albatros | texte
Donnerstag, 2. Februar 2017

Ein Apfelbäumchen

Ist RSS am Sterben? Falls ja, beginnt es bei der deutschen Tochter von Transparency International. Nachdem ich gestern morgen den inaktiven Feed gerügt hatte, wurde dort am gleichen Tag – nicht der Feed repariert, sondern eine neue Nachricht eingestellt, nur im Feedreader zu lesen…, die da lautet: Liebe Abonnentinnen und Abonnenten des Transparency Deutschland RSS-Feed, leider haben wir im vergangenen Jahr die Pflege des RSS-Feeds vernachlässigt. Wir stehen nun vor der Entscheidung, ob wir die Aktualisierung in Angriff nehmen oder den Feed gänzlich schließen sollen. Für diese Entscheidung benötigen wir Ihr Feedback. Schicken Sie uns hierfür bitte eine E-Mail an … – So laßt und denn ein Apfelbäumchen pflanzen!

Mittwoch, 1. Februar 2017

His theories still generate controversy

Die Library of Congress hat heute Dokumente aus dem Sigmund-Freud-Archiv erstmals online gestellt. Es handelt sich um 20.000 Dokumente aus dem Bestand des Archivs, die bei der LOC verwahrt werden – persönliche Papiere der Familie Freud, Briefe und Postkarten, Kalender und Notizbücher, aber auch die Manuskripte von Freuds Schriften, außerdem über hundert Interviews von Kurt R. Eissler, die zum ersten Mal veröffentlicht werden, schreibt Margaret McAleer im Blog der Bibliothek, während man auf deren Website die lakonische Einordnung liest: His theories still generate controversy. Die Digitalisierung wurde von der britischen Polonsky Foundation getragen.

Das Orwellnet

Was man derzeit in den USA sieht, ist der Weg in einen autoritären Staat, der sogar noch den Militarismus, auf den Joseph Weizenbaum immer hingewiesen hatte, übertrifft. Und das geht jetzt sehr schnell. Die Nutzung von Tor soll noch weiter zugenommen haben, aber das sind letztlich nur Pflaster in einem Netzwerk, das ja aus der militärischen Nutzung entstanden war und in dem so etwas wie Privatheit und Grundrechte schon technisch nicht vorgesehen waren. Code is law, und dieser Code ist nicht geeignet, die Rechte der Benutzer zu wahren. Dagegen wird man nicht angehen können, indem man sich neue Regeln ausdenkt, denn die gibt es ja schon. Man muß beim technischen Code ansetzen, nicht beim rechtlichen Code. Und solange es kein Internet ohne Misere gibt, das technisch vollständig vom NSA- und Trump-Netz getrennt ist, wird es beim Orwellnet bleiben. Die Staaten werden die Freiheit ihrer Bürger im technischen Bereich nicht verteidigen, denn daran haben sie kein Interesse, auch in Europa nicht. Was die großen Konzerne angeht, ist es ebenso. Die Bürger werden sich ihr Netz selbst aufbauen müssen, um ihre Rechte zu wahren. Freiheits- und Gleichheitsrechte mußten immer erkämpft werden, sie wurden nicht kampflos vom Staat gewährt, sondern in langwierigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und Kämpfen errungen. Ich wäre skeptisch, ob es in zehn Jahren noch ein einheitliches Internet geben wird oder ob nicht der Weg in eine Vielfalt an Netzwerken gerade noch beginnt. Es geht um die ganze Hardware und um die Software. Vielfalt statt Ökosysteme. Sollte das nicht gelingen, wäre die Utopie vom Cyberspace als gesellschaftlichem Raum verlorengegeben.

Sonntag, 29. Januar 2017

Der neue Gesandte

Der neue Gesandte hat sich heute abend zum ersten mal in Gesellschaft begeben. Man parlierte und versuchte good sport zu sein. Alle sehr in Bewegung, man gab sich spielerisch, obwohl schon spät. Und die ganze Zeit über standen mehrere Elefanten im Raum, um die herum alle sorgsam Slalom liefen, ganz egal, wie laut sie trööteten und wie eng sie sich stellten. Einmal taten sich sogar zwei Elefanten mit ihren Rüsseln zusammen und schwangen sie, einem ganz langen Sprungseil ähnlich. Aber auch das brachte die Gesellschaft nicht zum Ausweichen. In der Art der jungen Advokaten, die neu sind am Barreau, sprang der Neuling darüber hinweg, hoch die Schenkel hebend und unter Applaus. Dabei schwang er die kleine rote Fahne mit dem goldenen Sternenkranz, die er an einem langen schwarzen Stab mit sich führte, den ganzen langen Tag schon. Alles in allem waren es sogar mehr als fünf, ich glaube, es waren am Ende sogar sechs Elefanten, von denen keiner sprechen durfte eine ganze Stunde lang. Und niemand stellte die Frage, warum er so lange dort verweilte, auf der Stelle springend, immer mehr und mehr, bis dann schließlich alle gingen gingen gingen.

