albatros | texte

Der Wanderer XCII

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft (jaja, etwas locker formuliert, schon klar) geht dieses Jahr an: Claudia Goldin. Einen Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia zu ihr gibts seit 2007, angelegt und überwiegend geschrieben von einem Ökonomen und einem Autor, der sich mit Wissenschaftlern beschäftigt, die Mitglied bei der American Academy of Arts and Sciences sind. Gestützt auf das Who is Who in Economics, aber eben aus einer Zeit, als wir noch keine Fußnoten setzten. Der nächste Blick fällt in die GND: Keine Veröffentlichung im Sammelgebiet der Deutschen Nationalbibliothek. Ihr Personen-Datensatz ist bis heute mit keinem Titel verknüpft. Es hat bisher keinen Verlag hierzulande gegeben, der ihre Werke einer Übersetzung für würdig hielt. Kein ganz neues Phänomen: Sie hat über Jahrzehnte publiziert, und zwar über Themen wie: Understanding the Gender Gap: An Economic History of American Women oder Corruption and Reform: Lessons from America’s History, wohl zuletzt: Career and Family: Women’s Century-Long Journey toward Equity.

Der Wanderer LXXXI

Die Frankfurter Rundschau berichtet über das Abwandern von Verlagen aus Frankfurt. Der Fall Suhrkamp ist bekannt. Aber jetzt „baut die Frankfurter Verlagsgruppe S. Fischer derzeit ein zweites Standbein [in Berlin] auf“. Und der Westend Verlag zieht nach Neu-Isenburg und wird dort in Zukunft in der Waldstraße 12a ansässig sein. Das ist ja nun nicht gerade ganz so weit weg wie Berlin es wäre. Aber es ist ein Zeichen dafür, dass sich Frankfurt zerstreut, dass es diffuser wird, die Kultur wird schwerer auffindbar. Vor allem war der Westend Verlag nicht glücklich mit seiner Innenstadtlage, liest man. Und der Neubau, in den der Verlag umzieht, war in die Krise hinein errichtet worden, und man wird froh sein, dass die heute eigentlich viel zu große Fläche in Zeiten des Homeoffice loszuwerden war. Win, win.

(K)ein Bericht von der Frankfurter Buchmesse 2020

Meine Berichte über die Frankfurter Buchmesse reichen bis ins Jahr 2009 zurück, meine Besuche noch viel länger. Die Eindrücke, die ich dabei gesammelt hatte, waren für mein Verständnis des Medienwandels prägend. Es war stets eine riesige Inszenierung, in der die alte Medienwelt für eine Woche noch einmal reproduziert wurde, mit Hörfunk und Fernsehen, die Zeitungen waren auch alle da, und überhaupt: Bücher. Die Buchverlage. International. Gedruckt. Merkwürdig, als sie E-Book-Reader ausstellten. In einem Regal. Und mich dann fragten, ob mir das Layout auf dem Reader gefalle.

Aber es wurde dann auch deutlich: Von Jahr zu Jahr fiel es schwerer, das Produkt „Buchmesse“ noch einmal zu erzeugen, wie man es kannte. Die Hallen wurden immer leerer. Schließlich wurden ganze Hallen unter Vorwand aufgegeben. Wo früher der Platz knapp war, wurde zwischenzeitlich der Raum verschenkt, damit es nicht so auffiel, wie alles schrumpfte. Beispielhaft: Die auffällig kleinen Stände von Springer Nature oder DeGruyter im letzten Jahr. Der Messebetrieb verschwand mehr und mehr aus den Hallen, der Rechtehandel wuchs dagegen kräftig. Wer das nicht vor Ort beobachten konnte, sondern nur die Berichterstattung in den Massenmedien sah, merkte davon allerdings weniger. Die Inszenierung „Buchmesse“ wurde stabil gehalten. Es bestand ein Interesse daran, dass es so blieb.

