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Vorträge zur Hirnforschung bei der „Night of Science“ 2015

Ich suche den Hörsaal B im Otto-Stern-Zentraum auf dem Campus Riedberg der Frankfurter Goethe-Unversität. Keine Beschilderung innerhalb des Gebäudes, Ortskenntnis wird vorausgesetzt. Also den anderen Besuchern nach. Die Räume sind alle durchnumeriert. An einer Tür hängt ein Zettel. Hier, also. Hörsaal B ist ganz überwiegend mit Studierenden der einschlägigen Fachrichtungen besetzt, wahrscheinlich auch viele Studieninteressierte. Sehr niedriges Durchschnittsalter, ganz anders als bei Veranstaltungen zur Literatur oder zur Politik, die ich sonst besuche. An der Tafel: „5.2.2 Die Lorentz-Transformation“. – „Bin ich hier richtig zum Eröffnungsvortrag?“ – „?“ – „!“

16.45 Uhr. Es wird voll, und es ist laut. Die mittlerweile zehnte „Night of Science“ beginnt am Nachmittag. Am Wochenende der Sommersonnenwende, der kürzesten Nacht des Jahres. Sehr steile Neigung des Hörsaals, der, wie ich einer Unterhaltung in der Reihe hinter bzw. über mir entnehme, „extra für die Gäste“ und nur heute mit Buchstaben bezeichnet worden sind, „damit sie sich besser zurechtfinden.“

Es ist 26 Jahre her, daß ich mit einem naturwissenschaftlichen Leistungskurs Abitur gemacht hatte, und es hat sich schon einiges geändert seit damals. Der Laborwasserhahn auf der Bühne hat einen Hebelmischer. Später merke ich, wie der Hörsaal mit Kameras versehen ist, die die Veranstaltungen aufnehmen. Sie sind im Gestühl des Hörsaals fest montiert und dreh- und schwenkbar ausgelegt. Fernsteuerung. Die Beamer sind eigentlich ganz nett. Von der „Hirnforschung“ sprach damals noch keiner. Also drei Stunden Hirnforschung: Wahrnehmung aus philosophischer Sicht, der aktuelle Stand der Hirnforschung und Diskussion.

Boris Kotchoubey aus Tübingen hielt den Eröffnungsvortrag zur Philosophie der Wahrnehmung und vertrat darin im Anschluß an die Kritik an von Holst, daß objektive Erkenntnis nicht aus der Sensorik, sondern aus der Motorik hervorgehe. Leben strebe nach Konstanz, nach der Beseitigung von Störungen. „Was mich stört, das ist wirklich.“ Dem will ich abhelfen, dagegen arbeite ich an, um mein Leben ungestört fortführen zu können. Und aus diesem Anarbeiten gegen die Umwelt erfahre ich, wie diese Umwelt beschaffen ist. Die subjektive Erkenntnis a priori habe die objektive Erkenntnis a posteriori zur Folge. Das heißt aber auch, es gibt keine besondere „Erkenntnistätigkeit“, sondern nur Anpassung an die Umwelt. Mit anderen Worten: Kognition gebe es nicht objektiv, sondern nur als soziale Praxis und als soziales Produkt.

Das wollte Wolf Singer vom MPI für Hirnforschung natürlich nicht so stehenlassen. Er beschrieb Wahrnehmung und Handeln aus der Sicht der Neurobiologie, und er begann bei den grundlegenden Prämissen: Alles, was das Gehirn tue, beruhe auf Naturgesetzen, auf biochemischen Reaktionen und auf den Strukturen der Hirnzellen. Man könne das Gehirn untersuchen und die Zellen zählen (60.000 seien es pro Kubikzentimeter, entsprechend 6 km Leiterbahnen), man könne die Vernetzung beschreiben und auch mit bildgebenden Verfahren darstellen, aber man sei noch weit davon entfernt, die Funktion und die Informationsverarbeitung in den sehr komplexen Netzwerken zu verstehen und wie daraus höhere Leistungen entstehen. Im ganzen folge man einem konstruktivistischen Ansatz: „Wir legen uns die Welt zurecht. Auch das Selbstbild ist konstruiert.“ Das Gehirn reife langsam, komplexe Strukturen entständen erst spät, zwischen der Pubertät und dem 25. Lebensjahr.

