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Mozilla

Das freie Web schwindet in dreifacher Hinsicht: Zum einen, indem sich die Benutzer geschlossenen Plattformen zuwenden. Weiterhin, indem die Inhalte der Anbieter zunehmend in Datensilos landen; und schließlich, indem universell zu nutzende Programme durch Apps ersetzt werden. Letztere greifen nicht mehr auf frei verfügbare Ressourcen zurück, sondern auf einen walled garden, der nur für die jeweilige App geschaffen wurde. Jörg Kantel hat Ende des vergangenen Jahres darüber geschrieben.

Es gibt aber auch ein Sterben der freien Software zu beklagen. Das Paradebeispiel dafür ist Mozilla. Die amerikanische Stiftung hatte bisher im wesentlichen zwei Produkte am Markt, die plattformübergreifend eingesetzt werden konnten: Den Webbrowser Firefox und den Mail-Client Thunderbird. Letzterer ist von der Hauptseite des Unternehmens mittlerweile verschwunden. Dort findet man nur noch den Browser. Die Startseite von Thunderbird ist von dort auch schon längere Zeit nicht mehr verlinkt.

Wenn man sich auch bereits 2012 aus der aktiven Weiterentwicklung von Thunderbird zurückgezogen hatte, so gab es doch immer weiter Bugfix-Releases und Anpassungen an neue Betriebssystem-Versionen. Im November 2015 verkündete dann die Mozilla-Chefin Mitchell Baker in einer Mail auf der Governance-Liste des Projekts, die bezeichnenderweise bei Google archiviert wird, es sei überhaupt besser, Thunderbird gäbe es nicht. Jedenfalls nicht bei Mozilla. Der Webbrowser und der Mail-Client behinderten sich gegenseitig bei der Entwicklung. Die einen müßten auf die anderen immer Rücksicht nehmen. So könne das nicht weitergehen. Es wäre besser, man ginge getrennte Wege.

Die Reaktion der etwas kritischeren Szene im Netz war entsprechend verstört. Man brauche doch Thunderbird zum allseitigen Verschlüsseln von Mails. Man kann sagen, die Kombo aus Thunderbird, Enigmail und GnuPG ist die einzige Toolchain, die auf allen Rechnern von den meisten Menschen bedient werden kann – wenn man davon ausgeht, daß die PGP-Verschlüsselung ein allgemein durchzusetzendes und anzustrebendes Ziel sei. Die Zukunft all dessen ist aber offen. Bei einem Test Ende 2014 funktionierte die Verschlüsselung mit diesen Programmen in unserem Test (jeweils dieselben Versionen) nur zwischen zwei Macs (einer unter Mavericks, der andere unter Yosemite), nicht jedoch zwischen Mac und Windows. Da uns der Leidensdruck fehlte, gingen wir dem nicht weiter nach, sondern ließen es gut sein.

Auf der Mozilla-Governance-Liste berichteten jedenfalls Berater und Entwickler vom Rückzug ihrer Kunden angesichts der Unsicherheit, in der sich das Projekt bewegt. Am Rande dieser Diskussionen kam nebenbei zur Sprache, daß die Integration des Dienstes Pocket in Firefox wohl auch einen finanziellen Hintergrund gehabt haben dürfte, was Mozilla stets bestritten hatte.

Entscheidend wird aber sein, daß auch Firefox immer weniger Bedeutung im Web hat. Der Marktanteil ist insgesamt auf etwa 20 Prozent gesunken, nur auf deutschsprachigen Websites liegt er wohl etwas darüber. Viele Benutzer sind zu Google Chrome abgewandert. Es ist ihnen egal, an welches Zuhause der Browser ihre Daten telefoniert. Und eine mobile Nutzung ohne Nachhausetelefonieren gibt es sowieso nicht. Je mehr Traffic vom Desktop auf Smartphone und Tablet wandert, desto weniger relevant ist der Begriff der Privatsphäre beim Surfen überhaupt. Hauptsache, die Website, die man nutzen möchte, kann dargestellt werden. So wurden Google Chrome und Safari immer wichtiger. Mozilla reagiert, indem Firefox nun auch Webkit-Präfixe in CSS verstehen soll. Mittlerweile werden viele Websites für Firefox gar nicht mehr getestet. Man merkt es spätestens, wenn man eine Seite ausdrucken will, und sei es nur zur Archivierung eines Texts. Gerade die Zeitungs-Websites sparen sich ganz offenbar die Kompatibilität mit dem Mozilla-Browser. Jüngstes Beispiel heute abend: profil.at.