Netzlese 2017-01-29

Geert Lovink kommt demnächst nach Frankfurt, kommenden Samstag, den 4. Februar, hält er bei der Langen Nacht der Sozialforschung im Rahmen der Frankfurter Positionen einen Vortrag im MMK1 zum Thema Das Selbst im digitalen Netz, neben räusper Mercedes Bunz, Kai Dröge und Olivier Voirol, Tanja Gojny, Olga Goriunova, Rembert Hüser, Eva Illouz, Julika Rudelius, Christina Schachtner sowie Uwe ­Vormbusch. Beginn ist um 19 Uhr, Eintritt frei. Zuletzt hatte Geert Lovink bei La Repubblica ein Interview über Social Media zu Zeiten von Trump gegeben. Das Museum zeichnet seine Vorträge üblicherweise auf und stellt sie auf YouTube, hoffentlich auch diesmal.

An dem Abend wird von Solisten des Ensemble Modern auch For Philip Guston von Morton Feldman aufgeführt. Dauer: Fünf Stunden.

Die documenta14 findet dieses Jahr statt, ab April in Athen, ab Juni dann in Kassel, jeweils hundert Tage lang. Sie landet nicht wie ein Raumschiff in Athen, bevor sie nach Kassel weiterzieht. Sie ist vielmehr eine gewollte Verfremdung von einer Stadt zur anderen und in allem, was bei diesem Projekt zwischen beiden hin- und hertreibt, heißt es auf der Website zur Kunstvermittlung der Ausstellung. Athen und Kassel? Die Regierungsübernahme durch SYRIZA in Griechenland war im Januar 2015, ist also nun auch schon wieder zwei Jahre her. Und Varoufakis Superstar, dieses Drama begann am 27. Januar 2015. Das Referendum, wonach er als Finanzminister zurücktrat, fand am 5. Juli 2015 statt. Er bleibt in Kontakt mit seiner zweiten Heimat Australien und gibt bisweilen Interviews im dortigen Rundfunk, in denen er die europäischen Verhältnisse erklärt, zuletzt vergangene Woche den Populismus in Europa.

Antje Schrupp hat dazu aufgerufen, im September zur Bundestagswahl zu gehen und dort, bitte, eine Partei zu wählen, die auch Aussichten darauf hat, ins Parlament einzuziehen. Wer kleinere Parteien wählt, stärkt den politischen Gegner, die Rechtsextremisten stehen bekanntlich wieder vor dem Berliner Reichstag, ganz ähnlich wie vor 84 Jahren. Das Bundesverfassungsgericht hat die NPD gerade mit einer etwas sonderbaren Begründung nicht verboten, und auch die anderen dürfen weitermachen. Antje kritisiert derweil die Rückwärtsgewandtheit der LINKEN, die weiterhin mehrheitlich auf eine Arbeits- und Vollbeschäftigungsgesellschaft und auf ganz viel Staat setzten. Christoph gegen das Grundeinkommen Butterwegge als Bundespräsidentenkandidat passe in dieses Bild. Stimmt. Aber wenn ich nur die Wahl habe zwischen denjenigen, die über fünf Prozent kommen, ist die Auswahl am Ende nicht mehr so groß.

