Samstag, 28. Juli 2018
Firefox beerdigt RSS-Feeds
Vielleicht hat es der eine oder die andere noch nicht bemerkt: Firefox beerdigt RSS- und Atom-Feeds ab Version 63/64, die Ende des Jahres veröffentlicht werden. Betroffen sind sowohl die Darstellung im Browser als auch die Live-Bookmarks. Einen Ersatz für die bisherige Implementierung gibt es nicht. Nach der Umsetzung wird man Feeds in Firefox nur noch per Extension lesen können, die derzeit verfügbaren Erweiterungen sind aber eher darauf angelegt, einen möglichst vollständigen Feedreader im Webbrowser bereitzustellen, eine leichtgewichtige Lösung wie den bisherigen Standard gibt es nicht. Nach der Entfernung des Feedreaders werden die Bookmarks in eine OPML-Datei exportiert, die man in einer anderen Anwendung importieren kann, falls man das möchte.
Sören Hentzschel erklärt und verteidigt in seinem Blog den Hintergrund zu der Entscheidung aus der Sicht von Mozilla: Betroffen seien nur 0,1 Prozent der Benutzer, und die Komponenten, auf denen der Feedreader in Firefox aufbaut, ständen der Modernisierung des Webbrowsers im Wege. Eine Neuentwicklung des Feedreaders lohne sich nicht.
Angesichts dessen möchte ich nun nicht gleich den Untergang des Abendlands vorhersagen, aber eine Unterstützung des freien und offenen Webs, die sich Mozilla immer wieder auf seine Fahnen und in seine PR geschrieben hat, sähe natürlich ganz anders aus. Darüber hatte ich schon 2016 geklagt. Firefox entfernt sich damit immer mehr von einem effizienten Arbeitspferd für den Webworker und für die offene Gesellschaft – und gerade in einem Augenblick, in dem die Wiederkehr der Feeds angesagt ist, werden sie von Mozilla nicht mehr unterstützt. Damit fällt eine Technik aus, die es ermöglicht, sich abseits von verzerrenden und manipulierenden Algorithmen in Suchmaschinen und auf Sozialen Netzwerken zu informieren. So etwas sollte standardmäßig zur Verfügung stehen, nicht erst als eine nette Bastelei, die man erst einmal finden und hinzu installieren muss. Meine Erfahrungen aus acht Jahren IT-Schulungen in der Erwachsenenbildung zeigt, dass die Mehrheit Webfeeds nicht kennt, wenn man es den Menschen aber erklärt und zeigt, verstehen sie die Technik und ihren Nutzen sofort und setzen sie auch ein.
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass auch FTP schrittweise aus Firefox entfernt wird?
Freitag, 27. Juli 2018
TUG2018 und Aquamacs 3.4
Auch bei der anhaltenden Hitzewelle gibt es Neues zu LaTeX und Umfeld zu vermelden:
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Die Jahrestagung der TeX Users Group TUG2018 fand am vergangenen Wochenende in Rio de Janeiro statt. Sie wurde drei Tage lang live auf YouTube übertragen, und die einzelnen Beiträge sind seit vorgestern im Kanal des Instituto de Matemática Pura e Aplicada abrufbar – wenn ich es richtig sehe, wurden sie in der Reihenfolge des Programms eingestellt. Dort sind die Abstracts verlinkt, zu einigen Beiträgen gibt es Preprints der dazugehörigen Proceedings, die demnächst in der Zeitschrift TUGboat erscheinen werden. Hervorzuheben sind die beiden Vorträge von Frank Mittelbach über A quarter century of doc und über Compatibility in the world of LaTeX sprach. Den Preprint A rollback concept for packages and classes gibts schon länger auf der Website des LaTeX Project zu lesen. Hinzu trat in diesem Jahr die Beschäftigung mit barrierefreien PDFs, die pdfLaTeX nicht out of the box erzeugen kann. Weil sie immer öfter für digitale Veröffentlichungen nachgefragt (und teilweise aufgrund gesetzlicher Vorschriften an vielen Universitäten bzw. in vielen Ländern verlangt) werden, kommt aber auch die TeX-Gemeinde nicht mehr um sie herum. Ross Moor sprach über Authoring accessible `Tagged PDF' documents using LaTeX und Sandro Coriasco stellte in An automated method based on LaTeX for the realization of accessible PDF documents containing formulae das neue Paket axessibility vor – dazu heute ein Nachtrag von Anna Capietto in der Mailingliste accessibility. Joseph Wright hat in seinem Blog über die drei Tage der Tagung berichtet.
