Noch lange nicht vorbei III
Der Qualitätsjournalismus zeigt im Augenblick, was er wirklich zu leisten vermag: Erst über den Brexit berichten, danach erst fragen, ob die Abstimmung denn überhaupt verbindlich gewesen sei?
Richtig ist auch Fefes Hinweis: Was denn derzeit so alles in den allgemeinen Nachrichten untergehe angesichts von Brexit, Fußball und auch noch Unwetter. Im Bundestag wurden gleichzeitig eine erneute Hartz-IV-Reform und die Erbschaftssteuer beschlossen – beides monatelang diskutiert, aber weitgehend an der Öffentlichkeit der Massenmedien vorbei. Nur in Blogs und in den Pressemitteilungen der Sozialverbände – hier der Paritätische – war darüber regelmäßig zu lesen.
Im Moment sind paradiesische Zeiten für Burying … Man muss schon massiv runterscrollen, um zu anderen Nachrichten zu kommen. Es ist ja nicht so, daß sich mitten im Sommer nichts täte. Im Gegenteil: Vor der parlamentarischen Sommerpause tut sich sogar besonders viel. Das zu kaschieren, ist eine hohe Kunst und ein großes gesellschaftliches Problem zugleich.
Die Onleihe geht auf dem Mac nicht mehr
Man glaubte es ja nicht, wenn man es nicht selbst erlebt hätte: Die Onleihe kriegt es seit mehr als zwei Jahren nicht auf die Reihe, EPUBs weiterhin für Mac-Anwender bereitzustellen. Fiel mir auf, nachdem ich meinen Rechner letzte Woche – im übrigen problemlos – von Mavericks auf El Capitan umgestellt hatte.
Ja, wirklich: Man kann derzeit auf dem Mac mit aktuellem OS X El Capitan und auch mit dem Vorgänger Yosemite keine EPUBs aus der Onleihe kontrolliert öffnen. Das Problem ist seit längerem schon bekannt, es gibt dazu eine FAQ, zuletzt geändert am 14. Januar 2016.. Dort wird behauptet, das Problem liege nicht bei der Onleihe, sondern bei Apple oder Adobe. Der Benutzer möge sich deshalb an diese Firmen wenden.
Man empfiehlt als Workaround ein Downgrade auf Digital Editions 1.7 – das ändert hier aber nichts, zumal die Schrift in den Menüs in dieser Uralt-Version auch kaum noch zu lesen ist. Was bleibt, ist nur die „Lösung“, Digital Editions 4 beim Laden des EPUBs durch „Sofort beenden“ abzuschießen und die Datei danach händisch aus dem ADE-Ordner zu öffnen.
Die Onleihe bedient sich proprietärer Technik, die funktioniert dann jahrelang nicht, und zwar nicht mit irgendwelcher Vintage-Software, sondern mit aktuellen Systemen. Es wird ein Downgrade auf eine Uralt-Version von ADE empfohlen, die schon längst nicht mehr gepflegt wird, der Downloadlink führt zu einer obskuren Drittplattform, nicht zum Hersteller Adobe, und dann wird zur Abhilfe dem Benutzer nahegelegt, bei diesen Firmen vorstellig zu werden.
Um es einmal sehr deutlich zu sagen: Meine Bibliotheken zahlen beträchtliche Beträge an die Divibib, die es über einen so langen Zeitraum hinweg nicht geschafft hat, ihre Ausleihe ordentlich auf dem Mac zum Laufen zu bringen, und ich würde schon erwarten, daß die Onleihe unter diesen Umständen bitte bei Adobe und Apple vorstellig wird, denn sie nutzt Adobes Software, zwingt mir deren DRM auf und zahlt für die Lizenzierung. Stattdessen zuckt man mit den Schultern und tut so, als wasche man seine Hände in Unschuld.
Wenn man ausweislich der FAQ zwei Betriebssystem-Versionen nacheinander – Yosemite kam im Oktober 2014 auf den Markt, El Capitan ein Jahr später – keine Lösung bereitstellt, sich aber nun schon zwei Jahre lang weiter für den Dienst bezahlen läßt, ist das schon bemerkenswert. Verwunderlich auch, daß unsere Bibliotheken das mitmachen.
