albatros | texte
Mittwoch, 15. Juli 2015

This isn't just Greece III

Das alles geschieht im Hochsommer, und es zieht sich so lange hin, daß viele bei alledem schon kaum noch hinhören mögen. Aber es geht weiter. Das Institut Solidarische Moderne, ein Thinktank gegen den Neoliberalismus aus dem rot-rot-grünen Lager, hat gestern einen Appell gegen das Verhandlungsergebnis zwischen den Eurogruppe-Staaten und Griechenland veröffentlicht, der bisher in keiner größeren Zeitung, außer in der Online-Ausgabe des Neuen Deutschlands (sic!) erwähnt worden ist. Darin heißt es unter anderem zutreffend: Die Schwelle ist überschritten. Was Merkel und Schäuble am Verhandlungstisch durchsetzten, wurde von der SPD unterstützt und bleibt von der europäischen Sozialdemokratie unwidersprochen. Ihr historischer Niedergang wird weitergehen. Den Abgang hat sie selbst besorgt, uns bleibt, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Und Yanis Varoufakis hat den Text des Abkommens, über das heute abend im griechischen Parlament abgestimmt werden soll, auf seinem Blog in einer kommentierten Fassung veröffentlicht. – Was würde Karl Kraus in diesen Tagen schreiben? Würde er überhaupt noch etwas schreiben?

Dienstag, 14. Juli 2015

This isn't just Greece II

Nachdenklich macht, daß der Kotau, der Griechenland gestern morgen auferlegt worden ist, mit dem Vertrag von Versailles verglichen wird, etwa von Yanis Varoufakis in einem Interview im australischen Rundfunk sowie in seinem Blog. Die Frage, ob das ein weiteres Versailles sei, ist auch Angela Merkel gestellt worden, und sie ist ihr ausgewichen. Weiterhin, daß die Finanzminister der Eurogruppe in der Überzeugung handeln, durch Recht nicht gebunden zu sein, wie Varoufakis im New Statesman erklärt. Sie sehen sich als Eurogruppe außerhalb des Rechts stehend.

Montag, 13. Juli 2015

„Doug Aitken“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main

Ausstellungen von Multimedia-Künstlern finden in dunklen Räumen statt, in denen Videos und Bilder projiziert werden. Dazu lauter, satter Sound aus dem Hintergrund, und am Ende geht man nach Hause und sitzt dann wieder vor dem 13-Zoll-Laptop, wo gerade mal die Mäusekino-Filmchen auf YouTube laufen dürfen. Die Fallhöhe zwischen der Show, die dort geboten wird, und dem wirklichen Leben ist also beträchtlich, der Alltag danach notwendig eher ernüchternd. Aber das ist ja beim direkten Vergleich eines Gerhard Richter mit der Postkarte in meiner kleinen Sammlung ganz genauso, nicht wahr?

Bei der Ausstellung mit Werken von Doug Aitken in der Schirn kommt verschärfend hinzu, daß fast der gesamte Ausstellungsraum mit einer dunklen, dick flauschigen Auslegeware versehen wurde. So braucht keiner im Dunkeln nach einer passenden Sitzgelegenheit zu tasten, um die bis zu 30 Minuten langen Stücke zu betrachten. Die Ausstellungsbesucher setzen sich einfach an Ort und Stelle auf den gut gepolsterten Boden. Ach, ist das heute gemütlich hier. Die Schirn mal ganz anders. Fühlen Sie sich ganz wie zuhause. Die Taschenlampen-App leuchtet den Weg aus.

Bekannt wurde Aitken mit riesigen Projektionen von Kurzfilmen auf die Fassaden des New Yorker MoMA 2007 und des Washingtoner Hirshhorn Museums, und die letztere Arbeit findet in der Schirn nun sozusagen im Saale statt, was, abgesehen von dem kleineren Format im Falle von „SONG 1“ zur Folge hatte, daß die Projektion gleichsam von außen nach innen gestülpt werden mußte. Man betrachtet sie im Innern einer kreisrunden Mattscheibe, von außen betrachtet ist sie zusätzlich, aber seitenverkehrt zu sehen. Das Ergebnis ist eindrucksvoll, was auf die Komposition von Bild, Schnitt und Musik zurückgeht. Wie Jeff Koons gnadenlos mit Kitsch arbeitet, so spielt Aitken mit visuellen und akustischen Klischees. Unterlegt ist ein Ohrwurm aus den 1950er Jahren, „I only have eyes for you“, der in unterschiedlichen Positionen immer wieder von verschiedenen Darstellern gesungen und gesprochen wird. Dazu werden Stereotype aus Amerika gezeigt, die über den Film und über das Fernsehen seit Jahrzehnten weltweit präsent sind: Breite, mehrspurige amerikanische Highways, Flugzeuge, Diners bei Nacht, Puzzleteile, die schneiend herunterfallen, Menschen beim Telefonieren, ohne daß ein Gespräch zustandekäme, Flugzeuge, Autos und das Autofahren, und immer wieder seelenlose Motelzimmer. Sie tauchen auch in anderen Arbeiten wieder auf. Aitken wiederholte und zitierte sich bisweilen. Der melancholische, aber nicht depressive Ohrwurm der „Flamingos“ bohrt sich während der halben Stunde, die der Loop läuft, ins Hirn und klingt dementsprechend beharrlich nach.

