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Schwach und blaß III

Auch in Norditalien war die FAZ vom 14. April 2015 ein Ladenhüter, berichtet Martin Lüdke bei Faust-Kultur: „Eher vom Vordertaunus inspiriert. Provinziell.“ Früher schrieb er bei der Frankfurter Rundschau, bevor sie von der FAZ gekauft wurde. Die Kulturportale im Netz entwickeln sich zunehmend zu einem Forum für melancholische Rückblicke auf die alte Zeit der Print-Feuilletons.

Ich wundere mich

Zwei kritische Stimmen zur Digitalisierung, die thematisieren, daß jeder selbst Teil des Problems ist:

  • Günter Grass, 2013 (via Open Culture): „… In meiner Werkstatt gibts keinen Computer. Ich habe selbst kein Handy. Für mich wäre die Vorstellung, ein Handy dabei zu haben, das heißt dauernd erreichbar zu sein, und wie ich mittlerweile weiß, auch dauernd überwacht zu werden, eine grauenhafte Vorstellung, und ich wundere mich, daß nach diesen neuesten Erkenntnissen nicht Millionen Menschen sich von Facebook und all dem Scheißdreck distanzieren und sagen: ‚Damit will ich nichts zu tun haben!‘ Wenn ich Informationen haben will, mache ich mir die Mühe und recherchiere. Gehe in die Bibliothek und gucke in Bücher. Das geht alles langsam, ich weiß, man kann mit Hilfen das alles beschleunigen, aber zum Beispiel läßt sich Literatur als Arbeitsvorgang nicht beschleunigen. Wer es macht, macht es auf Kosten der Qualität.“
  • Harald Welzer, 2015 (via BILDblog): „… Es wäre doch Micky-Maus-Denke, anzunehmen, dass eine Veränderung der Verhältnisse an einem so entscheidenden Punkt zu haben wäre, ohne einen Preis dafür zu bezahlen. Widerstand kostet. Schlimmstenfalls das Leben, wie wir aus der Geschichte wissen. Uns hingegen erscheint es schon als zu teuer bezahlt, wenn wir auf Whatsapp verzichten sollten. Obwohl wir wissen, dass wir uns mit jeder Message einer Totalüberwachung ausliefern. … E-Mails schreibe und lese ich noch. Auch Suchmaschinen benutze ich. Aber ich bin weder bei Facebook noch bei Xing. Ich habe auch kein Smartphone und werde mir ganz sicher nie eines zulegen.“

Soziale Probleme können nicht durch Technik, sondern nur durch eine andere soziale Praxis gelöst werden.

Schwach und blaß II

Beim Bäcker, wo ich den Kuchen zum Nachmittagstee kaufe, quellen die Zeitungen aus dem vollen Ständer. Vorne drauf: Bilder von Günter Grass. Die Nachrufe auf ihn waren dem Absatz nicht förderlich. Alles schon bekannt. Der Journalismus hat reagiert, wie zu erwarten war. Also ein Blick in die Blogs: Maximilian Schönherr hat einem der nächsten SWR2 Archivradios vorgegriffen und einen etwa 33-minütigen Ausschnitt aus einer Tagung der Gruppe 47 aus dem Archiv des SFB/RBB eingestellt. Günter Grass liest 1962 in Berlin aus seinem damals noch unveröffentlichten Roman „Hundejahre“, und Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki kritisieren ihn. Soviel Gegenwart brachte heute kein Feuilleton zutage.

Unsichtbar

„Mit kaum einem journalistischen Beitrag hätte [TV5] so eindrucksvoll zeigen können, wozu Angreifer aus dem Cyberspace in der Lage sind.“ Und mit kaum einer anderen Feststellung hätte die Süddeutsche Zeitung, hier zitiert aus dem Altpapier, das Hauptproblem bei der Aufklärung über die Sicherheitsprobleme des Internets besser fassen können. Wie zeigt man das Unsichtbare? Und wann wird auch der dort verlinkte Volltext aus der SZ infolge der eigenen Paywall selbst unsichtbar sein?

„Freies Wissen gegen Googles Algorithmen“

Der Vizepräsident für Lehre an der Technischen Universität Hamburg-Harburg Sönke Knutzen über die Pläne, ein eigenes Online-Angebot der Hamburger Hochschulen aufzubauen – „Freies Wissen gegen Googles Algorithmen“:

Der Asta kritisiert, daß die Pläne wahrscheinlich als Rationalisierung angelegt seien und daß die Studentenschaft bisher nicht beteiligt worden ist. Aber ersteres muß ja nicht notwendigerweise der Fall sein, und letzteres kann ja noch kommen. Auch Bildungsblogger Jochen Robes ist skeptisch, wie auch Gabi Reinmann, auf die er sich bezieht. Ich bin jedenfalls gespannt, was aus der „Hamburg Open Online University“ wird. Zum ganzen auch ausführlich hh-heute.

Auch die Volkshochschulen springen übrigens auf den OER- und MOOC-Zug auf. Ab dem 28. Mai 2015 beginnt der „ichMOOC – Mein digitales Ich“.