Gesetzliches Verbot von AdBlockern?
Ziemlich unbemerkt bereiten die Bundes- und die Länderregierungen in Deutschland offenbar ein Verbot von AdBlockern vor. So scheint es zumindest, wenn man den Bericht der „Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz“ liest, der vorgestern veröffentlicht wurde. Deren „AG Kartellrecht/Vielfaltsicherung“ kam auf Seite 21f. zu dem Ergebnis:
„Die AG sieht das Geschäftsmodell von Ad-Blockern als rechtlich und mit Blick auf die Refinanzierung journalistisch-redaktioneller Angebote auch medienpolitisch als problematisch an. Sie hält daher die Prüfung gesetzlicher Regelungen für erforderlich. … Bei der Thematik Ad-Blocker ist eine zeitnahe Prüfung durch den Bund und die Länder erforderlich, ob im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen und damit verbundenen medienpolitischen Risiken ggf. eine gesetzliche Flankierung geboten ist.“
Auffällig ist, daß sich die Kommission nur mit den Interessen der Werbewirtschaft und der Verlage sowie des Rundfunks beschäftigt hat. Es ist nicht ersichtlich, ob auch Datenschützer beteiligt worden sind.
Bei der letzten re:publica hatten Frank Rieger und Thorsten Schröder zudem darauf hingewiesen, daß von Online-Werbung ein erhebliches Sicherheitsrisiko ausgehe. Die Inhalte würden nicht von den Werbetreibenden geprüft und könnten Malware enthalten. Sie empfahlen deshalb die Verwendung von AdBlockern zusätzlich zu sonstigen Vorkehrungen, um das eigene System bei der Nutzung des Internets zu schützen.
Das Hans-Bredow-Institut kam gerade zu dem Ergebnis, daß derzeit ein Viertel der Internetnutzer in Deutschland AdBlocker verwende. Unter den jüngeren Nutzern sei es etwa die Hälfte. Mehr als die Hälfte empfinde Online-Werbung außerdem als „lästig“.
(via Privacy-Handbuch)
xkcd über Typographie
Between its strips on kerning, dates, and diacritics, the webcomic xkcd has shown itself to be adept at poking fun at bad formatting.
Today the webcomic turned its attention to kerning again, this time focuses on the unsolved problem of full-width justification.
Via Nate Hoffelder.
Neues bei NPR (im Vergleich zu anderen Sendern)
Wieder Neues zum Online-Angebot von National Public Radio: Der Livestream auf der Website des Senders läuft nun auch weiter, wenn man auf der Website navigiert. Außerdem gibts mittlerweile zwei Codecs: AAC und MP3. Sehr schön, nachdem die BBC ihre AAC-Streams vor einem Jahr sehr kurzfristig abgeschaltet und durch MP3 ersetzt hatte. Was damals bei manchen für Unmut gesorgt hatte. Nachdem WMA den Weg von des Real-Codecs angetreten hat und weitgehend in der Versenkung verschwindet, ist MP3 derzeit auf dem Rückzug. Auch der Australische Rundfunk ABC streamt weiterhin parallel AAC und MP3 (Empfehlung: Radio National entspricht etwa dem Deutschlandfunk). Der AAC-Stream ist stets vorzuziehen, weil er weniger Bandbreite benötigt, aber meist besser klingt.
Entdeckung hinter dem Haus XIV
Also gut, die Böhmermann-Affäre. Ein unsäglich dummer und brüllender Text hat zu einer Staatsaffäre geführt, und man kommt sich vor wie in einer Komödie von Carl Sternheim, der die Spießer im Kaiserreich so treffend und so zeitlos dargestellt hat, daß man sie immer wieder erkennen wird.
Un-auf-ge-for-dert.
Dazu paßt auch, daß der Text und der Vortrag, um den es geht, nicht ausgestellt werden, damit ihn alle kennenlernen, sondern daß er erst im Netz „gefunden“ werden muß, er ist wohl in vorauseilendem Gehorsam auf einen Index gesetzt worden, und alle, die ihn nun kennenlernen wollen, um zu verstehen, was da eigentlich passiert, müssen danach googlen, als ginge es um peinliche Ware, die nur unter dem Tisch verkauft würde, ein Geheimtip?
