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„Wie war das damals zu Blog-Opas Zeiten?“

Robert Basic erinnert sich in einer auf drei Beiträge angelegten Serie an die alten Zeiten, wie das mit dem Bloggen hier im deutschsprachigen Raum so alles begann, wie die Blogs um 2008 ihren Höhepunkt erlebten und wie es seitdem, angesichts der Kommerzialisierung der Blogosphäre und der Dominanz der Sozialen Netzwerke, weitergegangen ist. Er war damals rechtzeitig abgesprungen und verkaufte sein Blog, in dem er heute Gastbeiträge schreibt. Die beiden weiteren Folgen sollen im wöchentlichen Abstand folgen, und natürlich hat mir Robert mit einem Absatz aus der Seele gesprochen:

Ich soll eine Story schreiben? Hier, auf meiner alten Wirkungsstätte? In drei Teilen auch noch? Zu Blogs? Was gewesen war, was ist und was wird? Ach Gottchen, ich werde all die neuen Leser nur irritieren, die mich erstens nicht kennen und zweitens meine Art zu schreiben nicht gewohnt sind. Einige werden dabei sein, die gar froh waren, dass ich hier nicht mehr herumwirble. Da müsst ihr jetzt leider durch. Denn genauso wie ich damals zu Bloggen angefangen hatte, einfach ins kalte Wasser springend, ohne allzu lange überlegend, mache ich hier einen auf Gastblogger. Basic Thinking eben. Daher auch der Name. Beim Bloggen denken, manchmal auch nachher. Das war mir zumindest die natürlichste, unredigierteste und ehrlichste Form des rohen und unverbrauchten Bloggens. Wer als Blogger seine Texte schleift und redigiert, hat Angst vor der Bühne, ringt um Ruhm, Glanz und Gloria, pffft sage ich nur dazu.

Echtes Bloggen, eben. Blogger sind sozusagen die Rock 'n' Roller im Web, mit den Selbstgedrehten, ohne Filter. Das Blog als the unedited voice of a person, schrieb Dave Winer 2015 bzw. 2003.

Und auch an anderer Stelle denkt man an früher zurück: Fefe hatte alte Erinnerungen an das Usenet in den 1990er Jahren herausgekramt, und Hans Bonfigt schrob (sic) zurück, und zwar nicht irgendwie, sondern auf einer veritablen alten IBM-Tastatur, auf demselben Modell, auf dem ich damals meine ersten Schritte ins Netz unternommen hatte. Foto siehe dort. Ohne Windows-Tasten, mit laut vernehmbarem Klick und hartem Anschlag, hing sie damals – in meinem Fall – an einer AIX-Workstation im „Grapool“ unserer Uni, und ich werde das nie vergessen. Der erste Computer, den ich ernst nehmen konnte. Windows kam mir immer wie Spielzeug vor, endlich hatte ich was Richtiges[tm] gefunden. Das System lief damals schon stundelang so ruhig wie mein Mac später (und heute noch ;). Und natürlich gab es darauf keine Textverarbeitung, sondern Emacs und LaTeX, und die Floppys wurden mit dcopy und dergleichen aus dem Terminal angesprochen.

Und was imponiert dem Hans an Fefe nun heute noch? Dies vor allem:

Ein wirklich gutes Beispiel dafür ist „fefes blog“, welches, zu meiner eigenen Überraschung, mehrere hunderttausend Zugriffe pro Stunde hat und dennoch nur auf einem Miniatur-Mietserver läuft. Und zwar rattenschnell … Effizienz muß man, wenn man auch nur einen Funken Ehre im Leib hat, als Feind anerkennen: Wäre „fefes blog“ mit „IBM Websphere“ realisiert worden, müßte man wohl oder übel einen Großrechner hinstellen …

Real programmers, eben. Und doch, je länger ich die heutigen Beiträge von Fefe und Hans lese, merke ich, warum das Usenet und die Welt der IBM-Tastaturen rückläufig ist: Robert hat Recht. Menschen lieben es einfach. Und selbst die meisten dieser Nerds sind letztlich – Menschen. ;)

