Mittwoch, 20. April 2016
Mozilla III
Das Interesse an Thunderbird schwindet immer mehr. Vom 15. April datiert eine Meldung auf MacGadget (sic) über die Veröffentlichung von Thunderbird 45. Gestern traf dann die Mail von Bürgert-CERT ein, und heute bringt der Schockwellenreiter einen Hinweis. Die üblichen Technik-Portale, die ansonsten jeden Pieps von Microsoft oder Apple transportieren, schweigen sich aus.
Montag, 18. April 2016
TeX Live 2016 Pretest hat begonnen
TeX Live 2015 ist am 6. April eingefroren worden. Alle Updates gehen seitdem nur noch in die Pretest-Version von TeX Live 2016 ein.
Nach einigen eher ruhigen Jahren, arbeitet das TL-Team derzeit an einem umfangreicheren Release mit vielen, teils tiefergehenden Änderungen. Betroffen ist vor allem LuaTeX. Seit Version 0.85 und 0.87 wurden viele pdfTeX-Primitiven geändert; wer also weiterhin kompatibel zu pdfTeX bleiben will oder muß, möge das Paket luatex85 hinzuladen, das vom LaTeX3-Projekt bereitgestellt wird. Zu den Paketen, die zuerst ausfielen, zählte insbesondere fontspec, mit dem auf System-Fonts zugegriffen werden kann.
Für Verdruß sorgt bei den ersten Testern den Berichten auf der TeX-Live-Mailingliste zufolge vor allem die Integration von GnuPG in den Paketmanager tlmgr. Wenn GnuPG lokal installiert ist, wird es von tlmgr verwendet, um anhand der Paket-Signatur die Integrität und die Echtheit der zu installierenden Pakete zu prüfen. Unterstützt werden sowohl GnuPG 1 als auch 2. Findet der Paketmanager kein GnuPG, gibt er eine entsprechende Warnung aus, fährt aber mit der Installation fort. Die Lösung mag halbherzig wirken, ist aber den Im- und Export-Beschränkungen für Kryptosoftware geschuldet. Norbert Preining erläuterte auf Nachfrage, Krypto-Programme dürften weiterhin nicht aus den USA ausgeführt werden; Zdenek Wagner ergänzte, für Frankreich gälte – umgekehrt – ein Einfuhr- und Verwendungsverbot. Deshalb könne GnuPG nicht mit TeX Live verteilt und installiert werden. Es verbleibt also dem Benutzer, dies zu tun. Unter OS X kann man GnuPG mittels Fink oder MacPorts, wahrscheinlich auch über Homebrew installieren. Dick Koch empfiehlt eine Anleitung, die lediglich XCode voraussetzt. Dabei würden keine zusätzlichen Bibliotheken in /usr/local installiert.
Weitere Änderungen in TeX Live 2016 betreffen vor allem pdfTeX und XeTeX. Neu aufgenommen wird der gerade veröffentlichte Indexprozessor upmendex.
Bei MacTeX haben die Entwickler vor den ständigen Änderungen von Apple kapituliert und das Preference Pane aus den Systemeinstellungen entfernt. Damit konnte man zwischen mehreren MacTeX-Versionen, die auf dem System installiert sind, live hin und her schalten; außerdem war es möglich, zwischen 32- und 64-Bit-Binaries zu wechseln. Wer schon ein solches Interface aus einer früheren Version von TeX Live dort installiert hat, kann es behalten, es soll immer noch funktionieren; die Funktion wird aber zukünftig in den Paketmanager TeX Live Utility integriert, ein graphisches Frontend zu tlmgr mit zusätzlichen Anpassungen für den Mac. Als ergänzendes Goodie enthält MacTeX 2016 Ghostscript 9.19 mit einem Skript von Norbert Preining zur Unterstützung von CJK-Schriften. Wer MacTeX einsetzt, um Texte in Chinesisch, Japanisch oder Koreanisch zu setzen, kann mit dem Terminal-Befehl sudo cjk-gs-integrate die entsprechende Ghostscript-Integration anstoßen.