Dum da da dum da.
Der Streisand-Effekt führt dazu, daß auf solche Sticheleien kein westlicher Politiker je mehr reagieren würde. Man steht darüber. Die Majestätsbeleidigung passe nicht mehr ins Strafgesetzbuch, hat der SPD-Bundesjustizminister heute gesagt. Das stimmt nicht ganz, denn es gibt ja immer noch die Verunglimpfung des Bundespräsidenten, und die soll wohl als Straftatbestand erhalten bleiben?
Laß die Albernheiten.
Viele Inkonsistenzen, also, auch Unzeitgemäßes, kommt in der Sache zusammen. Es paßt nicht in die Zeit, in das Land, in dem es spielt, es ist eine Art Verfremdung, und plötzlich rückt die globalisierte Welt noch einmal mehr zusammen, werden wir konfrontiert mit türkischen Zuständen und reagieren wie der alte deutsche Spießbürger von vor hundert Jahren. Den Begriff der „Satire“ sollte man aber, bitte, für anderes reservieren.
So ist es eine Absage geworden, doch wer weiß, wozu sie gut ist.
Nachdenken über Sci Hub
Auf der Mailingliste Inetbib ist am Wochenende ein Beitrag über Sci Hub aus Archivalia kontrovers diskutiert worden. Klaus Graf hatte darin der derzeitigen Stand zum Verhältnis von Fernleihe und Open Access zusammengefaßt und dabei auch Portale einbezogen, die weitergehen, als nur Open-Access-Papiere im Rahmen der jeweiligen Lizenz weiterzuverteilen. Repositorien gibt es viele. Sci Hub bietet, wenn ich es richtig verstanden habe, so gut wie alles an, was im Format PDF daherkommt und nicht bei drei auf den Bäumen ist, ohne sich dabei um das Urheberrecht der Autoren und die davon abgeleiteten Verwertungsrechte von Verlagen zu kümmern.
Die Fernleihe, die von den Verlegern immer wieder gern gegen die Zeitschriftenkrise angeführt wird, sei, so Klaus Graf in seinem Beitrag, zumindest in ihrer nordamerikanischen Spielart ILL, nicht attraktiv genug und könne das Unvermögen der chronisch unterfinanzierten Bibliotheken, die Informationsflut zu den Lesern zu bringen, langfristig nicht ausgleichen. Zudem würde sie hierzulande subventioniert – das seien Kosten, die man genaugenommen mit einbeziehen müsse, wenn man ausrechne, wieviel Open Access den Steuerzahler letztlich koste. Wenn alle Wissenschaft Open Access wäre, entfielen auch diese Kosten, und allen wäre gedient. Bis es aber soweit sei, so könnte man es auf den Punkt bringen, müsse man wohl mit grauen Portalen wie Sci Hub leben. Und: Mit Sci Hub ist es wie mit dem Leben: Genießen wir es, solange es geht.
So dauerte es dann auch nicht lange, bis ein Listenteilnehmer den Vorwurf erhob, das sei im Grunde genommen eine Aufforderung, massenhaft Rechtsbruch zu begehen. Er genieße an seinem Leben, dass er aufrecht gehen kann und sich nicht wie ein Dieb wegschleichen müsse. Dagegen erhob sich substantiierter Widerspruch, zumal der damit angegriffene Blogpost mehrfach die Unrechtmäßigkeit der diversen Schattenbibliotheken betont.
Man kann die Diskussion als eine Fallstudie lesen, sowohl auf die Lage der Literaturversorgung als auch auf die Entwicklung des Netzes.