Die Kultur

Wer meint, YouTube wäre ein „Kulturarchiv“, möge nochmal nachdenken. Von der Rede des Bücher-Preisträgers Rainald Goetz, gestern in Darmstadt gehalten, ist dort bis jetzt nichts zu finden. Ein kurzes Filmchen in der Tagesschau, das gilt nicht. Früher[tm] übertrug hr2 die Feier live. Mittlerweile spart man sich auch das (wie vieles andere). Heute nachmittag gabs dann ein paar Auszüge aus der Laudatio und aus der Preisrede im Deutschlandfunk in den Kulturfragen, noch nicht auf der Website und auch noch nicht im Podcast verlinkt, denn es ist Wochenende …

Die alten Kanäle

Und immer, wenn man denkt, es gehe nicht mehr zurück, passiert etwas, das ist so retro, daß man es kaum glauben mag. Zum Beispiel hat die TeX Users Group gerade ihren Vorsitzenden seines Amts enthoben. Und dies ihren Mitgliedern per E-Mail mitgeteilt, nicht aber dem Rest der TeX-Welt. Mein lokales Mailinglisten-Archiv schweigt dazu. Mein Feedreader: dito. Aber das Usenet. Höre, die Trommel spricht! Nach langer Zeit schaue ich mal wieder in meine Newsgroups, und siehe da: Am 14. Oktober 2015 gab es dazu eine Ankündigung in comp.text.tex. Es gibt sie also noch, die alten Kanäle, und sie werden genutzt. Ich glaube, ich muß da mal wieder etwas mehr drauf achten in Zukunft …

Auf weiterhin gute Zusammenarbeit

Die Szene löst sich gerade auf, wenn auch nur langsam. Reste von kalten Platten stehen herum, oder war das Kuchen? Halbleere Sektflaschen, Orangensaft, Mineralwasser in Plastikflaschen und letzte Plastikbecher. Das Catering war umfassend. Es ist etwas geschehen. Die Gespräche gehen weiter, natürlich. Die Stimmung ist gelöst, es ist vorbei. Die Dame vom Fischer-Verlag scheint zufrieden. Das war das Treffen, das Suhrkamp, Fischer und Hanser für ihre Literaturblogger am Freitagnachmittag zur Primetime auf der Frankfurter Buchmesse ausgerichtet hatten. Im beweglichen Zeit-Raum für die digitale Contentindustrie und deren Gesprächspartner im Netz. Es hat ihnen so gut gefallen, daß sie bleiben werden.

Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse 2015

Es kommt immer darauf an, wie es einem geht. Wer gesundheitlich nicht so ganz fit ist, wird die Frankfurter Messehallen anders wahrnehmen als zu Zeiten, zu denen es ihm besser ging. Und auch das Wetter spielt sicherlich eine Rolle. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß es jemals während der Buchmesse so schmuddelig kalt gewesen wäre wie diesmal, als wäre der Herbst schon zu Ende und der Winter begänne sehr bald.

Auf der Suche nach Veränderungen, nach Trends, also.

In der Halle 4.2 fängt man an, wie immer. Aber hier sieht man schon, daß diese Messe kleiner ist als die früheren. „Messe der kurzen Wege“, „alles nur fünf Minuten auseinander“ – was haben sie sich in der Marketing-Abteilung alles ausgedacht, nachzuhören unter anderem bei kulturkapital.org. Tatsächlich ist hier der Wandel in den Medien unmittelbar greifbar und anschaulich geworden. Aus den „Hotspot“-Landschaften vom letzten Jahr wurden kleine Inseln in einem eng bespielten Feld. Nur die ganz großen Player haben noch die ganz großen Stände. Und die der anderen Verlage, die überhaupt noch kommen, werden immer kleiner.

Auch in Halle 4.1, ein Stockwerk tiefer: So wenige Bücher sah man an den Ständen von Wagenbach oder von Christoph Links noch nie. Und bei Antje Kunstmann stehen die Bücher von Varoufakis eher hinten im Regal, nicht vorne auf dem Tisch am Gang – immerhin stehen sie hinten links.

Oder die Verlage erscheinen nur noch mit einem Gemeinschaftsstand, so etwa der Bundesanzeiger-Verlag und der Bund-Verlag von den Gewerkschaften, die sich ein Ständle mit einem dritten teilen, der mir leider entfallen ist. Bei meinem Eintreffen übrigens ganz ohne Personal. Auch keine Zeitschriften mehr zum Mitnehmen.

Überhaupt: Zeitschriften? Damit füllt C.H.Beck dieses Jahr nur noch die Lücken in den großen Regalen, wo gerade noch Platz ist. Die will mittlerweile gar keiner mehr haben. Und die juristischen Neuerscheinungen waren noch nie so langweilig wie diesmal. Das große Lehrbuch wurde 2015 endgültig zu Grabe getragen. Und das kleine Lehrbuch wird ihm vermutlich bald folgen.