Während der Pretest-Phase kann auch der Update-Mechanismus selbst getestet werden, wenn man tlmgr bzw. die TL-Utility auf ein Pretest-Repositorium richtet. Eine Liste der verfügbaren Pretest-Mirrors findet man hier.
Es bleibt also noch viel zu tun. Der Release von TL 2016 ist dennoch bereits für Anfang Juni vorgesehen.
Freitag, 15. April 2016
Entdeckung hinter dem Haus XIV
Also gut, die Böhmermann-Affäre. Ein unsäglich dummer und brüllender Text hat zu einer Staatsaffäre geführt, und man kommt sich vor wie in einer Komödie von Carl Sternheim, der die Spießer im Kaiserreich so treffend und so zeitlos dargestellt hat, daß man sie immer wieder erkennen wird.
Un-auf-ge-for-dert.
Dazu paßt auch, daß der Text und der Vortrag, um den es geht, nicht ausgestellt werden, damit ihn alle kennenlernen, sondern daß er erst im Netz „gefunden“ werden muß, er ist wohl in vorauseilendem Gehorsam auf einen Index gesetzt worden, und alle, die ihn nun kennenlernen wollen, um zu verstehen, was da eigentlich passiert, müssen danach googlen, als ginge es um peinliche Ware, die nur unter dem Tisch verkauft würde, ein Geheimtip?
Dum da da dum da.
Der Streisand-Effekt führt dazu, daß auf solche Sticheleien kein westlicher Politiker je mehr reagieren würde. Man steht darüber. Die Majestätsbeleidigung passe nicht mehr ins Strafgesetzbuch, hat der SPD-Bundesjustizminister heute gesagt. Das stimmt nicht ganz, denn es gibt ja immer noch die Verunglimpfung des Bundespräsidenten, und die soll wohl als Straftatbestand erhalten bleiben?
Laß die Albernheiten.
Viele Inkonsistenzen, also, auch Unzeitgemäßes, kommt in der Sache zusammen. Es paßt nicht in die Zeit, in das Land, in dem es spielt, es ist eine Art Verfremdung, und plötzlich rückt die globalisierte Welt noch einmal mehr zusammen, werden wir konfrontiert mit türkischen Zuständen und reagieren wie der alte deutsche Spießbürger von vor hundert Jahren. Den Begriff der „Satire“ sollte man aber, bitte, für anderes reservieren.
So ist es eine Absage geworden, doch wer weiß, wozu sie gut ist.
Donnerstag, 14. April 2016
Das Kunstwerk in Zeiten des Internets
Michael Schmalenstroer berichtet über die große Hieronymus-Bosch-Ausstellung, die derzeit noch im Noordbrabants Museum im niederländischen ’s-Hertogenbosch stattfindet, danach wird sie im Prado zu sehen sein. Das Problem: … die Ausstellung … ist … voll. Gerappelt voll. Gedrängelt voll. Genauer gesagt ist sie leider zu voll. Das kleine Provinzmuseum, das sie ausrichtet, wird überrannt von Besuchern. Und so zählt Schmalenstroer auf, wo man die Werke stattdessen online betrachten kann. Siehe da: Die Wikimedia Commons haben den Heuwagen in einer Auflösung von 9843×6475 Pixeln und im Vergleich stellt man fest, dass die digitale Version mehr Details erkennen lässt als das Original. Und er resümiert die Rolle des Web angesichts solcher Kunstevents: … das Internet, dieses Netzwerk, das eigentlich dazu gedacht ist, dass Menschen miteinander kommunizieren, bietet hier einen Ausweg: Denn es bietet genau das, was wir beim Museumsbesuch wünschen. Privaten, individuellen Zugang zu den Werken, ungestört von anderen Besuchern und mit weiterführenden Informationen nur einen Klick entfernt. Und trotzdem ist es leider irgendwie etwas anderes, nach Nordbrabant zu fahren, Boschs Werke als Original zu sehen und dann die wirklich sehr schöne Stadt zu erkunden. Der Fetisch des Originals, es gibt ihn einfach.