Die vorgenannten Kommentare liefen auf einer Mailingliste ein, der größten bibliothekarischen Liste im deutschsprachigen Raum zwar, aber auf einer Liste, die doch sehr viel enger daherkommt als die Öffentlichkeit, die die Archivalia finden – das Blog ist darüberhinaus für viele lesenswert, auch abseits der Bibliotheksszene. Es gab Widerspruch, aber nicht im Web 2.0, also in den Blogkommentaren, sondern in dem alten Medium der Mailingliste, in deren Archiv man das also nachlesen kann. Und zwar, weil der Blogpost von seinem Autor auch dort angekündigt worden war. Darin wird die fortwährende Fragmentierung der Datennetze deutlich. Zwar hatte Geert Lovink schon 2008, auf dem Höhepunkt des Blog-Booms, in seinem „Berliner“ Buch Zero Comments das Ausbleiben der Kommentare bemerkt. Sie sind aber auch nicht an einen neuen Ort „umgezogen“. Diskutiert wird in Diskutiermedien, und das sind weiterhin Mailinglisten. Jede Nachricht wird an die Teilnehmer persönlich versandt und zugestellt. Twitter spielte bei der Verbreitung des Posts eine gewisse Rolle, so gelangte der Beitrag auf Rivva; dort werden bisher aber nur drei Blogs erwähnt, die das Thema aufgegriffen haben – auch bei ihnen wurde bisher nicht kommentiert.
Man kann diese Diskussionsmüdigkeit im Web 2.0 mit mehreren Trends in Beziehung bringen: mit dem Ekel vor dem Netz im Zuge der Snowden-Affäre, aber auch mit dem allgemeinen Rückzug aus dem Netz infolge der Shitstorms, der Online-Kampagnen und der sonstigen nervtötenden Begleiterscheinungen. Die Blütezeiten des Netzes sind vorbei. Das Pendel schwingt in die andere Richtung, und die Gruppen der Intensivnutzer und der Zurückhaltenden scheiden sich immer deutlicher.
Zum anderen greift Archivalia aber auch einen sehr wesentlichen Trend auf, den man aufmerksam beobachten sollte. Denn Portale wie Sci Hub, von einer Studentin gegründet, und sonstige schwarze Kanäle verweisen auf die Einstellung der Menschen zum Recht.
Wenn es heißt, Sci Hub sei unrechtmäßig, so ist das wahrscheinlich richtig. Aber diese Wertung trifft auf eine Generation, der die Quellen, aus denen sie schöpft, egal geworden sind – und zwar gerade auch im Angesicht der allgemeinen Überwachung. Es wäre aus technischer Sicht überhaupt kein Problem, sie zu stellen, das hat man bei der Verfolgung der Software- und Musik-„Piraterie“ gesehen. Aber vielleicht wird es dazu bei der Literaturversorgung gar nicht kommen, denn die Verlage rudern ja schon lange zurück, etwa indem das „harte DRM“ bei E-Books zunehmend fallengelassen und durch bloße Wasserzeichen ersetzt wird. Den Rest besorgte bei der Musik der Übergang von Download zu Streaming. Dazu wird es auch hier immer mehr kommen. Gerade deswegen muten ja der PDF- und EPUB-Download bei der Onleihe und der Versuch des Marketings der Süddeutschen Zeitung so retro an, im Zuge ihrer Panama-Papers-Kampagne Abonnenten für ihr E-Paper zu gewinnen. Der direkte Zugriff auf Daten aus dem Web und die Flatrate sind die Zukunft, und zwar nicht die Flatrate für eine Zeitung oder Zeitschrift, sondern für so etwas wie Sci Hub, wo man alles aus einer Quelle bekommt. So wie man ja auch bei Google irgendwie alles finden kann. So nehmen die meisten Menschen eben das Internet wahr: Alles aus einer Hand. Verteilte Lösungen schwinden, zentralisierte wachsen. Ein Paradoxon im fragmentierten Netz mit seinen fragmentierten Öffentlichkeiten. Am Ende finden sie sich alle an einen Knoten im Netz wieder. Im Bibliothekswesen überschneidet sich das mit der Erzählung von der Bibliothek von Babel, die am Ende die ganze Welt ist. Und wenn die Verlage das nicht von sich aus einsehen und sich für die Vermarktung zusammentun, werden die Benutzer das eben ganz pragmatisch auf andere Weise herbeiführen.
Am Ende wurde die Pirate Bay kommerzialisiert und aus dem Reich der Schattenwirtschaft ins helle Licht geführt – bevor sie schließlich aus dem allgemeinen Bewußtsein verschwand. Heute kennt sie keiner mehr. So wird es auch mit Sci Hub und Co. kommen. Bloß die Fernleihe, die wird es ganz sicherlich auch neben der normalen Ausleihe und dem Verkauf von Texten weiterhin geben, und das würde ich doch auch hoffen.