Die Schrift wird zum Leben IV

Man soll ja auch die Gegenseite hören. Wenn es ums Bloggen geht, also die Journalisten. Jene, die, wie etwa Katharine Viner (via Text & Blog), sich mit den neuen Bedingungen der Öffentlichkeit im Web arrangieren mögen. Oder jene, die wie Wolf Schneider und Paul-Josef Raue sowohl die Probleme der eigenen Zunft im Verhältnis zu den Bloggern als auch die Schwächen der alten Massenmedien in drei Seiten auf den Punkt bringen (Voransicht bei Google Books, „Was Journalisten von Bloggern lernen können“, Printausgabe: S. 45–47).

Auch sie haben durchaus Zweifel, ob das Bild vom Blogger als Amateur und dem Journalisten als Profi der Wirklichkeit gerecht wird. Häufiger sei doch wohl der Fall, zitieren sie Daland Segler, daß der Blogger, allgemein: der Leser der Experte sei, während in der Redaktion ein Allrounder sitze, dessen Stärke in der Vermittlung liege, weniger in der fachlichen Expertise. Aber dann kommt am Ende des Abschnitts doch wieder der Schlenker zurück zur alten Welt der journalistischen Gatekeeper, die bestimmen, was reinkommt und was draußenbleibt: Das Web 2.0 sei für die Bürger viel zu unübersichtlich, Journalisten würden gebraucht, „um Ordnung zu schaffen“, wer keine Zeitungen lese und nicht fernsehe, sei am Ende „völlig uninformiert“.

Dann also doch lieber wieder zurück zu Katharine Viner? „Not original reporting or verification, journalists or bloggers, journalists or activists, journalists or readers. The future of journalism, with humility, is all of the above.“ Das liest sich aber doch auch wieder wie eine Art Gatekeeper 2.0. Weil sie über den Content nachdenkt, über das Angebot, das sie verkauft, während im Web der Leser über seine Auswahl den Inhalt, den er zur Kenntnis nimmt, selbst steuert. Das Web funktioniert über die Nachfrage. Der Rezipient ist also der eigentliche Gatekeeper. Immer schon. Abgesehen von den „Intermediären“, also vor allem den Suchmaschinen. Aber die gilt es auszuschalten durch eine stark untereinander verlinkte Blogosphäre. Durch das Verfolgen des so entstehenden Hypertexts bildet sich der Leser seine Meinung. Und Viners Entwurf wirkt insoweit eher wie der Versuch, in diesen Text und in diesen Kontext, aus dem sie zunehmend ausgeschlossen ist, doch wieder Eingang zu finden, nicht im Abseits stehen zu bleiben, im Niemandsland der unverkäuflichen Nachrichten.

„Buddha. 108 Begegnungen“ im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main

Wie angekündigt, kamen wir zurück, als die Sonne wieder schien, um uns der Ausstellung „Buddha. 108 Begegnungen“ im Museum Angewandte Kunst zu widmen.

Wie es der Name nahelegt, werden in der Schau 108 durchnumerierte Skulpturen des Buddha gezeigt. Die Bildnisse sind nach den südostasiatischen Ländern und Regionen gruppiert, aus denen sie stammen. Ein Begleitheft und ein Glossar dienen zur Orientierung.

Damit ist auch schon das größte Manko angesprochen: Die Skulpturen werden in der Ausstellung nicht beschrieben, sondern sie sind nur mit einer Nummer versehen worden. Diese muß man im Begleitheft nachschlagen, wo man dann z. B. eine Beschreibung findet wie: „2.: Meditierender Bodhisattva (Siddhartha unter dem jambu-Baum?) – Nordwestpakistan, Gandhara, 2./3. Jahrhundert. Grauer Schiefer.“ Was ein Bodhisattva ist, entnehme man dem separaten Glossar – das seinerseits leider nicht vollständig ist. Die Beschreibungen sind regelmäßig viel zu knapp gehalten. Abgesehen von der Einführung zum Beginn und einem kleinen Nebenraum, in dem ein buddhistischer Altar beschrieben wird, gibt es keine weiteren Wandtexte, und es liegt auch kein Katalog aus, um sich weitergehend zu informieren. So wird eine große Chance, den Buddhismus anhand der größtenteils sehr schönen Werke zu erklären und sinnlich erfahrbar zu machen, vertan. Eine Kunstvermittlung findet im MAK nicht statt. Und auch die spirituelle Erfahrung haben wir vermißt.

So bleibt leider ein recht oberflächlicher Eindruck von dem alten Kunsthandwerk zurück. Am meisten beeindruckt, wie die Gestalt des Buddha im Zuge der Ausbreitung des Buddhismus immer wieder den jeweiligen Menschenbildern der Region angepaßt wurde. Haltung und Gebärden sind die gleichen geblieben. Die Gesichtszüge und die Tracht paßte man der vorherrschenden Ethnie in der Region an. Das zeugt letztlich bei allen Gemeinsamkeiten von einer Vielfalt, die unter dem Eindruck von Massenmedien oder gar des Internet heute nicht mehr möglich wäre.

