Trevor Paglen, „The Octopus“, im Frankfurter Kunstverein
Auf dem Chaos Communications Congress hat Trevor Paglen im Jahr 2013 einen Vortrag gehalten, in dem er seine Arbeit vorstellte; die Aufzeichnung der Präsentation wird in der Ausstellung „The Octopus“ im Frankfurter Kunstverein neben einer Auswahl seiner Arbeiten gezeigt.
Worum geht es?
Die Vereinigten Staaten – aber nicht nur sie – entführen laufend Menschen aus politischen Gründen, verschleppen sie in geheime Gefängnisse außerhalb ihres eigenen Staatsgebiets, foltern und verhören sie dort, zerstören damit Leben und stellen sich außerhalb des Rechts und der Menschlichkeit. In Deutschland bekanntgeworden ist insoweit vor allem der Fall El Masri. Aber auch das Lager in Guantanamo gibt es immer noch. Die Berichterstattung hierüber ist so umfangreich gewesen, daß man das heute nicht mehr als „Verschwörungstheorien“ abtun kann. Es handelt sich durchweg um eklatante Menschenrechtsverletzungen, die zu ächten sind.
Solche Aktionen hinterlassen Spuren. Dienstleistungen werden von privaten Firmen für den Staat erbracht, dafür gibt es Aufträge, hinterher werden Rechnungen gestellt, die einen Absender haben und einen Adressaten. Diese Briefe werden mit falschem Namenszug gezeichnet und befördert.
Kurz zusammengefaßt, greift Paglen solche Dokumente und sonstige Zeugnisse von Militär und Nachrichtendiensten auf, die von Whistleblowern beispielsweise über die Plattformen Cryptome oder Wikileaks veröffentlicht worden sind, und geht den darin enthaltenen Hinweisen auf solche geheimen Aktivitäten der Dienste nach. Einige der Dokumente, die Ausgangspunkt von Recherchen waren, werden in der Ausstellung gezeigt. Findet Paglen etwa den Sitz eines solchen „Contractors“, der Verschleppte im Flugzeug transportiert hat, photographiert er das Haus ebenso wie die Mitarbeiter und die Autos vor dem Firmengelände.
Das alles macht das Verborgene sichtbar, bringt es ans Licht, zeigt die Spuren, die auf das Geheime hinweisen, das längst den Alltag durchdringt. Dabei entstehen eindringliche Bilder, wie etwa die durch Langzeitbelichtung bei Mondlicht entstandene Photographie „They watch the moon“, die eine Abhörstation in den Wäldern von West Virginia zeigt, die dort weitab von allen Störsignalen Wellen empfängt, die vom Mond auf die Erde zurückgeworfen werden. Um das technisch möglich zu machen, wurde dort eine „National Radio Quiet Zone“ von 34.000 Quadratkilometern eingerichtet, die für die nötige elektromagnetische Stille sorgt. Die Antennen stehen ruhig inmitten der sanften grünen Hügel und lauschen ins All hinaus. Auf anderen Bildern sind Vorbereitungen für den Start von Drohnen zu sehen, die auf weit entfernten Militärbasen stationiert sind, welche man kaum noch optisch sehen und abbilden kann. Aufklärungs-Satelliten macht Paglen sichtbar, indem er ihre Bahnen am Sternenhimmel mit extrem langer Blende aufzeichnet. Drei eindringliche Nachtaufnahmen von Zentralen der amerikanischen Geheimdienste hat er unter CC0-Lizenz auf Wikimedia Commons freigegeben.
In der Mitte des ersten Raums steht ein Hotspot, der den Weg ins Tor-Netzwerk für jedermann eröffnet.
Julia Voss hat in der FAZ darauf hingewiesen, daß Trevor Paglen seine Aktionen über den Kunstmarkt finanziere: Künstler wie Paglen oder auch der Neuseeländer Simon Denny zapfen die fast unendlich scheinenden Ressourcen des Kunstbetriebs an, um Öffentlichkeit herzustellen. Originale oder Editionen werden zur Währung der investigativen Recherche.
