Auf die Frankfurter Buchmesse angesprochen, soll Marcel Reich-Ranicki einmal gesagt haben: „Das ist eine Verkaufsveranstaltung – damit habe ich nichts zu tun!“
Aber natürlich ist das Geschehen vielschichtig. Der Verkauf ist der treibende Anlaß, aber das Gut, das hier verkauft wird, ist sozusagen der Treibstoff der Informations- und Wissensgesellschaft, der im Kapitalismus natürlich auch eine Ware ist, und je länger ich die Messe besuche, desto mehr nähere ich mich ihr aus vergleichender Sicht.
Ganz klar war früher „mehr Lametta“, das ist überall so. Aber es war auch ingesamt „mehr los“. Heute war zum Auftakt doch ziemlich ruhiger Betrieb. Auch die Taschenkontrolle am Eingang war nicht so neu, wie der Newsletter vorab tat, das gabs auch früher schon, samt Polizeistreifen.
„Rund 10.000 anwesende akkreditierte Journalisten, darunter 2.000 Blogger“ zählt die PR-Abteilung der Buchmesse. Da haben sie wohl auch die Kameraleute und die Strippenzieher von 3sat und Arte noch mitgezählt?
Begonnen habe ich heute tatsächlich als Freebie-Sammler gegenüber vom Blauen Sofa: Das Deutschlandradio Kultur verteilt seine letzten orangenen Kugelschreiber mit dem alten Namenszug, bevor es bald ein neues Sendestudio bekommt und zu „Deutschlandfunk Kultur“ umbenannt wird. Also her mit den schönen Kugelschreibern, denn das ist ein langlebiges Modell. Ein Andenken zu Lebzeiten. Die mit Abstand schönsten Bleistifte gibts diesmal bei DeGruyter und bei Springer Nature.
Nach notwendigen Einkäufen und einem kleinen Mittagsmahl führt mich mein Weg natürlich in die Halle 4.2, und dort nach etwas Umsehen bei den ganz großen in ihren Standlandschaften, zu – ein Tusch! – Brockhaus. Vor einem Jahr wiederauferstanden, hat der schwedische Erwerber die Marke aus der Plattform von Munzinger gelöst, über die die ehrwürdige Enzyklopädie vermarktet worden war, und vertreibt seitdem ein Multimedia-Nachschlagewerk auf einer eigenen Website – die heute abend – wie bitte? – wegen Wartungsarbeiten offline ist. Hm.
Immerhin: Vor dem Hintergrund des Autorenschwunds bei Wikipedia wird die Brockhaus Enzyklopädie, auf die ich seit Jahresanfang dank unserer Stadtbibliothek zugreifen kann, um ein Kinder- und um ein Jugendlexikon erweitert. Das sind eigene Korpora, die auf dem früheren gedruckten Kinder-Brockhaus – den es nicht mehr gibt – aufbauen bzw. abgespeckte Inhalte aus der großen Enzyklopädie für die jugendlichen Leser. Außerdem gibt es neu ein Programm, in dem „Basiswissen“ zum Selbststudium didaktisch aufbereitet wird. Diese Module ergänzen die Enzyklopädie und richten sich speziell an Schüler, die Hilfe beim Nachbereiten des Unterrichts oder bei den Hausaufgaben suchen.
Und daneben steigt Brockhaus ins Schulbuchgeschäft ein und stellt Lehrmaterial bereit, das auf die Lehrpläne der Bundesländer abgestimmt ist. Bisher gibt es dazu einen PR-Bericht und eine Pressemitteilung. Angeboten wird der Zugriff auf den Content aus einführenden Modulen samt Aufgaben. Alles weitere – Internetzugang und Clients – liegt bei der Schule. Die Nutzung erfolgt plattformunabhängig in einem Webbrowser, also keine Apps, keine Einbindung in ein entsprechendes digitales Ökosystem, aber kein kollaboratives Arbeiten. Noch nicht.
Eine Lehrerin, mit der ich ins Gespräch kam, erklärte mir als Hintergrund zu solchen Angeboten, an den Frankfurter Schulen werde sich bis 2018 erst einmal gar nichts tun, was die Technik angeht. Als erstes würden jetzt die Toiletten saniert.
