Schichten, Lesen zu können ist also in allererster Linie eine soziale Frage, aber nicht nur. Und Lesen können heißt Denken können. Erst das vertiefte Lesen helfe, grundlegende Kompetenzen zu entwickeln, die für das Verstehen von Narrativen und weiteren komplexen Zusammenhängen unabdingbar seien. Ein Nebeneffekt sei, dass man beim deep reading die Konzentrationsfähigkeit entwickle und erhalte. Man war sich aber einig, dass man bei der Frage, wie sich Print- und Onlinemedien auf das Lernen auswirkten, allemal Neuland betrete, was vor allem den Lehrern zu schaffen mache, weniger den Schülern.
Man empfahl vor allem, für das grundlegende Lernen gedrucktes Material zu verwenden und erst zum weiteren Arbeiten digitale Medien und Geräte einzusetzen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen verhinderten audiovisuelle Inhalte, dass sich die Vorstellungskraft herausbilden könne. Zum anderen seien Bildschirme sehr stark mit Unterhaltung und Zerstreuung und weniger mit Konzentration konnotiert, so dass auch bei nüchterner Aufbereitung des Materials bestimmte Erwartungen angestoßen würden, die die Wahrnehmung negativ beeinflussen könnten. Man war sich auch darüber einig, dass es sinnvoll sei, dass Schüler lernten, von Hand zu schreiben – die Diskussion darüber, ob Blockschrift oder gar Maschinenschrift vorzugswürdig wäre oder ob gar Diktiersysteme ausreichten, wurde gestreift, aber im Ergebnis abgelehnt. Pragmatisch sei es sinnvoll, bis auf weiteres den Gebrauch von Tablets durch Kinder und Schüler zu beschränken. Uneinigkeit bestand in Bezug auf die Gamification des Lernens; während einerseits im Spiel ein sehr niedrigschwelliger Zugang zu allen denkbaren Inhalten liege, wurde dem entgegengehalten, dass sie einer vertieften Beschäftigung mit Themen gerade entgegenständen.
Soweit zur Digitalisierung der Schule. Auf die abschließende Frage aus dem Publikum, wie ältere, die mit Printmaterial aufgewachsen waren, den negativen Auswirkungen des digitalen Lesens entgegenwirken könnten, war sich Adriaan van der Weel sehr sicher. Schon Nicholas Carr hatte in seinem Buch und in dem gleichnamigen Aufsatz im Atlantic Is Google making us stupid? vor etwa zehn Jahren am Ende sich wieder dem Strom der Texte und des übrigen digitalen Contents hingegeben, mit den bekannten Folgen des Verlusts der Aufmerksamkeit und der Konzentrationsfähigkeit. Dagegen helfe nur eines: Read books!
Literatur: N.N. 2017. Zwischen Diskursmedium und Kundenschwund. buchreport. 10. Oktober. www.buchreport.de (zugegriffen: 11. Oktober 2017). – Müller, Anja Tuma und Felicitas von Lovenberg. 2017. Das Buch ist schöner als ein paar Bits. Handelsblatt, 9. Oktober, Abschn. Unternehmen & Märkte. – Links, Christoph. 2017. Gegenwind für die Buchbranche Problematische Gesetzesentscheidungen und globale Herausforderungen. Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte. 1. September. www.frankfurter-hefte.de (zugegriffen: 11. Oktober 2017). – Jacobs, Michael. 2017. Messe-Flucht: Für viele Mainzer Verlage rechnet sich die Frankfurter Buchmesse nicht mehr. Allgemeine Zeitung. 7. Oktober. www.allgemeine-zeitung.de (zugegriffen: 7. Oktober 2017). – Dupré, Johanna. 2017. Lesestoff aus der Apotheke: Digitalisierung verändert die Buchbranche grundlegend. Allgemeine Zeitung. 7. Oktober. www.allgemeine-zeitung.de (zugegriffen: 7. Oktober 2017). – N.N. 2015. Als Wissensservice im Netz: Der Brockhaus kehrt zurück. Börsenblatt. 15. Oktober. www.boersenblatt.net (zugegriffen: 10. Oktober 2017). – Roesler-Graichen, Michael. 2016. Interview mit Hubert Kjellberg, Brockhaus NE: „Das Ergebnis unserer Arbeit ist kein Buch mehr“. Börsenblatt. 12. August. www.boersenblatt.net (zugegriffen: 10. Oktober 2017). – N.N. 2017. Wikipedia:Frankfurter Buchmesse 2017. Wikipedia. 7. Oktober. de.wikipedia.org (zugegriffen: 11. Oktober 2017). – Klein, Naomi. 2017. Gegen Trump: wie es dazu kam und was wir jetzt tun müssen. Übers. von Gabriele Gockel. Frankfurt am Main: S. Fischer. – Küchemann, Fridtjof. 2017. Ist das nun mutig oder dumm? Buch oder Tablet: Wie wir einen Text verstehen, hängt auch vom Medium ab. Was bedeutet das für das künftige Lesen und Lernen? Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Oktober, Abschn. Feuilleton. - Carbajosa, Ana. 2015. ¿Recuerdas cuando leíamos de corrido? EL PAÍS. 24. Mai. politica.elpais.com (zugegriffen: 11. Oktober 2017). – N.N. 2017. E-READ COST. 11. Oktober. ereadcost.eu (zugegriffen: 11. Oktober 2017). – Carr, Nicholas. 2008. Is Google Making Us Stupid? What the Internet is doing to our brains. The Atlantic, August. www.theatlantic.com (zugegriffen: 13. April 2017).