Der Ausstellung, die im Rahmen der Photo-Triennale RAY 2015 im Frankfurter Kunstverein gezeigt wird, wünscht man viele Besucher, gerade auch aus dem Kreis der technikaffinen Gemeinde, die sonst kaum den Weg in die Kunst- und Kulturtempel findet.
Trevor Paglen, „The Octopus“, im Frankfurter Kunstverein noch bis 30. August 2015. – Siehe auch das umfangreiche Pressematerial.
This isn't just Greece III
Das alles geschieht im Hochsommer, und es zieht sich so lange hin, daß viele bei alledem schon kaum noch hinhören mögen. Aber es geht weiter. Das Institut Solidarische Moderne, ein Thinktank gegen den Neoliberalismus aus dem rot-rot-grünen Lager, hat gestern einen Appell gegen das Verhandlungsergebnis zwischen den Eurogruppe-Staaten und Griechenland veröffentlicht, der bisher in keiner größeren Zeitung, außer in der Online-Ausgabe des Neuen Deutschlands (sic!) erwähnt worden ist. Darin heißt es unter anderem zutreffend: Die Schwelle ist überschritten. Was Merkel und Schäuble am Verhandlungstisch durchsetzten, wurde von der SPD unterstützt und bleibt von der europäischen Sozialdemokratie unwidersprochen. Ihr historischer Niedergang wird weitergehen. Den Abgang hat sie selbst besorgt, uns bleibt, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Und Yanis Varoufakis hat den Text des Abkommens, über das heute abend im griechischen Parlament abgestimmt werden soll, auf seinem Blog in einer kommentierten Fassung veröffentlicht. – Was würde Karl Kraus in diesen Tagen schreiben? Würde er überhaupt noch etwas schreiben?
This isn't just Greece II
Nachdenklich macht, daß der Kotau, der Griechenland gestern morgen auferlegt worden ist, mit dem Vertrag von Versailles verglichen wird, etwa von Yanis Varoufakis in einem Interview im australischen Rundfunk sowie in seinem Blog. Die Frage, ob das ein weiteres Versailles sei, ist auch Angela Merkel gestellt worden, und sie ist ihr ausgewichen. Weiterhin, daß die Finanzminister der Eurogruppe in der Überzeugung handeln, durch Recht nicht gebunden zu sein, wie Varoufakis im New Statesman erklärt. Sie sehen sich als Eurogruppe außerhalb des Rechts stehend.
This isn't just Greece
…And now, the IMF is already saying—or the IMF has already acknowledged that the debt is unsustainable. And some of that is U.S. influence. You know, you have a difference between the U.S. and the European Union, or the European authorities, I should say, because the U.S. is only concerned with keeping Greece in the euro, whereas the others have this project. They want to transform Europe into a place that has a smaller social safety net, a reduced state, cuts in pensions and healthcare. This isn’t just Greece. Greece is the obstacle in their way of transforming Europe. So they have these whole set of other interests that they’re fighting for, and that’s why they’re being so brutal and stubborn about this…
– Mark Weisbrot in Democracy Now, 10. Juli 2015.
Das richtige Personal
Amy Goodman und Juan Gonzalez haben bei Democracy Now mit Bruce Schneier über das Papier gesprochen, in dem er sich zusammen mit vierzehn anderen Kryptographen gegen staatliche Hintertüren bei der Verschlüsselung von Daten gewandt hatte. Die Krypto-Wars sind wieder da, sagt er. Alles, was sie schon in den 1990er Jahren gesagt haben, können sie heute noch einmal sagen. Es ist das alte Spiel, das man eher in China oder Rußland erwarten würde, aber nicht in einer Demokratie.
Gleichzeitig wird ein Journalist zum ARD-Chefredakteur befördert, der gerade zu netzpolitischen Themen eine Einfalt an den Tag gelegt hatte, die man kaum noch toppen kann. Tilo Jung hat die schönsten Stellen aus seinen Tagesthemen-Kommentaren der letzten fünf Jahre zusammengeschnitten, sozusagen die Anstaltspackung, starring Rainald Becker. Früher blieb man von so etwas verschont, wenn man keinen Fernseher hatte, aber heute gibt es ja dieses Internet.