Montag, 11. April 2016
Nachdenken über Sci Hub
Auf der Mailingliste Inetbib ist am Wochenende ein Beitrag über Sci Hub aus Archivalia kontrovers diskutiert worden. Klaus Graf hatte darin der derzeitigen Stand zum Verhältnis von Fernleihe und Open Access zusammengefaßt und dabei auch Portale einbezogen, die weitergehen, als nur Open-Access-Papiere im Rahmen der jeweiligen Lizenz weiterzuverteilen. Repositorien gibt es viele. Sci Hub bietet, wenn ich es richtig verstanden habe, so gut wie alles an, was im Format PDF daherkommt und nicht bei drei auf den Bäumen ist, ohne sich dabei um das Urheberrecht der Autoren und die davon abgeleiteten Verwertungsrechte von Verlagen zu kümmern.
Die Fernleihe, die von den Verlegern immer wieder gern gegen die Zeitschriftenkrise angeführt wird, sei, so Klaus Graf in seinem Beitrag, zumindest in ihrer nordamerikanischen Spielart ILL, nicht attraktiv genug und könne das Unvermögen der chronisch unterfinanzierten Bibliotheken, die Informationsflut zu den Lesern zu bringen, langfristig nicht ausgleichen. Zudem würde sie hierzulande subventioniert – das seien Kosten, die man genaugenommen mit einbeziehen müsse, wenn man ausrechne, wieviel Open Access den Steuerzahler letztlich koste. Wenn alle Wissenschaft Open Access wäre, entfielen auch diese Kosten, und allen wäre gedient. Bis es aber soweit sei, so könnte man es auf den Punkt bringen, müsse man wohl mit grauen Portalen wie Sci Hub leben. Und: Mit Sci Hub ist es wie mit dem Leben: Genießen wir es, solange es geht.
So dauerte es dann auch nicht lange, bis ein Listenteilnehmer den Vorwurf erhob, das sei im Grunde genommen eine Aufforderung, massenhaft Rechtsbruch zu begehen. Er genieße an seinem Leben, dass er aufrecht gehen kann und sich nicht wie ein Dieb wegschleichen müsse. Dagegen erhob sich substantiierter Widerspruch, zumal der damit angegriffene Blogpost mehrfach die Unrechtmäßigkeit der diversen Schattenbibliotheken betont.
Man kann die Diskussion als eine Fallstudie lesen, sowohl auf die Lage der Literaturversorgung als auch auf die Entwicklung des Netzes.
Die vorgenannten Kommentare liefen auf einer Mailingliste ein, der größten bibliothekarischen Liste im deutschsprachigen Raum zwar, aber auf einer Liste, die doch sehr viel enger daherkommt als die Öffentlichkeit, die die Archivalia finden – das Blog ist darüberhinaus für viele lesenswert, auch abseits der Bibliotheksszene. Es gab Widerspruch, aber nicht im Web 2.0, also in den Blogkommentaren, sondern in dem alten Medium der Mailingliste, in deren Archiv man das also nachlesen kann. Und zwar, weil der Blogpost von seinem Autor auch dort angekündigt worden war. Darin wird die fortwährende Fragmentierung der Datennetze deutlich. Zwar hatte Geert Lovink schon 2008, auf dem Höhepunkt des Blog-Booms, in seinem „Berliner“ Buch Zero Comments das Ausbleiben der Kommentare bemerkt. Sie sind aber auch nicht an einen neuen Ort „umgezogen“. Diskutiert wird in Diskutiermedien, und das sind weiterhin Mailinglisten. Jede Nachricht wird an die Teilnehmer persönlich versandt und zugestellt. Twitter spielte bei der Verbreitung des Posts eine gewisse Rolle, so gelangte der Beitrag auf Rivva; dort werden bisher aber nur drei Blogs erwähnt, die das Thema aufgegriffen haben – auch bei ihnen wurde bisher nicht kommentiert.
