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Twoday.net, 2003–2018

Die Bloggerplattform Twoday.net schließt zum Ende des Monats Mai 2018, und man sieht mit einem Blick auf Twingly, dass immer noch ein tiefer Riss durch das Web geht – zwischen den Netizens und den Geschäftemachern.

Als vor etwa einem Jahr das Open Directory Projekt DMOZ zumachte, waren es die Werbe-Spammer, die es als erste kühl und auch ein wenig herablassend vermeldeten. Nun, da es Twoday.net trifft, sind es dagegen die kleinen Blogger, die in meist recht emotionalen Blogposts ihrem liebgewonnenen Hoster nachtrauern.

Beispielhaft etwa dieser deftige Beitrag von Bonanzamargot in Anlehnung an Charles Bukowski (weiß eigentlich heute noch jemand, wer das war?): Lange genug ließ man uns Blogger im Ungewissen. Bukowski würde wahrscheinlich sagen: Das war ein verdammt langer Schiss! Sie hätte sich gewünscht, dass die Betreiber von Twoday.net Gründe angegeben hätten für ihre Entscheidung: Wenn man sich überlegt, mit wie viel Herzblut die Blogger auf Twoday unterwegs waren, über Jahre einen kahlen, vorgegebenen Raum mit ihren Inhalten auskleideten und mit Leben füllten…, da stimmt mich dieses Ende nicht nur traurig, sondern es macht mich gewissermaßen auch wütend! Aber auch in den LitBlogs wird des Endes von Twoday.net gedacht, und es werden auch schon die ersten Umzüge angezeigt.

Twoday.net war die erste Adresse, als man bei Antville.org in der Hochzeit des Web-2.0-Booms wegen Überlastung kein neues Blog mehr einrichten konnte. Und bis 2008 wurden dort 46353 Weblogs (sic! so sagte man damals) gehostet. Innerhalb von nur fünf Jahren, wohlgemerkt, waren sie eröffnet worden.

Und jetzt diskutiert die Antville-Gemeinde, ob sie sich um die verbliebenen Twoday.net-Blogger kümmern könne. Ich fände das schön, denn es ist wichtig, die idealistischen Nischen des Netzes zu pflegen und lebendig zu erhalten.

DMOZ hat übrigens ein Nachfolgeprojekt erhalten: Curlie, ein süßes rotes Eichhörnchen, sammelt jetzt die URLs in einem Web-Verzeichnis. Und statische Kopien des letzten Stands von DMOZ gibt es hier und hier.

Totgesagte leben länger.

Der neue Gesandte VIII

Nach dem Rückzug des neuen Gesandten, der jetzt seine Schuldigkeit getan hat, überwiegt in den meisten Quellen das naive Narrativ des Verlierers. Von hundert auf null. Alles sei perdu. Auffällig ist, dass ein Journalist, der ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass der neue Gesandte auch Täter war, gehen musste. Ambivalenz wird nicht geduldet. Damit wird eine Inszenierung angesprochen, die immerhin über ein Jahr lang lief und die demonstriert hat, was geht. Alle machten mit. Politik als bloße Show, ohne Inhalte. Am Ende erscheint ein Grenzwert von etwa fünfzehn Prozent. Und das ist längst noch nicht vorbei.

Literatur: Maier, Anja. 2018. Kommentar Verzicht von Martin Schulz: Drama ersten Ranges. Die Tageszeitung: taz, 9. Februar, Abschn. Politik. www.taz.de (zugegriffen: 10. Februar 2018). – N.N. 2018. Streit mit Verleger Holtzbrinck: Steingart verlässt das „Handelsblatt“. Die Tageszeitung: taz, 9. Februar, Abschn. Gesellschaft. www.taz.de (zugegriffen: 10. Februar 2018). – Nowak, Peter. 2018. Das Jahr mit Schulz ist zu Ende. Telepolis. 10. Februar. www.heise.de (zugegriffen: 10. Februar 2018).

Thunderbird löst sich von Mutter Mozilla IV

Im weiteren Verlauf der Diskussion hat Ben Buksch im Mozilla-Wiki eine Seite zum Entwurf der „nächsten Generation“ von Thunderbird angelegt und auf der Mailingliste tb-planning zu Stellungnahmen aufgerufen.

