albatros | texte
Sonntag, 1. September 2024

Der Wanderer 125

Zwei Filme:

Nachdem ich mehrere Jahre gar nicht ins Museum gegangen war, fand ich bei meiner Rückkehr in die Sammlung der Gegenwartskunst im Frankfurter Städel Daniel Richters Horde an einem ganz anderen Platz wieder. Die neue Sammlungsleiterin Svenja Grosser hat das monumentale Bild nach vorne geholt, ins Licht gehängt, man tritt ihm gegenüber. Da stehen sie vor mir, lebensgroß, über-lebensgroß, über-lebens-groß. Und böse. Sind das überhaupt die Bösen, wie man sie kennt? Oder sind sie in einer Uniform? Muss ich Angst haben vor den Menschen in Uniformen? Daniel Richter, der Hamburger Hafenstraße nahestehend, meint wohl: Ja. Oder doch nicht? Anschauen! Man sieht, wie Richter malt, und wie die Bilder, die er vor längerem gemalt hatte, ihren Weg in die Welt hinaus nehmen, wie sie auf den Weg gebracht werden, in Ausstellungen, in den Kunsthandel, zur Galeristin, zu Sammlern. Und Richter erzählt, was er sich beim Malen denkt und gedacht hat. Und man sieht, wie er malt. Mit zwei exotischen Vögeln auf der Schulter, auf dem Kopf, mit lauter Punkmusik steht er vor riesigen Leinwänden in einem riesigen Atelier. Er meint es ernst. Richter rockt.

Samstag, 24. August 2024

Thunderbird 128.1.1esr

Zu den Neuerungen, die mich beim Übergang von Thunderbird 115 zu 128 am meisten überrascht hatten, gehört eine Änderung im Kalender-Modul. Seit Version 128 ist es nicht mehr möglich, Termine, die in der Vergangenheit liegen, zu suchen und als Liste ausgeben zu lassen. Die alten Termine sind zwar noch im Kalender vorhanden, man kann aber nur noch auf sie zugreifen, wenn man im Kalendarium händisch zurückblättert, und erst dann erscheinen sie auch in der Trefferliste, die unmittelbar darüber dargestellt wird. Wenn man danach sucht. Die Einstellung, alle Termine zu filtern, wurde ersatzlos abgeschafft.

Freilich ist das eine erhebliche Einschränkung der Brauchbarkeit eines digitalen Kalenders, der immer auch als Archiv für alle möglichen Daten dient. Man hatte sich Notizen in den Terminen gemacht, hatte dort Kontaktdaten notiert oder aus E-Mails durch Umwandeln in einen Termin oder eine Aufgabe direkt übernommen. All das ist nicht mehr durch eine Suche im Kalender zugänglich.

Der Verlust hält sich in Grenzen. Im Thunderbird-Forum hatten sie schon seit dem 1. August über das Problem diskutiert, während ich es erst am 23. August bemerkt hatte. Dort hatte ein Benutzer eine Erweiterung für Thunderbird bereitgestellt, die die vollständige Durchsuchbarkeit wieder herstellt. Zitat:

Die Entwickler haben grundsätzliche Bedenken mit ’allen’ (=potentiell unendlich vielen) Terminen. Außerdem planen sie anscheinend einen Umbau des Kalenders. Da kann es etwas dauern, bis die Funktionalität wieder da ist.

In der Tat, denn Änderungen beim Kalender stehen dieses Jahr ausdrücklich nicht mehr auf der Roadmap. Es wird also mehrere Jahre dauern, bis der Kalender im Thunderbird wieder vollständig durchsuchbar ist. Es gibt nicht mal einen Bugreport dazu, jedenfalls habe ich keinen gefunden.

Ich habe es erst spät bemerkt. Aber jetzt weiß ich, dass ich mich auf den Kalender nicht mehr als Archiv verlassen kann, und das ist ein bisschen wie mit einem Kleidungsstück, bei dem man einmal bemerkt hat, dass es einen kratzt. Es kratzt dann auch noch, wenn es eigentlich gar nicht mehr kratzen sollte oder könnte. Weil es einen in der Vergangenheit einmal kratzen konnte, und diese Erinnerung hat sich ins Gedächtnis eingebrannt, als wäre es ein traditionelles Muster auf einem alten Tonkrug, der auf verworrenen und daher umso lieberen Wegen aus dem Altertum irgendwie doch noch zu uns gefunden hat. Und du willst dich auch nicht wirklich auf ein Plug-in aus einem Webforum verlassen, um dem abzuhelfen.