Denn eine Welt mit 100-prozentigem Open Access ist wahrscheinlich nicht erreichbar. Und das liegt einfach daran, daß es mehr Prestige mit sich bringt, bei einem externen Verlag zu publizieren als auf dem OA-Server der universitätseigenen Unibibliothek. Nur der Dritte kann die Gewähr dafür bieten, daß der Autor und sein Text ausgewählt worden sind, dort zu erscheinen. Auch wenn das Lektorat mittlerweile vielfach ausfällt: Do-it-yourself und Selfpublishing werden nicht für alle Zwecke und auch nicht für alle Fächer eine gangbare Lösung sein. Bei den Juristen wird jedenfalls weiter ganz viel gedruckt. Es ist kein Zufall, daß sich die Konstanzer Juristen gerade gegen eine Verpflichtung zur Zweitveröffentlichung ihrer Texte gewandt haben. Und auch dieser Bedarf will weiterhin über Bibliotheken verteilt sein. Nur sie können sowohl eine Infrastruktur für proprietäre als auch für offene Medien organisieren und betreiben. Mit der Fernleihe auch ortsübergreifend.
Ob das eine billiger als das andere sein wird, ist am Ende übrigens geschenkt, denn beides wird nebeneinander bestehen. Das Verlagsprodukt wird man ebensowenig verdrängen können wie den Open Access. Die Autoren wie die Benutzer haben sich darauf eingestellt.
Entdeckung hinter dem Haus XIII
Ein kurzes Update: Die kritische Reflexion der Panama Papers findet in den sogenannten Leitmedien weiterhin nicht statt. Stattdessen in den Blogs, etwa durch Jens Berger oder Wolfgang Michal. Er weist auch darauf hin, daß es einen Vorläufer gab, nämlich eine Geschichte über die gleiche panamaische Firma von Ken Silverstein, 2014 in Vice veröffentlicht. Und die Fragen nach der Finanzierung und den Interessen hinter dem Scoop werden drängender. Diese Kritik wird vom Mainstream weiterhin nicht aufgegriffen. Die Medienmaschine läuft, als wäre nichts gewesen. Das Drehbuch wird abgearbeitet, und alle machen mit. Und jetzt ist erstmal Wochenende. Wenn es so weitergeht, werden die Panama-Papiere einen ähnlichen Weg nehmen wie einst die Tagebücher-Story des Stern.
Entdeckung hinter dem Haus XII
Die kritischen Anmerkungen an der Panama-Papers-Kampagne der Massenmedien reißen nicht ab. Der Corporate-Blogger Michael Firnkes fragt: Und wer kontrolliert den Datenjournalismus? Er zählt eine Reihe von Unwägbarkeiten bei dieser investigativen Arbeitsweise auf und endet: Normalerweise bräuchte jeder Verlag, jeder Medienschaffende eine oder mehrere unabhängige Instanzen, welche die Ergebnisse und die Folgeerscheinungen des Datenjournalismus kontrollieren und monitoren. Das ist aber angesichts der Geheimniskrämerei um die Daten, aufgrund deren der Hype erfolgt, nicht möglich. Die Unterlagen sollen auch nicht an die Staatsanwaltschaft gegeben werden, um Strafermittlungen anzustoßen. So stellt es sich die Süddeutsche Zeitung jedenfalls vor: Der Perlentaucher schreibt – wenn auch mit nichtzutreffender Quelle –, man fühle sich dort nicht als der verlängerte Arm der Staatsanwaltschaft. Als was aber dann? Alles also doch nicht so ernst gemeint? Und Ronen Palan bemerkt im Verfassungsblog, er habe bisher nichts Neues gelesen, was ihm nicht vorher schon bekannt gewesen wäre. So, what?