Als es auf die diesjährige Ausgabe zulief, herrschte business as usual. Die Pressemappe kam herein. Der Ausblick auf die nächsten Gastländer. Whitepapers wurden verteilt. Und dann kam Corona. Und die Leipziger Buchmesse wurde abgesagt. Und wir gingen alle ins Homeoffice. Auch der Internetauftritt des Börsenblatts wurde aus dem Homeoffice neu gelauncht. Angeblich deshalb fehlt die Suchfunktion dort bis heute. Und auch der RSS-Feed wurde nicht ordentlich eingebaut, so dass man ihn auch in der Adresszeile des Webbrowsers angeboten bekäme. Kein Kommentar zum Print-Stylesheet. Warum das aus dem Homeoffice nicht möglich sein sollte, entzieht sich derweil einer Begründung. Dann kam ein trotziges „Erst recht!“ aus Frankfurt. Bis man merkte, dass es gar nicht an den Organisatoren bei der Messe liegen würde, ob es eine Buchmesse geben würde. Wenn unter den bestehenden Umständen niemand mit vertretbarem Aufwand anreisen und arbeiten kann, stellen sich keine weiteren Fragen über eine Präsenzveranstaltung der bisherigen Größenordnung mehr. Also nur noch online. Von einer Insolvenz des ganzen Betriebs war bisher noch nicht die Rede, aber von einem „Millionenverlust“ sprach man. Vorsorglich.

Wie wackelig die Orga war, ahnt man anhand der Blogger Relations. In den neu gefassten Akkreditierungsrichtlinien hieß es im April noch:

NEU: Wir akzeptieren ab 2020 nur noch Blogger*innen mit mindestens 2500 Followern pro Kanal und lehnen Facebook-Seiten als alleinigen Nachweis ab.

Abgesehen davon, dass Blogger keine Follower zu haben pflegen, sondern Leser und Abrufe, merkte man viel zu spät, dass man in der PR der Buchmesse die Blogger gar nicht mehr über ihre Blogs, sondern nur noch über deren Ableger in den Sozialen Netzwerken wahrnahm. Und nun begann in letzter Minuten ein Umsteuern, denn, so Juergen Boos in der Online-Pressekonferenz, man brauche die Blogger doch. Also Kommando zurück:

NEU: Wir akzeptieren ab 2020 nur noch Blogger*innen mit mindestens 1000 Followern pro Kanal und lehnen Facebook-Seiten als alleinigen Nachweis ab. Diese Vorgabe gilt nicht für klassische Blogs (z.B. Wordpress) sondern NUR für die Akkreditierung mit einem Social-Media-Account, z.B. mit Instagram, Twitter, YouTube oder TikTok.)

Nehmen wir einfach mal an, dass ein einfaches Bibliotheksblog ein „klassisches“ Blog in dem vorstehenden Sinne ist. Weder die schneeschmelze noch den albatros gibt es schließlich auf TikTok und Co. Aber wenn alles nur noch im Netz stattfindet, braucht sich auch niemand mehr zu akkreditieren. Der Zweck der Akkreditierung bestand schließlich darin, die Pressekarte zu erhalten, um Zutritt zur Messe an allen Tagen zu haben. Wahrscheinlich haben sich das noch mehr gedacht, denn in der abschließenden Pressemitteilung der Buchmesse werden zum ersten Mal keine Zahlen mehr über die akkreditierten Pressevertreter und Blogger genannt. Es gab keine.

War da überhaupt etwas? Die Fachbesucherveranstaltungen, waren zwar frei abrufbar, nach Anmeldung, sie liefen aber während der Arbeitszeit, die nicht so ohne weiteres für jeden freigegeben wurde. Der einzige für mich interessante Beitrag wäre ein Vortrag der Direktorin der finnischen Nationalbibliothek zu Open Science gewesen, gefolgt von einem Input von DeGruyter zum Verlagsgeschäft in den Geisteswissenschaften. Aber dafür die Arbeit unterbrechen? Ich ließ es gut sein.

Zumal die Buchblogger ebenfalls auf dem Rückzug sind. Zuletzt nachzulesen beim Buchrevier und bei den Lesestunden. Sie sind einfach müde geworden.

Und das „Bookfest digital“ erreichte mich vor allem auf YouTube. Aber da ging es auch wieder vollständig unter, soviel wird dort gestreamt seit März… man ist dessen doch mittlerweile überdrüssig.

