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Petition für Netzpolitik.org

Der Online-Petition, die die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Netzpolitik.org fordert, haben sich bisher nur wenige Blogger angeschlossen. Bisher gibt es derzeit 845 Unterzeichner, stetig zunehmend, außerdem die Erstunterzeichner, die wohl aus dem engeren Netzwerk von Netzpolitik.org stammen. Viele Unterstützer kommen aus dem IT-Bereich, aber nicht nur. Es dürfte richtig sein, sich ihnen anzuschließen. Bloggen und twittern reichen nicht aus, um politisch wirksam zu werden. Grundrechte werden nicht dem Passiven gewährt, sie müssen aktiv erkämpft werden, und zwar immer wieder, auch und gerade gegen einen zunehmend repressiv auftretenden Staat. Man muß die Kräfte unterstützen, die Aufklärung betreiben.

Gleichzeitig gilt es aber auch, die weiteren politischen Entwicklungen im Auge zu behalten. Die Krise in Griechenland hat sich mittlerweile nachteilig auf den Erfolg linker Parteien in anderen südeuropäischen Ländern ausgewirkt.

Anmerkungen zum Fall Netzpolitik.org

Einige Anmerkungen zu der Diskussion um das Ermittlungsverfahren gegen netzpolitik.org wegen des Verdachts des Landesverrats:

  • Die strafrechtlichen Vorwürfe sind offenbar unhaltbar. Das spricht für ein politisch motiviertes Verfahren, das rechtsstaatlichen Maßstäben nicht genügt. Der Generalbundesanwalt geht in Wildwest-Manier vor, ohne Beachtung der jüngeren Verfassungsrechtsprechung und der Literatur.
  • Immer wieder werden Parallelen zur Spiegel-Affäre von 1962 hervorgehoben, in deren Verlauf immerhin Rudolf Augstein und mehrere Redakteure inhaftiert worden waren. Soweit ist es hier noch nicht, und auch das gesellschaftliche Umfeld in der Merkelschen Berliner Republik ist ganz sicher nicht mit dem Adenauer-Deutschland vergleichbar.
  • Die Blogger-Kollegen Beckedahl und Meister werden fast durchweg als „Journalisten“ bezeichnet. Damit verschwindet in der Berichterstattung die Grenze zwischen Bloggern und Journalisten. Das Blog eines Netzaktivisten wird mit kommerziellen Zeitungen sprachlich und hinsichtlich des damit verbundenen rechtlichen Status gleichgestellt. Daß ich das noch erleben darf.
  • Die Netzpolitik wird im Jahr 2015, zwei Jahre nach dem Neuland-Zitat der Kanzlerin, zu einem Thema im Sommerloch, ist im Zentrum der politischen Debatte angekommen. Gleichzeitig wird der Ausfall der sozialen Netzwerke als einer Art „Speakers Corner“ deutlich: Viele wohlfeile Beiträge, die aus der oberflächlichen Aufgeregtheit des Moments hervorgegangen sind, wenig bis gar nicht reflektiert, in den seltensten Fällen sachkundig. Der Shitstorm als Normalfall reduziert die sozialen Netzwerke auf ein unsäglich blödes Palaver ohne Wert. Nachdenken und – in diesem Fall: strafrechtlich, strafprozeßrechtlich, verfassungsrechtlich – Einordnen, verbleibt den Fachbloggern. Denen soll man folgen. Netzpolitik.org zählt dazu.
  • Gründliches Hinsehen dürfte sich beim Thema „Verbergen und Geheimhalten in der Republik“ lohnen, insbesondere im Überwachungsstaat. Wenn der Staat selbst definiert, was verborgen bleiben soll und gleichzeitig die Privatsphäre seiner Bürger seit längerem nicht mehr respektiert (vom Staatstrojaner bis zur Vorratsdatenspeicherung), stellt sich die Frage nach dessen effizienter Kontrolle. Die liegt institutionell bei der Justiz, die aber im Fall netzpolitik.org wiederum gegen die informelle Selbstregulierung der Gesellschaft durch kritische Medien in Stellung gebracht worden ist. So wird die Informationsfreiheit zum zentralen Merkmal der Rechtsbeziehung zwischen Staat und Staatsbürger, wird der Whistleblower als Held hingestellt, wird das Watchblog zum Normalfall – aber letztlich nur, weil die kommerzielle Presse seit langem als Kontrollinstanz weggefallen ist. Während es in den 1980er Jahren noch einen politischen Skandal nach dem anderen infolge von Presseveröffentlichungen gab, werden Politiker heute vom Guttenplag-Wiki zu Fall gebracht. Die Gleichstellung von „Blogger“ und „Journalist“ durch Journalisten will auch hierüber hinwegtäuschen: Den unaufhaltsamen Bedeutungsverlust der Massenmedien als Gatekeeper für den gesellschaftlichen Diskurs und für die politisch wirksamen Narrative.