Das Gehirn sei nicht zentral gesteuert, sondern arbeite als selbst-organisierendes Netzwerk, in dem Kompetenzen nicht konkret verortet sind. Das Netzwerk sei dynamisch und komplex, welcher Teil welche Funktionen wahrnehme, sei zwar grundsätzlich verteilt, aber nicht von vornherein starr festgelegt. Eine Neuordnung sei daher auch später noch möglich, wobei Neuronengruppen als „zeitlich kohärente Assemblies“ darstellbar im gleichen Takt schwingen, oszillieren. Jedem Folgezustand sei in der Regel nur ein Folgezustand zugeordnet, sonst wäre das Gesamtsystem nicht kohärent. Wahrnehmen und Entscheiden beruhten auf denselben Prinzipien: Das „wahrscheinlichste Ensemble“ setze sich durch.

Entscheidend sei, daß die Dynamik der Hirnfunktion nicht-linear sei. Die Folgezustände seien zwar determiniert, aber nicht vorhersagbar, was die Frage nach der Freiheit von Entscheidungen aufwerfe. Grundsätzlich könne sich jeder immer wieder neu und damit auch anders entscheiden. Es gebe keine physiologisch begründete Bindung an frühere eigene Entscheidungen. Bewußte Entscheidungen unterschieden sich von unbewußten dadurch, daß sie seriell abliefen, während letztere multiple Faktoren parallel verarbeiten könnten. Bei Konflikten zwischen unbewußt getroffenen „Bauchentscheidungen“ und dem Verstand komme es häufig im nachhinein zu Rationalisierungen, bei denen sich das Unbewußte am Ende vollständig durchsetze. Im Anschluß an Schiller beschrieb Singer daher die Willensfreiheit als einen Zustand, bei dem es zur „Konkordanz von bewußter und unbewußter Entscheidung“ komme, frei von Zwängen bei der Auswahl zwischen mehreren Möglichkeiten. Letztlich müsse die Frage aber offenbleiben, ob die Willensfreiheit nur ein soziales Konstrukt sei.

Die folgende Diskussion ergab keine grundlegend neuen Aspekte. Als Fazit bleibt, daß die Naturwissenschaften sich aus dem einfachen Newtonschen Folge-Wirkungs-Zusammenhang mit den Ansätzen der Hirnforschung, wie sie in Frankfurt an diesem Abend vertreten wurden, schrittweise lösen, um sich immer mehr in ein Netzwerk- und Komplexitätsdenken hinein zu begeben. Das aber nicht mehr ergibt, als Sigmund Freud vor hundert Jahren schon wußte, daß nämlich der Mensch „nicht Herr im eigenen Hause“ sei. Es sei daher mit der Hirnforschung so ähnlich wie mit der Elektrizität, meinte Singer denn auch: Um einen Blitz zu erklären, brauche man heute nicht mehr den Gott Thor anzuführen. Das wäre sogar mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild ganz unvereinbar. Über das Wesen des Blitzes wisse man dadurch aber noch nicht mehr als früher. Und insoweit erinnert die Hirnforschung, mag man hinzufügen, in etwa an die Systemtheorie in der Soziologie, die ebenfalls auf der empirischen Ebene stehenbleibt, ohne Gründe und Motive zu untersuchen, die sie außerhalb der Systeme verortet – weshalb ihr ja auch jeglicher Erkenntniswert für die Gesellschaft abgesprochen worden ist.

Eine absolut empfehlenswerte Veranstaltungsreihe für den interdisziplinären Austausch auf hohem Niveau. Ab 5.15 Uhr hätte es ein „kostenloses Frühstück“ gegeben, aber das wäre mir denn doch zu spät geworden – bzw. zu früh.

Vgl. die Website der Night of Science.

Sonntagslektüre II

Made in China

Zwölf Prozent der Besucher, die sich in der Londoner Dulwich Picture Gallery an einer Umfrage beteiligt haben, hatten erkannt, daß das Gemälde einer „Jungen Frau“ von Jean-Honoré Fragonard aus der Sammlung drei Monate lang gegen eine moderne Kopie vertauscht worden war. Das Projekt des Künstlers Doug Fishbone lief unter dem Namen: „Made in China“ (via Archivalia).