Wir sehen vor uns die Buchbranche bei dem Versuch einer nachholenden Digitalisierung. Während der Buchhandel noch immer hauptsächlich vom stationären Geschäft lebt, schwärmen die Verlage und einige Journalisten immer noch vom alten Messegeschehen, wie es früher einmal war. Das wird es aber nie mehr geben. Dass das neue digitale Modell noch nicht funktioniert, kann über das Wegbrechen des alten nicht hinwegtäuschen.

Das Alte funktioniert nicht mehr, aber das Neue funktioniert noch nicht.

Das gilt übrigens auch für die Bibliotheken. Die Ausleihe der Frankfurter UB schließt noch immer montags bis freitags um 18 Uhr. Wohl dem, der früh genug Feierabend hat, um noch rechtzeitig den Weg dorthin zu finden.

Unersetzlich ist nur das Funktionslose

In dem achtstündigen Podcast „Alles gesagt?“ von Zeit Online mit Juli Zeh kommt gegen Ende (ab 6 Stunden 59 Minuten) auch die Rede auf die Entwicklung des Buchhandels während des Lockdowns. Die Dominanz des gedruckten Buchs hat gezeigt, dass es nicht gelungen ist, das Buch nachhaltig zu digitalisieren. Das E-Book spielt weiterhin keine große Rolle am Büchermarkt. Juli Zeh bekennt, sie nutze den Amazon Kindle, erhalte darüber aber keine brauchbaren Leseempfehlungen. Während das bei Spotify für Musik klappe, sei sie weiterhin auf den Besuch von Buchhandlungen angewiesen, um Neues zu entdecken, das sich für sie zu lesen lohne. Der Schöffling-Verlag, bei dem sie früher unter Vertrag gewesen sei, bevor sie zu Bertelsmann usw. ging, habe immer darauf gedrungen, sie auf Lesereise zu schicken, weil die Präsentation ihrer Bücher schon im Vorfeld im Buchhandel wesentlich besser gewesen sei als sonst. Die Buchhandlungen und das gedruckte Buch sind bis auf weiteres nicht zu ersetzen. Wir erinnern uns: Unersetzlich ist nur das Funktionslose.

Übergänge IX

Zum Beispiel die Latex-Handschuhe und der Mundschutz im Supermarkt. Seit Wochen kein Küchenpapier, kein Klopapier und die Nudeln rationiert, aber Latex-Handschuhe haben sie. Die Kassiererin hinter dem Schalter. Durchsagen, man möge mit der Karte anstelle von Bargeld zahlen. Alles sei sicher, der Markt bleibe geöffnet. Seit einer Woche schließt er zwei Stunden früher, und jetzt auch tagsüber mit Bewachung. Bei uns bekommen Sie alles für die bevorstehenden Osterfeiertage. Und wenn jemand nicht genug Abstand hielte? Dann musst du dich beschweren, sagt der Vater zu seinem kleinen Sohn, als gehe es ums Überleben im Dschungel. Er hat den Überblick. Das beruhigt den Kleinen. Wo sind die Bürgerrechtler, wenn man sie braucht? Diejenigen, die sonst auf ihre Freiheitsrechte pochen und Verfassungsbeschwerden erheben und das mit Spenden finanzieren. Die politisch korrekte Kleidung im Supermarkt. Und wenn einer „Halt“ riefe und den Arm dazu hochhielte und „alles ganz anders und wie immer“ riefe, würde er noch gehört durch die dicke Plexiglasscheibe, hinter der alle sitzen? Die Versorgung ist sicher. Es ist Frühling. Die Laster rollen durch die helle Nacht und bringen die Ware in die Märkte, wo sie sich verläuft wie die Butter schmilzt in der warmen Aprilsonne, getrieben von der Furie des Verschwindens im Albtraum der verbotenen Bazooka, ohne Helm und ohne Mundschutz. Die Latex-Handschuhe im Supermarkt am Lenkergriff des Einkaufswagens. Und alle sind auf einmal so unendlich brav und nehmen alles hin. Es hat keinen Zweck, in einer irrationalen Umgebung rational bleiben zu wollen. Was weiß ich von Bäumen.