Wikimania 2015

Long read for a stormy weekend: Ziko van Dijk berichtet in seinem Mexican diary über die Wikimania 2015, die vom 15.–19. Juli in Mexico City stattfand. Auch der Wikipedia Signpost bringt den ersten Teil seiner Berichterstattung über diesen großen Jahres-Event der globalen Wikipedia-Gemeinde, von dem es keinen Livestream und so gut wie keine Video-Aufzeichnungen gegeben hat: Da man sich im Hilton traf, fehlte am Ende das Geld für die Videoproduktion, und der Mitarbeiter, der das dann eigentlich für die Wikimedia Foundation in Do-it-yourself-Manier hätte besorgen sollen, war kurz vorher gegangen. Die Massenmedien haben in diesem Jahr gar nicht berichtet.

Das richtige Personal

Amy Goodman und Juan Gonzalez haben bei Democracy Now mit Bruce Schneier über das Papier gesprochen, in dem er sich zusammen mit vierzehn anderen Kryptographen gegen staatliche Hintertüren bei der Verschlüsselung von Daten gewandt hatte. Die Krypto-Wars sind wieder da, sagt er. Alles, was sie schon in den 1990er Jahren gesagt haben, können sie heute noch einmal sagen. Es ist das alte Spiel, das man eher in China oder Rußland erwarten würde, aber nicht in einer Demokratie.

Gleichzeitig wird ein Journalist zum ARD-Chefredakteur befördert, der gerade zu netzpolitischen Themen eine Einfalt an den Tag gelegt hatte, die man kaum noch toppen kann. Tilo Jung hat die schönsten Stellen aus seinen Tagesthemen-Kommentaren der letzten fünf Jahre zusammengeschnitten, sozusagen die Anstaltspackung, starring Rainald Becker. Früher blieb man von so etwas verschont, wenn man keinen Fernseher hatte, aber heute gibt es ja dieses Internet.

In den NachDenkSeiten setzt sich Sabine Schiffer kritisch mit einem Vortrag auseinander, den der Heute-Journal-Moderator Claus Kleber als „Antrittsvorlesung“ für eine Honorarprofessur in Tübingen gehalten hat und in der es irgendwie um die Entwicklung des Journalismus und eben auch ums Internet ging. Anhand von Statistiken zur Charlie-Hebdo-Berichterstattung Anfang des Jahres 2015 zeigt Kleber auf, dass bei allem „Erfolg“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Sachen Einschaltquote die Altersstruktur des Publikums auf ein aussterbendes Publikum hindeutet. Das gewünschte Publikum tummle sich hingegen in den sogenannten Sozialen Medien und sehe nicht unbedingt „eine anständige Nachrichtensendung“, heißt es darin unter anderem. Und für dieses Publikum sind Kleber, Becker und Hassel wahrscheinlich genau das richtige Personal für ihre „Kunden“, wie Kleber sie nennt.

Die Gedanken sind frei

Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) hat die neue Vergütungsregelung von Amazon kritisiert. Indem Amazon bei E-Books von einer Abrechnung per Download auf eine Vergütung pro tatsächlich gelesener Seite umstelle, kontrolliere der Händler die Gedankenfreiheit. Darin liege ein kontrollierender Eingriff in den intimen Dialog des Lesers mit dem Buch und das damit verbundene Verhältnis zum Autor, der sich auch auf den durch individuelles Leseverhalten geprägten Schreibprozess der Autoren auswirke. Der Autor müsse prioritär darauf gerichtet sein, die Leserinnen und Leser kontinuierlich im „Cliffhängerstil“ von einer Seite zur nächsten zu treiben. Aber dazu gehören ja zwei: Einer, der treibt, und einer, der sich treiben läßt. (via DRadio Kultur).