Das Ziel der weiteren Entwicklung sei, neben der bisherigen Desktop-Version mobile Apps für Android und iOS zu erstellen, die auch populäre Chat-Protokolle wie WhatsApp sowie Verschlüsselung nativ unterstützen. Mobile ist, zurückhaltend gesagt, umstritten. Und meine Mail, in der ich darum gebeten hatte, weiterhin NNTP zu unterstützen, wurde vom Moderator heute nicht durchgelassen, was wahrscheinlich Rückschlüsse auf die zukünftige Richtung zulässt. Schade.

Währenddessen wird bei den Koalitionsverhandlungen der Abschied von De-Mail und der Einstieg in PGP/S-MIME für E-Government eingeleitet. Das passt wiederum.

Die Onleihe, die E-Papers, das DRM und der Schwarze Peter

Merkwürdig ruhig geworden ist es in den Biblioblogs zum Thema Onleihe. Dabei geht es schon seit über einem Monat ziemlich hoch her, und wenn ich nichts Besseres zu tun gehabt hätte, wäre ich, nachdem ich sie von Anfang an kritisch begleitet hatte, selbstverständlich auch bei den ersten gewesen, die die Probleme mit der EKZ-Tochter Divibib zum Thema gemacht hätte. Aber das kann man ja noch noch in Ruhe nachholen, denn so schnell läuft sie uns nicht weg. Was ist also passiert?

Man kann guten Gewissens sagen, dass die Onleihe jetzt endgültig kaputt ist, und zwar ausgerechnet kurz vor dem Weihnachtsfest, wenn also ganz viele Benutzer endlich die Zeit haben, sich einmal umzuschauen, vielleicht auch mal mit neuen Geräten etwas Neues auszuprobieren und im Angebot zu stöbern und wenn die digitalen Lösungen besonders wichtig werden, weil die Präsenzangebote wegen der Feiertagsschließung vielerorts nicht zugänglich sind.

Die Divibib behauptet – bisher ohne Quellenangabe –, Adobe habe angekündigt, die Weiterentwicklung des DRM bei seinem Adobe Reader einzustellen. In vorauseilendem Gehorsam – anderer Version: weit und weise vorausschauend – stelle man deshalb schon heute die Bereitstellung von PDFs für die E-Papers in der Onleihe um. Jedenfalls aber bis März 2018 komplett. Dort gab es bisher PDFs, die man im Reader öffnen konnte. Neuerdings kann man nur noch PDFs herunterladen, die in dem E-Book-Programm Adobe Digital Editions zu öffnen sind.

So weit, so gut, könnte man denken. Nimmt man halt ein anderes Programm, und gut ists. So ist es aber nicht.

Es fängt damit an, dass die PDFs, die die Presseverlage derzeit freigeben, in der aktuellen Version 4.5.7 von Adobe Digital Editions (ADE) nicht zu öffnen sind. E-Books gehen (meist?), aber E-Papers nicht. ADE zeigt nur leere Seiten an. Im Fall der FAZ sieht das dann so aus:

Ansicht der FAZ aus der Onleihe in ADE 4.5.7 am 15. Dezember 2017

Deshalb empfiehlt die Onleihe per Dauereinblendung in ihrem User-Forum offiziell ein Downgrade auf Version 4.5.6 – trotz der damit verbundenen Sicherheitslücken, die man sich mit einer veralteten Version auf sein System holen würde und die, wie es bei Exploits eben so üblich ist, auch schon ausgenutzt werden, weil sie entsprechend bekannt gemacht worden sind. Wer das nicht wagt, kann bis auf weiteres keine E-Papers mehr über die Onleihe lesen. Dieses Problem betrifft alle Benutzer auf allen Plattformen.

Banner im User-Forum der Onleihe in diesen Tagen

Wenn man das denn Lesen nennen will. Denn das Navigieren in einem ADE-PDF ist etwas ganz anderes als bei einem Reader-PDF. Adobe Digital Editions ist offensichtlich nicht dafür ausgelegt, mit so großen grafisch gestalteten Seiten zu arbeiten. Das Scrollen funktioniert nur wie in Zeitlupe, ist für den täglichen Gebrauch zur flüssigen Zeitungslektüre daher unbrauchbar. Es liegt auch nicht am eigenen System: Eine 30 MB große PDF-Datei belegt auf meinem Rechner mit ADE genau 33 MB Arbeitsspeicher. ADE ist einfach eine Schnecke, weil das Programm ja vor allem dazu dient, Bleiwüsten im Format EPUB darzustellen, was etwas ganz anderes ist.