Und Duden legt beim „Klassenzimmer der Zukunft“ einen Flyer aus zur „Learn Attack“ mit WhatsApp-Nachhilfe vom „professionellen Nachhilfelehrer“, „sofort“. Man sprach über den „Nachmittagsmarkt“. Da ist viel Bewegung drin derzeit. Deutschland in der „Bildungspanik“ – so Heinz Bude schon 2011.
Auch über den Schülerduden via Munzinger sprach man. Aber Munzinger ist auf der Messe nicht vertreten.
Überhaupt, ist es ja mittlerweile viel spannender geworden, darüber nachzusinnen, wer alles nicht gekommen ist, als sich anzuschauen, wer diesmal erschien. O'Reilly Deutschland, sozusagen der Suhrkamp unter den Computerverlagen, war letztes Jahr noch da, dieses mal aber wieder nur noch O'Reilly UK.
Die „Verkaufsveranstaltung“ ist eben nicht mehr unbedingt notwendig fürs Marketing. Andererseits merkt man dem Betrieb aber auch die Klassengesellschaft stärker an als früher. Es gab immer schon die Einfamilienhäuser unter den Messeständen, an den großen Kreuzungen gelegen, und hinten raus die Nordsee, ebenso wie die Einzimmerwohnungen in den engen Nebenstraßen. Aber durch den Wegfall der früheren angelsächsischen Halle 8 internationalisiert sich die Szene, und die Kontraste werden härter.
Diese Woche ist bekanntgeworden, daß das Kultur- und das Jugendprogramm ab April 2017 neue Namen erhalten sollen: Deutschlandradio Kultur wird zu Deutschlandfunk Kultur und DRadio Wissen wird zu Deutschlandfunk Nova.
Der Namenswechsel kostet eine Million Euro. Wissen Sie, das alte Briefpapier wird aufgebraucht und die alten Visitenkarten werden aufgebraucht, die sowieso alle paar Monate erneuert werden müssen. Aber das ist dann Normalgeschäft. Beides sind zudem wohl ziemlich unschöne Namen. Hinzu kommt die offizielle Begründung: Der Deutschlandfunk sei bekannter als das Deutschlandradio, deshalb sei es besser, die anderen Programme umzubenennen, dann würden sie auch von mehr Hörern eingeschaltet. Das ist nicht nachvollziehbar, angesichts des dort gleichzeitig erwähnten Zuwachses bei Deutschlandradio Kultur.
Eine Verschiebung der Kultur vom DLF zum Kulturkanal hat der Intendant Willi Steul in dem heutigen Gespräch dementiert. Trotzdem erscheint der Weggang Denis Schecks zum SWR in einem neuen Licht. Es wird wohl doch noch Pläne zum Umbau bei der Kultur geben. Einer wie Scheck gibt so eine Stelle nicht ohne Not auf.
Erstellt von schneeschmelze2 um 00:21
in politik, recht
Nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus scheint es für schwarz-grün nicht mehr sicher zu reichen. Daher erstmals ganz offen die Diskussion über rot-rot-grüne Koalitionen.
Es ist ein Spiel mit verteilten Rollen, und die SPD bezieht Position für die Arbeithaber und überläßt die Arbeitslosen gerne der Linken. Erst haben sie die Löhne gedrückt und den „Niedriglohnsektor“ geschaffen, und jetzt sorgen sie dafür, daß die Regelsätze einen gehörigen Abstand zu diesen Hungerlöhnen aufweisen. So eben die „Sozialministerin“ in einem Beitrag im Deutschlandfunk. Und der Parteivorsitzende am Wahlabend live auf der Bühne. Nach oben buckeln und nach unten treten, das können sie, und dafür werden sie auch gewählt, von derzeit etwa zwanzig Prozent.
Welche Rolle die Grünen dabei spielen werden, hat sich ihr Geschäftsführer in der letzten Berliner Runde ausdrücklich offengehalten. Alles sei im Fluß, man wisse das heute noch nicht, es könne durchaus sein, daß es im Herbst 2017 am Ende dann doch für schwarz-grün reiche. Dann sei alles wieder ganz anders.