Das gewünschte Ergebnis ist erreicht: Die Nachrichten und die Sozialen Netzwerke werden auf Wochen hinaus mit dem Thema gefüllt sein. Ein bißchen Wind im Social Web ist günstig zu haben. Man kann das buchen. Bis in den privaten Raum hinein, greift das Thema um sich. Und da der Umfang der Nachrichten in den Massenmedien ein Nullsummenspiel ist – die Tagesschau hat jeden Abend nur 15 Minuten –, geht das auf Kosten sehr viel wichtigerer Themen, die schon jetzt viel zu kurz kommen. Die Initiative Nachrichtenaufklärung veröffentlicht jedes Jahr die Top-Themen, für die man sich eine angemessene Berichterstattung gewünscht hätte. Sie kommen damit noch kürzer. Ehrenwert wäre es gewesen, hunderte Leute dranzusetzen, wenn es um die nächste Hartz-IV-Reform und die Frage ginge, wie die armen Leute immer noch ärmer gemacht werden. Oder wie AfD und Pegida finanziert werden.
Es geht der SZ und den anderen Medien, die sich dieser Kampagne angeschlossen haben, nicht ums Thema, sondern um Werbung und PR in eigener Sache – und alle machen mit. So entsteht eine Neuauflage von Settings, die in den 1980er Jahren noch in Seifenopern wie Dallas oder Denver Clan daherkamen. Man soll sich also über die Machenschaften der Reichen aufregen, kann daran aber selbst nichts ändern. Die bunten Zeichnungen in der Zeitung zeigen es: Putin gibt diesmal den J.R. Ewing. So werden die Bürger am Ende nur abgelenkt von den Dingen, an denen sie tatsächlich politische Selbstwirksamkeit erleben könnten. Bei den Römerberggesprächen hatte Wilhelm Heitmeyer 2011 auf die Frage hin, wie man die Demokratie stärken könne, empfohlen, gerade diese Selbstwirksamkeit zu stärken, und zwar im möglichst kleinen Rahmen: Ich habe etwas Konkretes bewirkt durch die Stimmabgabe, durch mein politisches Engagement. Aber hier wird ausschließlich Ohnmacht deutlich. Es fängt bei der fehlenden Möglichkeit an, all das zu überprüfen, was in den Berichten erzählt wird, und es geht bei der fehlenden Möglichkeit einzugreifen weiter. Das lähmt, statt zu mobilisieren. Und es bedient nur alte Feindbilder.
Und das ist schlechter Journalismus, der mit einer riesigen PR- und Social-Media-Kampagne daherkommt, der nicht selbst Fragen nach seiner Finanzierung stellt. Der wichtigere Themen verdrängt, um sich selbst als Aufklärer zu inszenieren, obwohl dabei nur eine Show entsteht, die am Ende Desinformation bewirkt. Die Zweifel überwiegen deutlich. Der große Hype, der demonstrieren sollte, wozu die Presse doch noch gebraucht werde, kehrt sich ins Gegenteil: So eine Presse, die sich vor allem selbst in Szene setzt und die von den politischen Themen, die in den letzten Wochen bestimmend waren, möglichst wirksam ablenkt, braucht tatsächlich niemand.
Remote Access: Die Stadtbibliothek Darmstadt baut ab
Die Stadtbibliothek Darmstadt bietet KLG, KLfG und PressReader über Munzinger an; außerdem Genios, letzteres aber nur noch mit einer kleinen Auswahl an deutschsprachiger Presse; die Fachzeitschriften wurden vor einem halben Jahr schon fallengelassen, schrieb ich vor kurzem. Und stelle nun fest, daß die Süddeutsche Zeitung ziemlich leise aus dem Darmstädter Genios gestrichen worden ist. Dafür gibt es nun sehr viel Provinzpresse, also etwa die Osterländer Volkszeitung. Nichts gegen die Osterländer Volkszeitung, aber die Entwicklung ist doch enttäuschend. Es verbleiben für meine Interessen: Zeit, Spiegel, Frankfurter Rundschau, taz, NZZ und Der Standard. Nicht gerade wenig, aber es fing mal attraktiver an. Mit fehlt weiterhin die FAZ. Zumal der PressReader via Munzinger doch ziemlich umständlich zu bedienen ist, bei mir nur in Safari und Google Chrome funktioniert und offenbar auch keine Volltextsuche über alle Texte anbietet. Ebenso wie die E-Papers aus der Onleihe. Man muß sie einzeln herunterladen und kann nicht gezielt alle Beiträge zu einem bestimmten Thema ansehen. Sehr nachteilige Entwicklung für die Benutzer.