Es sind mächtige Bilder, die man mitnimmt, aufwendig produziert. Ebenso wie die Aufnahmen von den nicht ganz so wilden Tiere, die in Zeitlupe in der Arbeit „migration (empire)“ wiederum in Motelzimmern sozusagen die Betten machen und auch die übrige Einrichtung auseinandernehmen, ein Spiel mit „outdoor“ und „indoor“, aber alles in Zeitlupe, ästhetisch anzusehen, keine Panik, wo sie doch eigentlich angebracht wäre, wenn eine Wildkatze direkt auf einen zukommt. Oder die junge Frau, die in „Black Mirror“ pausenlos unterwegs ist: „Check in, check out. Never stagnate, never stop. Exchange, connect, and move on.“ Sie erinnert an die atemlos joggende „Jessica, 30“ aus dem Roman von Marlene Streeruwitz.

Aber das alles ist auch ohne einen zwingenden Zusammenhang. Größtenteils angenehm anzusehen, teilweise ironisch gewendet, doch alles bleibt letztlich rätselhaft, wenn auch ohne doppelten Boden, ohne eine wirkliche Tiefe – und auch insoweit eben sehr amerikanisch, konsumierbar weltweit aufgrund der allseits präsenten Klischees.

Originell dagegen der Empfang mit der „Sonic Fountain II“, in der Rotunde der Schirn installiert, so daß man auch beim Hinausgehen nochmal daran vorbeikommt: Ein mit Bauschutt dekoriertes Wasserbecken, das Christian Gampert im Deutschlandfunk mit der ewigen Baustelle für das Dom-Römer-Projekt rund um die Kunsthalle in Zusammenhang gebracht hatte. Es ist in der Tat naheliegend, daß Aitken beim Zurechtstutzen und Anpassen seiner für das enge Frankfurt etwas groß wirkenden Werke hier einen aktuellen Bezug hergestellt hat, denn in einer früheren Version fehlte dieser Schutt. Aus den darüber aufgehängten Rohren tropft in unregelmäßigen Abständen Wasser in das darunterliegende Becken. Die Aufprallgeräusche der Tropfen werden durch Unterwasser-Mikrophone aufgenommen, verstärkt und über Lautsprecher sehr laut und sehr melodisch, rhythmisch wiedergegeben. Julia Voss fand das in der FAZ trotzdem nicht so überzeugend: „Aber auch hier: Was für eine große Verpackung für eine doch ziemlich kleine Idee.“ Ja. Könnte man so sagen. Aber uns hatte es trotzdem gefallen.

Doug Aitken. Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main. Kurator: Matthias Ulrich. Noch bis 27. September 2015.

Samstag, 11. Juli 2015

This isn't just Greece

…And now, the IMF is already saying—or the IMF has already acknowledged that the debt is unsustainable. And some of that is U.S. influence. You know, you have a difference between the U.S. and the European Union, or the European authorities, I should say, because the U.S. is only concerned with keeping Greece in the euro, whereas the others have this project. They want to transform Europe into a place that has a smaller social safety net, a reduced state, cuts in pensions and healthcare. This isn’t just Greece. Greece is the obstacle in their way of transforming Europe. So they have these whole set of other interests that they’re fighting for, and that’s why they’re being so brutal and stubborn about this…

– Mark Weisbrot in Democracy Now, 10. Juli 2015.

