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Ich wundere mich

Zwei kritische Stimmen zur Digitalisierung, die thematisieren, daß jeder selbst Teil des Problems ist:

  • Günter Grass, 2013 (via Open Culture): „… In meiner Werkstatt gibts keinen Computer. Ich habe selbst kein Handy. Für mich wäre die Vorstellung, ein Handy dabei zu haben, das heißt dauernd erreichbar zu sein, und wie ich mittlerweile weiß, auch dauernd überwacht zu werden, eine grauenhafte Vorstellung, und ich wundere mich, daß nach diesen neuesten Erkenntnissen nicht Millionen Menschen sich von Facebook und all dem Scheißdreck distanzieren und sagen: ‚Damit will ich nichts zu tun haben!‘ Wenn ich Informationen haben will, mache ich mir die Mühe und recherchiere. Gehe in die Bibliothek und gucke in Bücher. Das geht alles langsam, ich weiß, man kann mit Hilfen das alles beschleunigen, aber zum Beispiel läßt sich Literatur als Arbeitsvorgang nicht beschleunigen. Wer es macht, macht es auf Kosten der Qualität.“
  • Harald Welzer, 2015 (via BILDblog): „… Es wäre doch Micky-Maus-Denke, anzunehmen, dass eine Veränderung der Verhältnisse an einem so entscheidenden Punkt zu haben wäre, ohne einen Preis dafür zu bezahlen. Widerstand kostet. Schlimmstenfalls das Leben, wie wir aus der Geschichte wissen. Uns hingegen erscheint es schon als zu teuer bezahlt, wenn wir auf Whatsapp verzichten sollten. Obwohl wir wissen, dass wir uns mit jeder Message einer Totalüberwachung ausliefern. … E-Mails schreibe und lese ich noch. Auch Suchmaschinen benutze ich. Aber ich bin weder bei Facebook noch bei Xing. Ich habe auch kein Smartphone und werde mir ganz sicher nie eines zulegen.“

Soziale Probleme können nicht durch Technik, sondern nur durch eine andere soziale Praxis gelöst werden.

Schwach und blaß II

Beim Bäcker, wo ich den Kuchen zum Nachmittagstee kaufe, quellen die Zeitungen aus dem vollen Ständer. Vorne drauf: Bilder von Günter Grass. Die Nachrufe auf ihn waren dem Absatz nicht förderlich. Alles schon bekannt. Der Journalismus hat reagiert, wie zu erwarten war. Also ein Blick in die Blogs: Maximilian Schönherr hat einem der nächsten SWR2 Archivradios vorgegriffen und einen etwa 33-minütigen Ausschnitt aus einer Tagung der Gruppe 47 aus dem Archiv des SFB/RBB eingestellt. Günter Grass liest 1962 in Berlin aus seinem damals noch unveröffentlichten Roman „Hundejahre“, und Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki kritisieren ihn. Soviel Gegenwart brachte heute kein Feuilleton zutage.

Schwach und blaß

Die Generation von Grass, Habermas, Enzensberger verdankte ihre Wirkung den Massenmedien, die den politischen Diskurs gebündelt und damit auch intellektuelle Stimmen verstärkt hatten. Im Vergleich dazu muß jeder, der ihnen nachfolgt, heute schwach und blaß wirken. Auch wenn er genauso kräftig sänge wie sie, wäre er damit weniger gut zu vernehmen und erschiene notwendigerweise kleiner.

Die Schrift wird zum Leben IV

Man soll ja auch die Gegenseite hören. Wenn es ums Bloggen geht, also die Journalisten. Jene, die, wie etwa Katharine Viner (via Text & Blog), sich mit den neuen Bedingungen der Öffentlichkeit im Web arrangieren mögen. Oder jene, die wie Wolf Schneider und Paul-Josef Raue sowohl die Probleme der eigenen Zunft im Verhältnis zu den Bloggern als auch die Schwächen der alten Massenmedien in drei Seiten auf den Punkt bringen (Voransicht bei Google Books, „Was Journalisten von Bloggern lernen können“, Printausgabe: S. 45–47).

Auch sie haben durchaus Zweifel, ob das Bild vom Blogger als Amateur und dem Journalisten als Profi der Wirklichkeit gerecht wird. Häufiger sei doch wohl der Fall, zitieren sie Daland Segler, daß der Blogger, allgemein: der Leser der Experte sei, während in der Redaktion ein Allrounder sitze, dessen Stärke in der Vermittlung liege, weniger in der fachlichen Expertise. Aber dann kommt am Ende des Abschnitts doch wieder der Schlenker zurück zur alten Welt der journalistischen Gatekeeper, die bestimmen, was reinkommt und was draußenbleibt: Das Web 2.0 sei für die Bürger viel zu unübersichtlich, Journalisten würden gebraucht, „um Ordnung zu schaffen“, wer keine Zeitungen lese und nicht fernsehe, sei am Ende „völlig uninformiert“.