Ich bin froh, dass ich den digitalen Kalender immer nur nebenbei benutzt hatte. Mein Hauptkalender ist seit vielen Jahren schon ein schöner Timer aus dem Korsch Verlag, dem ich treu geblieben bin, seit ich ihn einmal auf der Frankfurter Buchmesse entdeckt hatte. Tatsächlich hatte ich ihn viele Jahre auch dort gekauft. Bis dann der Lockdown kam. Seitdem bestelle ich ihn schon im Sommer über meine Buchhandlung. Und von nun an wird es wohl besser sein, auch beim digitalen Kalender ganz zu Plain Text zu wechseln: Der Emacs Calendar, sehr wahrscheinlich ergänzt um Org-Mode, ruft. Endlich.

Raus aus den Datensilos!

Samstag, 10. August 2024

Zotero 7

Nach langer und gründlicher Vorbereitung wurde gestern Zotero 7 freigegeben, und die neue Version ist schön geworden.

Nachdem ich zwei Jahre lang Zotero 6 unter macOS mit Rosetta betrieben habe, ist der Performance-Zuwachs durch die neue native Version auch unter Apple Silicon sehr deutlich. Nach einem Upgrade aus dem Programm heraus muss man dazu aber Zotero neu starten, um Rosetta zu beenden und nativ unter ARM neu loszulegen.

Die Oberfläche zeigt das alte vertraute Dreispalten-Layout, aber es gibt nun eine weitere schmale Spalte am rechten Fensterrand, mit der man im Titeldatensatz hoch und herunter navigieren kann, um an die Notizen und die Dateien zu gelangen, die mit dem Literatureintrag verknüpft sind. Sie erinnert optisch ein bisschen an den Adobe Reader, wegen der Icons und der Farben, aber es geht gerade noch gut unter macOS. Die native Bedienoberfläche reagiert deutlich schneller als früher unter Rosetta, und auch der Datenimport neuer Einträge ist sehr schnell erledigt. Ähnlich wie bei Thunderbird, gibt es eine dichtere und eine großzügigere Variante der GUI.

Wer Volltexte als PDF oder EPUB an die Titeldatensätze anhängt, findet einen deutlich verbesserten Reader vor. Die Möglichkeit, Anmerkungen einzufügen, wurde überarbeitet. Und freilich gibt es im Jahr 2024 auch einen brauchbaren Dark Mode und ein schönes neues Programm-Icon.

Im Datenexport kann man weiterhin BibTeX und BibLaTeX auswählen. Ich konnte noch nicht feststellen, ob es hier auch qualitative Veränderungen gegeben hat.

Für alles weitere siehe den Blogpost und das Changelog.

Donnerstag, 8. August 2024
Dienstag, 30. Juli 2024

Emacs ohne Maintainer für macOS und Windows

Es mag vorkommen, dass einem die eine oder die andere Anmerkung auf der Emacs-Devel-Liste entgeht. Aber dann gibt es ja immer noch die wöchentliche Zusammenfassung der Emacs News von Sacha Chua. In der heutigen Ausgabe verlinkt sie einen Teil-Thread, in dem Eli Zaretskii vor wenigen Tagen ein großes Wort gelassen aussprach:

Sadly, the MS-Windows port of Emacs is basically not taken care of anymore. There are no active developers on board who seem to care about it, except yours truly. I see this in the (lack of) responses to Windows-specific bugs and issues reported to the bug tracker: no one chimes in, even if I deliberately leave a bug report without responses for many days. As my free time is severely limited, I only care about aspects that affect me directly (and the 64-bit build and GCC 14 are way outside that scope).

If no one comes forward and starts taking care of the MS-Windows issues, I’m very close to the decision of declaring the Windows build of Emacs „unsupported“, meaning anyone who needs it are „on their own“, from my POV as the (co)maintainer.