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Am Rande der Konferenz hat Stefan Kottwitz die Eröffnung seines dritten lokalisierten TeX-Webforums bekanntgegeben. Nach der deutschen TeXwelt und der französischen TeXnique gibt es nun auch latex.net.br in brasilianischem Portugiesisch.
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Und heute, schließlich, hat David Reitter Aquamacs 3.4 veröffentlicht. Der neue Release beruht nicht auf dem neuesten Emacs 26, sondern noch auf dem Vorgänger GNU Emacs 25.3.50. Es ist gleichwohl kein reines Update, sondern bringt auch ein paar Veränderungen unter der Haube mit. So wurde das Scrollen mit dem Touchpad besser an den Mac angepasst. Außerdem wurde die Druckausgabe deutlich verbessert. AUCTeX hat jetzt Version 12.1. Wer mehr über den Ansatz von Aquamacs erfahren möchte, möge die Übersicht der Features nachlesen. An der Konfiguration hat sich nach meinem ersten Eindruck nichts geändert; die Aquamacs-Seiten, die David Reitter im EmacsWiki pflegt, sind auch unverändert geblieben. Viel Zeit für einen Test gab es nicht: Der Release folgte dem Pretest schon nach einem Tag. Ich verwende Aquamacs schon mehrere Jahre, allerdings ohne die macOS-Anpassungen; wie man sie los wird, erklärt der Entwickler im EmacsWiki. Aquamacs läuft ab macOS 10.9. Mehr über den Hintergrund hatte ich 2015 geschrieben. Das Konkurrenzprojekt ist Emacs For Mac OS X, das keinerlei Erweiterungen und eigene Konfiguration bereitstellt, sondern nur die Emacs-Binaries für den Mac.
Donnerstag, 5. Juli 2018
Georg Schramm: Zur Lage der Welt
Eine etwa 20-minütige Rede, die Georg Schramm Ende Mai 2018 bei der 50-Jahr-Feier von medico international gehalten hatte:
Dienstag, 12. Juni 2018
Englische TeX-FAQ neu aufgesetzt
Die große Zeit der FAQs ist eigentlich vorbei. Ihr Ursprung lag in den Mailinglisten und im Usenet, wo die Regulars es leid waren, immer wieder dieselben Fragen zu beantworten. Deshalb stellten sie Listen zusammen von häufig gestellten Fragen und häufig daraufhin gegebenen Antworten. Sie werden noch heute bei faqs.org gesammelt, aber man sieht, das letzte Update liegt schon eine Weile zurück.
Die deutsche TeX-FAQ Fragen und Antworten (FAQ) über das Textsatzsystem TeX und DANTE, Deutschsprachige Anwendervereinigung TeX e.V. von Bernd Raichle, Rolf Niepraschk und Thomas Hafner wurde bis 2003 in elf Teilen in de.comp.text.tex gepostet, meistens sonntags, und das war aufgrund der langen Haltezeiten auf den Newsservern ein zentraler Informationskanal. Daneben gab es Fassungen als PDF auf CTAN und in HTML für das Web.
Mit dem Aufkommen der Wikis in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre ließ das Interesse an den FAQs nach. Gleichzeitig sank die Bedeutung des Usenets. Die Blogs und die Webforen traten an seine Stelle, später auch die Sozialen Netzwerke. Außerdem wurde nun gegoogelt; das Suchen ersetzte die Diskussion. Seit Ende der 2000er-Jahre gab es wieder einen regelmäßigen Pointer in de.comp.text.tex, der aber keine Inhalte mehr bereitstellte, sondern, wie der Name schon sagt, nur auf Ressourcen im Web verweist. Die Einführung in dctt wurde wohl bis Dezember 2015 gepostet.