Auf dem Mac kommt hinzu, dass ADE hier schon seit 2014 nicht mehr ordentlich funktioniert. Die ACSM-Datei wird noch heruntergeladen und ADE wird geöffnet. Nach dem Download der Zieldatei hängt sich Adobe Digital Editions aber zuverlässig auf und legt sich dann schlafen wie ein Eichhörnchen, das zur Winterruhe gefunden hat. Bis man es über das Apfel-Menü abschießt. Die EPUB- oder die PDF-Datei findet man dann im Digital-Editions-Verzeichnis. Man kann sie in der Regel in ADE öffnen und in dessen Bibliothek importieren – sofern es kein E-Papier ist, das funktioniert – siehe oben – nur mit älteren Versionen. Die letzte Version, die man auf dem Mac nutzen kann, ist derzeit, wie man liest, wohl ADE 4.0.3 aus dem Februar 2015. Die Situation hat sich damit nochmals erheblich verschlechtert – wobei die FAQ der Onleihe zu dem Thema „Onleihe auf dem Mac“ für sich genommen schon immer legendär zu nennen war. Schon heute darf sie als ein Klassiker der Netzkultur gelten.

Die Onleihe bietet zur Jahreswende 2017/18 also ein wirklich desolates Bild. Nur wer sich in ein Software-Museum zurückzieht, kann darüber noch E-Papers lesen. Die Probleme bei den E-Books seien nicht ganz so schlimm – aber das weiß man ja immer erst, wenn man versucht, eine bestimmte Datei zu öffnen. Man muss abwarten, was einen dann erwartet und von Fall zu Fall schauen, ob es geht und was damit geht.

Dementsprechend ist der Unmut der Benutzer im User-Forum der Onleihe. Dort geht es schon wochenlang hoch her. Die Moderatoren und die sonstigen Support-Kräfte kommen kaum hinterher. Ehrlicherweise sollte man sagen, dass die Ausleihe von E-Papers faktisch eingestellt worden sei, schreibt dort ein User:

„Nach all den vielen Beiträgen muss man doch den Schluss ziehen, dass keine ePapers mehr für Normalnutzer, die nicht in die Trickkiste greifen können oder wollen, angeboten werden. Das gilt zumindest für die großformatigen Tageszeitungen. Ein vernünftiges Lesen ist nicht mehr möglich, egal mit welcher Hardware, mit welchem Betriebssystem und mit welchem Leseprogramm.“

Andere posten Links zu den veralteten ADE-Versionen und Anleitungen, die angeblich noch gehen. Ungeübte Benutzer fragen etwas schüchtern, woran es denn liege, dass man die Onleihe nicht mehr nutzen könne. Der Sohn habe doch alles so formidabel eingerichtet, und jetzt klappt es nicht?

Und auch die Bibliotheken reagieren langsam. Eine teilte einem Benutzer mit:

„…der Onleiheverbund der onleiheSaar hat sich entschlossen, die Zeitungen abzubestellen, da die Divibib eine problemlose Nutzung nicht gewährleistet.“

Ob es stimmt, dass das DRM für den Adobe Reader tatsächlich nicht mehr weiterentwickelt wird, steht übrigens zumindest derzeit in den Sternen. Zu googeln ist dazu nichts. Und die Onleihe hat dazu auch in ihrem schon immer ziemlich unübersichtlichen und merkwürdig rau moderierten User-Forum keinen Beleg genannt.