„Kartografie der Träume. Die Kunst des Marc-Antoine Mathieu“ im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main
Ein Mann im langen Mantel, den Kopf nach vorn gebeugt, das Gesicht unter dem breitkrempigen Hut verborgen, in einer Welt aus Pfeilen, die ihn mehr ins Nirgendwo schicken als irgendwo hin. Der riesige Pfeil als Schatten desjenigen. Der Wegweiser mit den vielen Pfeilen, die in in alle möglichen Richtungen weisen. Einer fällt gar ab. Er entscheidet sich für die Richtung des letzteren und geht weiter.
Ein kleiner Mann mit Hut und Mantel im Strudel. Vor einer tiefen Spalte. Im Sand. Treppen, die in in eine Wand hinein führen, wo es nicht weitergeht, außer auf dem Bild, das man dort sieht. Comic-Hefte, die plötzlich riesig und aufgeschlagen wie eine Skulptur im Raum vor einem stehen, kafkaeske Welten erzählend. Alles schwarz und weiß und in Graustufen gezeichnet.
Die Welt von Marc-Antoine Mathieu ist stumm, aber sehr bewegt. Sie dekonstruiert das Zuverlässige und hinterlässt einen Irrgarten aus tausend Eindrücken, in denen die Zeit sich dehnt und der Blick auch einmal mit Leichtigkeit um die Ecke geht.
Ein Labyrinth, das die Welt ist. Nur darauf ist Verlass. Und so ist auch diese Ausstellung, durch die man im Kreis geht, treppauf, treppab wie der namenlose Held mit Hut und Mantel. Alles besteht aus Pfeilen, alles wird zum Pfeil, alles löst sich auch auf in Pfeilen, die in einer Animation wie in einer riesigen Wolke herum wirbeln, als wären es Vögel, die im Schwarm fliegen. Am Ende steht man vor einem großen weißen Pfeil, der den Weg zum Ausgang weist. Wirklich?
Kartografie der Träume. Die Kunst des Marc-Antoine Mathieu. Museum Angewandte Kunst. Frankfurt am Main. – Mathieu wird zur Finissage am 15. Oktober 2017 um 11 Uhr zu einer Führung gemeinsam mit dem Kurator David Beikirch erscheinen. Am selben Tag sprechen beide im französischen Pavillon auf der Frankfurter Buchmesse um 16.30 Uhr über Mathieus Arbeit und die Ausstellung.
Die Frankfurter Buchmesse in zehn Jahren
Ich versuche mir vorzustellen, wie die Frankfurter Buchmesse in zehn Jahren sein wird.
Zunächst glaube ich, daß es sie in zehn Jahren auch noch geben wird. Es ist eher eine Frage der Größe.
E-Books laufen schlecht, und ich glaube nicht, daß sich bis dahin daran etwas ändern wird. Wenn es also in zehn Jahren noch eine Buchmesse geben sollte, wird es dort auch noch gedruckte Bücher geben.
Im Mittelpunkt steht die Veränderung der Öffentlichkeit durch die Digitalisierung. Die Öffentlichkeit fragmentiert sich immer mehr. Die Digitalisierung hat die Gatekeeper beseitigt: Jeder, der etwas publizieren möchte, kann das sofort tun, ohne daß er jemanden davon überzeugen müßte, daß der Content verkäuflich wäre, und ohne dafür prohibitiv hohe Kosten tragen zu müssen. Insoweit treten Buch, Wiki, Blog und soziales Netzwerk nebeneinander. Sie verdrängen einander nicht, haben auch nicht notwendigerweise etwas miteinander zu tun. Sie ergänzen sich, sind aber auch nicht gegeneinander austauschbar. Was heißt das?
Man kann den allgemeinen Trend im Zeitablauf als eine immer weiter zunehmende Kommerzialisierung des freien Netzes lesen. Es gibt aber auch eine entgegengesetzte Sichtweise, nämlich die Entkommerzialisierung des verlegerischen und korporativen Medienbetriebs.