Und der Strom der ehemaligen Nichtwähler und der Linken-Wähler zu den ganz Rechten verweist auf einen völligen Ausfall an politischer Bildung.
So ungefähr.
Jörg Kantel hat gerade die Zustimmung zu CETA zum Anlaß genommen, nach 47 Jahren aus der SPD auszutreten – kaum zu glauben, daß er so lange dort Mitglied war! Claudia Klinger schrieb schon im vergangenen April über die gesellschaftliche Dimension hinter alledem. Über die Netzwerke, die mit dem Abbau der Volksparteien mit kaputtgehen.
Die Gesellschaft fragmentiert in 15-bis-20-Prozent-Partikel. Jeder kümmert sich nur noch um seine Klientel, aber niemand fühlt sich mehr fürs Ganze verantwortlich. Rette sich, wer kann.
So war die nicht vermeidbare Aufnahme der Fremden am Ende nur ein Anstoß, ein Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, um egoistische Stimmungen auszulösen und um ein Hauen und Stechen, alle gegen alle, zu triggern.
Und weil die Verteilungskämpfe aus dem ökonomischen Sektor jetzt in den politischen übergreifen, führen sie zu einem immer weitergehenden Auseinanderfallen. Vollkommen selbstreferentiell, als gäbe es die Welt da draußen gar nicht, als wäre sie bestenfalls ein Stichwortgeber. Der Blick über den Tellerrand hinaus fehlt. Vollkommen logisch daher das Nachdenken über das Schließen von Grenzen, die es schon ganz lange nicht mehr gibt und die es auch nicht wieder geben wird.
Klaus Harpprecht ist gestorben, er war ein Redenschreiber von Willy Brandt. Wie lange die Zeit schon her ist. Die „härteren Tage" sind da.
Denis Schecks Weggang beim Deutschlandfunk hat der Sendung Büchermarkt gut getan. Sein Nachfolger Jan Drees, der mir bisher vor allem als einer der wenigen lesenswerteren Literaturblogger aufgefallen war, macht ernst und bringt die Indie-Szene ins Feuilleton: Joshua Groß' Faunenschnitt aus dem Fürther Verlag Starfruit Publications wurde gerade von Christoph Schröder besprochen. Und von Wolfgang Herrndorfs Tschick gibts jetzt eine Verfilmung: Ob sie auch für Leser von Interesse sei (Besprechung von Maik Brüggemeyer)? Der DLF wird nun also doch etwas lebendiger. Es könnte sich lohnen, den Podcast der Sendung zu verfolgen.
Erstellt von schneeschmelze2 um 09:50
in politik, recht
Der Rechtsruck, der nun auch bei uns angekommen ist, ging ja unter anderem von Österreich aus. Robert Menasse hat heute morgen im Interview im Deutschlandfunk auch für Deutsche verständlich erklärt, wie die Kapitulation des Rechtsstaats durch die großen Koalitionen dort über einen sehr langen Zeitraum hinweg vorbereitet worden war.
Als mir vor ein paar Jahren mal ein Kollege erzählte, wie das in Österreich funktioniert, wollte ich es zuerst gar nicht glauben. Es gibt dort nämlich eine Rechtsquelle, die wir im deutschen Recht nicht kennen, das Verfassungsgesetz. Nach herrschender Meinung ist das ein Gesetz mit Verfassungsrang und gehört damit zum Verfassungsrecht; nach anderer Ansicht ist es einfach nur ein Gesetz, das mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen worden ist, aber eben nur im Range eines einfachen formalen Gesetzes. Solche Verfassungsgesetze wurden in Österreich immer dann erlassen, wenn etwas umstritten war. Sie wurden mit Zweidrittelmehrheit im Parlament beschlossen und waren damit der materiellen Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof entzogen. Verfassungsgesetze sind nach österreichischer Auffassung von vornherein verfassungsmäßig, sie können nicht verfassungswidrig sein, denn sie wurden ja mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen. Ihre Verfassungsmäßigkeit wird nicht an der zum Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden Verfassungsrecht geprüft. Deshalb wurde auch kaum ein umstrittenes Gesetz in Österreich je vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, ganz im Unterschied zu Deutschland, wo es ja eher zum Regelfall geworden ist, die abenteuerlichsten Dinge im Parlament zu beschließen, weil sie später sowieso wieder „von Karlsruhe“ aufgehoben werden. Keine Sorge, Karlsruhe wird das wieder richten. „Der Gang nach Karlsruhe“ ist zum geflügelten Wort geworden – an sich ja auch schon ein Skandal. Karrierebewußte Abgeordnete verlassen sich darauf und stimmen schon auch mal dafür, wo es substantielle Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit gibt. So erzählte das zumindest mal der ehemalige SPD-Abgeordnete Tauss, als seine politische Karriere zuende ging und er infolge der nach ihm benannten Affäre aus dem Parlament ausscheiden mußte. Diese Korrektur der Politik durch die Rechtsprechung, das Primat des Rechts über die Politik, kann man also in Österreich umgehen, indem man möglichst große Koalitionen bildet, die Verfassungsgesetze erlassen, um den Rechtsstaat auszuhebeln.