Nach einem Intermezzo im Vereinswiki von DANTE kam es zum vollständigen kollaborativen Neuschrieb der deutschen FAQ auf texfragen.de, begonnen von Patrick Gundlach und seit 2017/2018 fortgeführt von Stefan Kottwitz. Ein PDF-Export aus dem Dokuwiki steht auf CTAN bereit, derzeit allerdings auf dem Stand von 2013. Das Wiki ist also aktueller als der auf CTAN verfügbare Export.
Daneben gab und gibt es die umfangreiche und – ich glaube, man kann es mit Recht so sagen – bis heute nicht erreichte UK TeX FAQ, in der Robin Fairbairns zuletzt 469 Fragen und Antworten nicht nur gesammelt, sondern auch in eine sehr lesbare Form gebracht hatte. Aus Robins FAQ hatte auch ich über die Jahre immer wieder einiges gelernt. Leider stammt die letzte Fassung in der Version 3.28 aus dem Sommer 2014, was in der heutigen Zeit auch in der TeX-Welt schon ein ziemlich langer Moment ist. Robin Fairbairns hat zudem, seit er den Ruhestand angetreten hatte, seine Mitarbeit im CTAN-Team und seine Beiträge für die FAQ eingstellt.
Zum vierten Jahrestag der Veröffentlichung der letzten Fassung haben nun David Carlisle, Stefan Kottwitz, Karl Berry und Joseph Wright bekanntgegegen, dass sie die englische FAQ weiter pflegen möchten – die Liste der bisherigen Beiträger aus früheren Tagen ist freilich etwas länger. Um die Textsammlung weiter bearbeiten zu können, wurden die Quellen nach Markdown konvertiert und in ein Repository auf GitHub übetragen. Mittels GitHub Pages kann die FAQ von dort aus unmittelbar und ohne einen weiteren Zwischenschritt gehostet und unmittelbar als Website gelesen werden. Die kanonische URL ist von nun an texfaq.github.io bzw. texfaq.org. Und auch der Name wurde leicht geändert: Aus UK TeX FAQ wurde The TeX Frequently Asked Question List.
Und obwohl, wie eingangs erwähnt, die FAQs durch die Webforen und die Suchmaschinen, die heutzutage fast alle Fragen direkt und schnell beantworten, etwas an den Rand gedrängt worden sind, ist dies alles ganz sicherlich eine gute Nachricht, denn eine freie und aktuelle Referenz zu TeX & Friends ist weiterhin sehr wünschenswert und auch notwendig. Ein längerer Text, der Grundlagen erklärt, Zusammenhänge herstellt und der auch gut lesbar ist.
Kritisch angemerkt sei die Frage, ob man für das Hosting tatsächlich auf die Infrastruktur eines kommerziellen Dienstes zurückgreifen sollte oder ob es nicht doch vorzugswürdig wäre, die Web-Version auf einem eigenen Hosting zu betreiben? Oder gleich auf CTAN? Es sollte heute eigentlich kein Problem mehr sein, zumindest tägliche Snapshots aus einem Repositorium auf CTAN für das Web zu spiegeln.
Update 13. Juni 2018: Ich vergaß ja ganz, dass es auch etwas wirklich Neues in Bezug auf die englische FAQ anzumerken gibt: Sie wurde nunmehr unter eine CC-0-Lizenz gestellt.
Montag, 11. Juni 2018
Yahoo Messenger, 1998–2018
Nach 20 Jahren schließt Yahoo seinen Instant-Messaging-Dienst.
In der Diskussion dazu beschreibt ein Teilnehmer am Heise Forum die Entwicklung:
Als Urgestein würde ich IRC bezeichnen und das lebt immer noch, auch wenn es nicht mehr sehr verbreitet ist.