Politisch getrieben ist auch Eric Bonse, der Brüsseler Europakorrespondent der taz, der immer noch leidenschaftlich gegen Martin Schulz anschreibt, der Linksblinker und Rechtsabbieger, der gerade von der ehemaligen Schröder-Truppe auf den Schild seiner Partei gehoben worden ist. Man hat rochiert – Außenminister wird BuPrä, Wirtschaftsminister wird Außenminister, ehemalige Justizministerin wird Wirtschaftsministerin – und die Massenmedien gehorchen aufs Wort und machen sofort ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Angela Merkel daraus. Klar, es würde einem nicht einmal auffallen, wenn Schulz Mitglied bei der CDU wäre. Daß die Leute hierzulande meinen, es sei nicht bekannt, welche Positionen er vertrete, zeigt nur, wie wenig Aufmerksamkeit man den Vorgängen auf der europäischen Ebene beimißt. Gut, es stand nicht alles in den Zeitungen. Aber alles war jahrelang in den europapolitischen Blogs zu verfolgen. Unter anderem bei lostineurope.eu. Siehe aber dort auch die dortige Blogroll. Schulz ist bei weitem kein unbeschriebenes Blatt.

A propos Europa. Zum Beispiel die Schweiz. Da gab es zu Anfang des Jahres eine Sendung des Schweizer Radios SRF2 Kultur zur Urheberrechtsreform, die dort demnächst ansteht. Zur Erinnerung: Die Reformen, die es bei uns gab, gingen allesamt auf EU-Recht zurück. Und was sind die Themen, die nun aktuell(!) in der Schweiz diskutiert werden? An der Spitze steht die Pirateriebekämpfung, also Raubkopien, die über Tauschbörsen verteilt werden. Gefolgt von der Bibliothekstantieme, die es in der Schweiz noch nicht gibt. Und schließlich: Bildrechte. Ja, wirklich, die Sendung wurde am 6. Januar 2017 veröffentlicht. Aber auf einen Blick über die Grenzen hinweg wird man in dem Programm ebenso vergeblich warten wie auf den Begriff der Freien Lizenz oder der Freien Inhalte.

Deshalb zum Schluß ein Link zum WikiMOOC, den Wikimédia France ab März bei fun-mooc.fr durchführt. Alles, was man als neuer Autor über Wikipedia wissen sollte. Leider nur auf Französisch, aber vielleicht demnächst auch auf Deutsch, wer weiß? Ich bin dran.

Montag, 16. Januar 2017

Der Weg

Es ist schwierig, sich mit dem Rücktritt von Andrej Holm als Staatssekretär in Berlin auseinanderzusetzen. Der Fall ist komplex und verweist auf die unterschiedlichen Erfahrungen in Ost und West.

Ich kenne die Ost-Verhältnisse nicht aus eigener Anschauung, nur aus Erzählungen, also aus einer entsprechend großen Distanz. Ich erinnere mich an das Ende der 1980er Jahre. Keiner hätte je mit dem Ende der DDR gerechnet. Aber die Generation Golf war nicht damit beschäftigt, sich vom Staat abzugrenzen, wir waren auf dem Weg zu uns selbst. Natürlich gab es welche, die an der Stelle, wo andere ein Gehirn haben, einen Zettel aufbewahrten, auf dem stand: „Bin auf Reisen.“ Zwanzig Jahre später fand man sie auf Xing wieder mit ganz sonderbaren Porträt-Photos und noch seltsameren Berufsbezeichnungen. Der Anpassungsdruck im Kapitalismus und die daraus folgende Deformation waren doch beträchtlich.

Immerhin: Auch das war ein Weg, und er wird mir stets genauso fremd bleiben wie derjenige des Andrej Holm, über den die Presse nun berichtet und der es beinahe in die Berliner Landesregierung geschafft hätte, wenn er nicht kurz davor noch verhindert worden wäre. Der ausgewiesene Gegner der nicht nur in Berlin um sich greifenden Gentrification als Staatssekretär fürs Wohnen. Vor zehn Jahren Opfer einer kafkaesken Strafverfolgung.

Aber Holms Umgang mit seiner Biografie ist eben auch problematisch. Das kommt mir in den linken Quellen leider zu kurz.

Ich glaube dennoch, seine Absetzung sagt am Ende wohl mehr über die grundlegende Unvereinbarkeit von rot-rot-grün aus als über den Gegensatz von Ost und West. Sowohl hellrot als auch grün halten sich damit den Weg für (noch) bürgerlichere Koalitionen anderenorts offen. Und nur darum ging es ihnen.