Der Trend geht ziemlich klar in Richtung Entkommerzialisierung des Publizierens: Man findet einfach keinen Verlag mehr für sein Buch und muß es daher selbst erstellen, wenn man etwas veröffentlichen will. Die Verwertungskette Verlag – Buchhandel – Bibliothek – Antiquariat funktioniert immer weniger. Die Erträge lassen nach. Deshalb wird in den Verlagen immer mehr gängige Massenware produziert, alles, was als eine Nische erscheint, was sich „zu speziell“ ausnimmt und daher zu wenig einzuspielen verspricht, geht unter und muß hinter der Content-Mauer erst einmal gefunden werden. Es ist eine Art Hollywoodisierung des Buchgeschäfts.
Umgekehrt läuft der Vertrieb aus der Sicht des Autors rein online: Er inszeniert sich selbst als Experte und geht in Online-Communities, um seine Sachkunde zur Schau zu stellen. Wen das überzeugt, der wird seine Bücher kaufen. Das wird die primäre wirtschaftliche Funktion von sozialen Netzwerken und Blogs aus der Sicht des Publizisten sein.
Die Buchmesse wird daher in Zukunft vor allem noch sehr viel kleiner sein, denn die Selfpublisher brauchen sie nicht, bei ihnen läuft der gesamte Vertrieb online und in und aus virtuellen Netzwerken heraus. Ihr Publikum ist nicht mehr dort, sondern sitzt, wie es früher im Fernsehen hieß, „draußen an den Empfängern“, also an ihren Clients.
Die Verlage, die so eine Messe brauchen, und die Medien, die sich an sie dran hängen, werden sich also auf immer weniger substantielle Inhalte ausrichten. Dadurch wird die Messe einen immer kleineren Teil des Marktes abbilden. Alle Nischen fallen weg.
Am Ende wird sie kein gesellschaftliches Ereignis mehr sein, sondern nur noch eine Show von Massenmedien für Massenmedien, die von denen wahrgenommen wird, die überhaupt noch Massenmedien konsumieren – und das sind ja auch immer weniger.
Wie sich das anfühlt, kann man bei einem Nischenmarkt wie dem für Lehrbücher zu dem Textsatzsystem LaTeX heute schon sehen. Hier habe ich mal alle Lehrbücher und sonstigen Lehrtexte zusammengetragen, die seit 2005 erschienen sind. Jeweils nur die letzte Auflage, also das, was heute noch von Interesse ist auf dem jeweils letzten Stand. Wenn man die Jahrgänge durchgeht, sieht man, daß der Markt 2012 gekippt ist: Seitdem gibt es fast nur noch Bücher im Selbstverlag. Im darauffolgenden Jahr stellte Pearson die Produktion von IT-Büchern ein. Das alles findet auf einer Buchmesse also schon lange gar nicht mehr statt.
Eine untere Grenze für die Größe bzw. die Kleinheit der Messe ist nicht vorstellbar. Am Ende ist womöglich ein einziges Zimmer ausreichend. Oder das Blaue Sofa.
Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse 2016
Auf die Frankfurter Buchmesse angesprochen, soll Marcel Reich-Ranicki einmal gesagt haben: „Das ist eine Verkaufsveranstaltung – damit habe ich nichts zu tun!“
Aber natürlich ist das Geschehen vielschichtig. Der Verkauf ist der treibende Anlaß, aber das Gut, das hier verkauft wird, ist sozusagen der Treibstoff der Informations- und Wissensgesellschaft, der im Kapitalismus natürlich auch eine Ware ist, und je länger ich die Messe besuche, desto mehr nähere ich mich ihr aus vergleichender Sicht.
Ganz klar war früher „mehr Lametta“, das ist überall so. Aber es war auch ingesamt „mehr los“. Heute war zum Auftakt doch ziemlich ruhiger Betrieb. Auch die Taschenkontrolle am Eingang war nicht so neu, wie der Newsletter vorab tat, das gabs auch früher schon, samt Polizeistreifen.
„Rund 10.000 anwesende akkreditierte Journalisten, darunter 2.000 Blogger“ zählt die PR-Abteilung der Buchmesse. Da haben sie wohl auch die Kameraleute und die Strippenzieher von 3sat und Arte noch mitgezählt?
Begonnen habe ich heute tatsächlich als Freebie-Sammler gegenüber vom Blauen Sofa: Das Deutschlandradio Kultur verteilt seine letzten orangenen Kugelschreiber mit dem alten Namenszug, bevor es bald ein neues Sendestudio bekommt und zu „Deutschlandfunk Kultur“ umbenannt wird. Also her mit den schönen Kugelschreibern, denn das ist ein langlebiges Modell. Ein Andenken zu Lebzeiten. Die mit Abstand schönsten Bleistifte gibts diesmal bei DeGruyter und bei Springer Nature.