Menasse sieht darin eine Aushöhlung des Rechtsstaats, die sich aktuell auswirke: Die österreichische Verfassung ist systematisch zur Ruine gemacht worden. … Und mit der Begründung dieser Papierruine, die wir haben, macht jetzt das österreichische Verfassungsgericht, das die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl lediglich auf formale Fehler bei der Auszählung, nicht auf Fehler im Ergebnis oder auf konkrete Manipulationen gestützt hatte – mit dieser Begründung mache also der Verfassungsgerichtshof die Republik zur Ruine, und das ist unerträglich. Indem sie gegen das Wahlergebnis vorgegangen sei, habe die FPÖ nichts anderes getan als die AfD in Deutschland. Beide Parteien liege daran, dieses System zu zerstören. Sie zerstören eine Republik, sie zerstören demokratische Strukturen im Namen der Demokratie. Und jetzt frage ich Sie: Erinnert Sie das an etwas?
Zumal eine Wahlwiederholung gar nicht möglich sei: Mittlerweile sind nämlich schon jetzt mehr Menschen, die wahlberechtigt waren bei dieser Wahl, gestorben, als der Stimmenunterschied zwischen den Kandidaten war. Es seien aber auch mehr Menschen wahlberechtigt geworden, also ins wahlberechtigte Alter gekommen, als Stimmendifferenz war zwischen diesen beiden Kandidaten, und die wiederum dürfen nicht wählen, weil nur die wählen dürfen bei der Wahlwiederholung, die schon damals wahlberechtigt waren. Das heißt, eine enorme Anzahl von Österreichern darf nicht wählen, muss aber dann sechs Jahre mit diesem Bundespräsidenten leben, und eine enorme Anzahl von Österreichern, die gewählt hat, kann nicht noch einmal wählen, weil sie bereits verstorben sind.
Die Website von NPR ist wiedereinen Schritt weiter auf seiner Website: Der Player läuft weiterhin ohne Flash, man kann jetzt aber auch zwischen dem bundesweiten Program Stream und fünfzehn (in Zahlen: 15) Musik-Streams umschalten. Und solange man auf der Website bleibt, spielt der Player weiter. Im Desktop-Player – wie gehabt – als MP3 und AAC.
Die kanadische CBC hingegen hat ihren Service deutlich zurückgefahren. Die 128er-Livestreams wurden für die Wiedergabe im externen Player im Ausland gesperrt. Auf der Website spielt nur noch Radio One (ohne Flash). Die offiziellen Livestream-URLs wurden auf 48 kb/s gedrosselt. Für das Kulturprogramm Radio 2 gibt es nur noch zwei internationale Streams – mit derselben Datenrate. Die weiteren Livestreams sind gleich ganz geo-geblockt.