Das gilt zumindest auf dem Mac, wo die Erfahrungen mit Firefox ohnehin eher ernüchternd verlaufen sind. Der Browser hängt praktisch bei jedem Beenden, so daß der „Absturzmelder“ aufgeht. Kehrt der Rechner aus dem Ruhezustand zurück, ist Firefox erst einmal eingefroren und braucht als einziges Programm fast zwei Minuten, bis es überhaupt Eingaben entgegennimmt. Es ist auch nicht möglich, die Symbolleiste anzupassen. Spätestens beim nächsten Neustart der Anwendung sind alle Icons, die vom Standard abweichen, wieder woanders platziert oder sie sind ganz verschwunden und es verbleibt nur noch die Adreßzeile. Mit der ESR-Version für den Firmeneinsatz ist es nicht ganz so schlimm, deshalb bevorzuge ich diese seit einiger Zeit. Aber man kann festhalten, daß Firefox auf dem Mac offenbar nicht sorgfältig getestet wird. Hinzu kommt die merkwürdige Oberfläche, die sich nicht in den Desktop einfügt. Unter OS X gibt es zu jedem Fenster ein Drop-Down-Menü am oberen Bildschirmrand. Es ist daher nicht sinnvoll, eine Bedienung über das Menüfeld am rechten Rand der Symbolleiste zusätzlich vorzusehen, das man zudem erst aufklappen muß – und das man natürlich aus den eben erwähnten Gründen dort auch nicht entfernen kann.

Firefox als Browser, der vor Tracking schützt? Das war der jüngste Werbespruch. Auch hier: Fehlanzeige. Schützt vor Tracking, aber nicht so sehr. Denn von irgendwas muß ja Mozilla ja denn doch weiterhin leben, also arrangiert man sich mit der Werbewirtschaft, und die IT-Medien transportieren brav die Pressemitteilung und tragen zur Desinformation bei.

Der stabilste Firefox ist derzeit auf dem Mac der TorBrowser, also ausgerechnet ein Produkt, das in der kleinsten denkbaren Nische spielt. Ein echtes Außenseiter-Tool, so sehr man es bedauern mag.

So nutze ich Thunderbird vorerst weiter als lokales und plattformübergreifendes E-Mail-Archiv – aber wohl nicht mehr für die Langzeitarchivierung… Auch wenn ich nach jedem Update den kruden Kalender Lightning stets aufs neue abschalten muß. Das Add-on wird immer wieder aktiviert. Ein Add-on, das sage und schreibe den Speicherbedarf des Programms verfünffacht, was doch ziemlich grotesk ist. Auch hier offenbar keine ausreichenden Tests, wahrscheinlich Gleichgültigkeit der Entwickler, die sich möglicherweise gar nicht mehr vorstellen können, wie sorgsam der Mac mit dem Arbeitsspeicher gewöhnlich umgeht. Erst dadurch fällt das ja auf.

Und ich schaue Mozilla weiterhin beim schrittweisen Verschwinden in die Bedeutungslosigkeit zu.

Lohnt sich der Umstieg auf Linux, wenn es keine plattformübergreifenden Lösungen für Mail und Web mehr gibt, die nicht in der Konsole spielen – abseits von Google? Zweifel sind angebracht.

Ein Gegenentwurf

In einem Interview mit Studierenden der FH Groningen hat Geert Lovink seine Kritik an den kommerziellen sozialen Netzwerken erläutert. Grundlage ist sein Buch Das halbwegs Soziale aus dem Jahr 2012.

Lovink hält die alternativen sozialen Netzwerke, die es seit etwa fünf Jahren gibt – Lorea, Diaspora, Friendica, Crabgrass und andere –, für utopische Skizzen, in denen Künstler, Aktivisten und Programmierer versuchen, gemeinsam, durch den Aufbau von Netzwerken, die Gesellschaft zu verändern. Geändert habe sich zwischenzeitlich aber wohl vor allem, was man einen Seitenwechsel nennt. Wer heute die Seiten wechsele, gehe nicht zu den großen Wirtschaftskonzernen, die stillschweigend akzeptiert seien, sondern zur NSA. Insoweit beunruhigt ihn der konzeptuelle Stillstand von Linux und vielen Projekten der Freien Software, abgesehen von Ubuntu. Positiv bewertet er dagegen das zunehmende Interesse an Verschlüsselungstechnik und an der Anonymisierung mit dem Dienst Tor.