This is not an April 1 joke: if there’s a significant community interested in being able to run and develop Emacs on MS-Windows, someone should volunteer to take care of the build on a day to day basis, or else the conclusion is that there’s no general interest in that platform among the Emacs community that is high enough to justify the investment.

You have been warned!

Und das gilt nicht nur für den Windows-Port, sondern auch für den NextStep-Port, also für den Emacs unter macOS, ergänzte Arash Esbati:

My impression is that the statement above also applies to the NS-port.

Freilich fiel Richard Stallman himself noch mit seinem bekannten Standpunkt ein, man arbeite in erster Linie am GNU/Linux-System, und alles Proprietäre finde erst an allerletzter Stelle statt.

Aber wir sind jedenfalls gewarnt worden. Die Ausfälle unter macOS werden schon häufiger. Zum Beispiel funktioniert die Zwischenablage oft nicht, wie man es erwarten würde. Dazu hatte ich vor ein paar Wochen einen Bugreport geschrieben. Die Einschläge kommen also näher.

Am Ende könnte sogar Jörg Kantel recht haben, wenn er es ablehnt, sich auf Org-Mode einzulassen, weil der letztlich an Emacs hänge, und wer weiß, wie lange es den überhaupt noch gebe. Raus aus den Datensilos …

Es bleibt sehr zu hoffen, dass sich in der nächsten Zeit wieder Entwickler finden werden, die Spaß daran haben, Emacs auf proprietären Plattformen aktuell zu halten.

Freitag, 26. Juli 2024

AUCTeX wird nur noch über ELPA verteilt

Nach einer längeren Diskussion hat Tassilo Horn heute Morgen bekanntgegeben, dass AUCTeX, die Entwicklungsumbegung für (La)TeX in Emacs, nicht mehr als Tarball verteilt werde. AUCTeX kann seitdem nur noch über das Archiv ELPA bezogen werden. AUCTeX 13.3 war demnach die letzte Version, die es noch als Tarball gab. Die aktuelle Version ist AUCTeX 14.0.6.

Hi all,

from now on, AUCTeX releases are only made through the Emacs Lisp Package Archive [1], so auctex-13.3 is the last standalone tarball release. Distro packagers are encouraged to use the ELPA packages as-is and install them under one of the new Emacs locations for system-wide packages, see `package-directory-list’.

At the same time, development is now done on the „main“ branch and the „master“ branch has been deleted. Its last state has been pushed as „auctex-13“ branch for archiving purposes but it won’t get any updates anymore.

For users who tracked the master branch: do „git switch main“ to switch to the main brach where development takes place nowadays.

Bye, Tassilo

[1] elpa.gnu.org

Für die meisten Benutzer ändert sich dadurch in der Praxis nichts. AUCTeX ist weiterhin nicht Bestandteil von Emacs und muss daher nachinstalliert werden. Wer AUCTeX, wie üblich, über den Paketmanager package.el aus ELPA installiert hatte, wird von dort auch weiterhin Updates erhalten. Wer bisher die Entwicklerversion bezogen hatte, kann per git switch main von master zu main wechseln. Der Branch auctex-13 wurde heute zum Archiv.

Donnerstag, 25. Juli 2024

R.I.P.: SozioPod (2011–2024)

Herr Breitenbach und Doktor Köbel haben sich gestern in der letzten Folge von Ihrem Podcast-Projekt SozioPod verabschiedet. Nach 65 Folgen bohren sie noch einmal ein paar dicke Bretter, sie beginnen mit Martha Nussbaum und Karl Popper und schlagen dann den großen Bogen über ihre Themen und dreizehn Jahre Zeitgeschichte bis zu Pierre Bourdieu und – zur Demonstration der Fallhöhe – Donald Trump.

Es war der sozialwissenschaftliche Bildungspodcast. Ein einziges großes Grundlagenkolloquium für die Generation Wikipedia. Sozusagen das Funkkolleg weitergedacht für das Web 2.0, ohne Curriculum, ohne Prüfung oder Abschluss, aber mit potentiellem Suchtfaktor. Und auch der letzte legendäre Jahresrückblick (früher gab es mehrere zwischen den Jahren, in Blogs, in Podcasts), er wird mir fehlen.