Man kann diese Diskussionsmüdigkeit im Web 2.0 mit mehreren Trends in Beziehung bringen: mit dem Ekel vor dem Netz im Zuge der Snowden-Affäre, aber auch mit dem allgemeinen Rückzug aus dem Netz infolge der Shitstorms, der Online-Kampagnen und der sonstigen nervtötenden Begleiterscheinungen. Die Blütezeiten des Netzes sind vorbei. Das Pendel schwingt in die andere Richtung, und die Gruppen der Intensivnutzer und der Zurückhaltenden scheiden sich immer deutlicher.
Zum anderen greift Archivalia aber auch einen sehr wesentlichen Trend auf, den man aufmerksam beobachten sollte. Denn Portale wie Sci Hub, von einer Studentin gegründet, und sonstige schwarze Kanäle verweisen auf die Einstellung der Menschen zum Recht.
Wenn es heißt, Sci Hub sei unrechtmäßig, so ist das wahrscheinlich richtig. Aber diese Wertung trifft auf eine Generation, der die Quellen, aus denen sie schöpft, egal geworden sind – und zwar gerade auch im Angesicht der allgemeinen Überwachung. Es wäre aus technischer Sicht überhaupt kein Problem, sie zu stellen, das hat man bei der Verfolgung der Software- und Musik-„Piraterie“ gesehen. Aber vielleicht wird es dazu bei der Literaturversorgung gar nicht kommen, denn die Verlage rudern ja schon lange zurück, etwa indem das „harte DRM“ bei E-Books zunehmend fallengelassen und durch bloße Wasserzeichen ersetzt wird. Den Rest besorgte bei der Musik der Übergang von Download zu Streaming. Dazu wird es auch hier immer mehr kommen. Gerade deswegen muten ja der PDF- und EPUB-Download bei der Onleihe und der Versuch des Marketings der Süddeutschen Zeitung so retro an, im Zuge ihrer Panama-Papers-Kampagne Abonnenten für ihr E-Paper zu gewinnen. Der direkte Zugriff auf Daten aus dem Web und die Flatrate sind die Zukunft, und zwar nicht die Flatrate für eine Zeitung oder Zeitschrift, sondern für so etwas wie Sci Hub, wo man alles aus einer Quelle bekommt. So wie man ja auch bei Google irgendwie alles finden kann. So nehmen die meisten Menschen eben das Internet wahr: Alles aus einer Hand. Verteilte Lösungen schwinden, zentralisierte wachsen. Ein Paradoxon im fragmentierten Netz mit seinen fragmentierten Öffentlichkeiten. Am Ende finden sie sich alle an einen Knoten im Netz wieder. Im Bibliothekswesen überschneidet sich das mit der Erzählung von der Bibliothek von Babel, die am Ende die ganze Welt ist. Und wenn die Verlage das nicht von sich aus einsehen und sich für die Vermarktung zusammentun, werden die Benutzer das eben ganz pragmatisch auf andere Weise herbeiführen.
Am Ende wurde die Pirate Bay kommerzialisiert und aus dem Reich der Schattenwirtschaft ins helle Licht geführt – bevor sie schließlich aus dem allgemeinen Bewußtsein verschwand. Heute kennt sie keiner mehr. So wird es auch mit Sci Hub und Co. kommen. Bloß die Fernleihe, die wird es ganz sicherlich auch neben der normalen Ausleihe und dem Verkauf von Texten weiterhin geben, und das würde ich doch auch hoffen.