Veränderungen hält Lovink weiterhin für möglich. Das Internet sei immer noch eine sehr fließende Umgebung, Nutzerwechsel wie seinerzeit, als sie MySpace oder StudiVZ sehr schnell und in Scharen verließen, wären weiterhin möglich. Er sieht aber auch, daß Veränderungen beim Nutzerverhalten heutzutage eher Nebensächlichkeiten betreffen; so etwa, wenn Facebook-Nutzer den Messenger wählen, statt ihr Profil upzudaten. Die Gegenwart der sozialen Netzwerke sei eher durch etwas geprägt, was er the techno-subconcious nennt: Das Ziel seiner Kritik liege darin, den Social-Media-Konsens und die lähmenden Routinen der Menschen infrage zu stellen. Im den Cafés, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf der Straße oder am Flughafen sieht man sie in Massen: Menschen, die in einen Aufzug treten und ihr Smartphone herausnehmen, um darauf zu blicken.

Lovink ordnet diese Trends in einen größeren Rahmen ein. Er habe noch zu einer Generation gehört, die für dezentrale Netzwerke, für ein offenes und freies Internet eingetreten sei, bei dem der Benutzer nicht nur ein Konsument irgendeines Produkts sein würde. In diesen Verlust an gesellschaftlicher und politischer Teilhabe durch das Netz reiht er schließlich auch den Rückgang der Autoren bei Wikipedia ein.

Die Ermittlung

„Wir haben ermittelt, dass rund 30 Prozent der Studenten heute 500 Euro und mehr im Monat fürs Wohnen ausgeben können.“

In: Felix Ehrenfried. Edelwohnheime. Studentenwerke kleckern, Privatinvestoren klotzen. Wirtschaftswoche. 30. November 2015. [1]

On the track II

Lena Sundström hat Edward Snowden interviewt (via cryptome.org), fünf Stunden lang. Und Lotta Härdelin hat ihn photographiert. Ein Leben auf Abruf. Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont, könnte man sagen.

Die amerikanische Regulierungsbehörde FCC hat es abgelehnt (Entscheidung, via Goldstein Report), die Einstellung Do not track im Webbrowser als ein Verbot jeglichen Benutzer-Trackings auszulegen. Der Artikel in der Washington Post weist darauf hin, daß das Feature ohnehin technisch überholt sei, weil dazu längst schon keine Cookies mehr, sondern der Browser-Fingerprint verwendet werde.

Konkret II

Drei Jungen in landesüblicher Tracht. Üblich, wo sie herkommen. Sie kommen von weit her, von sehr weit. Wo niemand von uns je hinkommen wird. Sie tragen einfache Sachen in gedeckten Tönen. Sie sind etwa 12 oder 13 Jahre alt. Haben ganz viele Packungen Haferflocken in ihrem Einkaufswagen und noch ein paar Kleinigkeiten, als sie an die Kasse kommen. Die Kassiererin kennt sie, grüßt und fragt laut, ob sie schon etwas Deutsch gelernt hätten? Sie reichen ihr das Geld herüber, verstehen sie aber nicht. Sie würden ihr gerne antworten. Große, dunkle Augen, die traurig wirken, und als wollten sie sich versichern, denn man darf nichts falsch machen. „Das kommt noch“, nickt sie ihnen aufmunternd zu. Sie wirken schüchtern in dem modernen und hellen und lauten Laden um sie herum, packen stumm ihre Einkäufe wieder in den Wagen, nehmen das Wechselgeld und gehen leise und erleichtert hinaus. Ich bin an der Reihe.

Konkret

Mittlerweile setzt eine etwas tiefergründige und grundsätzlichere Diskussion der erwähnten Vorgänge ein. Außerdem werden Zahlen über das Ausmaß der Belastung bekannt.

Julian Nida-Rümelin weist darauf hin, daß die grundsätzlichen politischen Standpunkte und das konkrete politische Handeln auseinanderfallen. Eine konservative Bundeskanzlerin öffnet die Grenzen und sorgt damit – übrigens entgegen der geltenden unionsrechtlichen und völkerrechtlichen Lage – für eine beispiellosen Zuwanderung. Damit sei eine völlig illusorische Botschaft transportiert worden, die nicht auf Dauer durchgehalten werden könne.

Im SWR2 Forum vergleichen Robert Leicht, Thomas Meyer und Andreas Rödder diese Zuwanderung mit den großen Einwanderungsbewegungen im zwanzigsten Jahrhundert: den Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, der Anwerbung der Gastarbeiter, den Aussiedlern seit den 1980er Jahren und den nach Westen gewanderten Ostdeutschen nach 1989/90. Kein Vorgang sei damit vergleichbar. Die praktischen Probleme seien kurzfristig so gut wie unüberwindlich, etwa weil Sprachunterricht mangels Arabisch sprechenden Lehrern scheitere. Die Stimmung kippe allzu leicht um, wenn die Einschränkungen, die die Einheimischen hinzunehmen hätten, konkret erfahren würden.