Was derzeit innenpolitisch geschieht, ist nicht überraschend. Man konnte es erwarten, denn es wiederholt sich im wesentlichen, was jahrelang in Österreich vorausgegangen war. Um das zu bemerken, hätte man die Entwicklung dort verfolgt haben müssen, natürlich. Die wenigsten tun das, aber ich mittlerweile schon, denn es lohnt sich. Es reicht für den Anfang schon ein Blick auf den derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf. Marlene Streeruwitz hat das gerade im Standard kommentiert, und sie schreibt auf ihrer Website dagegen an mit einem Wahlkampfroman, in wöchentlichen Fortsetzungen. Weil der Roman als Kunstform die einzige Möglichkeit ist, abstrakte Verhältnisse wie eine politische Entscheidung auf das Leben zu beziehen und damit den Sonderfall des Allgemeinen herauszuarbeiten.
Ich glaube auch, es ist ernst geworden, es kommt darauf an, und die Ursachen liegen in erster Linie im Widerstand gegen die Modernisierung der Gesellschaft im ganzen – technologisch, ideologisch, sozial. Nicht nur in Europa, übrigens, sondern auch in den USA, wo Hillary Clinton gerade die Wähler von Trump wahrscheinlich ziemlich zutreffend beschrieben hat. Es ist eine Art modernitätsfeindliche, antimoderne Gegenströmung, die zwar eine Minderheit ist, aber eine doch ziemlich umfangreiche, so sehr, daß man nun nicht mehr an ihr vorbeikommt. Die jahrelang in der Schweigespirale war. Es ist die alte Stahlhelmfraktion bzw. deren Nachkommen, es sind Modernisierungsverlierer (wer ist das nicht?) und es sind Leute, die einfach nicht mehr mitkommen, die die immer komplexer werdende Welt nicht mehr verstehen und die nicht anders! rufen, sondern zurück! Die endlich wieder bleiben wollen, wo sie nie gewesen sind und wo kein Weg hin führen kann. Denn es geht ja nur nach vorne, niemals rückwärts.
Mit der Zeit zeigt sich ein Profil der Reaktion.
Und das alles muß man erstmal aushalten können. Siehe Armin Nassehi über die Allensbach-Umfrage zu der zunehmenden Angst unter den 30–59-Jährigen.
Beim Spiegel hat sich in den letzten Tagen mehr getan als nur ein Facelifting für die alte Tante SpOn – die 1996 mal so aussah. Auf ihre Hauptseite setzen sie jetzt häufiger Beiträge, von denen nur der Teaser frei lesbar ist. Wer mehr haben möchte, muß 39 Cent zahlen. Für eine ganze Woche dieser „Spiegel-Plus“-Beiträge hätte der Verlag gerne 3,90 Euro. Das ist eine Menge Geld, und man denkt an Fefes Beitrag über die Abo-Verträge von FAZ und Süddeutscher Zeitung, die auch ziemlich happig daherkommen. Oder täuscht der Eindruck?
Eher nicht. Beim Chaosradio gab es im vergangenen Mai eine Sendung über Online-Werbung. Ab Minute 01:39:16 werden Gegenmodelle zur Werbefinanzierung diskutiert und den Einnahmen aus der Werbung gegenübergestellt. Die profitablen Portale, also diejenigen, die mehr als eine „schwarze Null schreiben“, nehmen dabei „unter zehn Cent pro Artikel“ pro Leser ein, bezogen auf ihre Einnahmen für die jeweilige Seite, geteilt durch die Zahl der Leser eines Artikels, der mit Werbung versehen war. Die Einnahmen durch das User-Tracking muß man wohl noch dazu rechnen, denn mit diesen Daten bezahlen wir ja ebenfalls und zusätzlich („Du bist das Produkt“).
Daran sieht man, wieviel Luft in solchen Mondpreisen steckt und warum es legitim und notwendig ist, auf Alternativen auszuweichen, um sich zu informieren. Es steckt sogar unverschämt viel Luft in solchen Preisen. Und man kann das überhaupt nur ernsthaft vorstellen, weil die meisten Leute von den Online-Angeboten der Bibliotheken auch im Bereich E-Paper immer noch gar nichts wissen. Auch in der Sendung des Chaosradios kein Wort dazu. Mir mittlerweile unverständlich.