Donnerstag, 9. Juli 2015

Das richtige Personal

Amy Goodman und Juan Gonzalez haben bei Democracy Now mit Bruce Schneier über das Papier gesprochen, in dem er sich zusammen mit vierzehn anderen Kryptographen gegen staatliche Hintertüren bei der Verschlüsselung von Daten gewandt hatte. Die Krypto-Wars sind wieder da, sagt er. Alles, was sie schon in den 1990er Jahren gesagt haben, können sie heute noch einmal sagen. Es ist das alte Spiel, das man eher in China oder Rußland erwarten würde, aber nicht in einer Demokratie.

Gleichzeitig wird ein Journalist zum ARD-Chefredakteur befördert, der gerade zu netzpolitischen Themen eine Einfalt an den Tag gelegt hatte, die man kaum noch toppen kann. Tilo Jung hat die schönsten Stellen aus seinen Tagesthemen-Kommentaren der letzten fünf Jahre zusammengeschnitten, sozusagen die Anstaltspackung, starring Rainald Becker. Früher blieb man von so etwas verschont, wenn man keinen Fernseher hatte, aber heute gibt es ja dieses Internet.

In den NachDenkSeiten setzt sich Sabine Schiffer kritisch mit einem Vortrag auseinander, den der Heute-Journal-Moderator Claus Kleber als „Antrittsvorlesung“ für eine Honorarprofessur in Tübingen gehalten hat und in der es irgendwie um die Entwicklung des Journalismus und eben auch ums Internet ging. Anhand von Statistiken zur Charlie-Hebdo-Berichterstattung Anfang des Jahres 2015 zeigt Kleber auf, dass bei allem „Erfolg“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Sachen Einschaltquote die Altersstruktur des Publikums auf ein aussterbendes Publikum hindeutet. Das gewünschte Publikum tummle sich hingegen in den sogenannten Sozialen Medien und sehe nicht unbedingt „eine anständige Nachrichtensendung“, heißt es darin unter anderem. Und für dieses Publikum sind Kleber, Becker und Hassel wahrscheinlich genau das richtige Personal für ihre „Kunden“, wie Kleber sie nennt.

Dienstag, 7. Juli 2015

Die Gedanken sind frei

Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) hat die neue Vergütungsregelung von Amazon kritisiert. Indem Amazon bei E-Books von einer Abrechnung per Download auf eine Vergütung pro tatsächlich gelesener Seite umstelle, kontrolliere der Händler die Gedankenfreiheit. Darin liege ein kontrollierender Eingriff in den intimen Dialog des Lesers mit dem Buch und das damit verbundene Verhältnis zum Autor, der sich auch auf den durch individuelles Leseverhalten geprägten Schreibprozess der Autoren auswirke. Der Autor müsse prioritär darauf gerichtet sein, die Leserinnen und Leser kontinuierlich im „Cliffhängerstil“ von einer Seite zur nächsten zu treiben. Aber dazu gehören ja zwei: Einer, der treibt, und einer, der sich treiben läßt. (via DRadio Kultur).

Freitag, 3. Juli 2015

GAFA V

Mathias Müller von Blumencron hat in der FAZ Jaron „Digital Maoism“ Lanier interviewt. Er meint, die Benutzer hätten sich so sehr an die sozialen Netzwerke angepaßt, daß sie mittlerweile Angst hätten, sich aus den Bestätigungsmechanismen herauszubewegen, die ihnen ständig ihre Beliebtheit vorspiegeln. So gesehen sei kontrolliere Facebook Verhalten als eine Form der Machtausübung. In der Politik stehe einer Zunahme an politischer Kommunikation eine Abnahme an Teilhabe gegenüber. Das sei noch nicht die Facebook-Gesellschaft, aber wenn es so weitergehe, werde sie kommen. Daß europäische Medienkonzerne Beiträge bei Facebook veröffentlichen wollen, ist für ihn ein Zeichen für deren geringe Macht, deshalb hätten sie keine andere Wahl.

Interessant ist eine Bemerkung Laniers zur Netztheorie: Die konkrete Entwicklung des Webs, die heute kritisch gesehen werde, gehe auch auf die Entscheidung zurück, Hyperlinks nur in einer Richtung auszugestalten. Der Gegenentwurf aus den 1960er Jahren hatte Two-Way-Links vorgesehen und hätte es erlaubt, auch die Herkunft einer Information im Hypertext stets mit zu transportieren. Durch die Entscheidung für One-Way-Links würden Informationen im Web aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen. Es gebe keinen Rückkanal zurück zum Urheber, wodurch dieser im Web schrittweise an Einfluß verliere. Diesen Geburtsfehler des Webs habe „anti-demokratische“ Folgen gezeitigt; jeder habe das damals um Berners-Lee auch gewußt, aber inkauf genommen. Man wollte ja nicht pessimistisch sein.