Aber manche Totgesagte leben länger. Es tritt auf: Der Brockhaus. Nachdem er auf der Buchmesse 2013 eigentlich schon gar nicht mehr anwesend war, hat sich Bertelsmann nun ziemlich unbemerkt von der Enzyklopädie getrennt und sie an die Schwedische Nationalenzyklopädie verkauft. Deren Wikipedia-Artikel wartet derzeit noch auf eine fachkundige Aktualisierung, ebenso wie der Artikel über die Brockhaus-Enzyklopädie. Aber es ist geschehen. Der Vertrieb über Munzinger sei zum Jahresende gekündigt worden. Das bedeutet: Bibliotheken, die den Brockhaus über Munzinger im Angebot hatten, werden vor die Wahl gestellt, den Brockhaus zusätzlich zu Munzinger (und meist ja auch zur Onleihe) zu beschaffen – oder dieses Angebot wegfallen zu lassen. Die Benutzer müßten sich damit an eine weitere Oberfläche gewöhnen, und auch die Beratungsleistungen in den Bibliotheken werden etwas stärker beansprucht. Wenn, ja wenn der Brockhaus diesen Schritt neben Munzinger schafft – vielleicht verdrängt er aber auch das Munzinger-Archiv vielerorts, weil die Enzyklopädie wertvoller erscheint als die Biographie-Sammlung. Der Wettbewerb um die Bibliotheken wird also härter werden. Ab Januar 2016 strebe man den Vertrieb im B2B-Bereich an, Zielgruppe: Bibliotheken, Schulen, jedenfalls keine Privatkunden. Für diese gibt es weiterhin die Online-Ausgabe der letzten gedruckten Auflage, und diese bleibt wohl auch separat. Anders als bei der Britannica werde es auch keine frei verfügbaren Inhalte geben. Eine gedruckte Ausgabe sei nicht geplant, eine App werde folgen, die Website sei immerhin responsive. Zwei Handvoll feste Redakteure haben die Pflege des Bestands übernommen, ergänzt um einige freie Autoren für Fachthemen. Der Artikelbestand ist weiter gepflegt und auch weiter entwickelt worden. Ergänzungen um weitere Nachschlagewerke zur Kunst, ein eigenes Wörterbuch und die Harenberg Kulturführer sollen in dem Paket folgen. Und natürlich gibt es viel Multimedia – wovon Wikipedia nur träumen kann. Man darf aber gespannt sein, wie viele Bibliotheksnutzer ab Januar 2016 darauf noch werden zugreifen können – und wieviele von ihnen das möchten.

Der Bildungsbereich wird international gezeigt, die deutschen Schulbuchverlage findet man in der Halle 3.1. Aber im „Klassenzimmer der Zukunft“ kratzt Hewlett Packard an der Schale des Apfels aus Cupertino und stellt als Sponsor ein Tablet vor, das man auch mal aus zwei Meter Höhe hinfallen lassen kann, ohne daß es gleich in tausend Stücke geht. Es läuft wahlweise unter Windows oder Android und kommt mit einem „Classroom Manager“ daher, aber ohne Anwendungen und ohne Unterrichts-Content. Insoweit wohl eine offenere Lösung als das ansonsten gehypte iPad. Datenschutzbedenken beim Einsatz im Unterricht konnten leider nicht erörtert werden, vielleicht am Freitag mehr.

Der vierseitige englische Flyer „Classroom of the Future“ erzählt den Nachzüglern unter den Lehrern noch einmal die Geschichte vom Lehrer, der vom Wissenserklärer zum Moderator von Lernprozessen wurde. Immerhin ist da die Rede vom „Unterstützen der Schüler als kritische Konsumenten von Information“. Aber dazu braucht es Technik, und mit dieser Technik wird dann gefilmt oder sonst gebastelt. Die Lernziele bleiben unklar. Und dazu braucht es auch Vorwissen, und es bleibt offen, wer das in welcher Form vermittelt. Hauptsache, es macht Spaß?