Die Zukunft kann nur eine kollektive Pauschallösung für alle Verlage gemeinsam sein. Wenn ich vierzig Euro zahle (sic!), darf ich erwarten, daß ich Zugriff auf die gesamte deutschsprachige Presse erhalte, und zwar aktuell und Archiv. Zugang und Abrechnung erfolgen über meine Bibliothek über die Nutzungsgebühren. So können auch sozial Bedürftige leicht eine angemessene Vergünstigung erhalten: Information als Grundrecht wäre für sie freizustellen, wie heute schon. Damit wären die privaten Verlage genauso gut bedient wie die Rundfunkanstalten. Man könnte sogar mal wieder eine Kulturflatrate für alles zusammen andenken – wem das nicht anno 2016 zu retro wäre…
Wir haben als einzigen Gewinner: die Angst, sagte Michael Kellner von den Grünen in der Berliner Runde nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Die Sitzordnung ist rechts-links geteilt, zum ersten Mal in dieser Sendung. Aber das eigentliche Thema, das, abgesehen von der Angst, im Raum steht, ist doch das Unverständnis und die Hilflosigkeit angesichts der bundespolitischen Krise, über die die ausländischen Zeitungen breit berichten – zuletzt aus Belgien ein Rückblick auf die Nacht, als Deutschland vor einem Jahr die Kontrolle verlor. Interessant, daß die erheblichen Stimmenzuwächse der AfD bei den sozial Schwachen nicht thematisiert werden. Die Erhöhung des Regelsatzes um nur fünf Euro ab Januar 2017 war eine Woche vor der Wahl bekanntgegeben worden. Die Umverteilung von unten nach unten trieb den Rechten die Wähler zu, spielte in der Berichterstattung der bürgerlichen Medien aber keine Rolle. Heinz Bude sprach im Deutschlandfunk vor einer Woche von einem zunehmenden politischen Repräsentationsdefizit.
Die Frankfurter Museen verfahren beim Umgang mit Bloggern recht unterschiedlich. Den Anfang bei den sogenannten Blogger Relations machte einst die Kunsthalle Schirn mit dem Bloggertreffen, zu dem im Juli 2012 während der Ausstellung von Jeff Koons unter hohem Mitteleinsatz eingeladen wurde. Die Erfahrungen waren damals doch recht gemischt. Die Blogger wurden seitdem von Schirn, Städel und Liebieghaus den Journalisten gleichgestellt und beispielsweise auf den Presseverteiler aufgenommen. Das Städel zog kurz darauf mit einem „Abend unter Freunden“ (sic!) nach. Seitdem tat sich dann aber nicht mehr so viel in Sachen user-generated content, Communities und Frankfurter Kultur. Während der Montmartre-Ausstellung gabs nochmal ein paar Gastbeiträge im SchirnMag (das mittlerweile leider mehr Wert auf Mobil-Tauglichkeit als auf seine Archiv- und Suchfunktionen legt, daher hier ohne Verlinkung). Die letzten Veranstaltungen, von denen man etwas hörte bzw. las, waren das MMK-Blog-Camp beim Museum für Moderne Kunst sowie, natürlich, der Social-Media-Abend zum Städel-Jubiläumsjahr, jeweils Ende 2015. Man durfte also gespannt sein, als die Schirn, zeitgleich zu einem Sommerfest, nach längerer Zeit einmal wieder zu einem exklusiven Schirn Up für Blogger, Twitterer, Instagrammer und, neu hinzugekommen, auch Snapchatter einlud. Und das machte mich denn auch neugierig, nach all der Zeit mal wieder einen Blick auf die Entwicklung zu werfen.