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Analogisierung

Das erste Drittel des Advents ist schon vorbei, und obwohl es in dieser Saison gleich mehrere digitale Adventskalender in meinen Feedreader geschafft haben, freue ich mich über das Analoge. Das Öffnen kleiner Türchen, und das Blättern in einem kleinen Buch. Ich habe auch meinen Terminkalender seit etwa vier Wochen vollständig analogisiert. Einen DIN-A6-Timer und ein DIN-A5-Notizbuch sind alles, was ich brauche, und der Computer kann ausbleiben. Alle schon vereinbarten Termine habe ich übertragen. Die Lösung ist so klein, daß sie immer in meinem Rucksack Platz findet. Für Flexibilität beim Planen sorgen kleine bunte Klebezettel und ein weicher Bleistift mit Radiergummi, der in einer Schlaufe am Buchblock des Kalenders steckt. Und in das Notizbuch kann ich jederzeit einen kleinen Elefanten zeichnen. Nicht die immer weitergehende Digitalisierung, sondern die Analogisierung ist der richtige Weg für mich. Die Suche nach dem menschlichen Maß. Dieser Trend hatte sich schon während des laufenden Jahres immer mehr abgezeichnet. Er wird sich im kommenden Jahr fortsetzen.

Montag, 5. Dezember 2016

Eine andere Welt

Matthias Wittfoth spricht (mp3) in dem Podcast Inside Brains über eine Stunde lang mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer über dessen Lebensweg, aber auch über Hintergründiges, was man aus den Massenmedien nur selten erfährt. Über den Zusammenhang von häuslicher Gewalt zwischen Eltern und Kindern und der späteren Gewalttätigkeit der Kinder erzählt Pfeiffer unter anderem von diesem Unterschied zwischen Europa und den USA:

…Nun war ich gerade in Amerika, deswegen, ein knappes Jahr in New York, und mußte mit Entsetzen realisieren, daß dort 85 Prozent der amerikanischen jungen Väter die These unterschreiben: Jedes Kind braucht ab und zu mal ne richtige Tracht Prügel. Und 65 Prozent der Mütter. Grauenhaft. So ist Amerika. Die sind auf einem Erziehungsniveau, das unserem in der Nazi-Zeit und in den 50er Jahren entspricht. Wenn ich das in den USA in meinen Vorträgen erzählt habe, waren die immer völlig schockiert. … Es gibt in Amerika nicht die Forschung von uns. Die Elternverbände verhindern, daß man Schulkinder als 15jährige fragen darf: Wie wars denn in Deiner Kindheit, im Alter von sechs bis zwölf?, was wir ständig tun, seit zwanzig Jahren. Also, dieses Defizit amerikanischer Forschung verhindert eine öffentliche Debatte, und in 19 Bundesstaaten dürfen ja auch die Lehrer noch mit dem Paddle schlagen. Über 200.000 Kinder werden pro Jahr dort öffentlich geschlagen … und dann wundern die sich über Trump. Trump ist die Folge davon, daß dieses ein repressiv erzogenes Volk ist mit viel unterdrückter Wut, mit Ohnmachtserfahrungen in der Kindheit, und wenn man immer ohnmächtig ist in der Kindheit, will man später Macht haben, Waffen verleihen Macht, und man hat so eine angestaute Grundaggression durch all das, was zuhause einem widerfahren ist. Und dann ist so ein Trompeter des gewaltsamen Durchsetzens wie Trump ein Mensch, der diesen Frust anspricht … Grundfrust … der hätte null Chancen in Schweden, dem Land mit der niedrigsten Schlagequote der Welt und der niedrigsten Gefängnisquote. Amerika hat in der westlichen Welt die mit Abstand höchste, die drittmeiste weltweit. Also, 60 Menschen im Gefängnis in Schweden, 720 pro 100.000 Bürger in USA. … New York ist wie Europa, aber Virginia oder Texas, das ist dann eine andere Welt…

Sonntag, 4. Dezember 2016

Don't believe the Fake

Die Diskussion um Fake News geht leider weitgehend am Thema vorbei. Anstatt sich zu fragen, ob und in welchem Umfang es solche Meldungen gegeben hatte oder noch gibt und welche Folgen sie gehabt haben könnten, sollte man sich eher die Frage vorlegen, warum sie überhaupt beachtet werden? Ausgangspunkt ist ihr Ort: Wie kommt es, daß Menschen meinen, auf Sozialen Netzwerken finde man noch mehr vor, außer heißer Luft und einer Gelegenheit, seine guten Daten abgeben zu dürfen? Daß man dort auch noch irgendetwas erfahren könne, etwas Neues und Richtiges noch dazu. Das ist eine wirklich drollige und insgesamt so abwegige Vorstellung, daß man schon daraus ersehen kann, daß die Ideen darüber, woher man sich informieren könne, völlig durcheinander gekommen sind. Das gleiche gilt für Suchmaschinen, die ebenso wie Soziale Netzwerke, Werbeplattformen sind und also auf Desinformation zugeschnitten wurden. Sie sind sozusagen der Fake an sich. Das gleiche gilt natürlich auch für die „Online-Ausgaben der Zeitungen“, die ihre Meldungen ganz anders anordnen als in der Print-Ausgabe, was sich ebenfalls nachteilig auf die Qualität auswirkt. Und überhaupt: Zeitungsenten gabs eigentlich schon immer.