Was wir hier sehen, war jedenfalls voraussehbar. Das DRM, das schon den Plattenlabels vor Jahren um die Ohren flog und das zunehmend auch bei den E-Books abgeschafft worden ist, ist endgültig am Ende, die Download-Lösungen werden durch Streaming mit Flatrates ersetzt. Dieser Trend war schon vor Jahren aus den USA bekannt, und es rächt sich nun, dass die öffentlichen Bibliotheken auf diesen Dino gesetzt haben. Hier wurde viel Geld verbraten, sehr viel Steuergeld, das auch an Adobe fließt, das schon viele Jahre lang seelenruhig bleibt und offenbar keinen ordentlichen Service mehr angeboten hat. Von rechtlichem Druck auf die großen Konzerne hat man jedenfalls nichts gehört. Offiziell wird der Schwarze Peter zwischen den Verlagen, die ein DRM fordern würden, Adobe und, soweit betroffen, auch Apple, hin und her geschoben. Leidtragende der verkorksten Lage sind die Benutzer/innen, die nun jedenfalls bei der digitalen Zeitungslektüre in die Röhre schauen.

Gut beraten war, wer auf Lösungen wie beispielsweise das Pressearchiv Genios oder auf den PressReader via Munzinger gesetzt hatte, die schlicht im Webbrowser laufen (es gibt noch andere). Was man sich natürlich erst einmal leisten können muss, denn das ist schon etwas teurer am Markt. Hier sind die Bibliotheken im Rhein-Main-Gebiet – mit Ausnahme von Darmstadt – übrigens leider vergleichsweise schlecht aufgestellt – schlechter als in vielen anderen Gegenden Deutschlands, wo der digitale Sektor sehr viel größer aufgebaut worden ist, so dass nun schnell Alternativen zur Onleihe verfügbar sind, auf die man jetzt, wo sie gebraucht werden, direkt verweisen kann. Im Forum waren immerhin schon Vergleiche zu BER gezogen worden…

Man kann, wie eingangs schon gesagt, mit gutem Gewissen davon ausgehen, dass die Adobe-DRM-Lösung endgültig kaputt ist und dass man insoweit auch zumindest teilweise kapituliert hat. Und der Ausblick auf ein eigenes Onleihe-DRM, das immer mal wieder erwähnt wurde, erscheint heute noch eher trüb, denn das grinst nicht gerade um die Ecke.

Frustrierte Benutzer werden sich abwenden und sich anderweitig orientieren. Vielleicht ist das den Verlagen auch ganz recht, die ja ihre Digitalangebote derzeit zunehmend in den Markt drücken wollen und dafür die freien Meldungen auf den Zeitungs-Websites auch eher vernachlässigen.

Wenn demnächst mal wieder von der sogenannten Digitalen Agenda die Rede ist, sollte man ruhig einmal auf das DRM-Debakel und das Right to E-Read zu sprechen kommen. Es wäre sicherlich ein guter Maßstab für die Frage, wie weit die Digitalisierung in der Informations- und Wissensgesellschaft überhaupt schon vorangekommen ist – oder eben nicht.

Kersch, Karsch, Korsch und Kirsch XVIII

„Haben Sie bemerkt, dass die Eichhörnchen dieses Jahr schon früher fertig sind als sonst? Sie haben ihre Nüsse und was sie sonst noch so für den Winter brauchen, gesammelt, und sie haben sich zurückgezogen in ihre Kobel, rechtzeitig, bevor der Winter kam“, bemerkte Kersch. „Jetzt sieht man sie schon nicht mehr.“ – „Ein Winter, der dieses Jahr immer wieder kommt und geht. Der immer wieder testet, ob der Schnee liegen bleiben könnte, der dann aber doch bald wieder schmilzt, als wolle er dann doch nicht so sehr stören.“ – – „Nur das Licht ist wirklich gegangen. Es hinterlässt eine tiefe Dunkelheit und Kälte.“ – Korsch hob den Kopf, wie von weit, und nickte sanft, bevor er wegging, als wäre es für immer.

Neuerscheinungen zur Netzpolitik VII

Diesmal nur als unkommentierte und unsortierte Liste, möchte die Hinweise aber gerne weitergeben. If time permits, reiche ich Anmerkungen nach…

  • Lang, Susanne. 2017. Eine kurze Geschichte des Internets. Die Inkorporation des Internets in kapitalistische Verhältnisse ist keinesfalls abgeschlossen und noch immer umkämpft. Prokla 47, Nr. 186 (1. März): 7–25. prokla.de

  • N.N. 2017. c’t Uplink 19.9: Die Geschichte des Computers, erzählt von Andreas Stiller. c’t uplink. Nr. 19.9. Hannover: heise online. www.youtube.com (zugegriffen: 3. Dezember 2017).