Wenn man sich das Ergebnis auf den sozialen Netzwerken anschaut, war es denn doch eine sehr bunte Mischung an Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die hier zusammengekommen waren, und aus der Rekrutierung, der Zusammensetzung, dem Ablauf und dem Ergebnis des Events kann man durchaus Rückschlüsse auf die Entwicklung und den derzeitigen Stand des Social Webs ziehen, die auch über den Kreis der in irgendeiner Weise Kulturinteressierten hinausgehen. Im Vergleich zum Anfang der Entwicklung vor vier Jahren ist es offenbar sehr viel schwieriger geworden, eine nennenswerte Zahl an qualitativ hochwertigen Beiträgern zu erreichen, die Spaß am Publizieren kultureller Themen im Netz haben. Dies, obwohl die Ankündigung zu der Veranstaltung über eine Vielzahl von Kanälen veröffentlicht worden war, von persönlichen Einladungen über die sozialen Netzwerke bis hin zur Ausstellungs-Website. Im Vergleich zu damals fehlten vor allem die Bildungsblogger, aber auch praktisch alle sonstigen etwas bekannteren und langjährigen Frankfurter Blogger und Twitterer. Der Trend ist deutlich: Die Szenen unterliegen einer immer weitergehenden Ausdifferenzierung, und damit einher geht die sich vertiefende Fragmentierung der Öffentlichkeit, wie es Jürgen Habermas schon 2006 in seiner Rede zur Verleihung des Renner-Preises – unter Kritik – beobachtet hatte. Diese Entwicklung hält seitdem an und radikalisiert sich. Die Folge ist, daß die Ansprache im Web 2.0 immer individueller ausfallen muß; hier wäre evtl. etwas Finetuning zu empfehlen. Man muß wohl noch persönlicher werden, um sicherzustellen, daß man die relevante Szene auch wirklich erreicht – oder man definiert Relevanz in einem anderen Sinne neu, das mag sein. Weiterhin ist der idealistische Impuls in der Netz-Gemeinde offenbar am Schwinden. Die Kommerzialisierung greift um sich. Verfolgt man die Spuren, die der Abend auf Twitter und Instagram hinterlassen hat, so stellt man fest, daß sich unter den Teilnehmern beispielsweise in der PR Tätige ebenso fanden wie ein paar Werbeblogger, deren Auftritt sich eher wie eine Art Dauerwerbesendung ausnimmt, wie man es sonst nur vom privaten Rundfunk her kennt. Andererseits war da ein leibhaftiger FDP-Politiker zu sehen, der bei fast dreißig Grad Außentemperatur zu dem Termin im schwarzen Anzug und mit weißem Hemd erschienen war. Inhaltlich bleiben bisher ausschließlich Photos im Netz zurück mit ein paar knappen Anmerkungen, keine Blogposts. Das ist nicht viel. Insgesamt also bietet sich ein ganz anderes Bild als früher, das man zumindest vorläufig als einen Rückzug des kritischeren Teils der Szene aus solchen Events lesen kann. Wenn man sowieso das ganze Jahr die Kultur verfolgt, sind eben die Mitnahmeeffekte, die sich bisweilen bieten, nicht mehr so attraktiv, vielleicht abgesehen von der Kuratorenführung, die mit der Veranstaltung verbunden war.
Zur Kunst, also. Kuratorenführungen kennt man ja viele, die Führung durch Alexander Braun aber war sehr engagiert und gehaltvoll. Die Ausstellung „Pioniere des Comic“, zu der wir eingeladen waren, ist eine absolut sehenswerte kleine und sehr feine Schau, auf die man sich nur sehr schwer wirklich vorbereiten kann, wenn man sich mit den historischen Wurzeln des Genres bisher noch gar nicht beschäftigt hatte. Deshalb neigt man allzu leicht dazu, das Thema zu unterschätzen und als zu leicht zu befinden. Im Vorfeld lesenswert ist auf jeden Fall der Überblick von Constanze Hahn über das neuere Schrifttum zur Comic-Geschichte, der im Januar 2016 bei literaturkritik.de erschienen war. Wer Zuflucht bei Wikipedia nimmt, sollte unbedingt die englische Fassung wählen, denn die Artikel in der deutschen Version sind oft schon viele Jahre nicht mehr aktualisiert worden. So fehlen beispielsweise bei Artikeln, die sich bis zu zehn Jahre inhaltlich kaum mehr verändert haben, Bilder von historischen Comics, die man mittlerweile auf Wikimedia Commons und in den jeweiligen Artikeln der englischen Wikipedia findet – das wäre doch mal ein sehr schönes Betätigungsfeld für Wikipedia-Neuautoren. Die ursprünglichen Autoren sind offenbar inaktiv geworden oder interessieren sich nicht mehr für ihr früheres Thema. Von den Zeitungen, deren Seiten in der Ausstellung gezeigt werden, sind sonst leider keine Digitalisate im Netz verfügbar. Das holzreiche Papier, das um die Jahrhundertwende zum Zeitungsdruck verwendet worden war, zerfällt zunehmend, und viele Exemplare waren nach der Verfilmung auf Microfiches vernichtet worden – wobei nur die schwarz-weißen Inhalte verfilmt wurden, weil farbige Bilder auf dem Mikrofilm nicht dargestellt werden konnten. So kommt es, daß der umfangreich bebilderte etwa 270-seitige Katalog durchaus als eine Referenz zum Thema im ganzen dienen kann.