Übergänge VII

Zum Beispiel weil das alles bisher nicht für möglich gehalten wurde. Von den Soziologen war schon einmal an anderer Stelle die Rede. Nach Heinz Bude im Deutschlandfunk nun also Armin Nassehi im Spiegel.

Noch zu Weihnachten hatte Nassehi in der „Welt“ über die Zeit zwischen den Jahren ein Loblied auf die Ruhe geschrieben:

In der Tat – alle Systeme außer den absolut lebenswichtigen wie Energie- und Krankenversorgung oder andere Notdienste werden heruntergefahren. Wenigstens das öffentliche Leben wird bis an seine Grenze bradykard. Der Gesellschaftskreislauf wird so weit wie möglich reduziert, und es gelingt tatsächlich für kurze Zeit, dass alles langsamer und ereignisloser wird – zumindest in den öffentlichen Räumen.

Diesen Gedanken hat er weiterentwickelt. Im Gegensatz zu Weihnachten ist das, was wir gerade erleben, nämlich kein kulturell determinierter „Ausnahmezustand“, sondern ein staatlich erzwungener. Und er funktioniere letzten Endes nur deshalb, weil er eine Ausnahme bleibe und auch weil selbst aus soziologischer Sicht mitgedacht werden müsse, dass es das eigentlich gar nicht geben dürfe:

Interessanterweise passiert gerade etwas, von dem wir Soziologen immer gesagt haben: Das geht nicht. In unseren komplexen Gesellschaften sei so etwas wie Durchregieren unmöglich, haben wir in den vergangenen Jahrzehnten geglaubt. Auch wenn sich das viele Menschen immer wieder gewünscht haben, nicht zuletzt Politiker. Dass es nicht möglich war, ist für mich sogar eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften der Moderne - die großen Katastrophen der Moderne waren Katastrophen, in denen gewaltsam durchregiert wurde.

Eben. Und freilich ist es eine lang andauernde Ausnahme, deren Ende ebensowenig absehbar ist wie die Verhältnisse danach.

Übergänge V

Zum Beispiel die Plexiglasscheiben, die sie jetzt überall anbringen, in der Apotheke, an den Supermarktkassen, bei der Sparkasse. Sie werden nicht so bald wieder verschwinden, sie werden bleiben. Sie trennen die Menschen zwischen denen, die vor der Scheibe stehen, und denen, die hinter der Scheibe arbeiten.

Gespenstisch: Unser leeres Einkaufszentrum. Nur die Supermärkte, die Drogerien und die Bäcker haben noch geöffnet, alle anderen Läden sind geschlossen worden. So gut wie keine Kunden. Man geht gerne wieder raus an die frische Luft.

Bei Rewe gabs heute zum ersten Mal seit über drei Wochen wieder Toilettenpapier. Küchenpapier auf Nachfrage. Aber keine Papiertaschentücher. Essig und Öl, Zwieback und südosteuropäische Konserven sind auch wieder da.

Und die Soziologen erklären uns jetzt die Welt. Heinz Bude hat ein hintergründiges Interview im Deutschlandfunk gegeben, in dem er auch auf die Entschleunigung hinweist, die mit dem allgemeinen Herunterfahren des Wirtschaftssystems verbunden ist. Einige hätten darauf regelrecht gewartet,

eigentlich gehen wir doch jetzt in eine Situation der positiven Entschleunigung.

Aber es gebe auch ein Comeback des Staates,

eine neue Akzeptanz von Staatlichkeit, wie wir das, glaube ich, in den letzten 30, 40 Jahren so nicht gekannt haben. Die Staatsaversion, die Staatsphobie, die man mit dem sogenannten Neoliberalismus in Verbindung bringt, ist wie weggeblasen.

Ein disruptiver Moment.