Sterben tun nicht die Standards, sondern proprietäre Dienst unter Kontrolle einer einzelnen Firma werden abgeschaltet, wenn sie keine Gewinne mehr einfahren. Ein offener Standard ohne zentrale Verwaltung kann nicht abgeschaltet werden. Es können höchstens die Nutzer ausbleiben.
Er empfiehlt Matrix zum Chatten; kann aber noch mehr.
Samstag, 9. Juni 2018
Kaum einen Hauch VI
Es sind ja nicht nur Blogs, auch im Journalismus ändert sich etwas. Der ORF zieht sich weitgehend von Facebook zurück, schreibt der Standard: Die derzeit rund 70 ORF-Auftritte auf Facebook sollen auf rund 15 eingedampft werden, wegen „Datenmissbrauch und Intransparenz“ des Netzwerks. Man schalte keine Werbung mehr auf Facebook und YouTube, und es solle auch keine Uploads von Videos auf YouTube geben. Stattdessen Links auf die eigene TVThek.
Ein Paradigmenwechsel. Im besten Fall werden wir uns einmal an die Zeit der Datenkraken erinnern wie wir heute an die Zeit zurückdenken, als es sie noch gar nicht gab. Man darf gespannt sein, welchen Weg die heutigen Benutzer wählen werden – diejenigen, die dort noch immer aktiv sind. Es kann alles nur besser und freier werden.
red. 2018. Teilrückzug: ORF dampft seine Facebook-Auftritte um 80 Prozent ein. derStandard.at. 7. Juni. derstandard.at (zugegriffen: 9. Juni 2018).
Freitag, 8. Juni 2018
LaTeX lebt
Dear TeXers,
Summer with its conferences is upon us. I am writing this text after a full day at the Joint Conference on Digital Libraries at Fort Worth, TX. As befits JCDL, at registration we were given the proceedings volume in digital form. By the way, I've run pdfinfo on the files and found out that of 102 papers presented there, 68 were typeset in TeX. I think the rumors of the imminent demise of TeX in the academic world are somewhat exaggerated. […]
Boris Veytsman, TeX Announce Mailing List, 7. Juni 2018.
Mittwoch, 6. Juni 2018
Kaum einen Hauch V
Natürlich legt Jörg Kantel den Finger in die Wunde, wenn er darauf hinweist, dass die kommerziellen und durch Datenhandel finanzierten Datensilos nicht so einfach zu ersetzen sein werden, wie die Freie-Software-Gemeinde es sich mitunter wünscht. Es ist pragmatisch, sie trotz allem zu nutzen. Und er legt heute noch einmal nach und entwirft ein Szenario für ein Web ohne Server und ohne Browser. Das wäre natürlich ein veritabler Pradigmenwechsel.
Der Content läge dann nicht mehr im Web, begraben in Datensilos, sondern lokal auf den Rechnern der Benutzer. Er wäre dort auch frei im Sinne von: jederzeit weiter zu verarbeiten, denn er läge in einem Metaformat wie Markdown – oder m.E. sympathischer: Org-mode – vor, reduziert auf die Elemente, die man zur Auszeichnung von Text tatsächlich braucht. Und der Content wäre in diesem Sinne auch dezentral vorhanden, denn man könnte ihn leicht in mehrere Clouds als Backup spiegeln. Das Web verbliebe als öffentlicher Spiegel des lokalen Archivs, bereitgestellt als Quelle, als (X)HTML zum Surfen, zum Drucken, zum Forken, Kopieren usw. Und damit es einfach und praktikabel bleibt (siehe oben), könnte dieser letzte Schritt der Veröffentlichung dann auch auf kommerziellen Plattformen spielen, damit es handhabbar und einfach und möglichst hoch verfügbar wäre.
Aber warum denn nun noch den letzten Schritt bei der Krake ansiedeln? Weil es in diesem Bild immer noch einfacher erscheint, statische Seiten zu erzeugen, die man der Krake übergibt, nur zum Weiterreichen an andere, als die Krake selbst zu ersetzen.