Denn eine Welt mit 100-prozentigem Open Access ist wahrscheinlich nicht erreichbar. Und das liegt einfach daran, daß es mehr Prestige mit sich bringt, bei einem externen Verlag zu publizieren als auf dem OA-Server der universitätseigenen Unibibliothek. Nur der Dritte kann die Gewähr dafür bieten, daß der Autor und sein Text ausgewählt worden sind, dort zu erscheinen. Auch wenn das Lektorat mittlerweile vielfach ausfällt: Do-it-yourself und Selfpublishing werden nicht für alle Zwecke und auch nicht für alle Fächer eine gangbare Lösung sein. Bei den Juristen wird jedenfalls weiter ganz viel gedruckt. Es ist kein Zufall, daß sich die Konstanzer Juristen gerade gegen eine Verpflichtung zur Zweitveröffentlichung ihrer Texte gewandt haben. Und auch dieser Bedarf will weiterhin über Bibliotheken verteilt sein. Nur sie können sowohl eine Infrastruktur für proprietäre als auch für offene Medien organisieren und betreiben. Mit der Fernleihe auch ortsübergreifend.
Ob das eine billiger als das andere sein wird, ist am Ende übrigens geschenkt, denn beides wird nebeneinander bestehen. Das Verlagsprodukt wird man ebensowenig verdrängen können wie den Open Access. Die Autoren wie die Benutzer haben sich darauf eingestellt.
Samstag, 9. April 2016
MacSOUP wird nicht mehr unterstützt
Vielleicht hatte es der eine oder die andere schon geahnt: Stefan Haller hat in de.comp.sys.mac.misc erklärt, den Support von MacSOUP nicht mehr leisten zu können. Der Newsreader für OS X wird also nicht mehr aktualisiert werden: Es ist total veraltet, sowohl von der Oberfläche her als auch unter der Haube; es ist nicht unwahrscheinlich, daß es mit dem nächsten (oder übernächsten) OS-Update aufhört zu funktionieren, und ich keine Zeit haben werde, es zum Laufen zu kriegen.
Sehr, sehr schade. Der Geist des alten Macs verschwindet immer mehr. Einige empfehlen nun slrn als Newsreader, es gibt aber auch Gnus und Thunderbird. Weitere freie Clients für OS X gibt es aber nicht mehr, auch ihre Weiterentwicklung wurde schon eingestellt. (Siehe die alte Übersicht im Apfelwiki.)
Die Lage erinnert an den Engpaß beim Emacs-Port Aquamacs – sonst gibt es nur noch Emacs.app. Oder an das Ende der Feedreader, das den meisten erst auffiel, als der Google-Reader eingestellt wurde und die Alternativen fehlten. (Man nehme Vienna.) Nicht nur Apple und die Appifizierung, auch das Web 2.0 frißt zuerst die freien Clients – und dann seine User. Das Ende des freien Webs rückt näher.
Freitag, 8. April 2016
Entdeckung hinter dem Haus XIII
Ein kurzes Update: Die kritische Reflexion der Panama Papers findet in den sogenannten Leitmedien weiterhin nicht statt. Stattdessen in den Blogs, etwa durch Jens Berger oder Wolfgang Michal. Er weist auch darauf hin, daß es einen Vorläufer gab, nämlich eine Geschichte über die gleiche panamaische Firma von Ken Silverstein, 2014 in Vice veröffentlicht. Und die Fragen nach der Finanzierung und den Interessen hinter dem Scoop werden drängender. Diese Kritik wird vom Mainstream weiterhin nicht aufgegriffen. Die Medienmaschine läuft, als wäre nichts gewesen. Das Drehbuch wird abgearbeitet, und alle machen mit. Und jetzt ist erstmal Wochenende. Wenn es so weitergeht, werden die Panama-Papiere einen ähnlichen Weg nehmen wie einst die Tagebücher-Story des Stern.