Buddha. 108 Begegnungen. Museum Angewandte Kunst Frankfurt am Main. Bis 7. Juni 2015.

Gardiner über Bach

Die BBC hat John Eliot Gardiners Dokumentation über Johann Sebastian Bach aus dem Jahr 2013 im eigenen Kanal auf YouTube veröffentlicht: Bach. A passionate life dauert eineinhalb Stunden und ist absolut sehens- und hörenswert (das Video war am 8. Juni 2015 nicht mehr online).

Angesichts der zahllosen Raubkopien ihrer Beiträge hat die BBC nun wohl sozusagen die Flucht nach vorn angetreten und stellt hochwertige Kopien selbst auf YouTube ein.

(via Philoblog)

Selbststeuerung, Morozov, Antville und MetaGer

Ein ostersonntäglicher Blick in den Feedreader: Joachim Bauer sagt in einem Interview, das der Deutschlandfunk heute morgen gesendet hatte, wer sich im Leben an längerfristigen Zielen orientiert, sei gesünder und werde leichter wieder gesund. Er redet der Compliance das Wort, aber auch den Selbstheilungskräften. Die „Selbststeuerung“ des Patienten sei zu stärken. Es komme für den Behandlungserfolg sehr viel stärker als bisher angenommen auf ein gutes Arzt-Patient-Verhältnis an. Im Hintergrund steht das Verständnis von Gesundheit und Krankheit als Kontinuum, das mal mehr zur einen, mal mehr zur anderen Seite hin ausschlägt, aber nie vollständig auf einer Seite steht.

Ich bringe das auch in Verbindung mit meinen Online-Gewohnheiten und denke an die bewußte Auswahl der Tools und Plattformen, die ich nutze, denn diese ist stets langfristig angelegt. Aber da ist Evgeny Morozov bei Futurezone heute anderer Ansicht: Wer meine, auf Google verzichten zu können, rede „Blödsinn“, sagt er. Die Meinung beruhe „auf der religiösen, protestantischen Annahme, dass wir uns alle ethisch zu verhalten haben. Das führt zu einer sehr eingeschränkten Vorstellung davon, was Macht ist. Wenn ich meine Zeit effizient nutzen, meine Arbeit erledigen und nicht als Idiot oder technikfeindlicher Freak gelten will, gibt es keine Alternative zu Google. Der Zeitdruck wird vom ökonomischen und sozialen System ausgeübt. Menschen, die mehrere Jobs brauchen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, werden nicht plötzlich Geld für minderwertige Technik ausgeben wollen, weil das aus ethischer Sicht Sinn macht.“

Der Gedanke geht ziemlich durcheinander. Schon der Ausgangspunkt, der die Auswahl von Tools in die protestantische Ethik einordnet, stimmt gar nicht. Es ist eher eine Frage der Achtsamkeit sowie der Selbstwirksamkeit. Beides kann zufriedener und damit auch in dem eingangs angesprochenen Sinne gesünder machen. Es ist auch nicht richtig, daß Alternativen zu Google eine „minderwertige Technik“ böten. Im Gegenteil habe ich über MetaGer viele Inhalte erst gefunden, die mir Google – „dank“ Filterbubble? – gar nicht mehr angezeigt hatte. Das gilt insbesondere für Themen aus dem Gesundheitswesen, aber auch für Nachrichten. Insoweit war das Googlen mit Google also sowohl ineffizient als auch nicht datensparsam und hat mir somit klar geschadet.

Auch die Auswahl der Bloggerplattform gehört übrigens in diesen Zusammenhang: WordPress.com oder Antville? Wenn man die jüngsten Eskapaden und die offizielle Reaktion der Mitarbeiterin, die bei Automattic als „Happiness Engineer“ tätig ist, angesichts von gut 3000 öffentlichen Petenten innerhalb weniger Tage sieht: Im Zweifel blogge ich lieber bei Antville.

Ich nehme die Vorgänge um den Post Editor bei WordPress.com zum Anlaß, mich von dort zu verabschieden und meine schneeschmelze nur noch zum Dokumentieren ausgewählter Beiträge zu verwenden, wie schon zu Anfang. Mein laufendes Blog wird albatros.antville.org sein. Damit greife ich eine Linie auf, die ich im Januar 2013 begonnen hatte. Dies auch als ein Zeichen dafür, daß die Selbstfindung und -vergewisserung, der die schneeschmelze gedient hat, in eine neue Phase übergeht.

Übrigens wurden sowohl Antville als auch MetaGer gerade einem Update unterzogen. Es ist schön, daß beide Plattformen gemeinnützig und aktiv weiterentwickelt werden und daß man hier noch direkten Kontakt zu den Entwicklern hat. Bei MetaGer wurde so im Laufe des letzten Jahres unter anderem eine Wiki- und eine Blog-Suche integriert. Auch eine eigene Nachrichtensuche gibt es wieder.

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