  • Billari, Francesco C., Osea Giuntella und Luca Stella. 2017. Broadband Internet, Digital Temptations, and Sleep. SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research. Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. www.diw.de (zugegriffen: 23. November 2017).

  • Dachwitz, Ingo und Marie Kochsiek. 2017. Interview über Period-Tracking: „Wir brauchen Zyklus-Apps mit freier und offener Software!“ netzpolitik.org. 30. November. netzpolitik.org (zugegriffen: 1. Dezember 2017).

  • Farkas, Meredith Gorran. 2017. Saying goodbye to the Library Success Wiki. Information Wants To Be Free. 6. November. meredith.wolfwater.com (zugegriffen: 16. November 2017).

  • Heimstädt, Maximilian und Leonhard Dobusch. 2017. Perspektiven von Open Educational Resources (OER) für die (sozio-)ökonomische Bildung an Schulen in NRW und in Deutschland. Neues ökonomisches Denken. Düsseldorf: FGW – Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung. www.fgw-nrw.de (zugegriffen: 9. November 2017).

  • Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht e. V., Dr Christian Djeffal, Privatdozent Dr. Christian Ernst, Peter Schaar, Daniel Mattig und Theresa Witt. 2017. Digitalisierung und Recht: Tagung des eingetragenen Vereins Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht an der Bucerius Law School am 26. November 2016. Hg. von Dr Anika Klafki, Felix Würkert, und Tina Winter. 1. Auflage. Hamburg: Bucerius Law School Bucerius Law School Press. www.researchgate.net.

  • Lee, Felix. 2017. China: Die AAA-Bürger. Die Zeit, 30. November, Abschn. Digital. www.zeit.de (zugegriffen: 30. November 2017).

  • PEIRA. 2017. 35. PEIRA Matinée: Katharina Nocun - Terrorismus und Überwachung. www.youtube.com (zugegriffen: 23. Oktober 2017).

  • Schaumburg, Felix. 2017. Das neue UrhWissG Gesetz und die Schulbuchkopie. schaumburg.xyz. 8. November. schaumburg.xyz (zugegriffen: 8. November 2017).

  • Welchering, Peter. 2017. Tante Emma 2.0 - Wie der Einzelhandel mehr verkaufen willWissenschaft im Brennpunkt. Deutschlandfunk. Köln: Deutschlandfunk, 3. Dezember. www.deutschlandfunk.de (zugegriffen: 3. Dezember 2017).

  • Emery, Christina, Mithu Lucraft, Agata Morka und Ros Pyne. 2017. The OA effect: How does open access affect the usage of scholarly books? White Paper. Springer Nature. www.springernature.com (zugegriffen: 8. November 2017).

  • Kotowski, Julia. 2017. What happened to CC? And other thoughts regarding the future of Entertainment for the Braindead. entertainment for the braindead. 18. November. eftb.tumblr.com (zugegriffen: 19. November 2017).

  • Ehrenhauser, Astrid. 2017. Google in der Grundschule: Kleine Geschenke mit Nebenwirkung. Die Tageszeitung: taz, 22. Oktober, Abschn. Gesellschaft. www.taz.de (zugegriffen: 23. Oktober 2017).

Wikipedia baut ab, oder: Was von „open“ übrig bleibt II

Ein schöner Aperçu zur Mediengeschichte der letzten etwa zehn Jahre (auch wenn er es im Titel enger fasst) ist bei André Staltz zu lesen (via Stephen Downes, der zaghaft widerspricht).

Facebook saugt alles mögliche in sich hinein, während Google nur noch außerhalb des Web wächst und selbst Wissen direkt anbietet, ohne den Sprung auf eine externe Quelle, direkt innerhalb des Google-Ökosystems.

Natürlich kommt einem die neue Richtung der Wikimedia Foundation in den Sinn: Wenn sie bei alledem nicht mitspielen würde und Wikipedia nicht als knowledge as a service anböte, würde sie relativ schnell untergehen. Also stellen sie immer mehr Schnittstellen bereit, um ihr Wissen an Google verschenken können, weil die es sonst woanders sich schenken lassen würden oder notfalls auch ad hoc hinzukaufen, wenn es gebraucht wird.