Mittwoch, 6. April 2016
Entdeckung hinter dem Haus XII
Die kritischen Anmerkungen an der Panama-Papers-Kampagne der Massenmedien reißen nicht ab. Der Corporate-Blogger Michael Firnkes fragt: Und wer kontrolliert den Datenjournalismus? Er zählt eine Reihe von Unwägbarkeiten bei dieser investigativen Arbeitsweise auf und endet: Normalerweise bräuchte jeder Verlag, jeder Medienschaffende eine oder mehrere unabhängige Instanzen, welche die Ergebnisse und die Folgeerscheinungen des Datenjournalismus kontrollieren und monitoren. Das ist aber angesichts der Geheimniskrämerei um die Daten, aufgrund deren der Hype erfolgt, nicht möglich. Die Unterlagen sollen auch nicht an die Staatsanwaltschaft gegeben werden, um Strafermittlungen anzustoßen. So stellt es sich die Süddeutsche Zeitung jedenfalls vor: Der Perlentaucher schreibt – wenn auch mit nichtzutreffender Quelle –, man fühle sich dort nicht als der verlängerte Arm der Staatsanwaltschaft. Als was aber dann? Alles also doch nicht so ernst gemeint? Und Ronen Palan bemerkt im Verfassungsblog, er habe bisher nichts Neues gelesen, was ihm nicht vorher schon bekannt gewesen wäre. So, what?
Das gewünschte Ergebnis ist erreicht: Die Nachrichten und die Sozialen Netzwerke werden auf Wochen hinaus mit dem Thema gefüllt sein. Ein bißchen Wind im Social Web ist günstig zu haben. Man kann das buchen. Bis in den privaten Raum hinein, greift das Thema um sich. Und da der Umfang der Nachrichten in den Massenmedien ein Nullsummenspiel ist – die Tagesschau hat jeden Abend nur 15 Minuten –, geht das auf Kosten sehr viel wichtigerer Themen, die schon jetzt viel zu kurz kommen. Die Initiative Nachrichtenaufklärung veröffentlicht jedes Jahr die Top-Themen, für die man sich eine angemessene Berichterstattung gewünscht hätte. Sie kommen damit noch kürzer. Ehrenwert wäre es gewesen, hunderte Leute dranzusetzen, wenn es um die nächste Hartz-IV-Reform und die Frage ginge, wie die armen Leute immer noch ärmer gemacht werden. Oder wie AfD und Pegida finanziert werden.
Es geht der SZ und den anderen Medien, die sich dieser Kampagne angeschlossen haben, nicht ums Thema, sondern um Werbung und PR in eigener Sache – und alle machen mit. So entsteht eine Neuauflage von Settings, die in den 1980er Jahren noch in Seifenopern wie Dallas oder Denver Clan daherkamen. Man soll sich also über die Machenschaften der Reichen aufregen, kann daran aber selbst nichts ändern. Die bunten Zeichnungen in der Zeitung zeigen es: Putin gibt diesmal den J.R. Ewing. So werden die Bürger am Ende nur abgelenkt von den Dingen, an denen sie tatsächlich politische Selbstwirksamkeit erleben könnten. Bei den Römerberggesprächen hatte Wilhelm Heitmeyer 2011 auf die Frage hin, wie man die Demokratie stärken könne, empfohlen, gerade diese Selbstwirksamkeit zu stärken, und zwar im möglichst kleinen Rahmen: Ich habe etwas Konkretes bewirkt durch die Stimmabgabe, durch mein politisches Engagement. Aber hier wird ausschließlich Ohnmacht deutlich. Es fängt bei der fehlenden Möglichkeit an, all das zu überprüfen, was in den Berichten erzählt wird, und es geht bei der fehlenden Möglichkeit einzugreifen weiter. Das lähmt, statt zu mobilisieren. Und es bedient nur alte Feindbilder.