Mit etwas Konzentration kann man tatsächlich in gut drei Stunden durch die Hallen 4.2 und 4.1 gehen, was früher nicht so ohne weiteres möglich gewesen wäre. Die Halle 8 wurde in die kleinen Hallen 6.1 und 6.2 gepackt; der Rest wurde in die übrigen Hallen eingestreut. Wenn man noch ein bißchen rückt, ginge noch mehr. Nüchtern betrachtet, ergeben sich ganz sicherlich noch weitere Einsparpotentiale.

Der Radiohörer und der Fernsehzuschauer bekommt davon freilich nichts mit. „Die Frankfurter Buchmesse“ wird dort weiterhin vornehmlich als großer Interview-Event mit Show-Charakter verkauft. Bei den einen sitzen sie auf roten, bei den anderen auf blauen Sofas, es gibt ganz viele Live-Schalten, nur arte ist diesmal nicht vor Ort, wie es scheint. Schade, die hatten immer so schöne schwarz-orangene Stoffbeutel. Sie werden spätestens 2017 wiederkommen, wenn Frankreich der „Ehrengast“ sein wird.

Als wäre der Herbst schon zu Ende und der Winter begänne sehr bald.

Siehe auch die umfangreichen Blogposts bei Café Digital und bei UmamiBücher, wie in jedem Jahr.

Update am 16. Oktober 2015: Börsenblatt zufolge behält Bertelsmann die Rechte an allen Inhalten und lizensiert diese nur an die Brockhaus NE GmbH zur weiteren Entwicklung und Verwertung. Die Brockhaus-Redaktion sei weiterhin „bei der Bertelsmann-Tochter Inmediaone in Gütersloh“ angesiedelt.

„Silver Tipps“ zu Wikis und Wikipedia

Eine kurze Durchsage in eigener Sache: Für die Plattform silver-tipps.de, die von der Universität Mainz betrieben wird und sich vorwiegend an ältere Online-Einsteiger richtet, habe ich zwei Beiträge zu Wikis und Wikipedia erstellt:

Ein weiterer Text von Helena Henzel vertieft den Themenschwerpunkt im Monat Oktober auf der Plattform weiter: Zusammen wissen alle mehr: Wikis – interaktive Wissenssammlungen im Internet

Dazu die Pressemitteilung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz: Silver Tipps – sicher online! Monatsthema Oktober: Wikipedia – Informationen im World Wide Web vom 1. Oktober 2015.

Flucht und Recht

Es kommt selten vor, daß aktuelle Rechtswissenschaft in die Massenmedien findet, noch viel, viel seltener als Naturwissenschaft. Daher umso überraschender das Gespräch, das Karin Beindorff in „Essay und Diskurs“ mit Katja S. Fischer von der Universität Leicester über deren einstiges Dissertationsthema geführt hat, die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Verursachung von Flucht, die sie als einen Eingriff in die Souveränität anderer Staaten ansieht. Ist zwar schon 15 Jahre her, daß sie über das Thema bei Christoph Gusy in Bielefeld gearbeitet hatte, aber derzeit sehr aktuell.

Das Bundesverfassungsgericht hatte gestern das Versammlungsverbot in Heidenau für mit Art. 8 I GG unvereinbar erklärt, den diesbezüglichen Beschluß des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen die versammlungsrechtliche Allgemeinverfügung des Landratsamtes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge im Wege der Einstweiligen Anordnung wiederhergestellt (BVerfG, Beschluß vom 29. August 2015 – 1 BvQ 32/15).

Blogger rufen zu Spenden und zu Solidarität für die Flüchtlinge auf, die derzeit nach Europa kommen (via internet-law). Eine notwendige Aktion, um Flagge zu zeigen gegen Rechts.

Medieval Hackers

Lesen:

Rezension von John C. Ford, Champollion University, in der Medieval Review: The basic premise of Kathleen E. Kennedy's intriguing volume Medieval Hackers is that modern computer hackers are essentially the inheritors of the medieval copyist and translators who sought to freely disseminate information from original sources through their "derivative texts," which often also abridged, expanded, or altered information in their exemplars. … (via Nettime-l).

Leslie Lamport in Heidelberg

Über TeX-D-L erreicht uns der Hinweis auf einen Vortrag, den der LaTeX-Erfinder Leslie Lamport am 24. August 2015 beim Heidelberg Laureate Forum gehalten hat: A Mathematical View of Computer Systems. Hier einbinden kann ich das Video leider nicht. Wer den HTML5-Player der dortigen Website auf seinem System nicht nutzen kann (es wurden Probleme unter Linux berichtet), möge sich die mp4-Datei direkt herunterladen.

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