Übergänge IV

Zum Beispiel die Verschiebung von Wahlen und – je nach Bundesland – die Verschiebung der Abiturprüfungen – oder jedenfalls die Diskussion darüber. Institutionen in Politik und Bildung können nicht mehr einfach so weiterarbeiten. Die demokratische Legitimation von Politik und Recht ist nicht mehr lückenlos herstellbar. Schulen und Hochschulen können ihre gesellschaftliche Funktion als Zertifizierungsstellen für Zeugnisse und weitere Abschlüsse nicht mehr erbringen, auf denen wiederum andere gesellschaftliche Systeme (der weitere Bildungssektor, die öffentliche Verwaltung und die Wirtschaft) zurückgreifen. Die Gerichte versuchen noch, die Öffentlichkeit in den mündlichen Verhandlungen aufrechtzuerhalten. Ob das aber tatsächlich gelingt, muss man im Einzelfall sehen.

Es entsteht ein disruptiver Moment. Entscheidend ist, wie lange er andauert und wie darauf reagiert wird. Systemtheoretisch kann man sagen, strukturelle Kopplungen zerbrechen, das Zusammenspiel gesellschaftlicher Subsysteme funktioniert nicht mehr, ihre Programmierung im einzelnen und insgesamt läuft ins Leere oder stört sich sogar gegenseitig. Ihr Verhältnis zueinander muss neu ausgehandelt und festgelegt werden: Familie vs. Wirtschaft während des für die meisten ganz neuen „Homeoffice“. Hauswirtschaft vs. lokaler Handel vs. Welthandel bei Unterbrechungen der Lieferketten infolge von Grenz- und Geschäftsschließungen.

Un long moment ist nicht notwendigerweise etwas Schlechtes, er kann – als ein Raum der Stille und der Neuorientierung – auch zum Nachdenken und zum Neu-Ansetzen genutzt werden. Das ist aber kein Selbstläufer. Für Neu-Orientierung muss man sorgen, sie entsteht nicht von selbst durch jede beliebige Unterbrechung des bisherigen Betriebs.

Neu bei alledem ist der Anlass. Die Natur tritt hervor und stellt sich in den Weg, entzieht uns den Boden, auf den wir angewiesen sind für alles Weitere. Das Anthropozän ist noch nicht zuende, wie manche meinen, aber es ist brüchig geworden und wankt. – „Was weiß ich von Bäumen?“

Und das gerade angesichts der völlig beiseite gewischten Klimadebatte. Kein Wort mehr über Fridays for future. Wie kurzlebig waren die Kampagne, die Bilder und die Narrative, die die Medien davon übertrugen. Die streikenden Schüler vs. die Durchführung von Abiturprüfungen angesichts des grassierenden Infekts. Es ist nicht gerade die Pest, aber es sind natürlich keine regulären Bedingungen, wenn eine staatliche Prüfung in einer größeren Gruppe abgenommen wird, während ansonsten ein flächendeckendes Kontaktverbot gilt. Die Begründung des hessischen Kultusministers dazu war in einem Interview sinngemäß: Nun haben wir damit angefangen, nun machen wir es auch zuende. Auf dass der Jahrgang sein Abitur bekomme. Als wäre das Abi 2020 eine Art Notabitur wie in Kriegszeiten. Sonderopfer werden gefordert, und sie werden offenbar auch erbracht: Es hätten sich zu wenige um ein Jahr zurückstellen lassen, deshalb hätten sie mit den Prüfungen weitergemacht, hieß es. Keine Spur von Rebellion mehr. Sie gefährden ihre Gesundheit, statt ihre Abiturprüfung – unter diesen Umständen – um gerade mal ein Jahr zu verschieben.

Übergänge III

Die leeren Regale in den Supermärkten zum Beispiel. Nudeln, Reis, Papiertaschentücher oder Klopapier. Das Vertrauen in den Einzelhandel ist innerhalb von wenigen Tagen geradezu verpufft. Vanishing in a puff of smoke. Man wird sich darauf einstellen müssen, dass die Läden schon längst nicht mehr das waren, wofür man sie hielt. Die Vorratshaltung im Haushalt, für die unsere kleinen Wohnungen doch gar nicht mehr ausgelegt sind, muss jetzt wieder einsetzen. Die sogenannten „Lieferketten“ – transnational angelegt, just in time bis in die letzte Kleinstadt – sind verletzlich, so sehr, dass sie auch mal völlig ausfallen können.