„Isa Genzken. New Works“ im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main

Was „spielen“ diese „Schauspieler“? In welchem Film treten sie auf? Spielen sie überhaupt miteinander oder eher mit den Besuchern der Ausstellung? Drei Kreise von Schaufensterpuppen, in der Süddeutschen Zeitung vom 14. März 2015 waren sie mit Familienaufstellungen verglichen worden. Sie tragen Spiegelbrillen und Schlafmasken, viel zu große Mützen und Hüte, tief und schief ins Gesicht gezogen, die Augen verbergend. Kinderfiguren mit Discman und Kopfhörer. Eine Männerfigur im schwarzen Ledermantel, ein Besen lehnt an ihr, daneben ein Sportler, die einbeinige Spielzeugpuppe steckt im engen roten Ringeranzug, das abgerissene zweite Bein hängt kaum sichtbar am Faden. Dem Kind wächst eine Blume aus dem Kopf. Im Kreis gegenüber eine Mädchenfigur, die ein rotes Gehirn auf dem Kopf balanciert. Fetische und Bondage tauchen auch immer wieder auf.

In einem anderen Raum stehen die Figuren mit sehr viel größerem Abstand zueinander. Eine trägt einen Lampenschirm auf dem Kopf und eine venzianische Maske im Gesicht. Davor der kleine Trommler in schwarz-rot-gold. „Ich bin Insasse einer Anstalt“, denkt man sich. Sind es tote Tiere, die am Fuß der Kinderfigur liegen, oder räkeln sie sich nur, schlafend? Dem Kind ist der Mund mit rosanen Klebebändern verbunden, und die Frauenfigur mit dem Lampenschirm trägt Schulterprotektoren aus dem American Football, die über ihre Arme geschnürt sind.

Ein Zimmer weiter eine Urszene: Die Männerfigur liegt unter der Frau und schaut unter ihren Rock, aber das Bild ist starr, es geht nicht weiter. Ein Kind mit Football-Helm schaut in ihre Richtung, es trägt eine leuchtend rote Rettungsweste, die – wiederum – über seine Arme gebunden ist, als würde es fixiert. Vor der Brust steckt ein rötliches Heft mit der Aufschrift: „Ihr Reisepaß“. Unter der Weste ein glitzerndes Aluhemd. Im Hintergrund eine Männerfigur, eine mehrschwänzige Peitsche in der Hand. Am Boden große Bilder mit ganz unterschiedlichen Motiven: Alte Meister, Fotos, die die Künstlerin zeigen, Blumen und die Szene einer Kopfuntersuchung tauchen da auf. Großflächig, auf dem Boden liegend, unter Glas.

Wenn man weiter geht, kommt man in einen Raum, in dem sieben identische Nofretete-Figuren mit mehr oder weniger modischen Brillen auf weißen Sockeln zu sehen sind. Das Altertum trifft auf die Gegenwart, Kunst auf Trash. Die Spiegel an der Wand sind matt, blind. Hier spiegeln nur die Brillen, und zu sehen ist der Betrachter, er sieht sich selbst.

„Ich will Skulpturen machen, die eine Filmszene darstellen, also Modellcharakter haben, nicht Skulpturen im traditionellen Sinne“, hat Isa Genzken über all dies gesagt. Und es ist ihr wohl gelungen, denn man kann diese Figuren nicht betrachten, ohne die stillstehenden Puppen in der eigenen Vorstellung in Bewegung zu setzen. Sinn wird konstruiert, Bezüge und Beziehungen werden hergestellt. Der Betrachter spielt fast automatisch in den skurrilen Ensembles mit, arbeitet gegen die Irritation an, die aus den Figuren spricht. Die Kleider und die Schuhe, die den Figuren angezogen wurden, hatte Genzken teilweise selbst getragen. Sie passen den Puppen meistens nicht.

Isa Genzken. New Works. Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main. Im MMK1. Bis 31. Mai 2015. Kuratorin: Susanne Gaensheimer.