Nach notwendigen Einkäufen und einem kleinen Mittagsmahl führt mich mein Weg natürlich in die Halle 4.2, und dort nach etwas Umsehen bei den ganz großen in ihren Standlandschaften, zu – ein Tusch! – Brockhaus. Vor einem Jahr wiederauferstanden, hat der schwedische Erwerber die Marke aus der Plattform von Munzinger gelöst, über die die ehrwürdige Enzyklopädie vermarktet worden war, und vertreibt seitdem ein Multimedia-Nachschlagewerk auf einer eigenen Website – die heute abend – wie bitte? – wegen Wartungsarbeiten offline ist. Hm.
Immerhin: Vor dem Hintergrund des Autorenschwunds bei Wikipedia wird die Brockhaus Enzyklopädie, auf die ich seit Jahresanfang dank unserer Stadtbibliothek zugreifen kann, um ein Kinder- und um ein Jugendlexikon erweitert. Das sind eigene Korpora, die auf dem früheren gedruckten Kinder-Brockhaus – den es nicht mehr gibt – aufbauen bzw. abgespeckte Inhalte aus der großen Enzyklopädie für die jugendlichen Leser. Außerdem gibt es neu ein Programm, in dem „Basiswissen“ zum Selbststudium didaktisch aufbereitet wird. Diese Module ergänzen die Enzyklopädie und richten sich speziell an Schüler, die Hilfe beim Nachbereiten des Unterrichts oder bei den Hausaufgaben suchen.
Und daneben steigt Brockhaus ins Schulbuchgeschäft ein und stellt Lehrmaterial bereit, das auf die Lehrpläne der Bundesländer abgestimmt ist. Bisher gibt es dazu einen PR-Bericht und eine Pressemitteilung. Angeboten wird der Zugriff auf den Content aus einführenden Modulen samt Aufgaben. Alles weitere – Internetzugang und Clients – liegt bei der Schule. Die Nutzung erfolgt plattformunabhängig in einem Webbrowser, also keine Apps, keine Einbindung in ein entsprechendes digitales Ökosystem, aber kein kollaboratives Arbeiten. Noch nicht.
Eine Lehrerin, mit der ich ins Gespräch kam, erklärte mir als Hintergrund zu solchen Angeboten, an den Frankfurter Schulen werde sich bis 2018 erst einmal gar nichts tun, was die Technik angeht. Als erstes würden jetzt die Toiletten saniert.
Und Duden legt beim „Klassenzimmer der Zukunft“ einen Flyer aus zur „Learn Attack“ mit WhatsApp-Nachhilfe vom „professionellen Nachhilfelehrer“, „sofort“. Man sprach über den „Nachmittagsmarkt“. Da ist viel Bewegung drin derzeit. Deutschland in der „Bildungspanik“ – so Heinz Bude schon 2011.
Auch über den Schülerduden via Munzinger sprach man. Aber Munzinger ist auf der Messe nicht vertreten.
Überhaupt, ist es ja mittlerweile viel spannender geworden, darüber nachzusinnen, wer alles nicht gekommen ist, als sich anzuschauen, wer diesmal erschien. O'Reilly Deutschland, sozusagen der Suhrkamp unter den Computerverlagen, war letztes Jahr noch da, dieses mal aber wieder nur noch O'Reilly UK.
Die „Verkaufsveranstaltung“ ist eben nicht mehr unbedingt notwendig fürs Marketing. Andererseits merkt man dem Betrieb aber auch die Klassengesellschaft stärker an als früher. Es gab immer schon die Einfamilienhäuser unter den Messeständen, an den großen Kreuzungen gelegen, und hinten raus die Nordsee, ebenso wie die Einzimmerwohnungen in den engen Nebenstraßen. Aber durch den Wegfall der früheren angelsächsischen Halle 8 internationalisiert sich die Szene, und die Kontraste werden härter.
Wie schon in den Vorjahren bloggen auch diesmal Café Digital, u. a. Andrea Diener bei der FAZ und Carmen Treulieb wieder nebenan.
Auf weiterhin gute Zusammenarbeit
Die Szene löst sich gerade auf, wenn auch nur langsam. Reste von kalten Platten stehen herum, oder war das Kuchen? Halbleere Sektflaschen, Orangensaft, Mineralwasser in Plastikflaschen und letzte Plastikbecher. Das Catering war umfassend. Es ist etwas geschehen. Die Gespräche gehen weiter, natürlich. Die Stimmung ist gelöst, es ist vorbei. Die Dame vom Fischer-Verlag scheint zufrieden. Das war das Treffen, das Suhrkamp, Fischer und Hanser für ihre Literaturblogger am Freitagnachmittag zur Primetime auf der Frankfurter Buchmesse ausgerichtet hatten. Im beweglichen Zeit-Raum für die digitale Contentindustrie und deren Gesprächspartner im Netz. Es hat ihnen so gut gefallen, daß sie bleiben werden.