Das ist aber nicht nur ein allgemeines Phänomen im Hypertext, sondern auch in anderen Strukturen und Prozessen des Webs, etwa in Wikis. Mir fällt dabei die Entwicklung von Wikipedia ein, wo der Einfluß der ursprünglichen Autoren eines Artikels mit jeder Revision abnimmt, so daß es mittlerweile Autoren gibt, die die Qualität, die sie einst in den Korpus hineingetragen hatten, so weit schwindet, daß sie sich als „Hauptautoren“ in der Diskussion melden, um ihr Erbe sicherzustellen. Das ist letztlich nichts anderes als ein Zeichen für das Leiden an der Auflösung der Gestalt, die diese Autoren über einen langen Zeitraum geschaffen und geprägt hatten und die jetzt nach knapp fünfzehn Jahren immer mehr verlorengeht. Auch hier gibt es keinen „Rückkanal“, um die Qualität und den Kontext der Information zu erhalten, zu wahren und weiterzuentwickeln ohne Gefahr zu laufen, daß sich der Content verschlechtert. Das ist ein schleichender Erosionsprozeß, während der Kontext im Falle des One-Way-Hypertexts, den Lanier kritisert, sofort und ohne Übergang abbricht und verlorengeht für immer.

Mittwoch, 1. Juli 2015

JabRef 3, Literaturverwaltungen im Vergleich, Zotero 4.0.27

Auf der JabRef-Users-Mailingliste hat Oliver Kopp angekündigt, daß JabRef demnächst aktualisiert werden soll. JabRef 3 werde im Rahmen eines Studienprojekts an der Universität Stuttgart im Wintersemester 2015/2016 und im Sommersemester 2016 auf den Stand von JavaFX und Java 8 gebracht. Jetzt würden noch „Customers“ und „Supervisors“ gesucht. Erstere als Tester.

Gleichzeitig hat Dorothea Lemke von der TU München auf der Mailingliste InetBib den alljährlichen Update der Übersicht über die aktuellen Versionen der Literaturverwaltungsprogramme für Bibliothekare und Benutzer angezeigt. Die in drei Sprachen verfügbare Übersicht vergleicht die Features von Citavi, Colwiz, Docear, EndNote, JabRef, Mendeley, RefWorks und Zotero.

Von Zotero gibt es seit gestern die neue Version 4.0.27 mit einigen Änderungen im Interface. In der klassischen Firefox-Version wurde das Speichern von Websites vereinfacht. Außerdem kann man nun die Ausgabe-Sprache der Bibliographie in den Einstellungen zentral auswählen – wenn der Zitierstil das unterstützt. Ein schneller Test mit meinen Zitierstilen zeigte, daß die an die deutsche Sprache angepaßten Stile derzeit noch den per Umschalter auf Deutsch lokalisierten Standardstilen überlegen sind, aber das kann sich ja demnächst – zumindest bei den wichtigsten von ihnen – noch ändern. Schade, daß die Standalone-Version auf dem Mac die üblichen Tastaturkürzel und die Menüaufteilung (nicht mehr?) unterstützt. Das Update steht über die Aktualisierung des Plugins bzw. der Standalone-Version zur Installation bereit.

Montag, 29. Juni 2015

On the track

Die Schule wandelt sich bekanntlich. Farai Chideya weist bei The Intercept darauf hin, daß das Digitale Klassenzimmer natürlich auch zum Ansammeln von Big Data benutzt werde. Schüler, die mit iPads und Apps statt mit Heft und Tafel lernen, werden einem Tracking unterzogen, mit dem das lebenslange Sammeln von Daten erst beginnt: The fear is that the multi-billion-dollar education technology … industry that seeks to individualize learning and reduce drop-out rates could also pose a threat to privacy, as a rush to commercialize student data could leave children tagged for life with indicators based on their childhood performance. "What if potential employers can buy the data about you growing up and in school?" asks mathematician Cathy O’Neil. Wenn der Verlag Pearson erklärt, er sammele zwar solche Daten über Schüler, verwende sie aber nicht für sein Marketing, läßt das an Shakespeares „Julius Caesar“ denken: All honourable men. (via D64-Ticker)

Sonntag, 28. Juni 2015
Sie sind nicht angemeldet