Und selbstverständlich entsteht damit auch ein noch größeres wettbewerbsrechtliches Problem als bisher schon, wenn die ehemalige Suchmaschine nur noch eine einzige Empfehlung ausspricht und ausgibt, anstelle von einer Liste mit einer bisweilen fünfstelligen Anzahl von Suchtreffern, aus denen der Benutzer auswählen muss. Von einem Ranking wird man nicht mehr sprechen können, und Google wird sich mit dieser Technik eher einer noch strengeren Prüfung durch die EU-Kommission unterwerfen. Es könnte sogar sein, dass diese Technik in der EU gar nicht eingesetzt werden darf.

Während das Web verschwindet, entsteht eine Landschaft aus völlig separaten Ökosystemen, die Endgeräte ansteuern, in denen kombinierte Antwort- und Bestellmaschinen integriert sind. Diese Entwicklung ersetzt den alten Computer mit Webbrowser vollständig. Sie verläuft disruptiv und ist nicht mehr umkehrbar.

Es bedarf keiner Erörterung, dass sich dies auch noch weiter auf die hergebrachten Mitmachprojekte des Web 2.0 auswirken wird. Wer an diese Technik aus Apps plus Endgeräte gewöhnt ist und damit aufwächst, wird nie auf die Idee kommen, an einem Massenprojekt wie Wikipedia teilzunehmen, weil er sich so etwas gar nicht mehr vorstellen kann. Normal ist, dass man auf riesige Datenbestände zugreift, die automatisiert erstellt oder jedenfalls automatisiert ausgewählt worden sind, aber nicht, dass man sie als Autor eigenhändig mit schreibt, kuratiert, pflegt und kollektiv verwaltet. Das liegt alles zentral bei der Firma, die es anbietet. Top-down, also nicht in den Händen einer Community, bottom-up.

Dieser Wandel hält von der Mitarbeit ab, und der Konflikt, der sich daraus ergibt, steht wiederum im Mittelpunkt des Streits, der gerade zwischen Community und Wikimedia Foundation entstanden ist. Benutzer haben sich geweigert, die neue Strategie einfach abzunicken, sie widersprechen und verlangen echte Mitsprache, die dort gerade verloren gegangen ist.

Wissen wird wieder exklusiver, und die Entscheidung darüber liegt sowohl bei den GAFAs als auch bei den großen amerikanischen Foundations nicht mehr in der Hand der Benutzer, sondern beim Management. Insoweit gibt es keinen Unterschied zwischen ihnen.

Und doch wird es auch in diesen Szenarien aus virtuellen Gemeinschaften, virtuellen Realitäten und künstlicher Intelligenz immer wieder Nutzer geben, die dank natürlicher Intelligenz unter dem Radar fliegen und sich abseits dieser großen Lager organisieren und zusammenfinden werden, in Nischen und Kommunen, und dort alternative Entwürfe sich ausdenken und leben werden. In Inseln der Vernunft in einem Meer von Unsinn und mit Spaß am Gerät, natürlich. Aber nicht mehr bei den Großen des Plattformkapitalismus, sondern ganz woanders.

Hier entsteht etwas ähnliches wie in der Politik: Die Entfremdung zwischen Apparat und Zivilgesellschaft führt dazu, dass sich letztere vom Betrieb abwendet und „schon mal anfängt“ mit eigenen Projekten, die von unten beginnen: vegetarisches Essen statt Massentierhaltung, Autos werden abgeschafft, Postwachstum beginnt bottom-up. Der Bruch zwischen Apparat und Unterbau erfolgt langsam, und die Bruchstellen klaffen lange Zeit hinweg leise, aber immer mehr, ganz ähnlich wie eine Eisscholle, die eines Tages abbricht und einfach weg treibt in eine andere Richtung, wo sich beide nie wieder begegnen werden. Den großen Eisberg, der sie gebar, ficht das nicht an. So beginnt etwas Neues.

Staltz, André. 2017. The Web began dying in 2014, here’s how. André Staltz. 30. Oktober. staltz.com (zugegriffen: 5. November 2017). – Yannick. 2017. Die Wikipedia der Zukunft: Zwischen Dienstleistung und politischem Projekt. netzpolitik.org. 1. November. netzpolitik.org (zugegriffen: 2. November 2017). – Paumier, Guillaume und Nicole Ebber. 2017. Service and equity: A new direction for the Wikimedia movement towards 2030. Wikimedia Blog. 3. November. blog.wikimedia.org (zugegriffen: 5. November 2017).