Die Globalisierung ist an ihre letzte Grenze gekommen. Nicht Attac oder die Börsensteuer, die am Anfang der Globalisierungskritik stand, haben das erreicht, sondern der Spießer, der angesichts eines aus China stammenden Virus' und der sich überschlagenden Nachrichten alle denkbaren Waren hortet. Nicht nur hierzulande, übrigens, auch in den USA gab es Hamsterkäufe. Und wenn es keine Tomaten mehr vom Mittelmeer gibt, wird gar nichts anderes übrig bleiben, als sie hierzulande anzubauen. Bin sehr gespannt auf das neue Sortiment.

Ich bin versorgt, mir fehlt nichts, aber ich habe Zweifel, ob das auf Dauer so bleiben wird, und beginne, mir zumindest kleine Vorräte anzulegen, obwohl mir das derzeit aus Gründen gar nicht in den Plan passt. Alles in Maßen, bitte. Es war das vorletzte Stück Seife im Regal, das ich in den Korb lege und zur Kasse mitnehme, wo wir in gebührendem Abstand Schlange stehen.

Dabei merke ich zum Beispiel auch, dass mein Augenmerk mal wieder viel zu sehr auf Bücher und Süßigkeiten gerichtet war. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, tonnenweise Nudeln zu horten oder gar Mehltüten. Das meiste, was die Leute derzeit kaufen, wird am Ende im Abfall landen, es wird verderben, weil es nicht rechtzeitig zu essen ist, und sie werden es nicht zum Beispiel bei den Tafeln abgeben, damit es noch rechtzeitig zu verzehren wäre. Überhaupt: Dort fehlt jetzt ganz viel, und zwar auch auf Dauer, denn dort wurden ja immer die Reste abgegeben, und bei leeren Regalen fehlen sie nun. Berichte über leergeräumte Regale in den Buchhandlungen, die derzeit geschlossen sind, vermisse ich. Immerhin, in den Stadtbüchereien soll es größere Ausleihen und Schlangen vor der Schließung gegeben haben.

Zum letzten Mal ein Buch ausleihen. Zum letzten Mal ein Buch kaufen. Nein. Nein.

Eine Gesellschaft, die den Tod und die Krankheit verdrängt, ist mit ihrer eigenen Zeitlichkeit konfrontiert, und hortet angesichts dessen – lauter Banalitäten.

Der Deutschlandfunk schafft kurzerhand sein Programmschema ab und sendet ein Corona-Notprogramm, vierundzwanzig Stunden lang. Gestrichen wird – die Sendung über Religion. Die Redaktion darf seitdem nur noch verstreute kurze Beiträge am Nachmittag bringen. Die Kirchen, die Synagogen und die Moscheen werden geschlossen. Und die kostenlosen Zeitungen, die bei uns verteilt werden, haben ihr Erscheinen eingestellt. Über Werbung finanziert, blieb ihnen nichts anderes übrig, denn wenn alle Läden geschlossen sind, braucht es auch keine Werbung mehr.

Bildbände über Frida Kahlo gingen derzeit gut, sagte die Buchhändlerin und nickte mit dem Kopf in Richtung auf das Regal, wo man diese Bücher fände, wenn man kaufen wollte, was voll im Trend liegt. Oder Bücher über Ernährung. Also wieder das falsche gewählt? Das ist zwei Wochen her.

Wenn sie mit Mehl statt mit Büchern handeln würde, könnte ihr Laden jetzt noch geöffnet bleiben, auch wenn ihre Regale vollkommen leer wären.

Thunderbird und OpenPGP

Im Oktober 2019 hatte Mozilla angekündigt, OpenPGP ab dem Sommer 2020 in Thunderbird zu integrieren. Das Add-on Enigmail wird in Core integriert. Die erste Version mit dem neuen Feature soll Thunderbird 78 sein. Auf der Mailingliste tb-planning geht Kai Engert derzeit auf Detailfragen ein und beantwortet Fragen von Entwicklern und Benutzern. Lesen!

Sie sind nicht angemeldet