Römerberggespräche über den „Islam – Partner oder Gegner der Zivilgesellschaft?“

Bei dem Thema „Islam“ denke ich zurück bis zu den frühen 1990er Jahren. Ich erinnere mich an die Diskussionen zum Zweiten Golfkrieg von George „Vater“ Bush, wo es schon um den Konflikt mit der westlichen Moderne ging, die der islamischen Welt fehle – eine Fragestellung, die schon zeigt, wie egozentrisch die westliche Perspektive üblicherweise in solchen Dingen ist. Der Westen setzt sich wie selbstverständlich in die Mitte und moniert, daß es noch etwas anderes gebe als seine Sicht, als sein Modell von Gesellschaft, Kultur, Staat, Wirtschaft. Der Fortschritt, die gesellschaftliche Dynamik, die sich gegen ständische Strukturen wendet und die zum Widerspruch auffordert gegen das Verharren und alles Rückwärtsgewandte. Die universal gesetzten Menschenrechte werden für die ganze Welt gefordert – und das ist ja auch richtig und notwendig.

Vor allem aber: Der Islam macht Angst. Er erscheint heute fast genauso angstbesetzt wie zu Zeiten des Kalten Kriegs der Osten. Das merkt man auch in den Fragen, die an ihn gestellt werden: Etwa ob der Islam in die säkulare Moderne „passe“ – was aber, wenn dabei herauskommen sollte, daß dem nicht so wäre? Auch wenn er nicht „paßt“, er ist ja schon da, mitten in Frankfurt, wo an der Ampel vor mir ein Auto hält, eine verschleierte Frau auf dem Beifahrersitz. Der Islam ist ein Teil des Westens geworden, er findet auch hier statt, was es wiederum erschwert, das Fremde zu erkennen, weil wir es selbst sind, die wir dort sehen, und gerade nicht das andere. Die Projektionsfläche wird mit eigenen Inhalten bespielt.

Über die radikalisierten Jugendlichen, die aus Deutschland nach Syrien gehen, und über das Ausmaß des Salafismus gebe es keine unabhängigen Studien, heißt es. Allgemeine Gründe für die Attraktivität des Radikalismus gebe es nicht. Ausgrenzung und Diskriminierung, ein defizitäres Elternhaus seien förderlich. Allesamt religiös schlecht Gebildete, daher für diesbezügliche Propaganda anfällig. Etwa 300 seien bisher wieder nach Deutschland zurückgekehrt, 10–15 Prozent der Betroffenen seien Frauen. Der „Islamische Staat“ selbst habe keine religiösen Ziele. Es gehe um Geld und politische Macht.

Es war eine differenzierte Debatte heute nachmittag bei den Römerberggesprächen über den „Islam – Partner oder Gegner der Zivilgesellschaft?“ im Chagallsaal des Schauspiels Frankfurt, befördert durch ein homogenes Panel und ein stark grün gefärbtes Publikum mit weiterhin ziemlich hohem Altersdurchschnitt. Probleme seien der Jugendsozialarbeit zu übergeben, zur „Deradikalisierung“, das Land Hessen sei hierbei führend. Und die „islamische Tracht“ sei nur „eine Mode“ – das Bundesverfassungsgericht war jüngst anderer Ansicht –, wer dies trage, betreibe eine „Selbstexotisierung“. Toleranz sei vonnöten, die USA wurden als Beispiel hingestellt. Es war ein gutes Modell für den zeitgenössischen Multikulti-Diskurs, seine lichten Momente und seine blinden Flecken.

„Poesie der Großstadt. Die Affichisten“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main

Am Eingang zur Ausstellung, noch im Treppenhaus beim Weg nach oben, steht ein Bild, das den aggressiven Vorgang des Plakatabreißens zeigt: Der „Affichist“ bei der „Décollage“, beim Abreißen von Plakaten von der Wand, auf die sie geklebt wurden. Was man heute nur noch von Litfaßsäulen kennt, fand damals in Paris auf den bloßen Wänden der Häuser statt: Plakate, die in mehreren Schichten übereinander immer wieder überklebt wurden, als Bekanntmachung, zur Werbung, kommerziellen wie politischen Inhalts. Bunt und in der Bildersprache ihrer Zeit. Es war die Nachkriegszeit, bis in die 1960er Jahre hinein.