Und gerade das überzeugt mich nicht. Denn etwas fehlt in diesem Bild, nämlich Der Ekel vor dem Netz, wie Günter Hack es genannt hatte – ja, ich wiederhole mich bisweilen. Dieser Ekel sorgt nämlich für Stress, weil man ja die ganze Zeit hinweg dann doch wieder etwas tut, was man eigentlich gar nicht will: Im Datensilo, bei der Datenkrake oder in einem „sozialen“ Netzwerk für Content sorgen und damit seine Leser der dortigen Schnüffelei aussetzen. Jeder Blogpost bei WordPress.com nährt das Ökosystem aus Datensammelei und Datenhandel – man lese sich nur einmal die sogenannte Datenschutzerklärung von Automattic an. Jedes Repositorium bei GitHub (hab da ja auch eines) nährt nunmehr Microsoft.
Was wir wirklich bräuchten, wäre eine genossenschaftliche Struktur, um diese „letzte Meile“ im Publikationsprozess auch noch sauber und appetitlich abzudecken, um den Ekel aus der Kette endlich ganz zu tilgen. Wenn es so schwierig ist, das selbst zu machen, wäre das doch ein Ziel: Unabhängig werden von den Konzernen. Basisdemokratisch und so. Ist das schon zu lange her? Geht das heute nicht mehr? Ich dachte, die Windräder wären so im Kommen. Wo ist der Wind für das Web ohne Konzerne? Sonst hat das doch alles am Ende keinen Sinn.
Ich glaube nicht, dass es statische Seiten sein müssen. Die Entscheidung für statische Seiten ist für mich vor allem eine Frage der Wartbarkeit und der Langzeitarchivierung. Ich möchte eine Quelle haben, die auch langfristig funktionieren wird, so wie meine LaTeX-Dokumente von vor achtzehn Jahren heute auch immer noch lesbar sind und größtenteils kompilierbar. Ob Markdown dafür die richtige Wahl ist, bezweifle ich, denn es ist zu sehr an die großen kommerziellen Lösungen wie GitHub angedockt. Ein richtiges Nerd-Format wie Org-mode ist wohl doch eine bessere Wahl auf lange Sicht.
Das Für und Wider von datenbankbasierten Bloggersystemen wie WordPress und statischen Systemen wie Hugo oder Jeckyll erinnert mich eher an die Glaubenskriege zwischen CLI und GUI, wie sie in dem Essay In the beginning was the command line von Neal Stephenson beschrieben wurden – ein Text, der übrigens derzeit wohl nur noch in dezentralen Archiven zu finden ist, wenn man das so nennen will. Glücklich, wer noch eine lokale Kopie davon hat.
Dienstag, 5. Juni 2018
On the track III
Die Übernahme von GitHub durch Microsoft erinnert an das – rein fiktive – Startup My beloved pet dot com, das Constanze Kurz und Frank Rieger einst in ihrem Buch Die Datenfresser auftreten ließen, um zu demonstrieren, wie Datenhandel funktioniert. Das sympthische kleine Unternehmen wird von dem riesigen Weltkonzern geschluckt, um die Benutzerdaten weiterzureichen und zu verwerten. Es zeichnet sich ab, dass zumindest ein Teil der Community neue Wege gehen wird. Das Web ist in ständiger Re-Organisation, es verteilt sich immer wieder neu, und der Name Microsoft ist nicht gerade vertrauensstiftend. Ob GitLab ein Ausweg ist? Eher nein. Dezentrale Lösungen für Offene Daten würden gebraucht. Sowas sollte zur Grundausstattung einer Zivilgesellschaft gehören.
Demgegenüber meldet der Verbraucherzentrale Bundesverband einen kleinen Erfolg: Apple hat laut VZBV eine Unterlassungserklärung abgegeben, der zufolge die Teilnahmebedingungen für Schülerkurse in den Apple Stores geändert werden müssen. Der Verband hatte die Bedingungen fast vollständig als rechtswidrig kritisiert.