Die beiden sind freilich mit den Jahren auch älter geworden, sie drehten sich thematisch zunehmend um sich selbst. Und manchmal dachte ich an F. K. Waechter, der zu seinem letzten Stillen Blatt in der Titanic sagte: „Du hast nur tausend Witze.“ Deshalb hörte er auf. Aber wenn es für 65 Folgen, für zwanzig Live-und-Analog-Ausgaben (davon eine in der Evangelischen Akademie in Frankfurt, bei der ich auch dabei war), für ein Buch und für einen Grimme Online Award gereicht hatte, dann waren sie doch wohl ziemlich gut.

Das Blog mit dem Podcast-Archiv soll dauerhaft online bleiben. Alle Inhalte stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC-BY-NC-SA 3.0.

Donnerstag, 18. Juli 2024

Thunderbird 128.0esr

Mit einem kleinen esr, wie bei Firefox. Seit einer Woche leise veröffentlicht, aber heute erst bemerkt, denn es gab kein automatisches Upgrade auf den neuen Release.

Nach der Supernova vom vergangenen Jahr folgt diesmal der Sternennebel Nebula mit viel eye candy und wenig wirklich Neuem, dafür aber mit ganz vielen Bugfixes. Läuft schon schön rund unter Sonoma, braucht aber auch enorm viel Speicher. Der neue Donnervogel greift sich aus dem Stand ein sattes Gigabyte RAM. Der höhere Speicherbedarf fließt fast vollständig in die schnieke Oberfläche, die in der von mir favorisierten Cards View viel zuviel Weißraum verbraucht.

Wer den neuen Thunderbird 128esr ausprobieren möchte, möge sein Benutzerprofil und die Einstellungs-Datei ~/Library/Preferences/org.mozilla.thunderbird.plist sichern, denn ein Downgrade auf Version 115 ist nicht vorgesehen, und Thunderbird 115 startet nicht mit Profil und Preferences des 128esr.

Nichts von dem, was jetzt noch angekündigt ist, wäre für mich wirklich von Interesse. Immerhin beginnt mit Version 128esr eine neue Aufteilung bei den Release Channels.

Samstag, 13. Juli 2024

Der Wanderer 123

Wir sind in der Mitte des Jahres. Etwas geht zuende, und etwas Neues beginnt. Auf France Musique läuft heute Abend ein Konzert mit Chris Potter, Brad Mehldau, John Patitucci und Johnathan Blake vom Festival Radio France Occitanie Montpellier. Passt gut zu meiner Stimmung. Auch das kühle Wetter, zur Abwechselung ist es trocken. Auch die kräftigen, matten Farben von Blättern und Himmel gehen gut zusammen. Heute Abend: Nichts suchen, nichts sich ausdenken, nichts vorbereiten, nichts nachbereiten, sondern so sein und hier sein und da sein und einfach sein. Ein Sein ist ein Sein ist ein Sein.

Samstag, 22. Juni 2024

Emacs 29.4

Emacs 29.4 ist heute veröffentlicht worden. Und with a little help from my friends gelang es mir, auch die letzten Unzulänglichkeiten beim Kompilieren unter macOS Sonoma zu beseitigen.

Entpacken muss man den Tarball nun auf der Kommandozeile. Aber erst wenn man pkg-config per Homebrew installiert, werden alle Bibliotheken gefunden.

GNU Emacs 29.4 (build 1, aarch64-apple-darwin23.5.0, NS appkit-2487.60 Version 14.5 (Build 23F79)) of 2024-06-22

Das Upgrade ist auch diesmal sehr zu empfehlen, in den Release Notes heißt es:

* Changes in Emacs 29.4
Emacs 29.4 is an emergency bugfix release intended to fix the
security vulnerability described below.

** Arbitrary shell commands are no longer run when turning on Org mode.
This is for security reasons, to avoid running malicious commands.

Damit einher geht der Release von Org Mode 9.7.5, der ebenfalls eingespielt werden sollte. Der Bug, um den es geht, besteht seit Org Mode 7.9 = Emacs 24.2. Betroffen sind also beispielsweise auch alte Installationen von Aquamacs Emacs.

Sie sind nicht angemeldet