Und diese abgerissenen Plakate nahmen sie dann mit, um sie weiter künstlerisch zu verarbeiten. Juristen deklinieren beim Betrachten der Bilder im Geiste die Tatbestände der Eigentumsdelikte durch: Fremde bewegliche Sache, Wegnahme, Zueignungsabsicht – alles gegeben. Aber daraus wurde dann ein Kunstwerk, und anscheinend gab es keine Kläger und infolgedessen auch keine Richter. Manche komponierten die abgerissenen Papierfetzen neu, erstellten also aus der „Décollage” neue „Collagen“, manche stellten die Rückseite aus, meist war aber die Vorderseite zu sehen. Dekonstruktionen von schnöder Gebrauchsgrafik wurden dabei ins Museum und in sonstige Ausstellungen getragen. Die Straße wurde ins Museum gebracht, wurde selbst konserviert und museal, wenn auch nur bruchstückhaft.

Manche Künstler beschäftigten sich auch mit der Sprachkunst, sprachen Gedichte in Kunstsprachen auf Band, filmten sich bei der Arbeit, erstellten experimentelle Filme, spielten mit Mustern und Formen. Am Ende wurde die Décollage politisch, sowohl der Krieg im Maghreb wurde aufgegriffen als auch die Entwicklung im geteilten Deutschland. Und sie überschritt dabei die Grenzen des französischen Sprachraums. Die Destruktion des Plakate ging am Ende über in eine Konstruktion, die Übergänge zur Pop Art wurden fließend und weisen auf die postmoderne Lust am Auseinandernehmen und Neuzusammensetzen voraus.

Poesie der Großstadt. Die Affichisten. Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main. Kuratoren: Esther Schlicht (Schirn) und Roland Wetzel (Museum Tinguely Basel). Bis 25. Mai 2015.

Opting out

Im Blog der Paris Review denkt Sadie Stein über die Flucht im Geiste nach: „Escapism has become something of a pejorative. But escape isn’t easy, and it doesn’t always entail the pursuit of dumbed-down entertainments … Of course, second best is ignorance: it may not be bliss, but it’s an effective form of opting out.“

Schwach und blaß III

Auch in Norditalien war die FAZ vom 14. April 2015 ein Ladenhüter, berichtet Martin Lüdke bei Faust-Kultur: „Eher vom Vordertaunus inspiriert. Provinziell.“ Früher schrieb er bei der Frankfurter Rundschau, bevor sie von der FAZ gekauft wurde. Die Kulturportale im Netz entwickeln sich zunehmend zu einem Forum für melancholische Rückblicke auf die alte Zeit der Print-Feuilletons.

Schwach und blaß II

Beim Bäcker, wo ich den Kuchen zum Nachmittagstee kaufe, quellen die Zeitungen aus dem vollen Ständer. Vorne drauf: Bilder von Günter Grass. Die Nachrufe auf ihn waren dem Absatz nicht förderlich. Alles schon bekannt. Der Journalismus hat reagiert, wie zu erwarten war. Also ein Blick in die Blogs: Maximilian Schönherr hat einem der nächsten SWR2 Archivradios vorgegriffen und einen etwa 33-minütigen Ausschnitt aus einer Tagung der Gruppe 47 aus dem Archiv des SFB/RBB eingestellt. Günter Grass liest 1962 in Berlin aus seinem damals noch unveröffentlichten Roman „Hundejahre“, und Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki kritisieren ihn. Soviel Gegenwart brachte heute kein Feuilleton zutage.

Schwach und blaß

Die Generation von Grass, Habermas, Enzensberger verdankte ihre Wirkung den Massenmedien, die den politischen Diskurs gebündelt und damit auch intellektuelle Stimmen verstärkt hatten. Im Vergleich dazu muß jeder, der ihnen nachfolgt, heute schwach und blaß wirken. Auch wenn er genauso kräftig sänge wie sie, wäre er damit weniger gut zu vernehmen und erschiene notwendigerweise kleiner.

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