GAFA V

Mathias Müller von Blumencron hat in der FAZ Jaron „Digital Maoism“ Lanier interviewt. Er meint, die Benutzer hätten sich so sehr an die sozialen Netzwerke angepaßt, daß sie mittlerweile Angst hätten, sich aus den Bestätigungsmechanismen herauszubewegen, die ihnen ständig ihre Beliebtheit vorspiegeln. So gesehen sei kontrolliere Facebook Verhalten als eine Form der Machtausübung. In der Politik stehe einer Zunahme an politischer Kommunikation eine Abnahme an Teilhabe gegenüber. Das sei noch nicht die Facebook-Gesellschaft, aber wenn es so weitergehe, werde sie kommen. Daß europäische Medienkonzerne Beiträge bei Facebook veröffentlichen wollen, ist für ihn ein Zeichen für deren geringe Macht, deshalb hätten sie keine andere Wahl.

Interessant ist eine Bemerkung Laniers zur Netztheorie: Die konkrete Entwicklung des Webs, die heute kritisch gesehen werde, gehe auch auf die Entscheidung zurück, Hyperlinks nur in einer Richtung auszugestalten. Der Gegenentwurf aus den 1960er Jahren hatte Two-Way-Links vorgesehen und hätte es erlaubt, auch die Herkunft einer Information im Hypertext stets mit zu transportieren. Durch die Entscheidung für One-Way-Links würden Informationen im Web aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen. Es gebe keinen Rückkanal zurück zum Urheber, wodurch dieser im Web schrittweise an Einfluß verliere. Diesen Geburtsfehler des Webs habe „anti-demokratische“ Folgen gezeitigt; jeder habe das damals um Berners-Lee auch gewußt, aber inkauf genommen. Man wollte ja nicht pessimistisch sein.

Das ist aber nicht nur ein allgemeines Phänomen im Hypertext, sondern auch in anderen Strukturen und Prozessen des Webs, etwa in Wikis. Mir fällt dabei die Entwicklung von Wikipedia ein, wo der Einfluß der ursprünglichen Autoren eines Artikels mit jeder Revision abnimmt, so daß es mittlerweile Autoren gibt, die die Qualität, die sie einst in den Korpus hineingetragen hatten, so weit schwindet, daß sie sich als „Hauptautoren“ in der Diskussion melden, um ihr Erbe sicherzustellen. Das ist letztlich nichts anderes als ein Zeichen für das Leiden an der Auflösung der Gestalt, die diese Autoren über einen langen Zeitraum geschaffen und geprägt hatten und die jetzt nach knapp fünfzehn Jahren immer mehr verlorengeht. Auch hier gibt es keinen „Rückkanal“, um die Qualität und den Kontext der Information zu erhalten, zu wahren und weiterzuentwickeln ohne Gefahr zu laufen, daß sich der Content verschlechtert. Das ist ein schleichender Erosionsprozeß, während der Kontext im Falle des One-Way-Hypertexts, den Lanier kritisert, sofort und ohne Übergang abbricht und verlorengeht für immer.

JabRef 3, Literaturverwaltungen im Vergleich, Zotero 4.0.27

Auf der JabRef-Users-Mailingliste hat Oliver Kopp angekündigt, daß JabRef demnächst aktualisiert werden soll. JabRef 3 werde im Rahmen eines Studienprojekts an der Universität Stuttgart im Wintersemester 2015/2016 und im Sommersemester 2016 auf den Stand von JavaFX und Java 8 gebracht. Jetzt würden noch „Customers“ und „Supervisors“ gesucht. Erstere als Tester.

Gleichzeitig hat Dorothea Lemke von der TU München auf der Mailingliste InetBib den alljährlichen Update der Übersicht über die aktuellen Versionen der Literaturverwaltungsprogramme für Bibliothekare und Benutzer angezeigt. Die in drei Sprachen verfügbare Übersicht vergleicht die Features von Citavi, Colwiz, Docear, EndNote, JabRef, Mendeley, RefWorks und Zotero.

Von Zotero gibt es seit gestern die neue Version 4.0.27 mit einigen Änderungen im Interface. In der klassischen Firefox-Version wurde das Speichern von Websites vereinfacht. Außerdem kann man nun die Ausgabe-Sprache der Bibliographie in den Einstellungen zentral auswählen – wenn der Zitierstil das unterstützt. Ein schneller Test mit meinen Zitierstilen zeigte, daß die an die deutsche Sprache angepaßten Stile derzeit noch den per Umschalter auf Deutsch lokalisierten Standardstilen überlegen sind, aber das kann sich ja demnächst – zumindest bei den wichtigsten von ihnen – noch ändern. Schade, daß die Standalone-Version auf dem Mac die üblichen Tastaturkürzel und die Menüaufteilung (nicht mehr?) unterstützt. Das Update steht über die Aktualisierung des Plugins bzw. der Standalone-Version zur Installation bereit.