Trotzdem hat das Nachdenken eingesetzt. Auf der anderen Seite des Informationsspektrums, sozusagen. Ein schönes Beispiel dafür ist der Tagungsbericht Der Intellektuelle in postfaktischen Zeiten – Das „Denk-Festival“ in Weimar, der am 1. Dezember 2016 im Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde. Zwei Zitate:

  • Wer behält den Durchblick mit welchen Argumenten?

  • Wir haben doch einen Zerfall von Öffentlichkeit in User-Gemeinden. Wir kennen die Subjektivierung der Wahrheit, die Reduktion der Wahrnehmung auf das Passende. Und da spielen wir – gemeint sind Intellektuelle – einfach eine geringere Rolle, wir sehen das doch auch empirisch: Wo ist unser Platz geblieben, den wir noch vor zehn Jahren in der „Zeit“ gehabt hätten? Es sind nur noch wenige Presseorgane, in denen wir überhaupt noch mit unseren Auffassungen zur Geltung kommen können. Ich glaube, daß am Ende unserer Zukunfts-, unserer Fortschritts-, unserer Emanzipationserzählung es nicht mehr die Intellektuellen sind, sondern, um es brutal zu sagen, die Social Bots, also die Beeinflussungsalgorithmen, die ganz anderswo diskutiert werden als in dem, was wir aufrufen, wenn wir von Voltaire bis Gramsci sprechen.

Aber auch das ist nicht wirklich neu, sondern genaugenommen nur eine weitere Spielart der Dialektik der Aufklärung reloaded. Es ist der alte Konflikt zwischen Vernunft und Kulturindustrie, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Wiedervorlage: Der Presseausweis

Der alte Presseausweis ist wieder da. Der Deutsche Presserat und die Innenministerkonferenz (IMK) haben sich darauf geeinigt, die Vergabe der Presseausweise wieder zu reglementieren. Eine ständige Kommission, die zu gleichen Teilen mit Vertretern des Presserats und der IMK besetzt sei, werde darüber entscheiden, welche Berufsverbände den neuen bundeseinheitlichen Ausweis vergeben dürften.

Die Kriterien für die Anerkennung eines Verbands, sozusagen „würdig“ zu sein, den Presseausweis zu erteilen, sind noch nicht bekannt geworden. Aber wenn es ein einheitlicher Ausweis sein soll, wird es mit der Vielfalt bei den Vergabekriterien dann wohl vorbei sein.

Die Kritiker nehmen die Richtung des Prozesses dementsprechend vorweg und mutmaßen, für nebenberufliche Journalisten und Blogger solle es wohl schwerer gemacht werden, einen Ausweis zu erhalten.

Ein Backlash also, wo anderenorts die Blogger Relations blühen. Ein weiteres analoges Rückzugsgefecht, das versucht, das Publizieren und die Angehörigkeit zu den Publizisten wieder exklusiv zu machen, was aber nicht gelingen kann, denn das ist es schon lange nicht mehr.

Folglich wird der neue Presseausweis durch so einen Kurswechsel nicht an Wert gewinnen, sondern, im Gegenteil, an Wert verlieren. In einer Welt ohne Gatekeeper ist am Ende nicht der Ausweis der Nachweis der publizistischen Tätigkeit, sondern das Blog, das Social-Media-Profil oder allgemein: die dementsprechende authentische Aktivität im Netz. Das sogenannte Soziale, für jeden unmittelbar nachvollziehbar, was schreibt er denn, ersetzt einen externen Beleg endgültig. Der Versuch, den Kontrollverlust wett zu machen und die entglittene Deutungshoheit zurück zu gewinnen, wird fehl laufen – wenn es so kommen sollte.

Sie sind nicht angemeldet