In den NachDenkSeiten setzt sich Sabine Schiffer kritisch mit einem Vortrag auseinander, den der Heute-Journal-Moderator Claus Kleber als „Antrittsvorlesung“ für eine Honorarprofessur in Tübingen gehalten hat und in der es irgendwie um die Entwicklung des Journalismus und eben auch ums Internet ging. Anhand von Statistiken zur Charlie-Hebdo-Berichterstattung Anfang des Jahres 2015 zeigt Kleber auf, dass bei allem „Erfolg“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Sachen Einschaltquote die Altersstruktur des Publikums auf ein aussterbendes Publikum hindeutet. Das gewünschte Publikum tummle sich hingegen in den sogenannten Sozialen Medien und sehe nicht unbedingt „eine anständige Nachrichtensendung“, heißt es darin unter anderem. Und für dieses Publikum sind Kleber, Becker und Hassel wahrscheinlich genau das richtige Personal für ihre „Kunden“, wie Kleber sie nennt.
Meinungsmache II
Ein Widerspruch: Während die deutsche Bundesregierung behauptet, Griechenland habe entschieden, die Verhandlungen zu verlassen, schreibt der griechische Finanzminister in seinem Blog: The day the Eurogroup President broke with the tradition of unanimity and excluded Greece from a Eurogroup gathering at will. (via nettime-l)
Meinungsmache
Albrecht Müller beschreibt in den NachDenkSeiten die Methoden der Meinungsmache zum Nachteil Griechenlands. Im Anschluß an sein gleichnamiges Buch aus dem Jahr 2009 illustriert er anhand eines Interviews in den Tagesthemen, wie Journalisten und Politiker als spin doctors versuchen, die öffentliche Meinung in eine ihnen genehme Richtung zu wenden: … die Einigung scheiterte bisher an der Sturheit und am Taktieren der griechischen Regierung; „wir und die“; wir, die Guten und Vernünftigen sind hier, und dort sind die Ideologen und die Unvernunft.
Das ist schon schlimm genug. Noch problematischer ist aber, glaube ich, daß sich durch das monatelange Ringen um Kredite auch ganz langfristig ein Bild von „den Griechen“ festsetzen könnte, das die Einstellung vieler zu dem Land und darüber hinaus zu wirtschaftspolitischen Fragen prägt. Das Gerede vom „kranken Mann am Bosporus“ ist ein historisches Beispiel für so etwas. Die Floskel aus dem 19. Jahrhundert ist heute immer noch geläufig, und sie paßte damals so wenig wie sie heute in der Pauschalität, die sie unterstellt, zutreffend wäre.
So werden Bilder geprägt, die viele Generationen lang wirken können, die diskriminieren und letztlich allen schaden.
Empörung
Felix Stalder meint auf Nettime, es werde ein „heißer Sommer in Europa“ werden und zeichnet ein bewegtes Bild: Madrid folge Barcelona und wählte eine indignada zur Bürgermeisterin, Griechenland sei kurz davor, auf dem Altar der Orthodoxie geopfert zu werden, der Krieg in der Ukraine ziehe sich hin, und überhaupt erinnere ihn Europa 2015 an Europa 1913. Simona Levi weist derweil darauf hin, daß die Opposition in den armen südeuropäischen Ländern kein einheitliches Lager sei, sondern vielfältig und bunt zusammengesetzt. Gleichwohl habe Podemos die Wahlsiegerin von Madrid für sich vereinnahmt und sie etwa auch gegen ihren Willen auf der eigenen Website gezeigt. Und überhaupt: openDemocracy – lesen und sich empören!
Die Verhältnisse in Amerika
Als die Honorare des Kanzlerkandidaten Steinbrück für seine Reden bei Events von diversen Konzernen und Verbänden ins Gerede kamen, ging es um bis zu fünfstellige Beträge pro Auftritt. Die Whistleblower-Plattform Cryptome (die ich nicht verlinke) hat nun ein 20-seitiges Formular veröffentlicht, in dem die Auskunft der möglichen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton über ihre Einkünfte nachzulesen ist. Die Einnahmen beginnen bei sechsstelligen Dollar-Beträgen. I think I will take up speaking engagements…, kommentiert das ein User auf einer Mailingliste.