Dann also doch lieber wieder zurück zu Katharine Viner? „Not original reporting or verification, journalists or bloggers, journalists or activists, journalists or readers. The future of journalism, with humility, is all of the above.“ Das liest sich aber doch auch wieder wie eine Art Gatekeeper 2.0. Weil sie über den Content nachdenkt, über das Angebot, das sie verkauft, während im Web der Leser über seine Auswahl den Inhalt, den er zur Kenntnis nimmt, selbst steuert. Das Web funktioniert über die Nachfrage. Der Rezipient ist also der eigentliche Gatekeeper. Immer schon. Abgesehen von den „Intermediären“, also vor allem den Suchmaschinen. Aber die gilt es auszuschalten durch eine stark untereinander verlinkte Blogosphäre. Durch das Verfolgen des so entstehenden Hypertexts bildet sich der Leser seine Meinung. Und Viners Entwurf wirkt insoweit eher wie der Versuch, in diesen Text und in diesen Kontext, aus dem sie zunehmend ausgeschlossen ist, doch wieder Eingang zu finden, nicht im Abseits stehen zu bleiben, im Niemandsland der unverkäuflichen Nachrichten.

„Buddha. 108 Begegnungen“ im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main

Wie angekündigt, kamen wir zurück, als die Sonne wieder schien, um uns der Ausstellung „Buddha. 108 Begegnungen“ im Museum Angewandte Kunst zu widmen.

Wie es der Name nahelegt, werden in der Schau 108 durchnumerierte Skulpturen des Buddha gezeigt. Die Bildnisse sind nach den südostasiatischen Ländern und Regionen gruppiert, aus denen sie stammen. Ein Begleitheft und ein Glossar dienen zur Orientierung.

Damit ist auch schon das größte Manko angesprochen: Die Skulpturen werden in der Ausstellung nicht beschrieben, sondern sie sind nur mit einer Nummer versehen worden. Diese muß man im Begleitheft nachschlagen, wo man dann z. B. eine Beschreibung findet wie: „2.: Meditierender Bodhisattva (Siddhartha unter dem jambu-Baum?) – Nordwestpakistan, Gandhara, 2./3. Jahrhundert. Grauer Schiefer.“ Was ein Bodhisattva ist, entnehme man dem separaten Glossar – das seinerseits leider nicht vollständig ist. Die Beschreibungen sind regelmäßig viel zu knapp gehalten. Abgesehen von der Einführung zum Beginn und einem kleinen Nebenraum, in dem ein buddhistischer Altar beschrieben wird, gibt es keine weiteren Wandtexte, und es liegt auch kein Katalog aus, um sich weitergehend zu informieren. So wird eine große Chance, den Buddhismus anhand der größtenteils sehr schönen Werke zu erklären und sinnlich erfahrbar zu machen, vertan. Eine Kunstvermittlung findet im MAK nicht statt. Und auch die spirituelle Erfahrung haben wir vermißt.

So bleibt leider ein recht oberflächlicher Eindruck von dem alten Kunsthandwerk zurück. Am meisten beeindruckt, wie die Gestalt des Buddha im Zuge der Ausbreitung des Buddhismus immer wieder den jeweiligen Menschenbildern der Region angepaßt wurde. Haltung und Gebärden sind die gleichen geblieben. Die Gesichtszüge und die Tracht paßte man der vorherrschenden Ethnie in der Region an. Das zeugt letztlich bei allen Gemeinsamkeiten von einer Vielfalt, die unter dem Eindruck von Massenmedien oder gar des Internet heute nicht mehr möglich wäre.

Buddha. 108 Begegnungen. Museum Angewandte Kunst Frankfurt am Main. Bis 7. Juni 2015.

Zeit zum Nachdenken

Harper's Weekly Review zitiert diese Woche eine Meldung über eine sechsundzwanzigjährige Chinesin, die eine Woche in einem Kentucky Fried Chicken am Bahnhof von Chengdu verbracht hatte. Nachdem ihr Freund sich von ihr getrennt hatte, reagierte sie mit einer akuten Depression und konnte nicht mehr zur Arbeit fahren, heißt es in dem Beitrag. Sie ging in das Fastfood-Restaurant und blieb dort eine Woche lang sitzen, bis sie dem Personal auffiel, so daß auch die örtliche Presse über sie schrieb. Wegen der Wechselschichten in dem rund um die Uhr geöffneten Laden habe man sie erst nicht bemerkt, aber nach ein paar Tagen sei sie ihnen irgendwie bekannt vorgekommen, hieß es. Eine Heimkehr in ihre Wohnung erschien ihr nicht gangbar, weil sie dort ständig an ihren Freund erinnert worden wäre. Also blieb sie sitzen, wo sie war, denn sie habe bemerkt, daß sie Zeit zum Nachdenken brauche. Schließlich entschloß sie sich, zu ihren Eltern zu fahren, und verließ den Imbiß.

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