Handkes Tagebücher

Hat er als „Vorlass“ ins Literaturarchiv Marbach gegeben.

„Ich war nie in Versuchung, private Dinge aufzuschreiben“, sagt er. Dafür gewinnt man Einblick in das Intimleben der Sprache. An einer Stelle werden Verben bestimmten Substantiven zugesellt. Ein Verb für die Frau: „sie versteht“; ein Verb für die Musik Bachs: „das Zeitmaß geben“, ein Verb für die Erzählung: „sie greift ein“.

66 Hefte wurden schon in Marbach aufbewahrt; sie zählen zu den am häufigsten benutzten Beständen des Archivs. Insgesamt sind es jetzt 217.

Alles bleibt in Bewegung, nichts ist in diesem schönen Durcheinander fest, auch die Begeisterung für das Tagebuch als solches nicht.

Auch er, ein Blogger.

Kister, Stefan. 2017. Peter Handke in Marbach: Gesammelte Sternschnuppen. stuttgarter-zeitung.de. 19. Oktober. www.stuttgarter-zeitung.de (zugegriffen: 21. Oktober 2017). – via zkbw.

Wählerischer sein

In Halle 4.2 gab es gestern auf der Frankfurter Buchmesse üble Szenen: Auf einer Veranstaltung eines neurechten Verlags traten Vertreter von rechten Parteien und sonstigen Gruppierungen auf; Demonstranten störten die Veranstaltung, so dass diese abgebrochen wurde; und dann kam es nicht nur zu Wortgefechten und Spruchchören gegeneinander, sondern auch zu Handgreiflichkeiten. Die Polizei stellte sich zwischen die beiden Gruppen; es heißt aber auch, sie hätte sich geweigert, Strafanzeigen gegen rechte Gewalttäter aufzunehmen und deren Personalien aufzunehmen. Der Direktor der Buchmesse Jürgen Boos mitten in dem Trubel, auf einem Video auf Twitter war zu sehen, wie ihm ein Megaphon von dem Veranstalter des Podiums weggeschlagen wurde, so dass er nicht sprechen konnte.

Abends um 22 Uhr schob er gemeinsam mit dem Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Alexander Skipis ein windelweiches Statement hinterher, man wende sich gegen jede Form von Gewalt, weil sie dem Austausch von politischen Positionen entgegenstehe.

Heute morgen gab es dazu vor allem drei Reaktionen:

Enno Park verglich die Pressemitteilung der Buchmesse auf Twitter mit den selbstentblößenden Aussagen, die gerade aus Amerika zu hören waren:

Wie Trump nach Charlottesville.

Der Deutschlandfunk-Büchermarkt-Redakteur Jan Drees bloggt und spricht einen Kommentar, der größtenteils aus einem Zitat aus einer Neuerscheinung zum Thema besteht, das endet:

„…Und irgendwann werdet ihr natürlich auch auf Nazis stoßen. Da könnt ihr gerne weggucken, eure Sache. Aber verkauft uns das dann bitte nicht als ‚deutsche Geschichte‘. Aus der kann man doch die Verbrechen der Deutschen nicht einfach abziehen wie einen unbequemen Bilanzposten.…“

Und Margarete Stokowski entwirft im taz-Buchmesseblog eine alternative Pressemitteilung, die sie gerne gelesen hätte:

„Die Frankfurter Buchmesse lebt von der Vielfalt der Meinungen und ist ein Ort des freien Dialogs. Das ist die unveränderliche Haltung der Frankfurter Buchmesse und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Wir haben in der Vergangenheit und auch in diesem Jahr versucht, dieser Haltung zu entsprechen, in dem wir auch Aussteller der Neuen Rechten auf dem Messegelände zugelassen haben, und gehofft, damit einen freien Dialog zu befördern. Dies erscheint uns angesichts der aktuellen Lage nicht mehr aussichtsreich. Nun, da es auf mehreren Veranstaltungen von Verlagen der Neuen Rechten zu Handgreiflichkeiten kam, haben wir uns entschieden, ein klares Zeichen zu setzen. Wir werden in Zukunft keine Aussteller mehr zulassen, die dem Milieu der Neuen Rechten zuzurechnen sind. Die Frankfurter Buchmesse soll eine Veranstaltung sein, auf der Hass keinen Platz findet – auch im wörtlichen Sinne. Für Vielfalt einzustehen bedeutet nicht, allen Positionen Raum zu geben, auch wenn sie menschenfeindlich sind. Vielfalt muss vor denjenigen geschützt werden, die sie bedrohen. Hier auf dem Messegelände treffen 7.150 Aussteller aus 106 Ländern auf rund 278.000 Besucher und 10.000 akkreditierte Journalisten. Sie alle sollen sich sicher sein, dass die Frankfurter Buchmesse kein Ort für Rassismus und völkisches Denken ist, sondern ein Raum für freien Austausch. Wir wünschen allen Verletzten eine baldige Genesung und werden in Zukunft alles in unserer Macht Stehende tun, um gewalttätige Auseindersetzungen auf der Frankfurter Buchmesse zu vermeiden.“

Und wer hat gestern abend über all das direkt berichtet? Die Frankfurter Rundschau war vor Ort und der Hessische Rundfunk auch, beide brachten Beiträge mit mehreren Updates, gut recherchiert, denn hier wurde nachgefragt und nicht einfach nur alles mögliche von Twitter übernommen, was da so herumschwirrte. Der hr übernahm den Beitrag auch als Aufmacher auf dem Buchmesse-Portal der ARD. Bloß die Tagesschau berichtete nicht: In der 20-Uhr-Ausgabe, zwei Stunden nach dem Ereignis – kein Wort darüber. Und auch die in Bücherfragen sonst so rührige FAZ beließ es bei einer dpa-Meldung und ein paar Fotos aus dem Ticker. Deutschlandradio Kultur brachte eine eigene Meldung in den Kulturnachrichten.

Es gibt nicht viele Medien, wo samstagsabends noch ein Redakteur zu finden und auch willens ist, etwas über solche Einschnitte zu bringen. Man merkt aber auch, dass hier zwei Spielarten des Journalismus aufeinanderstoßen. Man kann über die Welt da draußen schreiben oder sich selbst zu einem bloßen Teil der Inszenierung eines Events machen. Es lohnt sich, auch insoweit wählerischer zu sein beim eigenen Medienkonsum. Und natürlich auch bei der Frage, wen man auf eine solche Messe einlädt und dort gewähren lässt.

Ein Wunder

Die FAZ hat in der gestrigen Ausgabe noch einmal nachgelegt und dem tief pessimistischen Interview über die Lage des Buchmarktes, das Felicitas von Lovenberg im Handelsblatt gegeben hatte, ein Gespräch mit dem Verleger von Diogenes, Philipp Keel, zur Seite gestellt. For the record:

Praktisch auf der ganzen Welt ist der Buchmarkt in den vergangenen siebzehn Jahren um die Hälfte eingebrochen. …

Was halten Sie dem entgegen?

… So wissen wir heute, dass uns ein digitaler Reader weniger erreicht als ein echtes Buch. Dass wir nämlich den ganzen Tag auf Bildschirme starren, bringt uns in Wahrheit nicht weiter. Das heißt nicht, dass Diogenes morgen wieder doppelt so viele Bücher verkauft. Doch wenn wir wissen, dass wir verblöden, wenn wir keine Bücher mehr lesen, macht mich das einigermaßen zuversichtlich. …

Wissen Sie was, das ist vielleicht das finsterste Gespräch, das ich je geführt habe – ist es da nicht ein Wunder, dass wir mit Büchern überhaupt noch Geld verdienen können?

Müller, Anja, Thomas Thuma und Felicitas von Lovenberg. 2017. Das Buch ist schöner als ein paar Bits. Handelsblatt, 9. Oktober, Abschn. Unternehmen & Märkte. S. 22. – Kegel, Sandra und Philipp Keel. 2017. Ein Gespräch mit dem Diogenes-Verleger Philpp Keel über die Lage auf dem Buchmarkt: Worüber geschwiegen wird. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Oktober, Abschn. Feuilleton. S. 9

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