Was macht die Schule in einem Apple Store?
Apple bot in seinen Verkaufsläden „Entdeckungsreisen“ für Schülergruppen an. In den Kursen konnten die Kinder unter Anleitung und mithilfe von Geräten des Konzerns ihre Projekte gestalten.
Und was war dabei rechtswidrig?
Apple behielt sich das Recht vor, die Kinder während der Kurse zu fotografieren und zu filmen und die Aufnahmen umfassend zu verwerten. Außerdem lehnte das Unternehmen jegliche Haftung ab. Das sollten die Eltern mit ihrer Unterschrift auf einer Einverständniserklärung bestätigen.
Über das Eindringen der Konzerne in die Schulen wird viel zu wenig berichtet. Apple liefert coole iPads, und Google hat einen Einplatinen-Computer, den empfiehlt die Internetbotschafterin der Bundesergierung. Eine ganze Generation von Schülerinnen und Schülern wird erfasst und auf ihrem weiteren Weg „begleitet“ und vermarktet. Und das ist modern.
Samstag, 2. Juni 2018
William Kentridge, „O Sentimental Machine“ im Liebieghaus, Frankfurt am Main
In der Mitte des dunklen Raums steht eine phantastische Maschine. Ein großer, unentwegt atmender „Elefant“ als Holz und Metall, der vor sich hin arbeitet, ohne Pause, ohne Anfang, ohne Ende, ohne Ziel, aus sich heraus und für sich. Große Hebel, schiebende Flügel. Es dreht sich und es hebt sich etwas. Und trotz der Bewegung ruht er doch in sich. Ich glaube, es liegt an dem warmen Material Holz. Rundherum nicht weniger phantastische Filmszenen aus fünf Projektoren, die teils auf Holzplatten, teils auf die Reliefs im Rom-Saal des Liebieghauses leuchten und Szenen zeigen, Fragmente aus der Kunst, aus der Wissenschaft, Szenen einer Ehe, die Prozession einer politischen Bewegung. Und Metronomen, immer wieder. Vieles wird vorbeigetragen. Das ganze zu nicht weniger phantastischer Musik. Sie ist das schwächste Element von allen und kann sich nur deshalb gegen die Optik behaupten, weil sie über vier mächtige Lautsprecher gespielt wird, die in den Ecken ziemlich an der Decke platziert sind, vermehrt um vier Megafone, die frei im Raum verteilt sind und über die immer wieder gesungene, deklamierte oder gemurmelte Texte zu hören sind. Die Zuschauer können sich frei im Raum bewegen oder sich auf ein paar um den „Elefant“ verteilte Stühle – einfache Holzstühle und Drehstühle – setzen. Man muss sich immer wieder hin und her drehen, man bleibt in Bewegung, ist Teil der Bewegung, der Dynamik.
The refusal of time von William Kentridge, das zurzeit im Liebieghaus zu sehen ist, ist ein wahres Spektakel. Es dauert eine halbe Stunde, aber man meint, es wäre ein ganzes Leben. Ich habe schon lange nicht mehr in so kurzer Zeit so viel Zeit erlebt. Der „Elefant“ relativiert die Zeit und macht sie bewusst. Und es ist nur eines von 80 Werken in der Ausstellung, aber es ist bei weitem dasjenige, das mich am meisten angeregt hat. In der gestern neu eröffneten Kunsthalle Mannheim sei es auch zu sehen. Es gibt also mehrere davon. Wie beruhigend.
In diesem Interview im Louisiana Channel erzählte Kentridge 2017 – ebenfalls eine halbe Stunde lang – über das Werk, das zuerst 2012 bei der documenta 13 gezeigt worden war:
William Kentridge. O Sentimental Machine. Bis 26. August 2018 im Liebieghaus, Frankfurt am Main. Kuratoren: Vinzenz Brinkmann und Kristin Schrader. Katalog im Kerber Verlag, im Museum 39,90 Euro.