Und das ist schlechter Journalismus, der mit einer riesigen PR- und Social-Media-Kampagne daherkommt, der nicht selbst Fragen nach seiner Finanzierung stellt. Der wichtigere Themen verdrängt, um sich selbst als Aufklärer zu inszenieren, obwohl dabei nur eine Show entsteht, die am Ende Desinformation bewirkt. Die Zweifel überwiegen deutlich. Der große Hype, der demonstrieren sollte, wozu die Presse doch noch gebraucht werde, kehrt sich ins Gegenteil: So eine Presse, die sich vor allem selbst in Szene setzt und die von den politischen Themen, die in den letzten Wochen bestimmend waren, möglichst wirksam ablenkt, braucht tatsächlich niemand.
Dienstag, 5. April 2016
Remote Access: Die Stadtbibliothek Darmstadt baut ab
Die Stadtbibliothek Darmstadt bietet KLG, KLfG und PressReader über Munzinger an; außerdem Genios, letzteres aber nur noch mit einer kleinen Auswahl an deutschsprachiger Presse; die Fachzeitschriften wurden vor einem halben Jahr schon fallengelassen, schrieb ich vor kurzem. Und stelle nun fest, daß die Süddeutsche Zeitung ziemlich leise aus dem Darmstädter Genios gestrichen worden ist. Dafür gibt es nun sehr viel Provinzpresse, also etwa die Osterländer Volkszeitung. Nichts gegen die Osterländer Volkszeitung, aber die Entwicklung ist doch enttäuschend. Es verbleiben für meine Interessen: Zeit, Spiegel, Frankfurter Rundschau, taz, NZZ und Der Standard. Nicht gerade wenig, aber es fing mal attraktiver an. Mit fehlt weiterhin die FAZ. Zumal der PressReader via Munzinger doch ziemlich umständlich zu bedienen ist, bei mir nur in Safari und Google Chrome funktioniert und offenbar auch keine Volltextsuche über alle Texte anbietet. Ebenso wie die E-Papers aus der Onleihe. Man muß sie einzeln herunterladen und kann nicht gezielt alle Beiträge zu einem bestimmten Thema ansehen. Sehr nachteilige Entwicklung für die Benutzer.
Montag, 4. April 2016
Entdeckung hinter dem Haus XI
Während die Zeitungen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur über die Panama Papers schreiben, statt sie selbst zu veröffentlichen (wer das wollte, hätte zu Wikileaks gehen müssen), ist das Web schnell mit kritischen Anmerkungen, sehr schnell sogar.
Man darf gespannt sein, ob aus der Information nicht doch am Ende ein Desinformationsprojekt wird. Was ist eigentlich passiert? Wo liegen die Probleme? Was sind die Folgen? Was sind die Rechtsfolgen? Die bisherigen Veröffentlichungen scheitern schon an dieser einfachen Frage. Wer nicht in der Lage ist, das in fünf Sätzen auf den Punkt zu bringen – weder die Süddeutsche Zeitung noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sind es offenbar –, der hätte besser noch eine Weile über den großen Datenfund nachdenken sollen. Datenbanken und Big Data sind eben nicht alles. Wer hat die ellenlangen Texte schon gelesen?
Auffällig bloß, daß es sofort Wikipedia-Artikel zu dem Thema gab, sofort, ohne Verzug, in derzeit über 30 Sprachen und in erstaunlich guter Qualität. Samt Logo auf Wikimedia Commons, Typeface used by Süddeutsche Zeitung in the original leak, angeblich soll es unter Public Domain stehen, because it is ineligible for copyright. Und dann heißt es da: Am 3. April 2016 präsentierten 109 Zeitungen, Fernsehstationen und Online-Medien in 76 Ländern gleichzeitig die ersten Ergebnisse. Stimmt. In einem Online-Medium sogar in mehr als 30 Sprachen, als Teil der begleitenden Social-Media-Kampagne.
Immerhin, auf SWR2 findet man ein Gespräch über die Krise des Qualitätsjournalismus. War da was?