Es wird eng II

Brent Simmons denkt nach über die Ankündigung von Mozilla sowie von Apple, bald nur noch https zu unterstützen. Er habe bisher vorwiegend an Programmen gearbeitet, die alle Feeds verarbeiten, die man ihnen vorsetzt. Wer vollständig auf https setze, richte sich gegen das offene Web. Mozilla und Apple arbeiten in Richtung auf ein Web, das von den großen Konzernen beherrscht wird, ein Web der geschlossenen Gesellschaften, und ein Konzern spielt den Gatekeeper und bestimmt, wer und damit auch was reinkommt und draußen bleiben muß. Letztlich, meint er, werde der vollständige Umstieg auf https aber noch lange auf sich werten lassen, denn es sei teuer, und: To cut off http is to cut off the arms of the body of free speech.

Der Blogpost war eher ein Zufallstreffer, denn Brent Simmons hat sich auch den aktuellen Markt für Newsreader Feedreader angeschaut – via Schockwellenreiter.

Brave New E-Book World

Was hat man alles gehört über die wunderbare neue Welt der Selfpublisher, die ihre Bücher über Apple und Amazon veröffentlichen, statt bei einem richtigen Verlag. Wir gingen herrlichen Zeiten entgegen, hat man gehört. Geht zu den großen amerikanischen Konzernen, hat man gehört, sie zahlen mehr als die anderen, viel, viel mehr. Und jetzt dies: Mit einer Frist von zwei Wochen kündigt Amazon einseitig eine Änderung seiner Vertragsbedingungen an: Die Autoren, deren Werke über Kindle unlimited vertrieben werden, würden fortan nicht mehr nach den von den Lesern im Rahmen der Pauschale genutzten Büchern, sondern nach den tatsächlich gelesenen Seiten vergütet. Denn die Kindle-Lesegeräte schaffen ja den gläsernen Leser. Amazon ist live dabei, wenn die Datei durchblättert und dabei möglicherweise auch gelesen wird. Und man wundert sich, daß es überhaupt Leser gibt, die bei sowas mitmachen. Und Autoren, natürlich, auch. Aber es gibt ja auch Leute, die Google für eine Suchmaschine halten und die meinen, bei Facebook gehe es vor allem um „Kommunikation“ und um „Nachrichten“. If you're not paying for it, you are the product. Aber hier bezahlen sie ja sogar dafür, und deswegen wird bestimmt keiner umdenken. Sie zahlen einen hohen Preis, Autoren wie Leser.

WordPress nach EPUB und weiter

WordPress und andere Blogsysteme haben zwar eine Exportfunktion, bieten aber sonst keine komfortablen Exportmöglichkeiten. Heraus kommt eine WordPress-XML-Datei, mit der man erst einmal wieder etwas anfangen können muß. Mit anderen Worten: WordPress ist ein Datensilo, das auch mit den üblichen Tools wie wget nicht mehr zu befreien ist.

Zehn Jahre lang Texte im Web an unterschiedlichen Stellen: Darunter war soviel Gutes, daß man daraus getrost ein E-Book machen könnte. Aufgabenstellung: WordPress-XML nach EPUB/PDF.

Für WordPress gibt es Plugins, Konverter für die Kommandozeile gibt es anscheinend nicht. Ein interessanter Weg führt jedoch über das Schweizer Taschenmesser für E-Books, Calibre: Man kann damit nämlich beliebige RSS-Feeds als Nachrichtenquellen abonnieren, timer-gesteuert einlesen und nach EPUB konvertieren. Diese Python-Lösung ist eigentlich für den E-Book-Reader für unterwegs, fernab der Datennetze gedacht. Damit geht aber noch mehr, denn aus EPUB geht es direkt aus Calibre per Export weiter in viele andere Formate. Eine Alternative zur Weiterverarbeitung ist dann Pandoc, das auch von EPUB nach LaTeX, OpenDocument-Text (ODT) und MediaWiki umsetzt. Und natürlich nach MarkDown. Beziehungsweise mit Sigil – zur Not redigiert man den EPUB-Quelltext direkt mit irgendeinem fähigen Editor.

Die Grenze dieses Workflows liegt in der Zahl an Artikeln, die per RSS auf einmal ausgeliefert werden können, hier wird man ggf. über spezielle Export-Kategorien oder -Tags nachhelfen müssen, für die es ja jeweils eigene Feeds gibt. Und natürlich müssen es Volltext-Feeds sein. ;) Just a work-around. Still diggin'.

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