Im SozioPod diskutieren Nils Köbel und Patrick Breitenbach die psychologischen und die soziologischen Aspekte der Zuwanderung. Die Flüchtlinge seien aufgrund ihrer Erfahrung bei Krieg und Flucht vielfach traumatisiert, was eine Erfahrung ist, die sie in unsere Gesellschaft einbringen. Auch mit dieser Belastung sei langfristig umzugehen.

Der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres hat vor dem Menschenrechtsausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesagt, die Mittel von UN, Rotem Kreuz und weiterer Hilfsorganisationen reichten nicht länger aus, um die derzeit 60 Millionen Geflüchteten zu versorgen. Dies, obwohl die Spenden mit über 3 Mrd. Euro in diesem Jahr eine Rekordhöhe erreicht hätten. „Der Mangel an humanitären Geldern sei ‚der Auslöser‘ für die Massenankunft von Syrern, Irakern, Afghanen und Eritreern im östlichen Mittelmeerraum in diesem Jahr.“ Unerwähnt bleibt die Entscheidung der in diesem Jahr neugewählten griechischen Regierung, die gestrandeten Flüchtlinge nicht mehr, wie zuvor, auf hohe See zurückzuschicken. Die Zahl der Opfer an der Mittelmeerküste belaufe sich gleichwohl bisher auf 3400 Menschen, die bei der Überfahrt ertrunken seien.

Das Bundesarbeitsministerium hat die Mehrkosten, die der Bund aufgrund der Vorgänge im kommenden Jahr zu tragen haben werde, mit 2,5 Mrd. Euro beziffert. Der Haushaltsausschuß des Bundestags hat einem Nachtragshaushalt für das laufende Jahr in Höhe von 5,1 Mrd Euro zugestimmt. Davon entfallen 3,8 Mrd. Euro auf die Kosten, die durch die Aufnahme von Flüchtlingen entstehen.

Auf weiterhin gute Zusammenarbeit

Die Szene löst sich gerade auf, wenn auch nur langsam. Reste von kalten Platten stehen herum, oder war das Kuchen? Halbleere Sektflaschen, Orangensaft, Mineralwasser in Plastikflaschen und letzte Plastikbecher. Das Catering war umfassend. Es ist etwas geschehen. Die Gespräche gehen weiter, natürlich. Die Stimmung ist gelöst, es ist vorbei. Die Dame vom Fischer-Verlag scheint zufrieden. Das war das Treffen, das Suhrkamp, Fischer und Hanser für ihre Literaturblogger am Freitagnachmittag zur Primetime auf der Frankfurter Buchmesse ausgerichtet hatten. Im beweglichen Zeit-Raum für die digitale Contentindustrie und deren Gesprächspartner im Netz. Es hat ihnen so gut gefallen, daß sie bleiben werden.

Eiskalte Wärme III

Kein Aufwand ist zu groß, keine Idee zu abwegig. Ganze Städte wollen sie neu aufziehen, und die Schulbuchverlage entwerfen Lehrbücher für Sprachkurse, die es so noch nie gegeben hat. Niemand dachte je daran, etwas gegen die Armut im eigenen Land zu unternehmen. Aber wenn es um Völkerwanderungen historischen Ausmaßes geht, sind die notwendigen Mittel natürlich vorhanden. Georg Seeßlen schreibt in konkret 10/2015 darüber, wie sich in der Flüchtlingskrise das gütige Deutschland inszeniert(e). Schnitt: Das Bild zerfließt an den Rändern seiner Produktion. Wenn man den engeren Kreis der Bilderbühne verläßt, sieht man an den Gesichtern der Beteiligten, wie gelogen die Inszenierung war. Ein Ende des Feelgood Movie ist nicht absehbar, die Steigerung bleibt möglich: Weihnachten steht vor der Tür.

Eiskalte Wärme II

Tacheles Sozialhilfe weist auf einen Aspekt hin, der zeigt, daß die Umverteilung von unten nach unten bereits begonnen hat. Der Regelbedarf ab Januar 2016 wurde am 16. Oktober 2015 nicht, wie gesetzlich vorgesehen, aufgrund der neusten verfügbaren Verbraucherstichprobe von 2013 festgesetzt, sondern noch auf der Grundlage der Stichprobe aus dem Jahr 2008. Beispielsweise die Tagesschau klärt über diese Zusammenänge nicht auf.

Derweil hat Heinz Bude in einem Interview im Deutschlandfunk ausführlich über die soziale Gemengelage von Benachteiligung und rechter Stimmungsmache gesprochen. Die Unzufriedenen und die zu kurz Gekommenen. Solidarität versus Schweigespirale. Konkurrenz zwischen Stimmungen und – das wäre zu ergänzen – Politik, die sich danach richtet.

Hier ist etwas in Bewegung gekommen, es kann weitreichende Folgen haben.

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