Gezeichnet wurde auch vor dem Aufkommen der Comics schon häufig, bissig oder unterhaltsam. Bei der Einführung in die Ausstellung wird aber deutlich, worin eigentlich die „Avantgarde“, also das Innovative der ersten Comics bestand: Den Zeichnern eröffnete sich mit einem Mal ein breites Betätigungsfeld. Sie hatten viel Spielraum, um Neues auszuprobieren, denn die Verlage wußten noch nicht, was bei den Lesern mehr oder weniger gut ankommen würde. Deshalb ließen sie den Künstlern viel Freiraum, sich auszuprobieren, und sie nutzten ihn, bis hin zu selbstreflexiven und surrealen Geschichten, lange vor dem Aufkommen des „Surrealismus“. Die thematische und formale Formatierung aus kommerziellen Erwägungen kam erst sehr viel später. Aus technischer Sicht neu war der aufwendige Farbdruck, der nur für die Comic-Seiten zur Anwendung kam, ebenso die neue Technik, Papier herzustellen – zwar mit den vorgenannten Problemen für die Langzeitarchivierung infolge des hohen Holzanteils, was aber kurzfristig natürlich ohne Belang war, denn nichts ist bekanntlich so alt wie die Zeitung von gestern, man wirft sie leicht weg, morgen kommt die nächste heraus, und am darauffolgenden Wochenende gibts den nächsten Comic – teils waren es Fortsetzungsgeschichten, sie sollten sich aber wohl eher zum jederzeitigen Einstieg ad hoc eignen.
Die Comics dieser Zeit um die Jahrhundertwende in den USA waren vor allem eine Form der Popularisierung von Kunst, weil sie eine sehr große Verbreitung fanden. Das bringt sie in die Nähe der zweiten Ausstellung zum „Farbholzschnitt in Wien um 1900“, die parallel dazu gerade ebenfalls in der Schirn stattfindet. Der Unterschied im Produktionsprozeß und beim Produkt könnte nicht größer sein, aber in beiden Fällen handelte es sich um Ansätze, die dazu führten, daß Kunst sehr viel besser sichtbar wurde, man konnte es sich eher leisten, und soweit die Zeitungen betroffen waren, mag mancher noch bis in die Gegenwart hinein den tieferen Blick, den manche Geschichte auf den Alltag und unsere Wahrnehmung eröffnet, gar nicht bemerken. Tatsächlich aber haben die frühen Comics vielfach spätere Werke vorbereitet, etwa in den Motiven, die Lyonel Feininger später immer wieder in seine Bilder einbrachte. Sie gehen häufig auf seine Zeit als Karikaturist und Comiczeichner zurück, wie auch die Einkünfte, die er daraus bezog, eine wichtige Voraussetzung für seinen weiteren Werdegang als Künstler sein sollten. Der Comiczeichner war in den Anfangsjahren nämlich kein prekärer Nebenjob, sondern eine ziemlich einträgliche Tätigkeit. Der Unterschied im künstlerischen Ergebnis besteht vor allem in der hohen Auflage der Zeitung im Vergleich zu den Holzschnitten als Einzelstücke, die qualitativ abhängig sind vom jeweiligen Farbauftrag und vom dem Druckvorgang im Einzelfall. Während im einen also sowohl die Kulturindustrie als auch der spätere Factory-Ansatz der Popart-Künstler sich zeigt, steckt im Farbholzschnitt trotz allem noch ein Rest von Aura, die aus dem handwerklichen Fertigungsprozeß herrührt.